1.94 (bru2p): Nr. 346 Besprechung wegen der Aufhebung des Verbots der Spartakiade. 29. Juni 1931

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Nr. 346
Besprechung wegen der Aufhebung des Verbots der Spartakiade. 29. Juni 1931

R 43 I /2675 , Bl. 23–25

Anwesend: Brüning, Wirth, Treviranus; StS Zweigert, Meissner; Protokoll: MinDir. v. Hagenow.

Nach Eröffnung der Besprechung trug der Reichsminister des Innern den Sachstand vor1. Er führte aus, daß er am vergangenen Freitag2 von der[1245] Aufhebung des Verbots überrascht worden sei und unverzüglich seine lebhaften Bedenken gegen die Aufhebung des Verbots dem Minister Severing mitgeteilt habe. Er habe bei der Besprechung mit Minister Severing auf die politischen Konsequenzen hingewiesen, die die Aufhebung des Verbots nach sich ziehen müsse, Minister Severing habe ihm mitgeteilt, daß er mit den Vertretern der Kommunistischen Partei über die Art der Veranstaltung gesprochen habe und von diesen Sicherheiten erhalten habe, daß die Veranstaltung in ruhigen Formen verlaufen werde. Er, Minister Wirth, habe jetzt noch einmal auf der Reise nach Frankfurt/Main mit Minister Severing über die Dinge gesprochen und hierbei auf die scharfe Stellungnahme des Reichspräsidenten3 und den Ernst der Situation hingewiesen. Minister Severing habe in der Besprechung ausgeführt, daß er gezwungen sei, einen polizeilichen Schießerlaß vorzubereiten, und daß er sich auf den Tag rüsten müsse, an dem es in Berlin zu schweren Zusammenstößen kommen könne. Er habe geglaubt, die Spartakiade zulassen zu sollen, um zu verhindern, daß sportliche Dinge den Anlaß geben können, in Berlin blutige Unruhen hervorzurufen. Es ginge nicht an, daß aus Anlaß dieser Veranstaltung Menschen aufs Pflaster gelegt würden. Im übrigen habe Minister Severing den Eindruck, daß die Spartakiade vollständig zerflattere. Das habe natürlich zur Folge, daß, wenn die Spartakiade verboten werde, auch die polizeiliche Aktion sich zersplittere. Jedenfalls stehe Minister Severing auf dem Standpunkt, daß bei sportlichen Veranstaltungen kein Arbeiterblut fließen dürfe. Aus diesen Erwägungen heraus sei Min[ister] Severing zu seinem Entschluß gekommen. Was die Frage angehe, ob es möglich sei, noch Auflagen den Kommunisten abzuringen, so müsse er, Minister Wirth, darauf hinweisen, daß bereits schwerwiegende Auflagen den Kommunisten gemacht worden seien. Er halte es für möglich, mit Artikel 48 der Reichsverfassung durch eine Verordnung des Reichspräsidenten die Spartakiade zu verbieten. Das werde aber nach der Aussprache, die er mit Minister Severing gehabt habe, zur Folge haben, daß Minister Severing zurücktreten werde. Minister Severing habe in der Besprechung geäußert, daß, wenn die Aufhebung der Spartikade durch eine Anordnung des Reichspräsidenten erfolge, er der Reichsregierung keine Hilfe mehr leisten könne, wenn sie aus anderen Gründen in politische Schwierigkeiten käme. Bisher sei er, Min[ister] Severing, stets bereit gewesen, die schwierige Situation, in der sich die Reichsregierung befinde, nach Kräften zu beheben und auf seine Partei zu drücken.

Minister Wirth regte am Schlusse seiner Darlegungen an, daß der Reichskanzler sowohl mit dem Ministerpräsidenten Braun als auch mit dem Preußischen Innenminister Severing eine Besprechung abhalte. Im übrigen setze er noch einmal auseinander, daß der Artikel 48 der Reichsverfassung anwendbar sei. Es werde im Reichsministerium des Innern zunächst der Rahmen geprüft, in dem die Verordnung erlassen werden könne. Die Spartakiade beginne am 3. Juli und dauere 8 Tage. Es sei infolgedessen eine eilige Entscheidung notwendig.

[1246] Staatssekretär MeissnerMeissner betonte, daß der Reichspräsident über die Aufhebung des Verbots der Spartakiade sehr ungehalten sei und ihm ein sehr bestimmtes Telegramm habe zugehen lassen. Der Herr Reichspräsident habe den Eindruck, daß seine Verordnung vom 28. März 19314 mißbraucht werde. Er, Staatssekretär Meissner, habe zwar nicht selbst mit dem Herrn Reichspräsidenten telephonisch gesprochen, sondern nur mit seinem Sohn, dem Oberstleutnant von HindenburgHindenburg. Er habe diesem erwidert, daß sowohl das Reichsministerium des Innern als auch das Auswärtige Amt in der Angelegenheit Verhandlungen eingeleitet hätten. Im übrigen sei es in erster Linie Aufgabe Preußens, die Verordnung vom 28. März durchzuführen. Das Reich habe hier einen geringen Einfluß. Der Reichspräsident betrachtete die Handhabung der Verordnung als eine Provokation und empfinde es als besonders merkwürdig, daß man die kommunistische Veranstaltung als „Spartakiade“ bezeichne. Nach Auffassung des Reichspräsidenten hätte man auch die nationalsozialistische Veranstaltung zulassen müssen, wenn man die kommunistische Veranstaltung dulde. Diese Auffassung teilte auch er, Staatssekretär Meissner. Auch er habe den Eindruck gewonnen, daß die Verordnung des Reichspräsidenten zu stark nach rechts angewendet werde und keine Parität gesichert sei. Minister WirthWirth kam noch einmal auf die Haltung des Preußischen Ministers Severing zu sprechen und betonte, daß man an dieser Haltung nicht ohne weiteres vorbeigehen könne, da Minister Severing ein Mann von Format und zudem auch ein Mann von historischem Verdienst sei.

Minister TreviranusTreviranus legte dar, daß die Bevölkerung im Osten die Art der Anwendung der Verordnung des Reichspräsidenten vom 28. März nicht verstehe. Man habe in dieser Gegend den Eindruck, daß die Verordnung des Reichspräsidenten nur gegen rechts gehandhabt werde, während die Linkskreise in weitgehendem Maße geschont würden5. Er könne die Haltung der Preußischen Regierung in dieser Beziehung nicht verstehen und halte das Verbot der nationalsozialistischen Veranstaltungen für eine große Dummheit.

Staatssekretär MeissnerMeissner ergänzte noch seine Ausführungen dahin, daß der Reichspräsident die Vorlegung einer Verordnung, nach der die Aufhebung des Verbots beseitigt wird, noch heute abend erwarte. Er bitte daher das Reichsministerium des Innern, ihm einen entsprechenden Entwurf unverzüglich zu übermitteln.

Reichskanzler BrüningBrüning bemerkte, daß es ihn aufrichtig betrübe, daß in einem Augenblick, in dem in Deutschland hochpolitische Entscheidungen zu treffen seien6, der Reichsregierung auch noch diese Schwierigkeit erwachse.

Reichsminister TreviranusTreviranus fragte, ob bei der gegenwärtigen starken Arbeitsbelastung des Reichskanzlers es nicht möglich sei, daß der Reichsminister[1247] des Innern mit dem Ministerpräsidenten Braun über die Dinge spreche. Minister Wirth müsse in seiner Unterhaltung dem Herrn Preußischen Ministerpräsidenten darlegen, daß das Verbot der nationalsozialistischen Veranstaltung ein großer Fehler gewesen sei.

Der Reichskanzler bemerkte, daß er in der Angelegenheit morgen mit dem Preußischen Minister des Innern Severing sprechen werde, und bat Minister Wirth, den Minister Severing hiervon unverzüglich in Kenntnis zu setzen.

Im Laufe der Besprechung wurde festgestellt, daß für die Veranstaltung folgende Auflagen vom Minister Severing gemacht worden sind:

1.

Rede von Ausländern verboten,

2.

Verbot von Umzügen,

3.

Vorlage der zu haltenden Ansprachen beim Polizeipräsidenten zwecks Überprüfung,

4.

keine einheitliche Kundgebung, sondern nur Einzelveranstaltungen,

5.

Nichthergabe des Stadions.

Die weitere Aussprache ergab, daß noch folgende neuen Auflagen voraussichtlich gemacht werden können:

1.

Verbot aufreizender Inschriften,

2.

Verbot politischer Reden,

3.

Hinweis, daß die Veranstaltung aufgehoben bzw. mit polizeilicher Gewalt verhindert wird, falls gegen die gestellten Bedingungen verstoßen wird. Im übrigen soll in Verhandlungen mit Preußen erreicht werden

a)

Sicherung der paritätischen Handhabung nach rechts und links, um Gerechtigkeit nach allen Seiten zu erzielen,

b)

möglichste Herstellung eines Einvernehmens mit der Reichsregierung bei grundsätzlichen Entscheidungen.

Die Gelegenheit der Verhandlungen mit Preußen soll benutzt werden, um nachträglich Vorstellungen über die ungerechtfertigte Handhabung der Verordnung zu erheben7.

Staatssekretär MeissnerMeissner sagte zu, dem Herrn Reichskanzler eine Übersicht zukommen zu lassen, aus der sich ergebe, in welcher Weise die Verordnung gehandhabt worden sei8.

Fußnoten

1

Der Berliner PolizeiPräs. Grzesinski hatte eine für den 20.6.31 geplante Sportveranstaltung der NSDAP verboten, weil ein Artikel in der Zeitung „Der Angriff“ Nr. 120 vom 19.6.31 („Sturm auf das Stadion! Aufbruch des deutschen Berlin“) zu der Befürchtung Anlaß gegeben habe, daß die Veranstaltung für politische Zwecke mißbraucht werden würde. Gleichzeitig war die für den 4.–12.7.31 von der KPD angemeldete „Spartakiade“, ein sogenanntes „Arbeitersportfest“, verboten worden (DAZ Nr. 275–276 vom 21.6.31). Auf Veranlassung des PrIM Severing war das Verbot der „Spartakiade“ wieder aufgehoben worden (Vermerk des MinR Wienstein vom 25.6.31, R 43 I /2675 , Bl. 19).

2

26.6.31.

3

Nicht ermittelt.

4

VO des RPräs. zur Bekämpfung politischer Ausschreitungen vom 28.3.31 (RGBl. I, S. 79 ). Aufgrund dieser VO waren die NSDAP-Kundgebung und die „Spartakiade“ verboten worden.

5

Vgl. dazu Dok. Nr. 280.

6

In der ursprünglichen Fassung der Aufzeichnung lautete der Satz hinter dem Komma folgendermaßen: „immer solche Verbote Preußens dazwischen kämen. Es sei nicht zu verstehen, daß der Reichsregierung immer solche Schwierigkeiten erwüchsen“ (R 43 I /2675 , Bl. 25).

7

S. Dok. Nr. 348.

8

Nicht ermittelt. Vgl. Dok. Nr. 348.

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