1.147 (ma12p): Nr. 359 Das Reichswehrministerium (Heeresfriedenskommission) an Staatssekretär Bracht. 20. November 1924

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Nr. 359
Das Reichswehrministerium (Heeresfriedenskommission) an Staatssekretär Bracht. 20. November 1924

R 43 I /417 , Bl. 308-311

[Entwaffnungsforderungen der IMKK]

Das Reichsheer ist in jeder Weise den Forderungen der Generalinspektion, soweit sie berechtigt waren, nachgekommen. Der bei der Zulassung der Generalinspektion von der Deutschen Regierung eingenommene Standpunkt, daß die Generalinspektion sich nur auf die Feststellung des gegenwärtigen Rüstungszustandes zu erstrecken hätte, galt als Richtlinie für alle Stellen, die der Inspektion unterworfen sind. Obgleich dieser Standpunkt auch heute noch als zu[1189] Recht bestehend angesehen wird, hat die Deutsche Regierung, um ihren Willen zur glatten Durchführung der Generalinspektion zu beweisen, das Reichswehrministerium ermächtigt, der Interalliierten Militär-Kontrollkommission auf Verlangen auch über diese Grenze hinaus Auskunft in allen grundsätzlichen Fragen, sowie in Einzelfragen, die zur Vervollständigung des Bildes des gegenwärtigen Rüstungszustandes wesentlich sind, zu geben und hat die IMKK hiervon durch Note Nr. 7710 vom 9.10.24 in Kenntnis gesetzt1. Diese hat den Vorteil dieser Auskunftserteilung im Reichswehrministerium anerkannt und dann von diesem Zugeständnis der Regierung bei dem Besuch im Reichswehrministerium am 4.11.24 ausgiebig Gebrauch gemacht.

1. Organisation und Stärken.

Die Kommission hat die gewünschten Aufschlüsse in folgenden Punkten erhalten2:

Angebliche Zeitfreiwillige,

Ausbildung von sogenannten Führergehilfen,

angebliche Zusammenhänge zwischen Reichswehr und vaterländischen Organisationen,

Grenzschutz,

angebliche Heranziehung und Ausbildung von Reserveoffizieren.

Das Reichswehrministerium hat ferner die Truppen und Dienststellen zur Auskunftserteilung und Einsichtgewährung in die erforderlichen Unterlagen angewiesen.

2. Ausstattung des Heeres.

Durch das Londoner Ultimatum war die Deutsche Regierung seinerzeit gezwungen worden, die Festsetzungen der IMKK bezüglich der hauptsächlichsten Gegenstände an Bewaffnung, Bekleidung und Ausrüstung des Heeres anzuerkennen, wie sie im Heeresverordnungsblatt von 1921 veröffentlicht sind. Diesen Solls entsprechend findet die Generalinspektion den derzeitigen Ausrüstungsvorstand vor.

Darüber hinaus aber hat die IMKK in späterer Zeit noch andere Einzelfestsetzungen für weitere Gegenstände, sogar für kleine Einzelteile, getroffen, die in den oben erwähnten Solls nicht enthalten sind. An den hierzu gemachten deutschen Vorschlägen hat jedoch die IMKK in verschiedenen Fällen übertriebene Streichungen vorgenommen, die vom Reichswehrministerium nicht anerkannt werden konnten, weil sie den notwendigen Bedürfnissen des Heeres nicht Rechnung trugen. Eine Einigung über diese strittigen Punkte war bis zum Ruhreinbruch nicht erzielt worden.

Daher entsprechen die auf Wunsch der IMKK zur Generalinspektion übersandten Nachweisungen und Listen nur zum Teil den von der IMKK getroffenen Festsetzungen und überschreiten mitunter die vorgeschriebenen Mengen. Dieses[1190] Mehr hält sich jedoch innerhalb der Mindestgrenzen, die das Reichswehrministerium für die Verwendungsfähigkeit des Heeres als unbedingt notwendig erachtet.

Weitere Verminderungen und Abgaben über diese Solls hinaus sind mit den militärischen und wirtschaftlichen Lebensnotwendigkeiten des Heeres in keiner Weise zu vereinbaren. Es ist daher nicht möglich, auf dem Gebiete der Heeresausstattung neue Zugeständnisse zu machen.

Irgendwelche grundsätzliche Äußerungen der IMKK zu dem derzeitigen Ausrüstungszustande liegen bis jetzt noch nicht vor. Nur in wenigen Einzelfällen wurde das Vorhandensein von nicht vertretbarem überzähligem Material in geringen Mengen festgestellt. Seine Zerstörung unter Kontrolle der IMKK ist bereits eingeleitet.

Im übrigen gehören diese Fragen der Heeresausstattung und der Abgabe des überzähligen Gerätes zu den sogenannten strittigen 5 Punkten3, deren Gesamterledigung erst nach Beendigung der Generalinspektion erfolgen sollte.

3. Abrüstung der ehemaligen Munitionsanstalten.

Mehrere Noten der IMKK behandeln in einer größeren Zahl von Anlagen Bemängelungen, die ungenügende Ausführung der bei diesen Anlagen angeordneten Zerstörungsforderungen feststellen. In einer Reihe von Fällen handelt es sich um geringfügige Ausstellungen, für deren Abstellung bereits Sorge getragen ist. In anderen Fällen wird die noch erforderliche Zerstörungsarbeit, Niederlegung von Wällen, Blitzableitern, Schornsteinen, Gleisanlagen oder ganzen Gebäuden, gewisse, manchmal nicht unerhebliche Kosten verursachen, teilweise zur Ausführung der Zerstörung selbst, teilweise zur Entschädigung des jetzigen Besitzers. In wieder anderen Fällen werden Pacht- oder Mietverträge, besonders solche mit Kündigungsvorbehalten, als nicht genügende Besitzübertragung beanstandet. Im Einvernehmen mit dem Reichsfinanzministerium ist alles Erforderliche geschehen, um über die Einzelheiten baldmöglichst Klarheit zu gewinnen und den Forderungen der IMKK soweit als möglich entsprechen zu können. Die Höhe der erforderlichen Geldmittel läßt sich noch nicht übersehen.

Am schwersten sind die Forderungen bei den Deutschen Werken AG. Abgesehen von der Frage nach dem Verbleib von Maschinen, für deren Beantwortung bereits die erforderlichen Schritte getan sind, handelt es sich darum, daß die Forderungen der IMKK eine schwere Beeinträchtigung der im Gange befindlichen industriellen Ausnutzung bedeuten.

4. Einrichtung der zugestandenen Rüstungsfirmen.

Auch hier sind die Beanstandungen teilweise geringfügig; ihre Abstellung ist bereits veranlaßt. Schwieriger ist die Regelung bei den Firmen des besetzten Ruhrgebietes, wo die Einrichtung bisher teilweise durch die Besatzung[1191] behindert wurde. Am unangenehmsten sind die Forderungen der IMKK hinsichtlich der Firmen Wasag/Reinsdorf und Krupp, da sie bei beiden in den Friedensbetrieb stark eingreifen. Insbesondere bei Krupp wird die Verringerung der Einrichtung auf das von der IMKK geforderte Maß, worüber übrigens ein Einvernehmen noch nicht restlos erzielt ist, erhebliche Entschädigungsforderungen, die in die Millionen gehen, der in ihrem Friedensbetriebe geschädigten Firma zur Folge haben4.

5. Umstellung der Fabriken der Privatindustrie.

Die Beanstandungen beziehen sich in erster Linie auf die Waffenindustrie; hier wird die Zerstreuung von Normalmaschinen verlangt in einem Umfang, der die schwerste Schädigung der betroffenen Firmen bedeutet und gleichzeitig in sehr hohem Ausmaße Entschädigungsforderungen an das Reich verursachen wird. Teilweise neue, völlig überraschende Forderungen sind für die Sprengstoff- und chemische Industrie gestellt; sie berauben diese Industriezweige durch die Zurückführung auf den Stand von 1913 jeder Entwicklungsmöglichkeit.

Eine Stellungnahme der verantwortlichen Stellen zu dieser letzteren Frage steht noch aus.

Diese Umstellung, ebenso wie die im vorigen Abschnitt erwähnte Einrichtung der Rüstungsfirmen, ist einer von den sogenannten 5 Punkten der Botschafternote vom 29. September 19225. Nach dem augenblicklichen Stand der Besprechungen darüber ist zu hoffen, daß es gelingt, die Erledigung dieser Punkte hinauszuschieben, so daß jedenfalls die Generalinspektion durch sie nicht belastet wird.

I. V.

Schlenther

Fußnoten

1

Vgl. Dok. Nr. 343, Anm. 1.

2

S. hierzu die Anlage zu diesem Schreiben.

3

Zu den „fünf Punkten“ der Note der all. Regierungen vom 29.9.22 vgl. Dok. Nr. 158, Anm. 7. Die Note vom 29.9.22 ist abgedr. im dt. Weißbuch: Materialien zur Entwaffnungsnote, Berlin 1925, S. 58; ferner in: Ursachen und Folgen, Bd. IV, Dok. Nr. 939.

4

Vgl. Dok. Nr. 356.

5

S. Anm. 3.

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