1.209.2 (ma32p): 2. Bericht über Steuerstreikvorhaben.

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2. Bericht über Steuerstreikvorhaben.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft führte aus, daß die Präsidenten des Reichs-Landbundes1 eine Besprechung mit dem Reichsminister der Finanzen für Dienstag, den 20. März verabredet hätten. Inzwischen sei vom Reichs-Landbund ein Rundschreiben veröffentlicht worden, in dem die Erklärung, die von zahlreichen örtlichen Organisationen bei den Notkundgebungen abgegeben worden sei, dahin ausgelegt werde, daß die Landwirtschaft den Steuerstreik nicht wolle und daß sie nur durch ihre Notlage verhindert sei, die öffentlichen Abgaben zu zahlen. Der Bundesvorstand des Reichs-Landbundes sei für Mittwoch, den 21. März zusammengerufen und werde eine entsprechende Erklärung abgeben. Die bisherigen Resolutionen seien unglücklich gefaßt.

Der Reichsarbeitsminister der in Behinderung des Reichskanzlers und des Stellvertreters des Reichskanzlers den Vorsitz führte, bezeichnete die in Aussicht gestellte Lösung der Schwierigkeiten als ungenügend. Es sei nicht möglich, die Zahlungsunfähigkeit sämtlicher Landwirte festzustellen und damit die Nichtzahlung der öffentlichen Abgaben zu begründen. Die Öffentlichkeit überschaue die Situation noch nicht. Auf die Ankündigung des Steuerstreiks sei mit starken Gegenwirkungen in der Presse und im Parlament zu rechnen. Der Vorstand des Reichs-Landbundes werde die Erklärung zurücknehmen müssen. Der Reichskanzler[1381] müsse auf das Schreiben antworten, mit dem ihm die Erklärung mitgeteilt worden sei2.

Der Reichsminister des Auswärtigen wies darauf hin, daß die Erklärung auch den Zahlungsfähigen und Zahlungswilligen aus Gründen der Solidarität Steuerzahlungen erschweren oder unmöglich machen könne. Die Gefahr, daß auch andere Stände in ähnlicher Weise vorgehen, müsse rasch beseitigt werden. Der Reichskanzler werde den Brief des Reichs-Landbundes spätestens heute noch beantworten müssen. Der Reichs-Landbund identifiziere sich mit der Erklärung, indem er sie förmlich unter Hinweis auf ihre Abgabe von zahlreichen Unterorganisationen des Reichs-Landbundes und die große Erregung in der Landbevölkerung dem Reichskanzler vorlege, ohne von ihr, soweit sie Gesetzwidrigkeiten in Aussicht stelle, abzurücken. Die gleiche Deutung sei der Veröffentlichung der Erklärung in dem Zeitungsdienst des Reichs-Landbundes3 zu geben. Die Bewegung in der Landbevölkerung fordere Eingreifen der Behörden, die für die öffentliche Sicherheit und Ordnung verantwortlich seien.

Der Reichsminister der Finanzen führte aus, er habe die Präsidenten des Reichs-Landbundes bereits am Donnerstag, den 15. März zu einer Aussprache für den folgenden Tag gebeten. Die Herren seien gleichwohl noch am Abend abgereist. Am Sonnabend, den 17. März habe er sie verständigen lassen, daß er am 19. März eine Besprechung wünsche. Auch heute seien sie nicht erschienen.

Die Bewegung der Landbevölkerung gegen die Finanzbehörden greife um sich. Das Finanzamt Delitzsch sei aufgefordert worden, auf die Erklärung wegen der Nichtzahlung der Steuern binnen 8 Tagen zu antworten. Der Abgeordnete Weidenhöfer (V.A.) habe in einer Versammlung erklärt, die paar zerbrochenen Fensterscheiben in Bernkastel hätten sich gelohnt. Die Handwerker seien zur Teilnahme an den Demonstrationen unter Androhung des Boykotts gezwungen worden. Die Stundungsgesuche würden auf dem Lande gesammelt und auch von den Bauern unterschrieben, die ihre Zahlungen bereits geleistet hätten oder zu Zahlungen nicht verpflichtet seien. Aus Bezirken, wo die Kreislandbünde nicht überwiegen, gingen die Zahlungen ein. In einzelnen Fällen weigerten sich die zahlungsfähigen Schuldner, die Steuer zu entrichten unter Hinweis auf die Bekanntmachung der Landbünde. Es müsse rasch zugegriffen werden, da sonst die Gefahr eines Überhandnehmens der Bewegung bestände. Er werde von sich aus auf Grund seiner eigenen ministeriellen Verantwortung die notwendigen Maßnahmen treffen, um seine Beamten vor Bedrohung zu schützen und den Betrieb der Finanzverwaltung aufrecht zu erhalten.

Auch der Reichswirtschaftsminister vertrat den Standpunkt, daß das Kabinett dem zuständigen Ressortminister überlassen müsse, welche Maßnahmen er gegen die Bewegung zu ergreifen habe. Die Stellungnahme des Reichskanzlers zu dem Schreiben des Reichs-Landbundes müsse umgehend erfolgen, damit der Bundesvorstand bei seinen Beratungen am 21. März die Stellung des Reichskanzlers und des Kabinetts kenne. Die Erklärung müsse zurückgenommen werden.[1382] Die Form sei dem Reichs-Landbund zu überlassen. In ähnlichem Sinne sprach sich der Reichspostminister aus.

Der Reichsarbeitsminister stellte als Ansicht der Mehrheit fest, daß

1.

dem zuständigen Ressortminister überlassen bleiben müsse, welche Maßnahmen er kraft eigener Verantwortung zu ergreifen habe, und daß

2.

die alsbaldige Beantwortung des an den Reichskanzler gerichteten Schreibens für erforderlich gehalten werde.

Der Reichswehrminister regte an, zu versuchen, die Präsidenten des Reichs-Landbundes noch am 19. März zu Verhandlungen mit dem Reichsfinanzminister zu veranlassen. Das Schreiben und die Erklärung seien so abgefaßt, daß die Urheberschaft nicht eindeutig festzustellen sei. Eine Zurücknahme der Erklärung durch den Reichs-Landbund würde die Situation erleichtern.

Der Staatssekretär in der Reichskanzlei führte aus, daß der Reichskanzler die Frage, ob der an ihn gerichtete Brief des Reichs-Landbundes zu beantworten sei, nicht zur Entscheidung des Kabinetts habe bringen wollen. Er beabsichtige bereits, den Brief zu beantworten und behalte sich Zeitpunkt und Fassung der Antwort vor4.

Beschlüsse wurden nicht gefaßt.

Fußnoten

1

Hepp und Graf Kalckreuth.

2

Siehe Dok. Nr. 450, Anm. 8.

3

Zeitungsdienst des Reichs-Landbundes Nr. 12 vom 13.3.28 (R 43 I /2539 , Bl. 292).

4

Auf das Schreiben des Präsidiums des Reichs-Landbundes vom 15.3.28 und die beigefügte Erklärung (Dok. Nr. 450, Anm. 8) antwortete der RK mit Schreiben vom 19. 3. Darin drückt der RK seine „schärfste Mißbilligung“ über die Erklärung aus. „Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß öffentliche Erklärungen dieser Art auf weite Volkskreise aufreizend zu wirken und den Steuerstreik herbeizuführen geeignet sind, sowie auf zahlungsfähige und zahlungswillige Landwirte einen starken Druck bedeuten, die Zahlung ihrer öffentlichen Abgaben zu unterlassen.“ Sollte die Erklärung von der Zentrale des Landbundes verfaßt worden sein, „so würde ich es im Interesse reibungsloser Erledigung der Angelegenheit für angezeigt halten, daß die Erklärung in der gleichen Weise, in der sie in die Öffentlichkeit gebracht worden ist, zurückgezogen wird. Sollte diese Voraussetzung nicht zutreffen, so wäre ich dankbar, wenn das Präsidium des Reichs-Landbundes bei seiner bevorstehenden Sitzung in klarer Form zu erkennen gibt, daß das Präsidium mit dieser in keiner Weise zu verantwortenden Erklärung nichts gemein hat und sie auch seinerseits auf das schärfste mißbilligt.“ (R 43 I /2539 , Bl. 290–291). Daraufhin übersandte das Präsidium des Reichs-Landbundes mit Schreiben vom 21.3.28 an den RK eine veröffentlichte „Feststellung“ des Bundesvorstandes vom gleichen Tage, in der es u. a. heißt: Die vom Bundesvorstand des Reichs-Landbundes beschlossene Erklärung „hat teilweise in der Öffentlichkeit zu falschen Darstellungen Veranlassung gegeben“. Sie „enthält nicht die Aufforderung zum Steuerstreik. Die Erklärung der ‚in höchster Not befindlichen‘ deutschen Landwirte: ‚Wir können und werden keine Zahlungen an die öffentliche Hand leisten‘ stellt den derzeitigen Zustand fest. Zahlungsfähige Landwirte werden durch die Erklärung überhaupt nicht betroffen. ‚Die in höchster Not befindlichen Landwirte‘ werden seit Jahren durch die Unrentabilität ihrer Betriebe gezwungen, die fälligen Steuern und Lasten durch Eingriff in die Substanz zu decken. Eine Fortsetzung dieses Verfahrens wird abgelehnt […] Hinsichtlich des anderen Satzes der Erklärung: ‚Zwangsmaßnahmen werden nicht weiter ertragen werden‘ stellt der Bundesvorstand fest, daß alle Betriebsinhaber, die noch in der Lage sind, ohne Gefährdung der ordnungsgemäßen Fortführung der Betriebe ihren steuerlichen Verpflichtungen nachzukommen, zahlen werden. […] Jegliche Zwangsmaßnahmen werden wir ablehnen in dem Sinne, daß kein Landwirt sich als Käufer oder Mitbieter an einer Zwangsversteigerung beteiligen wird. Gewalttätigkeiten und Gesetzesverletzungen können mit der Erklärung des Bundesvorstandes […] nicht in Zusammenhang gebracht werden. […] Die verantwortlichen Organe der Landbünde werden aufgefordert, wie bisher mit allen Mitteln dahin zu wirken, daß Blutvergießen vermieden und Gesetzesverletzungen unterlassen werden.“ Im Begleitschreiben vom 21. 3. bringt das Landbundpräsidium der RReg. zur Kenntnis, „daß die bisherige parlamentarische Behandlung des Notprogramms mit den Versuchen nicht unerheblicher Verschlechterung für die Landwirtschaft dazu geführt hat, daß die vorhandene Erregung im Wachsen begriffen ist. Nur eine auch dem einfachen Manne verständliche und fühlbare Besserung der Wirtschaftslage der deutschen Landwirte auf handelspolitischem, sozialpolitischem und steuerpolitischem Gebiete über die unzureichenden Maßnahmen des Notprogramms hinaus werden die gewünschte Beruhigung des landwirtschaftlichen Berufsstandes herbeiführen können.“ (R 43 I /2539 , Bl. 304–307).

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