1.13 (bru2p): Nr. 265 Besprechung über Abrüstungsfragen vom 18. März 1931, 10 Uhr

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Nr. 265
Besprechung über Abrüstungsfragen vom 18. März 1931, 10 Uhr

R 43 I /518 , Bl. 47–49

Anwesend: Brüning, Curtius, Groener; StS v. Bülow; GenMaj. v. Schleicher; Protokoll: ORegR Planck.

Der Reichsminister des Auswärtigen berichtete über seine Besprechungen mit dem englischen und dem französischen Botschafter. Der letztere habe angefragt, ob nicht Deutschland in der Abrüstungsfrage die Initiative ergreifen wolle. Er habe hierauf keine Antwort erhalten1.

Der Reichsminister des Auswärtigen schilderte sodann eingehend sein Gespräch mit Botschafter Sir Horace Rumbold, der sich über die kühle und desinteressierte Atmosphäre in Deutschland hinsichtlich der Abrüstungsfrage beklagt habe2. Er, Reichsminister Curtius, habe diese englische Kritik zurückgewiesen und demgegenüber auf das Verhalten Lord Cecils im Jahre 1928 hingewiesen, das eben in Deutschland Mißtrauen erweckt habe. Das Gespräch mit dem englischen Botschafter gebe aber vielleicht doch die Möglichkeit, den englischen Faden weiterzuspinnen, während man Frankreich zunächst ohne Antwort lassen könne.

Die Unterredungen mit den beiden Botschaftern bestätigten, daß Deutschland in der Abrüstungsfrage weiterhin als Gläubiger auftreten und Angebote der anderen Mächte herauslocken müsse.

[963] Der Reichswehrminister äußerte sich hinsichtlich der Aussichten der Abrüstungskonferenz3 sehr skeptisch. England habe kein Interesse an der Änderung der militärischen Situation auf dem Kontinent. Auch Italien werde uns im Stich lassen; andererseits werde auf der Reichsregierung ein starker innerpolitischer Druck lasten.

Der Reichswehrminister sprach sich dafür aus, mit England vorsichtig weiterzuverhandeln, wobei eine scharfe Sprache geführt werden müsse. Auch er war der Meinung, daß man mit Frankreich zunächst nicht reden solle.

Staatssekretär Dr. von BülowBülow bezeichnete als Ziel der jetzt zu führenden Abrüstungsverhandlungen die Beseitigung des Teils V des Friedensvertrages von Versailles4. Deutschland würde sich dann nur in eine allgemeine Abrüstungskonvention einzuordnen haben, in der Deutschlands natürliche Kraft von Phase zu Phase besseren Ausdruck finden könne. Die Aussichten für Deutschland seien allerdings noch schlecht. Frankreich, unser Hauptgegner, werde vielleicht bereit sein, unsere Fesseln etwas zu erleichtern, um gleichzeitig die Bestimmungen des Friedensvertrages neuerdings sanktionieren zu lassen. Von den Deutschland jetzt drückenden Wehrbeschränkungen sei die Deklassierung der deutschen Wehrmacht viel verhängnisvoller als die Beschränkung der Effektivstärke. Die Beseitigung der Deklassierung müsse also unser Hauptziel sein.

Über unser taktisches Verhalten gebe es zwei etwas voneinander abweichende Meinungen. Botschafter von Hoesch sei dafür, daß Deutschland bis zum letzten Augenblick von seinen Wünschen nichts erkennen lasse, damit es durch unablässige Betonung unserer Abrüstungsforderungen seinen moralischen Standpunkt bis zuletzt intakt halte5. Er, Staatssekretär von Bülow, glaube, man werde schon vor der Konferenz in äußerst vorsichtiger Form ins Gespräch kommen müssen, sonst riskiere man z. B., daß die Konferenz aus Gründen, die nicht in unserem Verhalten lägen, scheitere, ohne daß wir etwas erreicht hätten.

Der Reichsminister des Auswärtigen führte aus, daß in diesem Zusammenhang das Verhalten gegenüber den verschiedenen englischen Einladungen von großer Bedeutung sei. Hendersons Einladung nach Paris beabsichtige er unter allen Umständen abzulehnen. Dagegen werde man die Einladung Mac-Donalds an den Reichskanzler und den Außenminister, im Frühjahr nach London zu kommen, nicht negativ beantworten können. Vorbehaltlich der weiteren politischen Entwicklung könne man vielleicht für eine derartige Reise den Mai ins Auge fassen, wobei immer noch zu erwägen sein werde, ob auch der Reichskanzler an der Reise teilnehmen müsse6.

[964] Der Reichskanzler sprach sich dafür aus, deutscherseits die Abrüstungsthese solange als irgend möglich aufrechtzuerhalten und die deutschen Wünsche erst möglichst spät durchblicken zu lassen. Der Mai sei für die Reise nach England auch insofern der richtige Zeitpunkt, als dann die Reparationsfrage voraussichtlich eben wieder in Fluß gekommen sein werde.

Der Reichskanzler stellte sodann die Frage, ob bei Beseitigung der Deklassierung der deutschen Wehrmacht mit 700 Millionen RM als festem Betrag für den Wehretat Wesentliches erreicht werden könne7.

Der Reichswehrminister und Generalmajor von SchleicherSchleicher erwiderten darauf, daß eine voll wirksame Modernisierung der Armee sich besser mit 800 Millionen RM, als mit 700 Millionen RM werde durchführen lassen. Die Hauptersparnis liege in der Beseitigung der Monopolstellung der Rüstungsfabriken. Vom Berufsheer werde man nicht ganz abkommen können; man könne aber die Dienstzeit verkürzen und die Zahl der Berufssoldaten verkleinern, neben denen dann eine Miliz ausgebildet werden könne.

Hinsichtlich der deutschen Taktik sprach sich Generalmajor von SchleicherSchleicher wie Staatssekretär von BülowBülow dafür aus, zu gegebener Zeit in vorsichtiger Form auch über die deutschen Ziele mit den Verhandlungsgegnern ins Gespräch zu kommen.

Der Reichsminister des Auswärtigen meinte, man solle natürlich die Abrüstungsthese solange als möglich durchhalten, innerlich aber nicht auf einen großen Eklat hinauswollen. Vor allem müsse man jetzt einmal abwarten, ob überhaupt die anderen an uns herantreten würden.

Es wurde vereinbart, die praktischen Einzelfragen auf dem Abrüstungsgebiet (Konferenz-Vorsitz, deutscher Vertreter usw.) zunächst zwischen den Ressorts zu klären. Das Reichskabinett soll dann möglichst noch vor Ostern mit der Abrüstungsfrage befaßt werden8.

Auf Anfrage des Generalmajors von SchleicherSchleicher wurde entschieden, daß Admiral Lord Jellicoe9, der den Wunsch hat, nach Deutschland zu kommen und durch den früheren Reichstagsabgeordneten, Graf Schulenburg, hat anfragen lassen, zu dieser Reise ermuntert werden soll. Er werde dann in Deutschland, seiner Bedeutung entsprechend, bevorzugt aufgenommen werden müssen.

Fußnoten

1

Aufzeichnungen über die Besprechungen mit Rumbold und de Margerie konnten in den Akten der Rkei nicht ermittelt werden.

2

Berichte Rumbolds über zwei Unterredungen mit dem RAM am 18. 3. in: Documents on British Foreign Policy, Second Series, Vol. I, Doc. No. 355 und 356.

3

Die Abrüstungskonferenz sollte am 2.2.32 beginnen. Vgl. Dok. Nr. 227, Anm. 12.

4

„Bestimmungen über die Land-, See- und Luftstreitkräfte“.

5

Nicht ermittelt.

6

StS Pünder vermerkte am 24.3.31, daß Premierminister MacDonald und AM Henderson den RK und den RAM offiziell zum 1.5.31 nach Chequers eingeladen hätten. Als Gesprächsthema sei von den Briten nur die Abrüstungsfrage angegeben worden. Der RAM werde aber in Übereinstimmung mit dem RK darauf dringen, daß alle beide Länder interessierenden Fragen, insbesondere die Reparationen, zum Gegenstand der Erörterung gemacht werden sollten (R 43 I /60 , Bl. 159). Graf Bernstorff von der Dt. Botschaft in London hatte am 18.2.31 dem AA berichtet, daß der Labour-Abg. Archibald Church den brit. Premier Mac-Donald über seine Dtld-Reise, während der er am 10. und 11.2.31 vom RK empfangen worden war (Nachl. Pünder Nr. 43, Bl. 251–252), informiert habe. MacDonald habe Church gesagt, daß er eine persönliche Aussprache mit dem RK nur allzu sehr begrüßen würde, daß er aber fürchte, daß eine solche Aussprache erst im Herbst während der Genfer VB-Tagung stattfinden könne (Abschrift in R 43 I /310 , Bl. 314). Vgl. auch Brüning, Memoiren, S. 229–230.

7

Im Haushaltsgesetz für das Rechnungsjahr 1931 vom 30.3.31 (RGBl. II, S. 92 ) waren die ordentlichen Ausgaben des RWeMin. mit 599705550 RM angesetzt.

8

Die Abrüstungsfrage wurde im Kabinett erst am 27.5.31 im Zusammenhang mit dem Bericht des RAM über die Genfer Frühjahrstagung behandelt (Dok. Nr. 306).

9

John Rushworth Jellicoe (1859–1935), 1914–1916 Oberbefehlshaber der Home Fleet, 1916–1917 Erster Seelord.

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