2.171.1 (mu21p): 1. Die weitere Behandlung der Minderheitenfrage im Völkerbundsrat.

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1. Die weitere Behandlung der Minderheitenfrage im Völkerbundsrat.

Der Reichsminister des Auswärtigen legte dem Kabinett die vom Auswärtigen Amt fertiggestellten „Bemerkungen der deutschen Regierung zur Frage der Garantie des Völkerbundes für die Bestimmungen zum Schutze der Minderheiten“ vor1. […] Er führte hierzu im einzelnen aus, daß naturgemäß in der deutschen Denkschrift mit besonderem Nachdruck die „Assimilationstheorie“, d. h. das Verlangen nach völligem Aufgehen der Minderheiten in der beherrschenden Nation, abgelehnt werden müsse. Im übrigen sei ja auch Herr Chamberlain bereits von dieser Theorie abgerückt. Ferner müsse das Verlangen nach Einsetzung eines ständigen Minderheitenausschusses des Völkerbundes festgehalten werden. Man habe im Auswärtigen Amt zunächst daran gedacht, diese Forderung vorläufig durch das Verlangen nach einem zeitlich begrenzten Komitee zu ersetzen. Um jeden Zweifel auszuschalten habe er, der Reichsminister des Auswärtigen, es aber für notwendig gehalten, dieses Verlangen auch in der deutschen Denkschrift festzulegen2. Er habe ferner, wie dies von ihm schon in der gestrigen Ministerbesprechung ausgeführt worden sei, angeordnet, daß das taktische Ziel, entscheidende Entschließungen der Vollversammlung des Völkerbundes vorzubehalten, nicht in der Denkschrift zum Ausdruck kommen dürfe.

[547] Staatssekretär Dr. Weismann erklärte namens der preußischen Staatsregierung die vom Reichsminister des Auswärtigen vorgenommenen Änderungen für besonders begrüßenswert3. Er stellte zur Erörterung, ob man die doch selbstverständliche Verpflichtung des Völkerbundes, den Minderheitenschutz zu garantieren, überhaupt erwähnen solle.

Der Reichsminister des Auswärtigen äußerte hierzu, daß die Erwähnung dieser Garantiepflicht ja nicht als Forderung, sondern als Feststellung geschehe. Eine solche Feststellung sei aber angesichts der zu erwartenden Anzweiflungen dieser Pflicht, namentlich durch die Staaten der kleinen Entente, sicherlich notwendig4.

Das Reichskabinett erklärte sich mit der vom Reichsminister des Auswärtigen vorgelegten Denkschrift einverstanden und billigte die vom Reichsminister des Auswärtigen vorgetragenen Gesichtspunkte für die weitere Behandlung der Minderheitenfrage.

Fußnoten

1

Diese Denkschrift trägt den Titel: „Bemerkungen der deutschen Regierung zur Frage der Garantie des Völkerbunds für die Bestimmungen zum Schutze der Minderheiten“ (R 43 I /561 , S. 65-95 und 1437). In ihr wurden in Verbindung mit den Ergebnissen der Märztagung des Völkerbunds die Überlegungen aus der Kabinettssitzung vom 27.2.29 (Dok. Nr. 137, P. 1) aufgegriffen.

2

Dazu heißt es in der 27½ Seiten langen Denkschrift: „Diese Lösung hätte den Vorzug, daß damit ein Gremium geschaffen wäre, das unbeeinflußt von aktuellen Streitfragen den Stand des Minderheitenproblems von höherer Warte aus übersehen könnte. Durch die Beratung innerhalb eines solchen Komitees würde bereits eine gewisse Klärung der Meinungen über grundsätzliche Fragen erfolgen, bevor solche an die höchsten politischen Instanzen des Völkerbundes gelangen. Ein ständiges Minderheitenkomitee könnte aus allen ihm zur Verfügung stehenden Quellen, insbesondere auf Grund der Auskünfte der interessierten Staaten, ein möglichst vollständiges Material über den jeweiligen Stand der Minderheitenfrage zusammentragen und kritisch bearbeiten. Es könnte sodann seine Bemerkungen, zusammen mit etwaigen Anregungen, die es im Rahmen der bestehenden Verträge und Erklärungen zu machen hätte, in bestimmten Zeitabschnitten an die verfassungsmäßigen Instanzen des Völkerbundes heranbringen“ (R 43 I /561 , S. 65-95, hier: S. 80f).

3

Schon früher hatte der preußische Vertreter anläßlich einer Besprechung der Minderheitenfrage mit den Innenressorts erklärt, daß das PrStMin. ein weiteres „behutsames und vorsichtiges Vorgehen“ ablehne und auf einer ständigen Minderheitenkommission im Völkerbund bestehe (Schreiben des AA vom 15.2.29; R 43 I /561 , S. 39-41).

4

In der Denkschrift heißt es dazu: „Den Minderheiten ist die Erhaltung ihrer völkischen Eigenart sowie kulturelle, sprachliche und religiöse Freiheit zu gewährleisten. Hierfür sind in erster Linie die Staaten verantwortlich, denen Minderheiten angehören. Sie haben die Wahrung jener Rechte der Minderheiten als Grundgesetz anzuerkennen, das in seiner Wirksamkeit weder durch andere Gesetze noch durch Verordnungen noch durch sonstige staatliche Maßnahmen irgendwelcher Art beeinträchtigt werden darf. Darüber hinaus ist diesem Grundgesetz internationaler Charakter verliehen worden; seine Beobachtung steht unter der Garantie der höchsten internationalen Organisation, des Völkerbundes. Diese Garantie ist allgemein und uneingeschränkt. Sie schließt in sich einmal eine ständige Überwachung der Lage der Minderheiten in den einzelnen verpflichteten Ländern, ferner ein Eingreifen im Falle konkreter Verletzungen der Schutzbestimmungen. Das ganze so charakterisierte Regime bildet ein wesentliches und dauerndes Gegenstück zu der Tatsache, daß durch die Friedensverträge von 1919 große Volksteile von ihrer Volksgemeinschaft abgetrennt und der Souveränität eines anderen Staates unterstellt worden sind“ (R 43 I /561 , S. 65-95, hier: S. 69f).

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