2.112 (bru1p): Nr. 112 Aufzeichnung des Staatssekretärs Pünder über den Ausgang der Reichstagswahlen. 15. September 1930

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Nr. 112
Aufzeichnung des Staatssekretärs Pünder über den Ausgang der Reichstagswahlen. 15. September 1930

Nachlaß Pünder Nr. 134, Bl. 201–203 Durchschrift

Das unerfreuliche Ergebnis der Reichstagswahlen vom 14. September 19301 besteht vor allem darin, daß die radikalen Elemente links und rechts[426] sehr gestärkt zurückkehren, und zwar auf der rechten Seite in einem Ausmaße, das selbst von Pessimisten nicht erwartet worden war. All dies ist eine Folge der augenblicklichen unglücklichen Wirtschaftslage, der großen Arbeitslosigkeit, der Unzufriedenheit breiter Massen über das lange Hinauszögern notwendiger Reformen, und alles in allem, außenpolitisch gesehen, eine Auswirkung des Versailler Vertrages, der das Maß des noch eben Erträglichen hat überlaufen lassen.

Andererseits sind gewisse Parallelen interessant. Die Maiwahl 19242 brachte 110 Deutschnationale und 33 Nationalsozialisten, in Summa 143 Abgeordnete, die zu einer Regierungsarbeit auf einer mittleren Linie mit Parteien der Mitte damals nicht fähig waren. Aus diesen 143 Abgeordneten des Mai 1924 sind inzwischen 107 Nationalsozialisten und 41 Hugenberg-Anhänger = 148 Abgeordnete geworden, also eine nur ganz geringfügige Vermehrung, die als solche im übrigen überhaupt nicht vorhanden ist, wenn man die außerordentlich starke Wahlbeteiligung am gestrigen Tage berücksichtigt.

Wendet man sich den Mittelparteien zu, so springt in die Augen, daß abgesehen von den oben erwähnten radikalen beiden Flügelgruppen rechts und links nur noch der Block des Zentrums und der Bayerischen Volkspartei gewonnen hat, und zwar recht erheblich. Berücksichtigt man den Umstand, daß die Regierungsarbeit der gegenwärtigen Reichsregierung in erster Linie das Reformprogramm des amtierenden Reichskanzlers Dr. Brüning ist, zu dessen Verteidigung er sich während des Wahlkampfes mit Leidenschaft eingesetzt hat, so wird man aus dem auffallend günstigen Abschneiden des Zentrumsblocks den Schluß ziehen dürfen, daß im deutschen Volk dieses Sanierungsprogramm auf großes Verständnis gestoßen ist.

Bei den übrigen Mittelparteien hat sich am gestrigen Wahltage die Tatsache gerächt, daß diese Parteien es trotz erfreulicher Ansätze nicht vermocht haben, ihren bürgerlichen Schichten eine gemeinsame zugkräftige Wahlparole zu geben. Diese bürgerlichen Schichten sind offensichtlich dieses Fangballspielens einzelner Gruppen der Mitte müde und haben sich zweifellos in weitem Umfange den radikalen Flügelgruppen zugewandt.

Was die konservativen Elemente angeht, die ehrlich bestrebt sind, auf dem Boden der republikanischen Reichsverfassung am Wiederaufbau des Staates aktiv mitzuarbeiten, haben die gestrigen Wahlen gezeigt, daß diese Bewegung – nicht zuletzt verursacht durch die Arbeitslosigkeit und die Not der Landwirtschaft – im deutschen Volk noch eine geringere Resonanz hat. Zwar hatte sich im letzten Reichstag von der sehr starken Deutschnationalen Fraktion im Laufe der Zeit über die Hälfte von ihrem Parteiführer Hugenberg abgewandt und sich zur Mitarbeit entschlossen; die Folgewirkung dieses Austritts hat sich in den gestrigen Wahlen jedenfalls noch nicht gezeigt. Die schroffe Einstellung Hugenbergs hat zwar erreicht, daß die Deutschnationale Fraktion zur Hälfte in den neuen Reichstag zurückkehrt, die andere Hälfte hat sich aber keineswegs[427] nur der zur aktiven Mitarbeit bereiten Mitte zugewandt, sondern den extremen Flügelgruppen.

Gerade dieser Umstand, nämlich die bemerkenswerte Schwäche der zur aktiven Mitarbeit bereiten konservativen Gruppen zeigt, daß es im Laufe der Zeit notwendig werden wird, alle zur Mitarbeit und zum Wiederaufbau der notleidenden deutschen Wirtschaft bereiten politischen Kräfte hierzu heranzuziehen, so, wie Reichskanzler Dr. Brüning dies in seinen Wahlreden mehrfach formuliert hat. Daß diese Zusammenfassung aller dieser Kräfte nicht von heute auf morgen erfolgen kann, ist selbstverständlich. Es dürfte daher wenig zweckmäßig und auch kaum wahrscheinlich sein, daß die gegenwärtige Reichsregierung zurücktritt und die Bildung einer neuen Regierung in Angriff genommen wird. Vielmehr dürfte der zweckmäßigste Weg der sein, den neuen Reichstag mit der Erledigung des großen Reformprogramms zu befassen und es der ganz zwangsläufigen Entwicklung zu überlassen, alle die zur Mitarbeit bereiten Kräfte auch regierungsmäßig zusammenzufassen.

Pünder

Fußnoten

1

Die Wahl vom 14.9.30 hatte zu folgender Sitzverteilung im RT geführt (in Klammern die Sitze nach der RT-Wahl vom 20.5.28): SPD 143 (153), NSDAP 107 (12), KPD 77 (54), Z 68 (62), DNVP 41 (73), DVP 30 (45), WP 20 (25), Dt. StP 20 (DDP 25), BVP 19 (16), Chr.Nat. Bauern- u. Landvolkpartei 19 (10) (Stat. Jb. 50 (1931), S. 545). Von den kleinen konservativen Parteien erhielt der ChrSVD 14 Sitze, die KVP 4 Sitze und die Dt.-Hannoversche Partei 3 Sitze (Reichstagshandbuch 1930, S. 273).

2

Nach der RT-Wahl vom 4.5.24 betrug die Stärke der DNVP-Fraktion 103 Mitglieder u. 3 Gäste; der Fraktion der Nationalsozialistischen Freiheitspartei gehörten 32 Mitglieder an (Reichstagshandbuch 1924, S. 351, 355).

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