2.151 (ma31p): Nr. 151 Aufzeichnung des Staatssekretärs Pünder über Mitteilungen des Reichsministers des Auswärtigen aus Genf. 12. Dezember 1926

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[438] Nr. 151
Aufzeichnung des Staatssekretärs Pünder über Mitteilungen des Reichsministers des Auswärtigen aus Genf. 12. Dezember 19261

R 43 I /491 , Bl. 25–27

[Stand der Verhandlungen in Genf.]

Herr Minister Stresemann hat soeben, 5.30 Uhr nachm. bei mir angerufen und folgendes mitgeteilt:

Die Ratssitzung ist noch im Gange. Die beteiligten Außenminister glaubten nunmehr eine Lösung gefunden zu haben, die heute abend in einer gemeinsamen Erklärung aller Mächte der Presse übergeben werden solle. In dieser Erklärung solle einleitend gesagt werden, daß von den über einhundert Streitfällen der Militärkontrollfragen nur noch 2 übrig geblieben seien. Angesichts dieser bereits erzielten weitgehenden Übereinstimmung hätten die beteiligten Mächte die feste Zuversicht, auch diese beiden Punkte in für die nächste Zukunft beabsichtigten weiteren diplomatischen Verhandlungen zu regeln. Unter diesen Umständen seien die beteiligten Mächte zu folgender Abmachung gekommen:

1) Zum Zwecke der Fortführung diplomatischer Diskussionen über Festungen und Kriegsgerät würden allseitig neue Vorschläge erwartet, die geeignet erscheinen, den Fortgang dieser Diskussion zu erleichtern.

2) Während der Zeit dieser Verhandlungen sollten die Bauten in Königsberg storniert werden. In dieser Maßnahme solle aber eine Aufgabe der beiderseitigen Rechtsauffassungen nicht erblickt werden.

3) Die Militärkontrollkommission verläßt am 31. Januar 1927 Deutschland. Die Zurückziehung der Kommission erfolgt bedingungslos.

4) Art. 2132 tritt mit dem Abzug der Militärkontrollkommission in Kraft nach Maßgabe des gestrigen Beschlusses des Völkerbundrates3. (Zu diesem Punkt betonte Herr Minister Stresemann erneut, daß dieser gestrige Beschluß ganz einwandfrei im Sinne unserer Investigationsnote4 gehalten sei.)

5) Sollten bis zu dem genannten Zeitpunkt die beiden noch ungelösten Fragen noch nicht gelöst sein, so sollten die beiden Fragen vor den Völkerbundsrat gebracht werden, aber in dem Sinne, daß sie nunmehr Gegenstand keiner Investigation werden sollten, vielmehr werde der Völkerbundsrat in eigener Zuständigkeit handeln und sich ein Gutachten des Haager Schiedsgerichts geben lassen.

6) Um die oben erwähnten diplomatischen Verhandlungen zu erleichtern, werden die der Botschafterkonferenz in Paris angegliederten Mächte sich je[439] einen technischen Mitarbeiter ihren Botschaften angliedern. Diese Mitarbeiter sollen aber keinerlei Rechte haben, sondern sollen nur der Erleichterung und Beschleunigung der Verhandlungen dienen5.

Herr Minister Stresemann erbat Mitteilung über die Auffassung des Herrn Reichskanzlers binnen einer halben Stunde, und er bat mich dringend, alles daranzusetzen, daß aus Berlin keine Bedenken kämen. In voller Übereinstimmung mit seinen Mitarbeitern halte er die jetzt gefundene Lösung im deutschen Interesse für sehr gut. Er habe das starke Empfinden, daß Briand mit seiner Zustimmung weit über seine Befugnisse hinausgegangen sei. Wenn man ihn jetzt nicht festlege, drohe erneut ernste Gefahr aus Paris.

gez. Dr. Pünder

[P.S.] Nach kurzer Aussprache mit Herrn MinDir. Dr. Köpke habe ich dem Herrn Reichskanzler im Reichstag telephonisch das Ergebnis vorgetragen, worauf der Herr Reichskanzler in voller Übereinstimmung mit Herrn Köpke und mir seine Zustimmung erteilt hat. Kabinettserörterung war bei der Eilbedürftigkeit nicht mehr möglich. 6 Uhr abends habe ich Herrn Minister Stresemann im Anschluß hieran die Zustimmung des Herrn Reichskanzlers mitgeteilt.

Fußnoten

1

Auch abgedr. in: ADAP, Serie B, Bd. I,2, Dok. Nr. 261. Die Aufzeichnung wurde dem RK, RWeM Geßler, RWiM Curtius, StS Meissner, StS Weismann und MinDir. Köpke vorgelegt.

2

Art. 213 des VV.

3

Siehe Dok. Nr. 149, Anm. 6.

4

Siehe Dok. Nr. 149, Anm. 5.

5

Der endgültige Text der Vereinbarung vom 12.12.26 über die Regelung der restlichen Entwaffnungsfragen und über die Zurückziehung der IMKK lautet: „Im Verlauf einer Besprechung, die am 12. Dezember 1926 in Genf zwischen den Vertretern der Deutschen, Belgischen, Französischen, Großbritannischen, Italienischen und Japanischen Regierung über die vor der Interalliierten Militärkontrollkommission und der Botschafterkonferenz noch in der Schwebe befindlichen Fragen stattgefunden hat, ist zunächst mit Genugtuung festgestellt worden, daß über den größten Teil der mehr als 100 Fragen, die zwischen den genannten Regierungen im Juni 1925 hinsichtlich der Ausführung der militärischen Bestimmungen des Vertrages von Versailles streitig waren, eine Verständigung erzielt worden ist. Nur die Verständigung über zwei Fragen steht noch aus. Alles berechtigt daher zu der Hoffnung, daß diese beiden Fragen geregelt werden können. Unter diesen Umständen ist folgendes vereinbart worden:

1. Die diplomatische Erörterung über die Frage der Festungen und die Frage des Kriegsmaterials wird von der Botschafterkonferenz fortgesetzt werden. Es werden neue Vorschläge gemacht werden, um die Erörterung zu fördern und ihren Abschluß zu erleichtern.

2. In der Zwischenzeit bis zur Erzielung einer Lösung werden alle in Rede stehenden Arbeiten an den Festungen eingestellt, unbeschadet des Rechts der Parteien, ihren Rechtsstandpunkt aufrechtzuerhalten.

3. Die Interalliierte Militärkontrollkommission wird am 31. Januar 1927 aus Deutschland zurückgezogen. Von diesem Tage an findet Art. 213 des Friedensvertrages Anwendung nach Maßgabe der von dem Völkerbundsrat gefaßten Beschlüsse.

4. Wenn an diesem Tage die bezeichneten Fragen wider Erwarten noch keine gütliche Lösung gefunden haben sollten, werden sie vor den Völkerbundsrat gebracht werden.

5. Für alle Fragen, die mit der Ausführung der erzielten oder noch zu erzielenden Lösungen zusammenhängen, kann jede der in der Botschafterkonferenz vertretenen Regierungen ihrer Botschaft in Berlin einen technischen Sachverständigen attachieren, der geeignet ist, mit den zuständigen deutschen Behörden ins Benehmen zu treten.“ (WTB-Meldung Nr. 2115 vom 12. 12., R 43 I /421 , Bl. 177; Schultheß 1926, S. 497 f.).

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