2.18 (lut1p): Nr. 18 Der Reichswirtschaftsminister an sämtliche Reichsminister, an Staatssekretär Kempner und an den Präsidenten der Reichsbank. 8. Februar 1925

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Nr. 18
Der Reichswirtschaftsminister an sämtliche Reichsminister, an Staatssekretär Kempner und an den Präsidenten der Reichsbank. 8. Februar 1925

R 43 I /2455 , Bl. 104-107 Umdruck

[Aufwertung]

Im Anschluß an meine Ausführungen in der Chefbesprechung vom 6. d. Mts.1 beehre ich mich, meine Auffassung zu der Aufwertungsfrage im folgenden darzulegen:

[66] I. Individuelle Rückwirkungen der Mehrbelastung der Aufwertungsschuldner.

Die drei wichtigsten Gruppen der Aufwertungsschulden sind: Industrieobligationen, landwirtschaftliche Hypotheken und Hypotheken auf bebauten Grundstücken, und zwar zum Teil auf gewerblichen Grundstücken, zum weit überwiegenden Teil aber auf Wohnhausgrundstücken. Eine erhöhte Aufwertungsbelastung von gewerblichen Unternehmungen sollte schlechthin ausgeschlossen sein, da sie zusammenträfe mit der Industriebelastung für die Reparation2. Diese Belastung ist nach dem Sachverständigen-Gutachten ausdrücklich mit Rücksicht auf die Entschuldung der gewerblichen Unternehmungen durch die Inflation auferlegt worden3. Sie eskomptiert bewußt und aus deutlich erkennbaren wirtschaftspolitischen Gründen den aus dieser Entschuldung abgeleiteten Kraftzuwachs der deutschen Unternehmungen. Sie geht von der Dritten Steuernotverordnung als fester Grundlage für die Entschuldung aus. Bei den Vorberatungen innerhalb der beteiligten Reichsstellen über die Verteilung der Industriebelastung ist mit besonderer Sorgfalt die Frage geprüft worden, ob und inwieweit das Kriterium der Entschuldung oder des Inflationsgewinns entsprechend der im Sachverständigen-Gutachten ausgesprochenen Begründung und Absicht berücksichtigt werden könnte. Der Gedanke mußte fallengelassen werden, weil man sich überzeugte, daß die Feststellung des Inflationsgewinns sich notwendigerweise beschränken müßte auf die Berücksichtigung der Vermögensanlagen im Sinne des § 1 der Dritten Steuernotverordnung. Ein solches Verfahren konnte aber nicht im geringsten als billig oder wirtschaftlich zweckmäßig betrachtet werden. Denn die sichtbare und feststellbare Entschuldung bot, wie allgemein anerkannt wurde, einen absolut unzureichenden Maßstab für die tatsächlich in der Inflationszeit eingetretenen Verschiebungen im Vermögensstande der Erwerbsunternehmungen. Eine solche Verteilung wäre demzufolge durchaus nicht der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, insbesondere dem durch Inflationsgewinne erzielten Zuwachs gerecht geworden. Das erwies sich insbesondere dadurch, daß das Reichsfinanzministerium bereits die Obligationensteuer4 als eine unrationelle, einen großen Teil der Belasteten ernstlich gefährdende Steuer charakterisiert hat. Eine Aufwertung über den in der Dritten Steuernotverordnung vorgesehenen Rahmen hinaus darf für industrielle Unternehmungen nicht in Frage kommen, nachdem die Gesamtheit der gewerblichen Unternehmungen mit einer Sonderleistung für die Reparation vorbelastet worden ist.

[67] Im übrigen ist noch folgendes zu beachten. Die einzelnen Produzenten haben mit der in der Dritten Steuernotverordnung vorgesehenen Regelung als etwas Definitivem gerechnet; sie haben auf dieser Grundlage ihre Goldbilanzen aufgestellt und ihre geschäftlichen Dispositionen getroffen. Der in diesen Bilanzen festgestellte Status der Unternehmungen bildet die Grundlage für ihren Kredit. Eine Änderung der Aufwertung würde diese Bilanzen vollkommen über den Haufen werfen und den Status – und damit die Kreditbasis der Unternehmungen – grundlegend verändern. Es ist mit Sicherheit mit der Zurückziehung von Krediten zu rechnen, während im gleichen Augenblick der Kreditbedarf gesteigert wird, da die Aufwertung Teile des Ertrages zu Gunsten der Aufwertungsgläubiger wegnimmt und so die Möglichkeit der Bildung eigener Reserven zum Wiederaufbau des Betriebskapitals beschränkt.

Eine höhere Aufwertung der landwirtschaftlichen Hypotheken5 führt unmittelbar zu einer Steigerung der landwirtschaftlichen Gestehungskosten und zu einer Schmälerung des landwirtschaftlichen Ertrages. Diese Schmälerung wird entweder auf Kosten einer rationellen Betriebsführung gehen oder den Kreditbedarf des landwirtschaftlichen Produzenten in bedenklichem Maße steigern; sie wird nicht oder wenigstens nur zum allergeringsten Teil auf Kosten des landwirtschaftlichen Eigenkonsums gehen.

Die Aufwertung der Wohnhaushypotheken6 wird eine starke Mietssteigerung bedingen und ferner den für die Erhaltung der alten und zur Finanzierung neuer Wohnbauten bestimmten Teil der Mietssteigerung schmälern.

II. Volkswirtschaftliche Bedeutung einer höheren Aufwertung.

Die Betrachtung der Folgen einer höheren Aufwertung in Anknüpfung an die Verhältnisse des einzelnen Belasteten ergibt noch kein zutreffendes Bild von der volkswirtschaftlichen Bedeutung der Frage, umsomehr, als man leicht geneigt sein wird, die Folgen im einzelnen wohl grundsätzlich zuzugeben, sie aber für den einzelnen Schuldner als erträglich anzusehen, um dann daraus den Schluß zu ziehen, daß die Aufwertung auch im ganzen als Summierung einer Unzahl im einzelnen noch tragbarer Lasten wirtschaftlich verantwortet werden kann. Das würde jedoch ein verhängnisvoller Irrtum sein. In der Gesamtwirkung tritt hier etwas spezifisch Neues hervor.

Die jährlichen Aufwendungen für höhere Aufwertung werden nur auf Kosten unseres Kapitalfonds, und zwar der Neubildung von Kapital möglich sein; denn die Rente, die hierdurch zu Lasten des Ertrages der Wirtschaft den Aufwertungsgläubigern zufließt7, wird naturgemäß verzehrt werden, während die Beträge im anderen Falle zum überwiegenden Teil der Kapitalbildung, der Wiederansammlung von Betriebskapitalien gedient hätten. Soweit dies[68] nicht unmittelbar geschieht, geschieht es mittelbar durch Steigerung von Gestehungskosten, nämlich der Löhne, infolge der Mietssteigerungen und – unter Umständen – der Preissteigerung landwirtschaftlicher Produkte sowie durch Steigerung des Zinsfußes für Leihkapital. Das Steigen der Gestehungskosten löst wiederum die Tendenz steigender Preise aus, die zwar eine Abschwächung der Ertragsbelastung ist, aber ein noch bedenklicheres Übel darstellt, weil sie die an sich schon gefährdete Konkurrenzfähigkeit unserer Industrie auf dem Weltmarkt untergräbt.

Die gegenwärtige Wirtschaftslage charakterisiert sich als ein trügerischer Ruhezustand und als Scheinblüte. Die seit der Depression des ersten Halbjahres 1924 ansteigende Konjunktur ist nahezu ausschließlich Reflex der für die deutsche Wirtschaft verfügbar gemachten Auslandsguthaben, und zwar sowohl zurückgeflossener deutscher Auslandsguthaben wie echter Auslandskredite, beides zusammen im Mindestbetrage von etwa 3 Milliarden Mark. Diese Kapitalien sind nur zu einem Teil effektiv in Gestalt der Mehreinfuhr hereingekommen. Sie sind im übrigen durch die Devisenansammlung bei der Reichsbank in inländische Kaufkraft übersetzt worden und haben auf dem Binnenmarkt inflationsähnlich den glatten Absatz der deutschen Produktion ermöglicht. Sie haben damit gewissermaßen die Stabilisierungs- und Sanierungskrise, bevor sie sich voll ausgewirkt hatte, suspendiert, jedoch nicht erspart. Sobald der Zufluß von Auslandskapitalien aufhören wird, was in etwa ein bis spätestens drei Jahren zu erwarten sein dürfte, wird die bis dahin verschleppte Krise zum vollen Ausbruch kommen. In diese Krise wird die deutsche Wirtschaft hineingehen nach einer durch drei Momente gestützten und übersteigerten Hausse:

1.

Die eben genannten Produktionsverteuerungsfaktoren (Lohn und Zinsfuß) werden eine Tendenz steigender Preise hervorrufen.

2.

Durch den noch anhaltenden Zustrom von Auslandskapitalien werden sich die Preissteigerungen voll auswirken können. Die durch die Aufwertung hervorgerufene stärkere Kreditnachfrage macht die Heranziehung weiterer Auslandsgelder zu steigendem Zinsfuße notwendig. Neben der inflationsähnlichen Preis- und Absatzgestaltung auf dem Binnenmarkt wird diese gesteigerte Auslandsverschuldung auch in der Handelsbilanz durch Steigerung der Passivität ihren Ausdruck finden.

3.

Der Zufluß von Auslandskapital wird zunächst die deutsche Reparationsleistung, und zwar sowohl die interne Aufbringung wie insbesondere die Transferierung erleichtern. Das bedeutet aber, daß die Krisis in dem Zeitpunkt, wo sie eintreten muß, durch das Transferproblem8 noch verschärft wird.

Je länger die Krise herausgeschoben wird, umso heftiger muß sie hereinbrechen. Die deutsche Wirtschaft wird dann vor der Aufgabe stehen, eine Produktions- und Absatzumstellung in kolossalem Ausmaß durchzuführen, in[69] einem Augenblicke, wo die Reparationsleistungen wirksam einsetzen9. Je länger und je stärker die Passivität der Handelsbilanz als Korrelat der Auslandskredite andauern wird, umso stärker wird die deutsche Produktion durch die Notwendigkeit der Absatz- und der Produktionsumstellung betroffen werden, umso größer werden die Verluste für die einzelnen Unternehmer, die Arbeiterschaft (Stillegung) und schließlich des Budgets (Rückgang der Steuererträge, Erwerbslosenfürsorge).

Eine höhere Aufwertung stellt sich hiernach als ein Wechsel auf die Zukunft dar, dessen Einlösung die Widerstandskraft der Industrie in der definitiven Sanierungskrise aufs schwerste gefährden wird, und ist daher wirtschaftlich nicht zu verantworten.

Vom wirtschaftlichen Standpunkt aus ist auch eine weitere Rückwirkung der Aufwertung10 abzulehnen.

III. Außenpolitische Erwägungen.

Neben diesen nicht ernst genug zu nehmenden wirtschaftlichen Gründen sprechen schwerwiegende außenpolitische Erwägungen gegen die Aufwertung. Die Situation ist folgende:

Wir führen in Deutschland zur Zeit eine Steuerreform großen Stils durch, die, so notwendig sie wirtschaftlich ist, von Frankreich und Belgien mit schärfstem Mißtrauen und mit Empörung betrachtet werden wird, weil beide Länder im gleichen Augenblick stärkste Anstrengungen zur Sanierung ihres Budgets und zur Rettung ihrer Währung durch rücksichtslose Sparmaßnahmen und Anspannung der Steuerschraube machen. Weder in diesen Ländern noch in Italien kann daran gedacht werden, und wird daran gedacht, den privaten und den Staatsgläubigern irgendeine Aufwertung zugute kommen zu lassen. Im Gegenteil, die Länder, insbesondere Frankreich, appellieren weiter an den Anleihewillen ihrer Staatsangehörigen durch Aufnahme beträchtlicher langfristiger Papierwert-Anleihen.[70] Dabei ist der französische Franken auf nahezu ¼, die Lira auf etwa 22% entwertet. Ein Sturm der Entrüstung würde, insbesondere in Frankreich, losbrechen, wenn Deutschland jetzt Aufwertungs-Experimente riskieren würde, in denen diese Länder politisch einen Affront erblicken.

Neuhaus

Fußnoten

1

Über diese Besprechung, an der RK Luther, die RM Frenken, v. Schlieben, v. Kanitz und Neuhaus sowie Vertreter der Rbk teilnahmen, fand sich in den Akten lediglich ein nicht signiertes, wahrscheinlich von MinR Wachsmann angefertigtes Beschlußprotokoll. Danach wurden u. a. folgende Richtlinien für einen vom RJM aufzustellenden GesEntw. über die Aufwertung von Hypotheken angenommen: 1) Es müsse grundsätzlich daran festgehalten werden, daß der Aufwertungssatz der Dritten Steuernotverordnung vom 14.2.24 (RGBl. I, S. 74 ) von 15% für Hypotheken und Industrieobligationen bestehen bleibt. 2) Sollte für erststellige Hypotheken eine Aufwertung von 20% nicht zu umgehen sein, „dann soll von einer Eigentümerschuld abgesehen und der Mehrbetrag unter Wahrung des öffentlichen Glaubens des Grundbuches an bereitester Stelle eingetragen werden.“ 3) Eine Rückwirkung der Aufwertung (s. dazu Anm. 10) solle nicht zugelassen werden (R 43 I /2455 , Bl. 111 f.). – Zur Vorlage des Gesetzentwurfs und zur erstmaligen Kabinettsberatung s. Dok. Nr. 24, P. 8.

2

S. das „Gesetz über die Industriebelastung“ vom 30.8.24 (RGBl. II, S. 257 ).

3

S. „Die Berichte der von der Reparationskommission eingesetzten beiden Sachverständigenkomitees vom 9. April 1924“ (Sachverständigen-Gutachten), dreisprachige amtliche Ausgabe, Berlin 1924, S. 30; auch RT-Drucks. Nr. 5, Bd. 382, S. 30  f.

4

Durch die Dritte Steuernotverordnung (s. Anm. 1) „natürlichen Personen, Personenvereinigungen und juristischen Personen des Privatrechts“, die zur Tilgung von Schuldverschreibungen verpflichtet sind, auferlegte und am 1.3.24 erstmals fällig gewordene Steuer. Sie beträgt 2% des um den Aufwertungsbetrag (15%) verminderten Goldmarkbetrages der Obligationen. Sind die Schuldverschreibungen bereits getilgt, so erhöht sich die Steuer um den Betrag, um den der Goldwert des für die Tilgung aufgewendeten Betrages hinter dem Aufwertungsbetrag zurückbleibt.

5

Durch die Dritte Steuernotverordnung auf 15% des Goldmarkbetrages aufgewertet.

6

Aufgewertet durch die Dritte Steuernotverordnung auf 15% des Goldmarkbetrages.

7

d. h. wohl durch Verzinsung der aufgewerteten Ansprüche der Hypotheken- und Obligationsgläubiger. Der Zinssatz beträgt nach § 5 der Dritten Steuernotverordnung ab 1.1.25 2% und erhöht sich mit jedem weiteren Jahr um 1%, bis der Satz von 5% erreicht ist. Zur Verzinsung durch das neue Aufwertungsgesetz s. Anm. 31 zu Dok. Nr. 24.

8

Zum Transfer der Reparationszahlungen s. das Sachverständigen-Gutachten (s. Anm. 3), S. 37 f.und 137 ff.

9

Nach den Londoner Vereinbarungen über den Dawes-Plan (s. Londoner Schlußprotokoll vom 16.8.24 und seine Anlagen, RGBl. II, S. 289 ) betragen die dt. Reparationsverpflichtungen im ersten Reparationsjahr (1924/25) 1 Mrd. GM, vom 5. Jahr (1928/29) ab mindestens 2,5 Mrd. GM.

10

Gemeint ist die Aufwertung von Ansprüchen aus Hypotheken und Schuldverschreibungen, deren Löschung bzw. Abgeltung von den Gläubigern in der Inflationszeit vorbehaltlos bewilligt worden war. Nach § 11 der Dritten Steuernotverordnung (s. Anm. 1) werden derartige Ansprüche nicht aufgewertet – eine Bestimmung, die in der Öffentlichkeit heftigen Widerspruch hervorrief und im RT zu Anträgen mehrerer Parteien führte, den Aufwertungsbestimmungen der VO rückwirkende Kraft zu verleihen. Siehe z. B. den Antrag der DVP vom 24.6.24 (RT-Drucks. Nr. 249, Bd. 382 ), der für die Annullierung sämtlicher nach dem 1.10.22 erfolgten Kündigungen bzw. Löschungen von Hypotheken und Schuldverschreibungen eintrat. – Über die finanz- und wirtschaftspolitischen Schwierigkeiten, die einer rückwirkenden Aufwertung entgegenstehen, s. die ausführlichen Darlegungen des RFMin. im „Referentenentwurf einer Denkschrift über die Aufwertung“ vom 26.1.25 (Druckexemplar in R 43 I /2455 , Bl. 40-66; auch gedr. als Beilage zu Heft 4 der Dt. Juristenzeitung 1925). – Zur Neuregelung durch das „Gesetz über die Aufwertung von Hypotheken und anderen Ansprüchen“ vom 16.7.25, das eine bis zum 15.6.22 rückwirkende Aufwertung von Hypotheken auch für den Fall vorsieht, daß der Gläubiger sich bei Annahme der Tilgungszahlung seine Rechte nicht vorbehalten hat, s. RGBl. 1925 I, S. 120 . – Zur diesbez. Beratung im Kabinett s. Dok. Nr. 24, P. 8.

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