1.60.1 (bru3p): 1. Deutsch-schweizerische Handelsvertragsverhandlungen.

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1. Deutsch-schweizerische Handelsvertragsverhandlungen.

Staatssekretär Dr. von Bülow trat dafür ein, daß aufgrund des Ergebnisses der bisherigen Verhandlungen mit der Schweiz ein Handelsvertrag geschlossen werde1. Er hielt die Ausfuhrdrosselung deutscher Waren für unvermeidbar und glaubte, daß sich deswegen Deutschland mit den Schweizer Vorschlägen abfinden könne. Die anderen Länder würden nicht dem Beispiel der Schweiz folgen, wohl aber ihrer eigenen und der weltwirtschaftlichen Lage.

Ministerialdirektor Posse vertrat die entgegengesetzte Auffassung. Er glaubte, daß ein Zollkrieg mit der Schweiz nicht eintreten werde, wenn die Vorschläge der Schweiz abgelehnt würden. Das Kabinett habe sich gegen die Kontingentierung ausgesprochen. Sie würde anderen Ländern ein für Deutschland verhängnisvolles Beispiel sein und wäre deswegen gerade jetzt für Deutschland unerträglich. Im übrigen sei es für die Reparationsverhandlungen besser, nicht freiwillig nachzugeben. Bis auf den Vertreter des Auswärtigen Amts sei die Delegation geschlossen dieser Auffassung. Auch die Wirtschaft habe sich in diesem Sinne ausgesprochen, bis auf die Vertreter des Handels, die weniger eindeutig Stellung nahmen. Die Schweiz werde proportionelle Kontingente einführen. Damit würde die deutsche[2019] These erschüttert, die an der absoluten Höhe von Zollkontingenten festhält, ohne Rücksicht auf den Einfuhrbedarf der einzelnen Länder.

Voraussichtlich werde die Schweiz über das bisherige Ergebnis der Verhandlungen hinaus Forderungen stellen. Die Kündigungsfrist um einen weiteren Monat abzukürzen, sei für die deutsche Ausfuhr nach der Schweiz bedenklich. Eine neue Verständigungsmöglichkeit werde sich nicht ergeben2.

Gesandter Müller ging in längeren Ausführungen auf die Wirtschaftslage der Schweiz ein und auf den Verlauf der bisherigen Verhandlungen. Das Ergebnis der bisherigen Verhandlungen sei dank der Geschicklichkeit der deutschen Unterhändler wesentlich günstiger als erwartet. Würde trotzdem ein Vertrag nicht zustandekommen, so sei bei dem starken Drange der Schweizer Industrie auf den Zollkrieg mit großen Schwierigkeiten zu rechnen. Das Ausland werde es nicht verstehen, wenn Deutschland nicht mit seinem Nachbar zu einer Verständigung kommen könne. Die französische Propaganda würde daraus Nutzen ziehen. Das gute Verhältnis zwischen der deutschen Heeresleitung und dem Schweizer Generalstab würde leiden, zumal die Mitglieder des letzteren wirtschaftlich und als Hotelbesitzer interessiert seien. Er sei bereit, mit der Schweiz telephonisch zu verhandeln, wenn das Ergebnis der Besprechungen im Berner Bundesrat abgewartet werden solle. Dadurch würde der Schweiz erneut gezeigt, wie ernst die deutsche Regierung die Entscheidung nehme.

In der weiteren Aussprache, an der sich der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft der Reichswirtschaftsminister und der Reichsminister der Finanzen beteiligten, ergab sich übereinstimmend der Wunsch, einen Zollkrieg mit der Schweiz zu vermeiden. Allgemein bestand aber die Auffassung, daß ein Nachgeben schwerste Folgen gegenüber anderen Ländern haben müsse, auf dem Gebiete der Viehwirtschaft insbesondere durch die Kontingentsabreden. Das ganze deutsche Handelssystem würde bedroht. Wenn die Schweiz von sich aus proportionelle Kontingente einführe, so sei es immerhin leichter für Deutschland, tatsächlich unter Protest zu dulden, als ihnen ausdrücklich zuzustimmen. Andernfalls sei es schwieriger, sich gegen den Vorwurf zu verteidigen, die eigene Zahlungsunfähigkeit zu verringern.

Der Reichskanzler stellte fest, daß das Kabinett grundsätzlich dem Vorschlage der im Handelspolitischen Auschuß der Reichsregierung zusammengefaßten Ressorts, mit Ausnahme des Auswärtigen Amts, zustimmt. Die formelle Entscheidung soll am 2. 12. getroffen werden3.

Fußnoten

1

Zu den bisherigen Verhandlungen siehe Dok. Nr. 523, P. 3 und Dok. Nr. 532, P. 1.

2

MinDir. Posse hatte in seiner undatierten Aufzeichnung „Grundlagen für die Stellungnahme zu dem bisherigen Ergebnis der Handelsvertragsverhandlungen mit der Schweizer Delegation“ mit Anschreiben vom 26.11.31 den im Rkab. vorgetragenen Standpunkt bereits ausführlich erläutert (R 43 I /1115 , Bl. 122–131).

3

Die Kabinettsberatungen über den dt.-schweizerischen Handelsvertrag wurden am 11.12.31 fortgesetzt: siehe Dok. Nr. 598.

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