2.159.1 (lut1p): [Annahme der Einladung zur Locarno-Konferenz; Kriegsschuldfrage]

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[Annahme der Einladung zur Locarno-Konferenz; Kriegsschuldfrage]

Reichsminister Dr. Stresemann legt den Entwurf eines im Auswärtigen Amt vorbereiteten Memorandums vor, das zusammen mit der Annahme der Einladung dem französischen und englischen Botschafter übermittelt werden soll.

Das Memorandum, dessen Entwurf anliegt, wird verlesen1.

Reichsminister Schiele erklärt, daß ihm die Formulierung nicht genüge, da sie nur das enthalte, was Herrn Minister Stresemann im wesentlichen als seine Ansicht gestern ausgeführt habe2. Er könne nur wiederholen, daß die Ankündigung eines deutschen Protestes hinsichtlich der Kriegsschuldfrage bei dieser Gelegenheit nicht genüge. Vielmehr müsse dieser Protest gerade in diesem Memorandum besprochen werden. Außerdem sei es sein und seiner politischen Freunde Wunsch gewesen, diesen Protest nicht nur den beiden einladenden Mächten, sondern allen Signatarmächten des Völkerbundes zu übermitteln.

Reichsminister Dr. Stresemann widerspricht, daß der Entwurf des Memorandums lediglich seine gestrigen Vorschläge enthalte. Das Memorandum enthalte eine präzise, scharfe schriftliche Formulierung3, während er gestern nur[561] an eine mündliche Erörterung dieser Frage bei Gelegenheit der Überreichung der Einladungsannahme gedacht habe.

Reichsminister Schiele gibt zu, daß eine förmliche Note an alle Signatarmächte vielleicht zu weit gehe. Wenigstens aber müsse er verlangen, daß dieses an Frankreich und England gerichtete Memorandum den anderen Signaturmächten zur Kenntnis komme.

Reichsminister Schiele macht sodann verschiedene Abänderungsvorschläge hinsichtlich des Memorandums, die insbesondere dahin gehen, nicht nur auf das September-Memorandum vom vorigen Jahre4 hinzuweisen, sondern namentlich auf die Erklärung des Reichskanzlers Marx nach Annahme des Londoner Dawes-Paktes5. Das September-Memorandum vom vorigen Jahre sei für die Zwecke der deutschen Öffentlichkeit zu farblos gehalten, während die Erklärung Marx’ kraftvollen Inhalts gewesen sei.

Reichsminister Dr. Stresemann schlägt einen Mittelweg vor, wonach man vielleicht diese Erklärung Marx’ auch mit verwenden, es aber bei einer Bezugnahme auf diese Erklärung ohne Wiederholung ihres genauen Wortlauts bewenden lassen könne. Sonst bestünde die große Gefahr, daß die Gegenseite die Entgegennahme dieser unserer neuen Note brüsk ablehne und die ganze Konferenz zum Scheitern komme. Eine solche Verantwortung könne er nicht tragen.

Reichsminister Schiele: Man müsse die ganze Frage psychologisch betrachten, namentlich auch vom innerpolitischen deutschen Standpunkt. Wenn die Deutsche Regierung in diesem Augenblick kraftvoll spreche, so entstünde in Deutschland eine Atmosphäre des Vertrauens gegenüber unserer Delegation. Wenn wir dagegen nur einen halben Schritt täten, so wüchsen die von vielen deutschen Kreisen gestellten materiellen Forderungen immer mehr, was für die deutsche Delegation viel unangenehmer werden könne.

Im weiteren Verlauf der Besprechung werden noch vom Herrn Reichskanzler, den Herren Ministern Brauns, Schiele und Stresemann einzelne Vorschläge hinsichtlich der Abänderung gemacht, worauf die Herren Staatssekretär von Schubert und Ministerialdirektor Dr. Gaus den Auftrag erhalten, auf Grund dieser neuen Gesichtspunkte eine neue Formulierung des Memorandums vorzubereiten.

In der Pause verliest sodann Reichsminister Dr. Stresemann eine weitere von ihm entworfene Aufzeichnung über die gleichfalls gestern erörterten Richtlinien6, nach denen die deutsche Delegation auf der Konferenz verfahren soll. Bedenken gegen diese Richtlinien werden nicht geäußert. Jedoch wird auf Anregung von verschiedenen Seiten beschlossen, daß nach Abschluß der ganzen Verhandlungen des Kabinetts eine Redaktionskommission des Kabinetts, bestehend[562] aus dem Reichskanzler und den gegenwärtig beteiligten drei Ministern, zusammentritt, um diese Richtlinien genau zu formulieren7.

Reichsminister Dr. Stresemann verliest sodann den Entwurf der kurz gehaltenen Annahme der französischen und englischen Einladung, der nach geringfügigen Änderungen gutgeheißen wird8.

Nachdem inzwischen Staatssekretär von Schubert und Ministerialdirektor Gaus die neue Formulierung des Memorandums9 fertiggestellt haben, gelangt diese zur Verlesung und findet in dieser neuen Form die Billigung der Beteiligten.

Fußnoten

1

Entwürfe des Memorandums und der dt. Antwort auf die all. Einladungsnote vom 15. 9. (s. Anm. 1 zu Dok. Nr. 158) sind beigefügt. Im Memorandum wird eingangs Bezug genommen auf das dt. Memorandum an die Ratsmächte des Völkerbundes vom 29.9.24 (s. Anm. 17 zu Dok. Nr. 62): „In diesem Memorandum wurde darauf hingewiesen, daß eine von der Deutschen Regierung beim Eintritt in den Völkerbund etwa abzugebende Erklärung über die Erfüllung ihrer internationalen Verpflichtungen nicht so verstanden werden dürfe, als ob damit die zur Begründung dieser Verpflichtungen aufgestellten Behauptungen anerkannt würden, die eine moralische Belastung des deutschen Volkes in sich schließen. Die Deutsche Regierung wird daher, wie sie dies in feierlicher Form bereits bei anderer Gelegenheit getan hat, auch vor dem Eintritt in den Völkerbund eine der Ankündigung jenes Memorandums entsprechende Erklärung abgeben.“ Die RReg. betont ferner die dringende Notwendigkeit der Räumung der nördlichen Rheinlandzone und einer endgültigen Bereinigung der Entwaffnungsfragen (R 43 I /1404 , Bl. 179-181).

2

Vgl. dazu Dok. Nr. 158.

3

Hierzu Stresemann in einer Instruktion an die Botschafter in London, Paris, Rom und Brüssel vom 24. 9.: Die beabsichtigte Fassung des Memorandums zeige, „daß wir auf alle aggressiven Töne verzichtet haben. […] Von einer Wiedergabe des Wortlauts der Kundgebung Marx’ [vom 29.8.24; s. dazu Anm. 7 zu Dok. Nr. 158] oder von ihrer Beifügung als Anlage ist absichtlich Abstand genommen worden. Eine gemäßigtere Fassung ist also kaum denkbar.“ (Pol. Arch. des AA, Büro RM, 15–1 Verhandlungen mit den Alliierten über einen Sicherheitspakt, Bd. 7).

4

Gemeint ist das dt. Memorandum an die Ratsmächte des Völkerbundes vom 29.9.24. S. oben Anm. 1.

5

S. dazu Anm. 7 zu Dok. Nr. 158.

6

Diese Aufzeichnung in den Akten nicht ermittelt. S. aber die umfangreiche Zusammenstellung der Richtlinien in der Tagebuchaufzeichnung des RAM vom 23. 9. in: Stresemann, Vermächtnis, Bd. II, S. 180 ff.

7

Über die endgültige Festlegung der Richtlinien durch das RKab. s. Dok. Nr. 170, dort bes. Anm. 24.

8

In ihrer Antwortnote (s. Anm. 1) stimmt die RReg. „einer baldigen Zusammenkunft der Regierungsmitglieder der beteiligten Länder“ in der Schweiz zu und schlägt als Zeitpunkt den 5. Oktober vor. Der Entwurf stimmt im wesentlichen mit der Endfassung der am 26. 9. hinausgehenden Note überein. Die Note ist gedr. in: Locarno-Konferenz 1925. Eine Dokumentensammlung, Dok. Nr. 21; s. auch Schultheß 1925, S. 430.

9

Ein Aktenexemplar dieser Fassung nicht ermittelt. Offenbar wurde der Entwurf des Memorandums bei dieser Gelegenheit durch den von Stresemann vorgeschlagenen Hinweis auf die Kundgebung des RK Marx vom 29.8.24 (s. Anm. 7 zu Dok. Nr. 158) ergänzt. In der Endfassung vom 26. 9. lautet der diesbez. Passus: Die RReg. glaube, daß die am „29. August 1924 von der damaligen deutschen Regierung erlassene öffentliche Kundgebung dem Ziele der Verständigung und einer aufrichtigen Versöhnung der Völker dient, und macht sich ihrerseits diese Kundgebung ausdrücklich in dem Wunsche zu eigen, dadurch den Zustand gegenseitiger Achtung und innerer Gleichberechtigung herzustellen, der die Voraussetzung für einen Erfolg der jetzt in Aussicht genommenen vertrauensvollen Aussprache bildet.“

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