2.98 (ma31p): Nr. 98 Der Preußische Ministerpräsident an den Reichskanzler. 26. Oktober 1926

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Nr. 98
Der Preußische Ministerpräsident an den Reichskanzler. 26. Oktober 1926

R 43 I /2202 , Bl. 304–305

[Bemerkungen über das Konkordatsproblem im Verhältnis des Reichs zu Preußen.]

Im Verfolg der kommissarischen Besprechungen vom 7. Oktober d. J. über die Frage eines etwaigen Abschlusses von Verträgen des Reiches mit der katholischen und evangelischen Kirche1 erlaube ich mir, den in Aussicht genommenen weiteren Beratungen einige grundsätzliche Bemerkungen über das Konkordatsproblem im Verhältnis des Reiches zu Preußen voranzuschicken.

Dem Wunsche der Herren Vertreter der Reichsbehörden, für etwaige Verhandlungen mit den Kirchen eine diplomatische Einheitsfront herzustellen, schließe ich mich durchaus an. Gerade aus der Notwendigkeit einheitlicher[271] Verhandlungsführung entspringt für Preußen das lebhafteste Interesse, die von ihm bereits eingeleiteten, wenn auch beiderseits unverbindlichen Besprechungen mit dem Apostolischen Nuntius2 und die demnächst aufzunehmenden Verhandlungen mit der evangelischen Kirche in voller Bewegungsfreiheit weiter führen zu können. Hierin aber sähe sich Preußen gehindert oder zum mindesten gefährdet, wenn das Reich Konkordatsverhandlungen beginnen wollte, ehe Preußens eigene Verhandlungen zum Abschluß oder doch zur vollen Klärung gediehen sind. Erfahrungsgemäß stehen alle wichtigen Konkordatsmaterien – mit Ausnahme vielleicht des Schulrechts – in so engem Zusammenhang untereinander und mit dem Partikular-Staatskirchenrecht, daß die Inangriffnahme der Verhandlungen durch das Reich alsbald auf preußische Konkordatsprobleme überspringen und jedenfalls Preußen in die unangenehmste diplomatische Lage bringen würde. Ich kann daher dem Wunsche meiner Kommissare nur beitreten, daß das Reich aus den angegebenen taktischen Gründen einstweilen eine lediglich zurückhaltende Stellung einnehmen solle.

Eine solch abwartende Haltung, wie sie ja gegenüber Bayern seinerzeit vom Reich als selbstverständlich betrachtet wurde3, erscheint mir schon deshalb erforderlich, weil ein ungünstiger Ausgang der preußischen Verhandlungen zweifellos auch den Abschluß eines Reichskonkordats verhindern würde. Auch würde sich Preußen schon im Interesse seiner Eigenstaatlichkeit unmöglich damit abfinden können, daß das Reich mit bindender Wirkung für Preußen Vereinbarungen über Materien schließt, welche Bayern ohne irgendwelche Bindung des Reiches bereits vertragsmäßig geordnet hat.

Den Nutzen kommissarischer Besprechungen über die Zuständigkeiten des Reichs und Preußens auf dem Gebiete des Staatskirchenrechts erkenne ich gerne an. Ich begrüße den Versuch, auf diesem Wege eine Klärung der hervorgetretenen Zweifelsfragen zu erzielen, um so mehr, als gerade in den letzten Jahren die Kirchenpolitik des Reichs wiederholt die Befürchtung hat aufkommen lassen, daß dieses seine kirchenpolitischen Zuständigkeiten namentlich auf finanziellem Gebiet zuungunsten der reichsverfassungsmäßig den Ländern garantierten Kompetenzen erweitern wolle.

Eben diese Beobachtung gibt mir aber auch Anlaß, schon jetzt zu betonen, daß das Reich in den Materien des Artikel 137 R. V. keinerlei Kompetenzen besitzt, um die Rechtsverhältnisse der öffentlichrechtlichen Religionsgesellschaften vertragsmäßig zu regeln. Selbst die Vereinbarung bloßer Grundsätze nach Artikel 10 Ziffer 1 kann nicht in Frage kommen, da Artikel 137 Abs. 8 insoweit eine ausschließliche Zuständigkeit der Landesgesetzgebung begründet. Zu den hierher gehörenden Angelegenheiten würde insbesondere zählen die Anerkennung der öffentlichen Korporationsqualität von Religionsgesellschaften, die Abgrenzung der Autonomie derselben, namentlich auf dem Gebiete der Ämterbesetzung usw. Eine derartige Beschränkung der reichsrechtlichen Zuständigkeiten entspricht m. E. auch durchaus dem Stand des gegenwärtigen Partikular-Staatskirchenrechts, das von Land zu Land, ja von Provinz zu Provinz, solche Unterschiede[272] aufweist, daß generelle reichsrechtliche Regelungen keinen Raum finden können.

Was die Reichsverfassung aber außerhalb des Artikel 137 dem Reich an Kompetenzen zum Vertragsschluß der in Frage kommenden Art überläßt, ist teils durchaus nicht dringlich oder bedeutsam, wie z. B. Abmachungen über die Militärseelsorge oder gar Vereinbarungen über die strafrechtliche und prozessuale Stellung der Geistlichkeit, teils, wie auch von den Vertretern der Reichsressorts anerkannt worden ist, zurzeit noch nicht einmal vertragsreif, wie z. B. die Schulfragen.

Auch unter diesem Gesichtspunkt erscheint demnach die Berücksichtigung meines eingangs ausgesprochenen Wunsches auf Zurückhaltung völlig sachgemäß. Eine etwaige Initiative des Reichs würde sich im gegenwärtigen Stadium der Verhandlungen wirksam wohl nur in der Richtung einer tunlichsten Förderung des preußischen Vorgehens bewegen können, zumal die Reichsregierung überzeugt sein darf, daß die preußische Regierung den verfassungsmäßigen Rechten und den Interessen des Reichs stets Rechnung tragen wird4.

Braun

Fußnoten

1

Zur Ressortbesprechung vom 7.10.26 siehe die als Dok. Nr. 88 abgedruckte Aufzeichnung Wiensteins.

2

Pacelli.

3

Vgl. diese Edition, Die Kabinette Marx I/II, Dok. Nr. 336, P. 2.

4

Der RK antwortete hierauf mit Schreiben vom 28.11.26: Dok. Nr. 129.

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