2.47.1 (sch1p): 1. [Richtlinien für die deutschen Friedensunterhändler]

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[180]1. [Richtlinien für die deutschen Friedensunterhändler]

Reichsminister Graf Rantzau verteilte die anliegenden „Richtlinien für die deutschen Friedensverhandlungen“1. Die Richtlinien wurden abschnittsweise vorgelesen und zur Erörterung gestellt. Es wurden nur vereinzelte Einwände erhoben, die zu den mit Blei eingetragenen Änderungen führten.

Unter II 2 (Saargebiet) wurde der Hinweis auf die Unannehmbarkeit einer sofortigen Abstimmung2 gestrichen, weil eine sofortige Abstimmung bisher von keiner Seite erörtert worden ist, anderseits äußerstenfalls eine solche Abstimmung zugestanden werden könnte.

Zu II 3 (Rheinland usw.) protestierte Kriegsminister Reinhardt gegen eine Abtretung von Malmedy und Montjoie3 . Es wurde erwidert, daß sie nur unter der tatsächlich nicht vorliegenden Voraussetzung eines Verlangens der Bevölkerung äußerstenfalls zur Erwägung gestellt werden soll.

Zu II 6 (Nordschleswig) wurde beschlossen, einer Forderung auf Internationalisierung des Nord-Ostseekanals und anderer deutscher Wasserstraßen entgegenzutreten und eventuell die Internationalisierung auch für den Panama- und Suez-Kanal und andere ausländische Wasserwege zur Bedingung zu machen4.

Zu II 7 (Allgemeine Folgen usw.) soll ein Zusatz über die kirchliche Regelung gemacht werden. Für die evangelische Kirche soll die freie Selbstbestimmung gelten, so daß die abgetretene evangelische Bevölkerung nicht gezwungen[181] ist, sich dem Oberkonsistorium in Warschau zu unterstellen. Für die katholische Kirche soll die neue Landesgrenze sich mit der Grenze der kirchlichen Diözesen decken, damit gegebenenfalls der Erzbischof von Posen-Gnesen nicht Machtbefugnisse über die Bevölkerung diesseits der künftigen Grenze behält5.

Zu II 8 [Besetzte deutsche Gebiete] bestand Einverständnis darüber, daß für den Fall der Räumung genaue Abmachungen über die Bildung von Polizeitruppen notwendig seien6.

Zu III [Schutz der nationalen Minderheiten] wurde beschlossen, einen Satz voranzustellen, daß Zusicherungen für nationale Minderheiten im allgemeinen zu fordern seien und erst daran im einzelnen die Forderung für die deutschen Minderheiten in den abgetretenen Gebieten zu knüpfen.

Der Schlußsatz für Elsaß-Lothringen soll gestrichen werden7.

Zu V B [Wirtschaftspolitische Bestimmungen] wurde der in der Sache allgemein gebilligte Absatz d aus taktischen Gründen gestrichen8.

Zu VIII [Kolonien] Eine Verpfändung der Kolonien (c) soll nicht in dem Sinne einer Übertragung von Besitz und Nutzung, sondern nur im hypothekarischen Sinne zugestanden werden. Auch die Einkünfte der Kolonien sollen erst dann in die Verwaltung der Gegenr übergehen, wenn Deutschland in Verzug kommt9.

Reichsminister Erzberger empfahl auszudrücken, daß der Abschnitt auf Kolonien mit Selbstverwaltung keine Anwendung finde10.

Zu IX (Abrüstung) wurde durch eine Änderung ausgedrückt, daß die Rüstungen nicht nur für die innere Sicherheit, sondern auch für die äußere Sicherheit nach näherer Maßgabe der auf Grund des Völkerbundes noch verbleibenden Gefahren genügen müssen11.

Die von deutscher Seite vorzuschlagenden Punkte 1 bis 4 sollen von den nächstbeteiligten Minister nochmals durchgearbeitet werden12.

[182] Zu X (Völkerbund) soll auf Anregung des Professors Schücking ausgedrückt werden, daß im Falle der Bevorzugung der Großmächte bei der Exekutive Deutschland Gleichstellung mit den anderen Großmächten fordern müsse; dagegen soll eine Gleichstellung auch der kleinen Völker in diesem Falle nicht unbedingt verlangt werden13.

Das Kabinett sprach den Wunsch aus, daß im Auswärtigen Amte ein deutscher Völkerbundsentwurf schleunigst fertiggestellt werde, der eventuell als Gegenentwurf veröffentlicht werden könne. Dies werde unter Umständen wirksamer sein als die Veröffentlichung bloßer Abänderungsanträge.

Ministerialdirektor Simons machte Mitteilung über den Stand der Vorarbeiten14.

Fußnoten

1

Die Vorlage ging hervor aus den schriftlich niedergelegten Ausführungen des RAM während der Kabinettssitzungen am 21. und 22.3.1919, s. Dok. Nr. 19, Dok. Nr. 20. Der erste Teil dieser Ausführungen in: PA, Wk 30, Bd. 32, als Anlage zu dem dort befindlichen Protokoll der Kabinettssitzung vom 21.3.1919. Die in den beiden genannten Kabinettssitzungen beschlossenen Änderungswünsche sind in den vorliegenden Richtlinien bereits berücksichtigt. Die endgültige Fassung der Richtlinien wurde auf der Kabinettssitzung am 21.4.1919 beschlossen, s. Dok. Nr. 48, P. 5; der Text s. Dok. Nr. 49. Über die im Protokoll erwähnten Fälle hinaus wurden noch einige weitere Passagen des vorliegenden Entwurfs gestrichen und abgeändert:

In II 1 (Elsaß-Lothringen) wurde der Satz gestrichen: „Danach muß mit endgültiger Loslösung des Landes von Deutschland gerechnet werden.“

In II 8 (Besetzte deutsche Gebiete) wurde nach der Forderung nach sofortiger Räumung durch die Ententestreitkräfte der Satz gestrichen: „Sollte diese Forderung nicht durchzusetzen sein, so ist zum mindesten zu fordern, daß wenigstens die Brückenköpfe sofort geräumt werden und daß im übrigen die Räumung nach Maßgabe der Erfüllung der in nächster Zukunft zu bewirkenden wichtigsten Verpflichtungen Deutschlands erfolgt.“

In IV (Entschädigungsfragen) findet sich ursprünglich der Satz: „Etwaige Entschädigungen für Serbien und Montenegro sind auf Österreich-Ungarn und Bulgarien abzuschieben.“ Darüber ist eine Verbesserung angebracht, nach der die Belastung den Sukzessionsstaaten Österreich-Ungarns zuzufallen habe, sowie eine Randbemerkung von der Hand Brechts: „Zusatz wegen der anteilmäßigen Auslieferung von Kriegs- und Eisenbahnmaterial.“ Ein solcher Zusatz fehlt in der endgültigen Fassung der Richtlinien.

Alle weiteren Anmerkungen und Verbesserungen, die nicht im Protokoll erwähnt sind, sind lediglich stilistischer Natur oder dienen der Präzisierung, ohne Änderungen in der Substanz zu bedeuten.

2

Der Satz lautete ursprünglich: „Eine Loslösung dieses Gebiets von Dtl. sowie seine Stellung unter ein besonderes internationales Regime, desgleichen das Zugeständnis einer sofortigen oder späteren Abstimmung sind unannehmbar.“

3

Die Passage wurde unverändert in die endgültige Fassung, s. Anm. 1, übernommen.

4

In der endgültigen Fassung nicht enthalten.

5

Siehe die endgültige Fassung, II 7 d.

6

In der endgültigen Fassung nicht enthalten.

7

Es wurde auch der erste Absatz gestrichen: „Im allgemeinen ist es nicht empfehlenswert, für die dt. Minderheiten im Ausland offiziell mit zu großem Nachdruck einzutreten. Die Auslandsdeutschen werden mehr Erfolg haben, wenn sie sich organisieren und selbst für sich sprechen. Dabei werden ihnen die amtlichen dt. Vertreter mit Rat und Tat zur Seite stehen.“ Der laut Protokoll gestrichene Schlußsatz lautete: „Entsprechende [d. h. auf weitgehende Autonomie zielende] Forderungen von dt. Seite ausdrücklich auch für Elsaß-Lothringen im Falle seiner Abtretung zu stellen, ist nach Ansicht der landeskundigen Sachverständigen nicht zweckmäßig.“

8

„Betonung des allgemeinen Interesses an der möglichen Beschleunigung des wirtschaftlichen Wiederaufbaus Rußlands und gleichzeitige Anerkennung der besonderen außerordentlichen Bedeutung der ost- und südeuropäischen Märkte für den Wiederaufbau Deutschlands.“

9

Siehe die endgültige Fassung, VIII 1 c.

10

Der Vorschlag Erzbergers wurde in die endgültige Fassung nicht übernommen.

11

Die Änderung wurde durch Streichung des Worts „innere“ vor „Sicherheit“ erreicht, s. die endgültige Fassung, IX, Satz 2.

12

Die Punkte lauteten in der hier vorliegenden Fassung: [Vorzuschlagen sei]: „1. Weitestgehende Abrüstung zu Lande. Dtl. muß aber die Befugnis zur Beibehaltung des Wehrpflichtsystems haben, da es ein Söldnerheer nicht bezahlen kann. 2. Verstaatlichung der Munitionsfabriken. 3. Schaffung einer internationalen Seepolizei; internationales Verbot, daß, abgesehen von dieser Polizei, bewaffnete Schiffe das Meer befahren (Ein Verzicht auf die Verwendung der U-Boot-Waffe, die stärkste Waffe der schwächeren Staaten, ist möglichst zu vermeiden). 4. Freiheit der Meere. Garantie durch Internationalisierung der Meerengen und des Suez- und Panamakanals. Abschaffung des Konterbanderechts der Blockade und des Seebeuterechts. Im allgemeinen wird deutscherseits das Hauptaugenmerk auf die Durchführung des Grundsatzes der Freiheit der Meere für Friedenszeiten zu richten sein.“ Vgl. die endgültige Fassung, IX 1–5.

13

Unter den Abänderungswünschen der RReg. zum all. Vertragsentwurf für einen Völkerbund (s. Materialien betr. die Friedensverhandlungen, hrsg. v. AA, 2. Beiheft, Charlottenburg 1919, S. 21 ff. ) steht in der hier vorliegenden Fassung unter Nr. 1: „Der Entwurf sieht eine überragende Herrscherstellung der fünf feindlichen Großmächte vor.“ Vgl. die endgültige Fassung der Richtlinien, X.

14

Siehe Dok. Nr. 50, P. 2; Dok. Nr. 51, P. 1.

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