2.59 (ma31p): Nr. 59 Der Treuhänder für die Eisenbahnobligationen Delacroix an den Reichskanzler. Paris, 17. Juli 1926

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[130] Nr. 59
Der Treuhänder für die Eisenbahnobligationen Delacroix an den Reichskanzler. Paris, 17. Juli 1926

R 43 I /1054 , Bl. 148–151 Übersetzung1

[Zusammenarbeit zwischen Reichsregierung und Reichsbahn-Gesellschaft.]

Herr Reichskanzler!

Ich bin auf den Brief Euerer Exzellenz an den Präsidenten des Verwaltungsrats der Deutschen Reichsbahn vom 5. Juli 19262 aufmerksam gemacht worden, in dem der Reichskanzler gewisse Bedingungen aufstellt, die die Reichsregierung durch den Verwaltungsrat angenommen zu sehen wünscht, bevor das Reich die endgültige Bestätigung des Herrn Dorpmüller als Generaldirektor der Gesellschaft vornimmt. Ich habe auch den Verwaltungsratsbeschluß3 gekannt. Das Reich wünscht, daß der Verwaltungsrat anerkenne, daß die Ernennung eines Vize-Generaldirektors durch den Reichspräsidenten bestätigt werde4. Zur Zeit ist eine solche Bestätigung durch die Bestimmungen des Eisenbahngesetzes oder die Statuten der Gesellschaft5 nicht ausdrücklich gefordert, aber es ist bestimmt, daß die Ernennung des Generaldirektors und der übrigen Mitglieder der Direktion durch den Reichspräsidenten bestätigt werden muß6. Mit Rücksicht auf die Existenz dieser Bestimmung scheint der jetzige Vorschlag des Reichs bis zu einem gewissen Punkte überflüssig, aber ich würde in meiner Eigenschaft als Treuhänder keine Einwendung erheben.

Die Reichsregierung verlangt weiter von dem Verwaltungsrat, zuzustimmen, daß in Zukunft, bevor zur Ernennung eines Generaldirektors oder eines Direktionsmitgliedes geschritten werde, der Verwaltungsrat mit dem Reichsverkehrsminister zunächst verhandle, um die Absichten der Regierung bezügl. der Eigenschaften der Personen kennen zu lernen, die ernannt werden könnten. Mir scheint, daß Unterhaltungen offiziellen Charakters zwischen dem Reichsverkehrsminister und den Verwaltungsratsmitgliedern zu dem Zwecke, im voraus zu prüfen, ob die Kandidaten die gewünschten Bedingungen erfüllen, geeignet sind, zwischen Reich und Reichsbahn dasjenige gute Zusammenarbeiten aufrecht zu erhalten, das durch den Plan der Sachverständigen7 ins Auge gefaßt worden ist. Es ist[131] selbstverständlich, daß der Verwaltungsrat, indem er seine Zustimmung zu diesen Vorverhandlungen gibt, in keiner Weise auf das Recht und die gesetzlichen Aufgaben verzichtet, die ihm die Statuten der Gesellschaft bezüglich der Ernennung des Generaldirektors und auf dessen Empfehlung der anderen Mitglieder der Direktion übertragen. Der Verwaltungsrat hat das ausschließliche Recht der Benennung und das Reich das ausschließliche Recht der Bestätigung8.

Endlich verlangt die Reichsregierung vom Verwaltungsrat, daß der Reichsverkehrsminister und seine Vertreter den Sitzungen des Verwaltungsrats beiwohnen können ohne Stimmrecht. In dem Gesetz betr. die Eisenbahn und in den Statuten der Gesellschaft ist die einzige Bestimmung, die auf die Anwesenheit irgend einer Person neben den ständigen Mitgliedern des Verwaltungsrats Bezug nimmt, die, welche den Eisenbahnkommissar berechtigt, an den Sitzungen ohne Stimmrecht teilzunehmen9. Es ist nicht ins Auge gefaßt worden, andere Personen zu den Sitzungen zuzulassen. Es scheint mir jedoch, daß ausnahmsweise auf besondere Einladung des Verwaltungsrats in besonderen Fällen der Verwaltungsrat die interessierten Parteien über die Fragen, die sie angehen, direkt hört10.

Die Beteiligung des Reichs an den Geschäften der Gesellschaft ist mit Sorgfalt im Gesetz geregelt, und nicht nur enthält dieses Gesetz keinerlei Bestimmung, die die ständige Anwesenheit eines Vertreters irgend einer Regierung in den Sitzungen des Verwaltungsrats vorsieht, sondern außerdem glaube ich zu wissen, daß im Verlauf der Verhandlungen des Organisations-Komitees der Deutschen Reichsbahn11 ein Vorschlag, darauf hinzuwirken, daß der Reichsverkehrsminister an den Sitzungen des Verwaltungsrats teilnehme, nach eingehender Prüfung ausdrücklich verworfen worden ist. Man war der Ansicht, daß die Interessen des Reichs ausreichend gewahrt seien durch die Tatsache, daß die Hälfte der Mitglieder12 durch die Regierung ernannt wird, und es ist von Wichtigkeit zu betonen, daß der klare Wunsch, jeden politischen Einfluß vom Verwaltungsrat fernzuhalten, durch die Bestimmung besonders dahin präzisiert worden ist, daß die Mitglieder des Verwaltungsrats weder aus Mitgliedern der Reichsregierung noch irgend eines deutschen Staates gewählt werden können, noch aus Mitgliedern des Reichstags oder aus dem Parlament irgend eines deutschen Staates13. Unter diesen Bedingungen ist es unmöglich, ohne Verletzung des Reichsbahngesetzes und der Statuten der Gesellschaft zuzustimmen, daß der Reichsverkehrsminister oder seine Vertreter regelmäßig den Sitzungen des Verwaltungsrats beiwohnen. Immerhin, und dies gilt gleichermaßen für andere Personen oder Beamte, die speziell eine bestimmte Frage interessiert, besteht kein Grund, dem Reichsverkehrsminister oder seinen Vertretern die Gelegenheit zu verweigern, sich durch den Verwaltungsrat anhören zu lassen bei Prüfung von[132] Fragen, die direkt die Interessen und Wünsche des Reichs betreffen, so wie sie in dem Gesetz betr. Eisenbahn und in den Statuten der Gesellschaft definiert sind. Diese Anhörungen, bei denen der Reichsverkehrsminister Gelegenheit haben wird, vollkommen den Standpunkt der Reichsregierung auseinanderzusetzen, könnten die Aufrechterhaltung und die Entwicklung des guten Verhältnisses zwischen Reichsbahn und Reich fördern. Sie geben ferner dem Reiche eine ausreichende Genugtuung bezüglich seines vorliegenden Wunsches unter gleichzeitiger Respektierung der Gesetzgebung und der bestehenden internationalen Abmachungen. Damit der Verwaltungsrat für seine Entscheidungen sich die durch Gesetz festgelegte Freiheit und Beweglichkeit bewahrt, dürfte er seine Zustimmung zur Einladung des Ministers oder seiner Vertreter, <um sich auf ihren Wunsch anhören zu lassen,>14 nur erteilen unter der Bedingung, daß nach erfolgter Anhörung der Verwaltungsrat Beratungen hält und Entscheidungen fällt ohne Anwesenheit der Regierungsvertreter.

Es versteht sich von selbst, daß die gewöhnlichen Geschäfte der Gesellschaft vom Verwaltungsrat beraten und entschieden werden in Abwesenheit jeglicher Personen, die nicht gesetzmäßig zuzulassen sind15.

Genehmigen Sie, Herr Reichskanzler, die Versicherung meiner vorzüglichen Hochachtung

gez. Léon Delacroix

Fußnoten

1

Die hier abgedruckte Übersetzung wurde in der Rkei angefertigt. Das in frz. Sprache abgefaßte Originalschreiben befindet sich in R 43 I /1054 , Bl. 144–147.

2

Gemeint ist das Schreiben des StS Kempner an v. Siemens vom 5.7.26 (Dok. Nr. 52, Anm. 2).

3

Gemeint ist offenbar die Stellungnahme des Verwaltungsrats der RB-Gesellschaft, die v. Siemens in seinem Schreiben an den RK vom 19. 7. mitteilte (Dok. Nr. 60).

4

Für „bestätigt werde“ genauere Übersetzung: „bestätigt werden muß“ („doit être confirmée“ im frz. Originalschreiben).

5

RB-Gesetz und Satzung der RB-Gesellschaft (RB-Satzung) vom 30.8.24 (RGBl. II, S. 272 , 281).

6

§ 19 Abs. 4 der RB-Satzung.

7

Dawes-Plan.

8

Vgl. § 19 Abs. 3 und 4 der RB-Satzung.

9

§ 22 Abs. 1 der RB-Satzung.

10

Für „hört“ genauere Übersetzung: „anhören könnte“ („pourrait entendre“ im frz. Originalschreiben).

11

Verhandlungen des Organisationskomitees für die RB-Gesellschaft im Sommer 1924.

12

D. h. der Mitglieder des Verwaltungsrats.

13

§ 12 Abs. 1 der RB-Satzung.

14

<…> mißverständlich übersetzt; es muß sinngemäß heißen: „wenn diese eine Anhörung wünschen,“.

15

Dieses Schreiben Delacroix’, das erst am 21. 7. in der Rkei eintraf, wurde zusammen mit dem Schreiben v. Siemens’ (Dok. Nr. 60) von StS Pünder am 21. 7. in Abschrift an die von Berlin abwesenden Minister Stresemann, Reinhold und Krohne mit der Bitte um Stellungnahme übersandt (R 43 I /1054 , Bl. 156–157). In den Akten der Rkei findet sich nur die Stellungnahme Krohnes (Dok. Nr. 65).

Am 23. 7. vermerkte Pünder, daß ihn StS Bergmann vom Verwaltungsrat der RB-Gesellschaft wegen des Schreibens von Delacroix aufgesucht habe. „Der Zweck seines [Bergmanns] Besuches war der, die Reichsregierung zu bitten, durch diesen Brief Delacroix’ die Wünsche der Reichsregierung in dieser Angelegenheit als erfüllt ansehen zu wollen. Er sei über die Auffassung gerade der ausländischen Mitglieder des Verwaltungsrats sowie auch der sonst mit den Reparationsfragen auf der Gegenseite beteiligten Stellen aufs genaueste orientiert und könne infolgedessen erklären, daß mehr als dieser Brief Delacroix’ unter gar keinen Umständen zu erreichen sei. Nach seiner genauesten Kenntnis des Ganges der Reparationspolitik in den letzten Jahren müsse er sogar erklären, daß die doch in absehbarer Zeit zu erwartende Revision des Dawesplans aufs ernsteste gefährdet sein würde, wenn die Reichsregierung in der Frage der Beteiligung des Reichsverkehrsministeriums an den Verwaltungsratssitzungen der Reichsbahn noch mehr verlangen würde, als ihr jetzt zugestanden sei.“ (R 43 I /1054 , Bl. 160–161).

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