2.40.1 (lut1p): [Eisenbahnerstreik]

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[Eisenbahnerstreik]

Staatssekretär Vogt berichtete über die Ausstandsbewegung bei der Eisenbahn. Der Streik habe in Leipzig seinen Anfang genommen und gehe nun weiter. In Berlin seien der Anhalter, der Schlesische und der Lehrter Bahnhof in Mitleidenschaft gezogen. Auch in Erfurt, Gera und Saalfeld streikten die Güterbodenarbeiter. In Dresden ständen 3500 Arbeiter in Ausstand. Im Elberfelder Bezirk herrsche ebenfalls Streiklust; auch Köln sei unruhig. In Breslau werde der Streik für morgen früh erwartet. Die Reichsbahn stehe auf dem Standpunkt, daß der Streik an sich nicht zu fürchten sei, der Verkehr würde aufrechterhalten bleiben. Der Personenverkehr sei überhaupt nicht, der Güterverkehr nur wenig betroffen1. Morgen früh 11 Uhr wollten die Gewerkschaftsvertreter bei der Reichsbahn vorsprechen, um eine Entscheidung über ihre Forderungen entgegenzunehmen. Diese Forderungen bezögen sich zunächst auf Lohnerhöhung, sodann wolle man den Achtstundentag durchgeführt und auch die Dienstdauervorschriften auf den Achtstundentag umgestellt haben2. Die[146] Reichsbahn beabsichtige, sämtliche drei Forderungen abzulehnen. Eine allgemeine Lohnerhöhung könne nicht bewilligt werden, man wolle versuchen, mit Erhöhung der Ortszulagen an gewissen Punkten zu helfen. Die Reichsbahn lege Wert darauf, ehe sie diese Antwort den Gewerkschaften gebe, die Auffassung der Reichsregierung darüber zu hören, ob politische Bedenken gegen einen Streik der Eisenbahner im jetzigen Moment bestünden. Eine Lohnerhöhung von 3 Pfg. pro Stunde würde eine jährliche Mehrausgabe von 35 Millionen bedeuten. Die Folge wäre selbstverständlich eine Tariferhöhung, vor allem im Personenverkehr. Die Industrielöhne ständen zur Zeit noch unter den Eisenbahnerlöhnen. Erschwert sei die Haltung der Reichsbahn dadurch, daß die Postarbeiter glaubten, Grund dafür zu haben anzunehmen, daß ihnen demnächst eine Erhöhung seitens der Post gewährt werden würde.

Staatssekretär Dr. Geib bemerkte, daß auch nach seiner Auffassung an der Arbeitszeit nicht gerüttelt werden dürfe. Mit Sonderzulagen zu helfen, sei wohl das beste. Im übrigen würde eine Lohnerhöhung von 3 Pfennig keine lohnpolitische Wirkung allgemeiner Natur nach sich ziehen. Von diesem Standpunkt aus gesehen, würde er nichts dagegen einzuwenden haben, wenn durch eine Bewilligung von 3 Pfg. pro Stunde der Streik verhindert werden könnte.

Der Reichsminister der Finanzen betonte, daß jetzt die Forderungen der Eisenbahner sehr ungelegen kämen. Wenn man ihnen etwas bewillige, so würde das zur Folge haben, daß auch die anderen Löhne und Gehälter nicht mehr zu halten seien.

Der Reichsminister des Innern trat für strikte Ablehnung der Eisenbahnerforderungen ein. Man müsse hier energisch gegen Lohnerhöhungen Front machen, da jetzt schon ein Export für die Industrie kaum mehr möglich sei, und dadurch die Gefahr einer neuen Inflation in greifbare Nähe gerückt werde.

Staatssekretär Sautter erklärte, daß die Behauptung, die Post beabsichtige, eine allgemeine Lohnerhöhung einzuführen, unrichtig sei. Die Post beabsichtige im Gegenteil, nur mit Ortszulagen zu helfen. Allerdings bestehe intern bei der Post der Plan, evtl. eine 5%ige Lohnerhöhung hinzunehmen, wenn die Gewerkschaften dabei erklärten, daß sie sechs Monate lang sich damit begnügen würden.

Die Minister zogen sich darauf zu einer Ministerbesprechung zurück, die folgendes Ergebnis hatte:

1. Die Regierung kann den Plan der Reichsbahn, Ortszulagen an gewissen Stellen zu geben, nur billigen.

2. Die Regierung beabsichtigt bei der Post keine allgemeine Lohnerhöhung.

3. Gegen die vorgetragene Absicht der Reichsbahn, die Forderungen der Gewerkschaften abzulehnen, will die Reichsregierung keine Einwendungen erheben.

Diese Entscheidung der Minister wurde den Herren der Reichsbahn sodann mitgeteilt, die dankbar davon Kenntnis nahmen.

Die Sitzung wurde hierauf geschlossen3.

Fußnoten

1

In Berichten über die Streiklage, die die Hauptverwaltung der Dt. RB-Gesellschaft zwischen 10. und 20. 3. übersendet, werden hierzu noch folgende Einzelheiten mitgeteilt: Die Streikbewegung habe, nachdem der laufende Tarifvertrag (s. den „Reichslohntarif“ vom 11.7.24, RVBl. 1924, Nr. 28) von den Eisenbahnerorganisationen (Dt. Eisenbahner-Verband, Gewerkschaft Dt. Eisenbahner, Allgemeiner Eisenbahnerverband) zum 1. 3. gekündigt worden sei, durch den Ausstand Leipziger Rangierer und Güterbodenarbeiter am 4. 3. ihren Anfang genommen. Diese Arbeiter hätten offenbar in der Leipziger Messe (1.–7. 3.) eine günstige Gelegenheit gesehen, die Lohnverhandlungen in ihrem Sinne zu beeinflussen. Der Streik habe schließlich am 15. 3., als auch die Bahnbetriebe in Hannover, Bremen und Nürnberg bestreikt worden seien, mit etwa 12 000 Beteiligten seinen Höhepunkt erreicht. Größere Beeinträchtigungen des Güterdienstverkehrs seien allerdings nur im Bereich der RB-Direktion Dresden eingetreten (R 43 I /2125 , Bl. 329-337).

2

Gemäß Reichslohntarif vom 11.7.24 (s. Anm. 1) beträgt die wöchentliche Arbeitszeit der RB-Arbeiter gegenwärtig 54 Stunden.

3

Zum Fortgang s. Dok. Nr. 46, P. 2.

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