2.220 (bau1p): Nr. 218 Aufzeichnung über die Verhandlungen des Reichsrats und der Unterstaatssekretäre im Reich und in Preußen in den Tagen vom 15. bis 20. März 1920. 3. April 1920

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[771] Nr. 218*
Aufzeichnung über die Verhandlungen des Reichsrats und der Unterstaatssekretäre im Reich und in Preußen in den Tagen vom 15. bis 20. März 1920. 3. April 19201

R 43 I /2721 , Bl. 20–32 Durchschrift

I. 15. März 1920

Die Herren versammelten sich vormittags 10 Uhr im Reichsratssaal des Reichstagsgebäudes. Die einzelnen Mitglieder des Reichsrats machten Mitteilungen über die ihnen bekannt gewordene Lage in ihren Ländern.

Der sächsische Gesandte teilte mit, daß Reichsminister Koch vor seiner Abreise2 alle Länder telegraphisch ersucht habe, ihre sämtlichen Reichsratsbevollmächtigten nach Stuttgart zu berufen, und wenn sie hier bleiben, ihnen die Vollmacht zu entziehen. Er habe infolgedessen Weisung erhalten, nach Stuttgart zu fahren, könne aber diese Weisung infolge des Eisenbahnstreiks nicht befolgen.

Der badische Gesandte teilte mit, daß das badische Staatsministerium gestern beschlossen habe, die Vollmacht der Berliner Reichsratsbevollmächtigten zu kassieren und sie nach Stuttgart zu versetzen.

Unterstaatssekretär Lewald teilte mit, daß die anwesenden Unterstaatssekretäre des Reichs am 14. März folgende Entschließung gefaßt und ihren Beamten bekanntgegeben haben:

„Die heute zu gemeinsamer Beratung versammelten Unterstaatssekretäre der Reichsministerien sind einstimmig entschlossen, ihre Ämter ausschließlich im Auftrag des verfassungsmäßig gebildeten Reichsministeriums und die laufenden Geschäfte nur im Rahmen des verfassungsmäßig beschlossenen Haushaltsplans zu führen. Sie können nach ihren verfassungsmäßig[772] übernommenen Verpflichtungen Weisungen von niemand anderem als von den Mitgliedern des Reichsministeriums Bauer entgegennehmen. Hiervon werden sie die Beamtenschaft in Kenntnis setzen.“3

Er fügte bei, Direktor Jungheim habe ihm mitgeteilt, daß die Nationalversammlung auf 17. März nachmittags 4 Uhr nach Stuttgart zusammenberufen sei; er sehe aber angesichts des Eisenbahnstreiks keine Möglichkeit nach Stuttgart zu kommen.

Unterstaatssekretär Schroeder vom Reichsfinanzministerium bat, das Besoldungsgesetz4, den 3. Nachtragsetat5 und den Notetat6 sofort in den Reichsratsausschüssen sprachlich zu beraten. In der hierüber einsetzenden Diskussion bemerkte der inzwischen erschienene Reichsminister Schiffer, daß den Reichsratsbevollmächtigten – abgesehen von Baden – ihre Vollmacht nicht entzogen worden sei; die Ausschüsse können also verhandeln und beschließen; insbesondere der Notetat müsse mit größter Beschleunigung im Reichsrat erledigt werden. In Preußen habe sich nichts geändert7; Regierung und Behörden funktionieren. Er werde selbstverständlich seine Geschäfte weiterführen, auch als Stellvertreter des Reichskanzlers.

Die anwesenden preußischen Unterstaatssekretäre einigen sich auf folgende Entschließung:

„Die Mitglieder der preußischen Regierung sind in ihr Amt berufen durch den Willen der Volksvertretung auf Grund der vorläufigen Verfassung. Nur durch Beschluß der Landesversammlung können sie von ihrer Pflicht entbunden werden. Solange ein solcher Beschluß nicht vorliegt, sind sie die gesetzliche Regierung Preußens, auch wenn sie durch militärische Gewaltakte an der Ausübung ihres Amtes verhindert werden.“8

Schließlich einigte man sich, am 16. März vormittags 10 Uhr erneut zu einer Besprechung zusammenzukommen und am 17. März in die Ausschußberatung des Notetats einzutreten in der Hoffnung, daß wenigstens einige Exemplare desselben inzwischen gedruckt werden können9.

[773] II. 16. März 1920 vorm[ittags] 10 Uhr

Gesandter Hildenbrand hat telefonisch mit Stuttgart gesprochen: Der GehRat Brecht hat ihm gesagt, daß die verfassungsmäßige Regierung mit den Kapp-Leuten nicht verhandle und daß auch keine andere Person zu Verhandlungen ermächtigt sei. Reichsminister Koch habe ihm gesagt, daß Maercker keinen Auftrag zum Verhandeln habe10; wenn der Verdacht aufkomme, daß die alte Regierung verhandelt, so sei das der Anfang des Bolschewismus. Die Nationalversammlung werde in Stuttgart tagen; 100 Abgeordnete seien bereits da; man werde es zwingen, daß die Abgeordneten mit der Eisenbahn nach Stuttgart kommen können.

Minister Schiffer berichtete über die tatsächliche Lage: Der ganze Osten sei in den Händen der neuen Regierung; dagegen halte der Süden, außer Bayern, zur alten Regierung; in Bayern bestehen Sonderbestrebungen. Die Regierung in Stuttgart glaube, daß die Regierung Kapp in den nächsten Tagen zusammenbrechen wird11. Wenn die Truppen meutern, dann werde allerdings Kapp erledigt sein, 14 Tage später aber auch die alte Regierung und dann komme der Bolschewismus. Wenn der Generalstreik Kapp bezwingt, so bringt er zugleich Hungersnot und damit ebenfalls den Bolschewismus. Kapp habe bereits erklärt, daß an seiner Person das Werk nicht scheitern soll. Um Neuwahlen kommen wir nicht herum. Die Umbildung des Kabinetts ist im Gange. Materiell sind wir uns also ganz nahe und es handelt sich nur darum, die formale Brücke zu finden; diese müsse aber gefunden werden, denn die Verantwortung gegenüber dem Land sei eine ungeheure12.

[774] Unterstaatssekretär Göhre schilderte die Stimmung seiner Berliner Parteigenossen (Mehrheitssozialdemokraten): Diese sind entschlossen, mit Kapp in keinerlei Verbindung zu treten (außer wenn die Kappleute sich bedingungslos ergeben). Von Amnestie darf keine Rede sein. Ein Abbruch des Generalstreiks darf erst erfolgen, wenn die Kapp-Rebellen die Waffen bedingungslos gestreckt haben. Seine Freunde wissen, daß es auf Leben und Tod geht, sind aber entschlossen, auf ihrem Standpunkt zu beharren, auch wenn es Hunderte oder Tausende von Menschenleben kostet.

Unterstaatssekretär Walther (Reichsschatzmin.) teilte mit, daß die Magazinarbeiter in der Reichsverpflegungsämtern streiken. In Brandenburg versucht der Mob bereits, sich der Magazine zu bemächtigen. Seine Beamten haben sich einstimmig hinter die Regierung Bauer gestellt und erklärt, daß sie einer Aufforderung des Beamtenbunds zum Beamtenstreik13 nicht Folge leisten würden. Die Ruhe werde nicht mehr lange anhalten, schwere Straßenkämpfe stehen bevor.

Der bayerische Gesandte ist der Meinung, daß die neue Regierung, die sich auf zu allem entschlossene Truppen stützt, nicht gewillt ist, ohne Konzessionen abzutreten, und schließt sich Minister Schiffer an.

Unterstaatssekretär Stieler macht Mitteilungen über die Lage bei den Bergarbeitern und Eisenbahnern.

Unterstaatssekretär Schulz: Der Beschluß der S.P.D. entspreche ganz seinen Erwartungen. Mittelbare oder unmittelbare Verhandlungen mit Kapp dürfen nicht geführt werden. Verhandlungen mit Kapp würden keinen Erfolg, sondern das Gegenteil bringen. Eine Lösung werde nur dadurch erreicht, daß wir eine den Massen klar einleuchtende Stellung einnehmen und mit diesen Rebellen jede Verhandlung ablehnen. Der Generalstreik sei inszeniert worden,[775] damit er wirken soll. Man müsse den Kapp-Leuten erklären, daß nur eine sofortige Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Garantien und die Zurückziehung der Truppen aus Berlin angängig ist.

Ein preußischer Unterstaatssekretär teilte mit, der Abgeordnete Trimborn habe ihm gesagt, er habe den Eindruck, daß bei allen Parteien Einverständnis besteht, daß Schritte im Sinne der von Minister Schiffer angedeuteten Lösung getan werden könnten; man müsse um einen Bürgerkrieg herum und zu einer Einigung kommen, an einer Formfrage dürfe die Sache nicht scheitern14. Herr von Falkenhausen, der an der Regierung Kapp nicht aktiv beteiligt sei, sondern nur als persönlicher Freund Kapps sich in der Reichskanzlei befinde, habe ihm gesagt, die Lage sei sehr ernst und man sollte zu einer Verständigung zu kommen suchen.

Unterstaatssekretär Ramm (Landwirtschmin.): Wir haben das Recht, die Gegenseite habe aber fast die ganze Macht. Wir haben nur einen Teil der Macht, die Beamten, diese aber fest in Händen. Zunächst sollten wir mit dem Militär und dann auch mit den Eisenbahn- und Postbeamten verhandeln; das seien die drei Machtfaktoren. Totstreiken könne man die neue Regierung nicht, denn das würde sofort zum Bolschewismus führen. Nur wenn wir zu dem Recht noch die Macht bekommen, schaffen wir es.

Minister Südekum: Die Lage ist namentlich deshalb sehr erschwert, weil keine Aufklärung der Öffentlichkeit möglich ist. Die Militärs, die an politischer Dummheit das Menschenmögliche leisten, erregen in der Arbeiterschaft maßlose Erbitterung. Die Arbeiterschaft würde es einfach nicht verstehen, wenn mit politischen Verbrechern verhandelt wird. Er sei fest überzeugt, daß mit der Waffe des Generalstreiks die Bewegung in kurzer Zeit niedergezwungen werden kann. Deshalb seien offizielle Verhandlungen völlig ausgeschlossen, denn der Verlust, den die Mehrheitssozialdemokratie dadurch erleiden würde, wäre nie wieder gutzumachen. Verhandlungen der Regierung mit Kapp auf dem Fuß der Gleichberechtigung seien also gänzlich ausgeschlossen, ebenso Verhandlungen der Mehrheitsparteien mit Kapp, da solche sofort ein Abspringen der Mehrheitssozialisten zur Folge hätten. Etwas ganz anderes sei es aber, wenn aus diesem Kreise heraus (Reichsratsmitglieder, Unterstaatssekretäre) geeignete Männer zu den Generälen gehen und mit den Leuten informatorisch sprechen. Wenn heute die Spartakisten über Berlin herfallen, so haben sie sofort die Baltikumtruppen (die fast durchweg Bolschewisten sind) auf ihrer Seite.

Minister Schiffer weiß von absolut zuverlässiger Seite, daß die Unabhängigen die Baltikumtruppen mit großen Geldmitteln bearbeiten.

[776] Unterstaatssekretär Lewald befürwortet, eine kleine Kommission zu wählen und durch sie den Militärs die Lage darlegen zu lassen. Die Truppen als solche müssen zu ihrer Pflicht zurückgeführt werden.

Minister Südekum betont, daß Mitglieder der Mehrheitssozialdemokratie sich, wenn sie sich nicht kompromittieren wollen, an Verhandlungen nicht beteiligen können; aber eine Kommission aus diesem Kreise zur Information sei s[eines] E[rachtens] nicht zu beanstanden.

Minister Schiffer macht von einem Schritt des Generals Groener Mitteilung, der an Hindenburg telegraphiert hat, daß die Regierung Kapp unmöglich ist15.

Unterstaatssekretär Joël (Reichsjustizmin.) bezeichnete diesen Schritt als die Brücke zu weiterem Vorgehen und beantragt nun, eine Kommission aufzustellen aus den Unterstaatssekretären Lewald, Schroeder, Peters, Walther, Ramm und dem Gesandten v. Preger, die den Generalen (etwa Heye, Kress und von Seeckt) die Lage darlegen soll.

Unterstaatssekretär Schulz hält den General Groener nicht für eine tragfähige Brücke; dessen Schritt sei höchst gefährlich und bedeute ein neues militärisches Eingreifen. Man müsse jede Fühlungnahme mit den Militärs vermeiden. Die Arbeiter wollen nicht das Chaos. Das Militär in Berlin dürfe man nicht überschätzen. Er wolle auch dem Spuk möglichst rasch ein Ende machen, aber durch eine Politik des Biegens oder Brechens.

Unterstaatssekretär Schüler (Ausw. Amt) bat, jetzt keinen doktrinären Streit zu beginnen, sondern praktisch zu handeln.

Minister Stegerwald: Die Generalstreiklust besteht nicht auf der ganzen Linie. Die Leute haben vielfach keine Lust mehr und warten nur auf die Parole zum Abbruch des Streiks. Der verfassungsmäßige Zustand könne ganz rasch wieder hergestellt werden: es drehe sich alles um das Wort „Amnestie“.

Minister Schiffer hat auch gehört, daß die Streiklust nicht sehr groß ist, aber taktisch müsse man hiermit operieren.

[777] Unterstaatssekretär Teuke teilte mit, daß Kapp den Oberpostdirektor von Berlin Sönksen zum Reichspostminister ernannt habe. Er werde aber diese Ernennung nicht anerkennen und nur der Gewalt weichen.

Gesandter Hildenbrand warnt, die Deputation in Form einer Wahl aufzustellen, da das nach außen sofort ausgeschlachtet würde. Das hindere aber nicht, daß einige Herren aus diesem Kreise etwa zu Ludendorff gehen und ihm den Ernst der Situation vor Augen führen. Ludendorff habe seine Autorität eingesetzt, um den Putsch zu machen; er soll sie nun auch einsetzen, um die Truppen zurückzuziehen. Am besten wäre es, wenn der mit Ludendorff befreundete Unterstaatssekreätr Ramm mit Ludendorff sprechen würde.

Man einigte sich hierauf ohne besondere Wahl dahin, daß die von Unterstaatssekretär Joël genannten 6 Herren sofort versuchen sollen, mit den Generalen über die Lage zu sprechen.

III. 16. März abends 5 Uhr

Minister Schiffer stellte zunächst fest, daß es sich nicht um eine offizielle Reichsratssitzung, sondern nur um eine zwanglose Zusammenkunft von Reichsratsmitgliedern, Unterstaatssekretären und Ministerialdirektoren handelt, zu denen heute abend noch einige Herren vom Reichswehrministerium hinzugekommen sind.

Unterstaatssekretär Lewald berichtete hierauf folgendes: Die vorgenannten 6 Herren haben durch Vermittelung des Oberst Katzbacher den General Lüttwitz bitten lassen, nach dem Reichstag zu kommen und dort die Auffassung der 6 Herren über die Lage entgegenzunehmen. Es habe sich also nicht um Verhandlungen gehandelt, sondern lediglich um eine Informierung des Generals über die Stimmung in der deutschen Beamtenschaft. Lüttwitz sei mit Gefolge nachmittags erschienen. Er, Lewald, habe ihm auseinandergesetzt, wie wir dazu kämen, ihm diese Mitteilung zu machen. Er habe ihm die Lage dargelegt und ihn auf die ungeheure Gefahr der jetzigen Situation, wie die Mehrheitssozialisten in großen Scharen zur Linken übergehen, aufmerksam gemacht. Unterstaatssekretär Peters habe dann noch unsere Ernährungslage dargelegt. Lüttwitz habe hierauf eine historische Darstellung gegeben, wie er veranlaßt worden sei, in die Bewegung einzutreten16. Besonders habe er der alten Regierung vorgeworfen, daß sie auf eine Herabminderung des Heeres auf 200 000 Mann hinwirkt; er habe den Eindruck, daß sie nicht mehr ein Heer, sondern ein Werkzeug im Dienste des Mehrheitssozialismus wolle. Er (Lüttwitz) habe dann seinerseits ein Bild der Lage gegeben, daß sehr optimistisch gefärbt war. Der ganze Osten sei für die neue Regierung; hier sei überall Ordnung und Sicherheit gewährleistet; auch General von Watter habe sich hinter die neue Regierung gestellt; im Ruhrrevier seien sie Herren der Lage. Nicht erwünscht seien die Nachrichten aus Hamburg, auch in Neumünster[778] stehe es nicht sehr günstig; in Chemnitz und anderen Orten seien allerdings Räterepubliken ausgerufen; das seien aber alles nur zersprengte Teile. Der Gesandte v. Preger habe hierauf sehr prägnant die Absplitterungsbestrebungen geschildert, die mit dem Putsch erneut einsetzen werden; in ganz Süddeutschland seien die alten Regierungen fest am Ruder geblieben; wenn in Berlin derartige Zustände herrschen, so werde von neuem die Mainlinie kommen. Lüttwitz habe schließlich 8 Punkte mitgeteilt, deren Erfüllung verlangt werde17:

1.

Neuwahlen innerhalb 2 Monaten.

2.

Wahl des Reichspräsidenten durch das Volk innerhalb 2 Monaten.

3.

Personalunion zwischen Reichskanzler und preuß. Ministerpräsidenten.

4.

Bildung eines Fachkabinetts im Reich und Preußen.

5.

Schaffung einer 2. Kammer im Reich durch Ausbau des Betriebsrätegesetzes zu einer berufsständischen Kammer.

6.

Amnestie seit 9. November 1919.

7.

Einstellung des Generalstreiks.

8.

Die alte Regierung muß anerkennen, daß die Armee am 13. März lediglich zur Aufrechterhaltung der Verfassung und Sicherung der Ernährung eingegriffen hat.

Auf diese Mitteilung hin hätten die Herren dem General Lüttwitz rückhaltlos ihre andere Auffassung bekannt gegeben. Lüttwitz habe zugegeben, daß noch keine neue Regierung gebildet sei, und daß Kapp große Schwierigkeiten mit der Bildung einer neuen Regierung hätte; ein neuer Landwirtschaftsminister (Frhr. v. Wangenheim) sei aber bereits ernannt. Hierauf hätten sie Lüttwitz erwidert, daß es ausgeschlossen sei, einem solchen neuen Minister zu folgen: Wenn die neuen Minister sich in ihrem Ministerium zeigen würden, so würden sie zum Verlassen des Ministerialgebäudes aufgefordert werden, und wenn sie nicht folgen würden, so würden die Beamten sich weigern, weiter Dienst zu tun. Damit sei die Besprechung mit Lüttwitz zu Ende gewesen. Persönlich haben die 6 Herren dem General Lüttwitz gesagt, daß der Kapp-Putsch das größte Verbrechen sei, daß je begangen worden wäre; Kapp richte Deutschland absolut und hoffnungslos zugrunde. Lüttwitz habe aber erwidert, er sei überzeugt, daß er mit seinem Militär auch des Generalstreikes Herr werden könne. Nachdem Lüttwitz gegangen war, habe sein Stabschef v. Cleewitz noch gesagt, er stehe auf einem wesentlich anderen Standpunkt, und da sei nun als Hauptmoment die Frage hervorgetreten: Wie steht es mit der Amnestie? Wir (d. h. die 6 Herren) haben ihm gesagt, daß nach unserer Ansicht alle unter Lüttwitz Stehenden nur seinem Befehl folgten und nicht bestraft werden würden; für Lüttwitz selbst wäre es am besten, wenn er verschwinden und das Land verlassen würde; was die Forderung der Umbildung des Kabinetts anlange, so seien bereits verschiedene Ministerien erledigt18[779] und dadurch eine Neubildung schon in die Wege geleitet. Er (Lewald) glaube, daß die Besprechung auf General Lüttwitz einen starken Eindruck gemacht hat.

Unterstaatssekretär Schroeder teilte mit, daß er soeben mit Cleewitz (dem Stabschef von Lüttwitz) und Hülsen gesprochen habe; ein Ergebnis sei nicht herausgekommen, er habe aber den Eindruck, als ob beide Herren den besten Willen haben, daß schleunigst eine Einigung herbeigeführt wird. Die beiden seien sofort nach der Reichskanzlei gefahren und haben ihm versprochen, ihm telephonisch weitere Mitteilung nach dem Reichstagsgebäude zukommen zu lassen. Die Hauptfrage habe die Amnestie gebildet. Die beiden haben erklärt, daß ihnen nicht zugemutet werden könne, ihren Führer preiszugeben. Dagegen seien sie zu einer Proklamation an die Truppen nach dem Vorschlag Gothein nicht abgeneigt gewesen.

(Der Vorschlag Gothein ging etwa dahin: Es soll anerkannt werden, daß die Offiziere durch die ihnen erteilten Befehle gedeckt waren. Kapp und Lüttwitz sollen eine Proklamation dahin erlassen: Nachdem sie die Sicherheit gewonnen hätten, daß Neuwahlen in wenig[en] Wochen stattfinden und daß entsprechend der Verfassung die Wahl des Reichspräsidenten durch das Volk erfolgt, seien sie zurückgetreten und haben sie die vollziehende Gewalt der gesetzlichen Regierung zu Händen des Vizekanzlers Schiffer und das Kommando der Truppen dem General Reinhardt zurückgegeben.)

Sie meinten aber, daß General Reinhardt so wenig Vertrauen bei den Truppen genieße, daß er nicht in Frage käme.

Namens der anwesenden Herren vom Reichswehrministerium, die gefragt wurden, ob sie ihrerseits eine Mitteilung zu machen hätten, erklärte Oberst von Feldmann, daß sie nur gekommen seien, um zuzuhören und keine Erklärungen abzugeben hätten19.

Unterstaatssekretär Schulz verlas ein soeben von Fliegern abgeworfenes Flugblatt der Regierung in Stuttgart.

Dem Unterstaatssekretär Peters war aus der Unterredung mit Lüttwitz von Interesse, daß dieser sagte, er habe ursprünglich der ganzen Bewegung ferngestanden und erst eine Besprechung mit Präsident Ebert am 11. März20 habe ihn überzeugt, daß man aktiv vorgehen muß. Das zeige, daß Lüttwitz spontan[780] gehandelt hat und sich wohl die Tragweite seines Schrittes vorher nicht überlegt hat; derselbe werde sich aber wohl jetzt die Sache nochmals durch den Kopf gehen lassen. Gestern hätten Mitglieder der Deutschnationalen Partei auf Kapp sehr eindringlich eingewirkt und ihm gesagt, daß seine Tat ein Wahnsinn sei und er nicht auf die Mithilfe der Deutschnationalen Partei rechnen könne. Aus den Äußerungen von Lüttwitz sei herausgeklungen: Wir wollen zunächst abwarten, was Maercker zurückbringt. Man sollte sich sofort mit der Regierung in Stuttgart ins Benehmen setzen und bei ihr dahin wirken, daß Maercker nicht a limine abgelehnt wird21.

Unterstaatssekretär Göhre kann Peters nicht zustimmen. Lüttwitz ist der Feind der Arbeiter, mit ihm wird nicht paktiert. Jetzt müsse zunächst das Ergebnis der Beratungen in der Reichskanzlei abgewartet werden. In der Zwischenzeit könnten vielleicht die Herren, die Beziehungen zur deutschen Volkspartei oder zur deutschnationalen Partei haben, sich mit diesen verbinden und versuchen, daß sie in die gleiche Kerbe hauen und so den Druck auf die Reichskanzlei, d. h. auf die Kappleute, verstärken.

Gesandter Riezler teilte mit, daß er soeben mit der Regierung in Stuttgart telephoniert habe. Diese verhandele eben mit Maercker. Er habe sie über die hiesige Situation informiert und betont, daß die Zeit schon dränge22. Ein Beamter der Regierung habe ihm gesagt, daß alle Minister übereinstimmend auf dem Boden stehen, daß jeder Kompromiß unmöglich ist.

Unterstaatssekretär Müller teilte mit, daß bei einzelnen Bürgerräten die Ansicht bestehe, daß in nächster Zeit Versammlungen zugunsten der neuen Regierung abgehalten werden. Er habe sich deshalb zum Präsidenten des Reichsbürgerrats, v. Loebell, begeben und ihn gebeten, von einem solchen Vorhaben abzusehen. Loebell sei ihm beigetreten und habe ihm vertraulich gesagt, daß er am 14. März abends 10 Uhr bei Kapp gewesen sei und ihm erklärt habe, daß er nicht auf die Unterstützung der Bürgerräte und auch nicht auf die der Konservativen im Ganzen rechnen dürfe; das habe auf Kapp starken Eindruck gemacht.

Minister Stegerwald glaubt, daß ein erneutes Einwirken auf die Volkspartei und die Deutschnationalen wenig Wert mehr hat, da diese bereits die stärksten Trümpfe ausgespielt haben: Sie haben erklärt, daß keiner von ihnen einen Ministerposten unter Kapp annehmen werde, und daß, wer es doch tue, sich außerhalb der Partei stelle; auch haben sie erklärt, daß der ganze Putsch den Zusammenbruch der Deutschnationalen Partei bedeutet. Dem Rücktritt Kapps stehen keine Schwierigkeiten im Wege, die Schwierigkeiten liegen[781] jetzt bei Lüttwitz; denn Kapp könne flüchten, während man das von Lüttwitz nicht verlangen könne. Hier eine geeignete Basis zu finden, sei das Hauptproblem23.

Unterstaatssekretär Schulz: Der Hauptregisseur ist Ludendorff. Eine weitere Schwierigkeit liege bei Maercker, der durch seine Reise nach Berlin eine Unklarheit gebracht hat und jetzt durch seine Fahrt nach Stuttgart eine neue Unklarheit bringt. Dadurch sei wertvollste Zeit verlorengegangen. Jede verlorene Stunde gebiert 10 000 Spartakisten. Die Haltung Lewalds gegenüber Lüttwitz sei erfreuend gewesen; der Druck, daß im Falle der Einsetzung neuer Minister die Unterstaatssekretäre gehen und mit ihnen die Beamten, müsse aufrechterhalten bleiben. Ein anderer Druck sei der von unten. Herr der Lage seien die Berliner Arbeiter und diese wollen kein Kompromiß, bei ihnen bestehe kühlste Entschlossenheit, nicht nachzugeben, koste es, was es wolle. Auch dieser Druck müsse zur Kenntnis der Militärs gebracht werden. Eine Rettung der Situation gebe es für sie nicht mehr; die Herren sollten so schnell als möglich die Konsequenzen ziehen.

Minister Südekum hat von Vertrauensleuten die Mitteilung erhalten, daß in der letzten Nacht eine Sitzung der revolutionären Partei mit kommunistischen Parteileuten stattgefunden hat, die gesprengt worden ist, worauf die Teilnehmer heute morgen erneut zusammengekommen sind24. Die erste Strömung war entschlossen, den Generalangriff heute abend zu eröffnen; die zweite Strömung stelle sich auf den Standpunkt, daß eine bereits im Erliegen begriffene Bewegung nicht dazu benützt werden soll, um durch eine Schießerei eine empfindliche Einbuße zu erleiden; man solle lieber durch den Generalstreik Lüttwitz totmachen und dann im Mai die Rätediktatur aufmachen, da bis dahin eine völlige Zersetzung des Militärs eingetreten sein werde, so daß das Kartenhaus leicht umgeblasen werden kann25. Eine Einigung zwischen beiden Strömungen sei nicht gelungen, es sei aber damit zu rechnen, daß es heute noch zu ernsten Zusammenstößen kommen wird; die Einigung werde schließlich wahrscheinlich dahin gehen, daß der Hauptschlag erst zu[782] führen ist, wenn nach den Neuwahlen der neue Reichstag zusammentritt. Das werfe ein helles Licht auf die Situation. Wenn die Generale nicht sofort beigeben, dann sei das Spiel der Kommunisten für den Mai mit absoluter Sicherheit gewonnen. Die Lüttwitze und Genossen stehen jetzt vor der Entscheidung; daß sie die Moral des Heeres in Grund und Boden zerstört haben, werde im Mai zu Tage treten.

Ministerialdirektor v. Stockhammern ist überzeugt, daß, wenn man an den Patriotismus von Lüttwitz ernstlich appelliert, er das nötige Pflichtgefühl haben wird, um die Konsequenzen zu ziehen. Gesandter v. Preger: Das sei heute bereits in stärkster Form geschehen; aber Lüttwitz und Cleewitz haben erklärt, daß man Lüttwitz nicht zumuten könne, seine Truppen im Stiche zu lassen und zu verraten.

Minister Südekum verlas ein Flugblatt des Spartakusbundes, um darzutun, in welch schwieriger Situation sich die Mehrheitssozialdemokratie befindet.

In diesem Augenblick wurde Unterstaatssekretär Lewald mit den Herren Schroeder usw. dringend aus dem Saal herausgerufen.

Nach einer kurzen Pause betrat Unterstaatssekretär Schroeder in großer Erregung den Saal, um folgendes mitzuteilen: Die Herren Cleewitz und Hülsen haben ihm soeben mitgeteilt, daß von den Kommunisten ein Ultimatum dahin gestellt worden sei, daß bis heute abend 9 Uhr die Truppen aus den Arbeitervierteln verschwinden müssen, widrigenfalls sie selbst losschlagen würden26, eine neue Regierung mit Däumig und Oskar Cohn an der Spitze sei bereits gebildet. In diesem Moment – hätten ihm die Herren erklärt – müsse eine Einigung stattfinden. Kapp werde verschwinden. Lüttwitz dagegen müsse bleiben; er fechte nunmehr für die alte Regierung und verlange keine Amnestie.

[783] Diese Nachricht erregte eine sehr starke Bewegung und man fürchtete, daß in der kurzen Zeit bis zum Ablauf des Ultimatums (es war 7¾ Uhr abends) die Arbeiter nicht mehr über die neue Situation genügend aufgeklärt werden können.

Unterstaatssekretär Schulz wies darauf hin, daß Däumig und Cohn Unabhängige sind, und hielt es für nicht möglich, daß die Mehrheitssozialisten dafür zu gewinnen sind, mit Lüttwitz gegen die Unabhängigen zu kämpfen27.

IV. 17. März vorm[ittags] 10 Uhr

Die Mitteilung, die gestern abend der Unterstaatssekretär Schroeder von den beiden Militärs erhalten hat, war eine Falschmeldung. Wie und durch wen die Täuschung veranlaßt worden ist, ob es sich etwa um einen militärischen Bluff handelte, ließ sich vorerst nicht feststellen28.

Der GehRat Oegg vom Reichsjustizministerium teilte im Auftrag von Minister Schiffer mit, daß Schiffer heute nacht im Reichsjustizmin. mit Parteiführern und den Kapp-Leuten Besprechungen gehabt hat, die zu einem vorläufigen Abschluß geführt haben29, den Unterstaatssekretär Albert im Flugzeug nach Stuttgart gebracht hat30. Die endgültige Entschließung haben sich die Kapp-Leute für heute vormittag vorbehalten.

Unterstaatssekretär Teuke gab bekannt, daß der von Kapp zum Reichspostminister ernannte Oberpostdirektor Sönksen auf erhobene Vorstellung wieder zurückgetreten sei31.

[784] Ministerpräsident Hirsch teilte über die gestrige Nachricht von dem Ultimatum folgendes mit: Gestern fanden Besprechungen statt, in denen von unserer Seite der Rücktritt von Kapp und Lüttwitz und der Abransport der eisernen Division und der Marinebrigade verlangt wurde. Nun schneite in diese Besprechungen plötzlich die Nachricht von dem Ultimatum herein. Er halte dieses Ultimatum für einen aufgelegten Schwindel. Die Militärs suchten offenbar die Situation für sich auszunutzen und erklärte, daß das Militär nun nach links benutzt werden müsse. Man sei bis 5 Uhr morgens zusammengewesen und dauernd seien Mitteilungen gekommen, daß die Spartakisten anrücken, dann, daß die Lage so gefährlich sei, daß die Truppen, wenn sie jetzt unter einen anderen Oberbefehlshaber kommen, im Kampf gegen die Spartakisten unterliegen müßten. Alle Meldungen aber seien falsch gewesen. Die Militärs wollten nur erreichen, daß die Regierung erklärt, wir müssen jetzt die Truppen zum Kampf nach links behalten. Bei der Besprechung sei man zu folgenden Vorschlägen gekommen:

Kapp tritt zurück.

Lüttwitz legt den Oberbefehl nieder; die Reichsregierung ernennt einen anderen Oberbefehlshaber.

Der Stellvertreter des Reichskanzlers wird gegenüber den maßgebenden Stellen folgende Vorschläge machen:

Der Nationalversammlung wird anempfohlen, sich längstens 4 Wochen nach ihrem Zusammentreten aufzulösen;

Wahl des Reichspräsidenten durch das Volk; schleunigste Umbildung des Kabinetts.

Der Reichsminister der Justiz wird sich bei der Nationalversammlung dafür einsetzen, daß eine allgemeine Amnestie erfolgt.

Die Reichskanzlei (d. h. die Kappleute) haben diese Vorschläge abgelehnt und wollen heute Vormittag neue Vorschläge machen. Die Sozialdemokraten bezeichnen die Vorschläge als unannehmbar, weil hierbei ihre Leute mit fliegenden Fahnen zu den Unabhängigen abschwenken würden. Im Lande machen die Spartakisten bereits ungeheure Fortschritte.

Unterstaatssekretär Ramm teilte mit, daß er soeben ein Schreiben von Kapp erhalten habe, wonach Frhr. v. Wangenheim zum Landwirtschaftsminister ernannt worden ist und Ramm sein Amt als Unterstaatssekretär niederlegen soll. Von Wangenheim habe auf 11½ Uhr seinen Besuch im Ministerium zur Übernahme seines Amts angesagt. Er (Ramm) werde sofort seine Beamten instruieren und nur der Gewalt weichen.

Hierauf trennte man sich bis 1 Uhr, um dann aber nur zu erfahren, daß die von Minister Schiffer geleiteten Besprechungen noch immer zu keinem Ergebnis geführt haben32.

[785] Unterstaatssekretär Lewald teilte mit, daß er inzwischen mit dem Reichskanzler Bauer in Stuttgart telephonisch gesprochen habe, der ihm auf seine Vorstellung, die Regierung möge sofort nach Berlin zurückkehren, gesagt habe, daß es der Regierung im jetzigen Zeitpunkt nicht möglich sei, nach Berlin zu kommen; sie würde aber sofort kommen, wenn Kapp zurückgetreten ist33 und die Marinebrigade Berlin verlassen hat. Ferner habe der Reichskanzler gewünscht, daß das Besoldungsgesetz, der Notetat und der 3. Nachtragsetat alsbald mit Flugzeug nach Stuttgart geschickt werde, damit der Reichsrat dort diese Entwürfe beraten könne.

Unterstaatssekretär Ramm teilte mit, daß Frhr. v. Wangenheim um 11 Uhr ans Landwirtschaftsministerium telephoniert habe, daß er am Erscheinen verhindert sei. Er schlug dann vor, daß noch heute eine Deputation des Reichsrats nach Stuttgart fährt, um der Regierung die Lage zu schildern und sie zu sofortiger Rückkehr zu bewegen.

Unterstaatssekretär Schulz hat Bedenken gegen die Absendung einer offiziellen Deputation des Reichsrats nach Stuttgart wegen der Rückkehr der Regierung. Der Abzug der Regierung aus Berlin sei ein politischer Akt gewesen; er halte ihn vorläufig für einen politischen Fehler, man müsse aber die Gründe der Regierung abwarten. Die Bedingung der Regierung, daß erst Kapp weg sein muß, sei ihm durchaus verständlich.

Unterstaatssekretär Ramm verblieb bei seinem Vorschlag. Die Regierung Kapp werde immer schwächer. Aus der Post sei das Militär bereits herausgeworfen. Das Verhalten Wangenheims sei auch kein Zeichen von Stärke.

Die Ansichten waren geteilt. Unterstaatssekretär Lewald meinte, daß jedenfalls abgewartet werden müsse, wie die Verhandlungen Schiffers ausfallen. Unterstaatssekretär Schulz betonte, daß der Reichsrat nicht aus politischen Erwägungen eine Deputation an die Reichsregierung absenden dürfe. Unterstaatssekretär Peters bat, doch alles zu unterlassen, was den Wirrwarr vergrößern kann.

[786] Der Gedanke der Deputation wurde fallen gelassen, aber dafür eine telegraphische Mitteilung an die Regierung in Stuttgart empfohlen, die Unterstaatssekretär Lewald abfassen soll34. Die drei Gesetzentwürfe (Besoldungsgesetz, Not- und Nachtragsetat) soll Unterstaatssekretär Schroeder mittels Flugzeugs nach Stuttgart schicken.

V. 17. März abends 6 Uhr

GehRat Oegg teilte im Auftrag des Ministers Schiffer das endgültige Ergebnis der von Schiffer gepflogenen Besprechungen35 in folgendem mit:

Kapp ist, um den inneren Frieden herbeizuführen, zurückgetreten. Aus dem gleichen Grunde hat General v. Lüttwitz seinen Abschied eingereicht; der Stellvertreter des Reichskanzlers hat im Namen des Reichspräsidenten ihm den Abschied bewilligt und mit der einstweiligen Wahrnehmurng der Geschäfte des militärischen Oberbefehls den General v. Seeckt beauftragt36. Zwischen[787] führenden Mitgliedern der Mehrheitsparteien und der deutschnationalen und der deutschen Volkspartei besteht Übereinstimmung über folgende Punkte:

1.

die Wahlen zum Reichstag sollen spätestens im Juni 1920 stattfinden;

2.

die Wahl des Reichspräsidenten erfolgt nach Maßgabe der Reichsverfassung durch das Volk;

3.

eine alsbaldige Umbildung der Regierung wird für erforderlich gehalten.

Unterstaatssekretär Stieler teilte mit, daß voraussichtlich von morgen an der Eisenbahnverkehr nach und nach wieder aufgenommen wird.

Unterstaatssekretär Geib teilte mit, daß die Arbeiter im Ruhrgebiet von morgen an wieder zu arbeiten beginnen.

Gesandter Hildenbrand nimmt an, daß die Schiffersche Vereinbarung auch von der Stuttgarter Regierung gutgeheißen werden wird37; besondere Betonung lege er auf das Wort „einstweilig“, weil General v. Seeckt von den Mehrheitssozialisten wohl abgelehnt werden wird. Jedenfalls stelle er fest, daß Präsident Ebert freie Hand in der Besetzung der Stelle hat.

Unterstaatssekretär Schulz wird ein Gefühl des Druckes noch nicht ganz los und glaubt nicht, daß General v. Seeckt für die Arbeiter annehmbar sein wird38.

Unterstaatssekretär Peters: Die politische Katastrophe sei nun abgewandt, die wirtschaftliche könne aber noch kommen39. Es müsse auch in Berlin sofort alles wieder an die Arbeit gehen.

Unterstaatssekretär Schroeder teilte mit, daß die drei Gesetzesvorschläge aus technischen Gründen (weil die Autoführer bei der bestehenden Unsicherheit sich weigerten, die Pakete mit den Vorlagen nach dem Flugplatz Johannistal zu bringen), nicht nach Stuttgart gesandt werden konnten. Nunmehr werde aber der Reichsrat die Vorlagen in Berlin erledigen können.

VI. 18. März vorm[ittags] 10 Uhr

Unterstaatssekretär Lewald teilte mit, daß Präsident Fehrenbach den Reichstagsdirektor Jungheim beauftragt hat, mit den Beamten des Reichstags[788] sofort nach Stuttgart zu kommen. Schiffer habe aber Jungheim gesagt, er möchte angesichts der veränderten Situation hierbleiben.

Im Anschluß hieran wurde die Frage erörtert, ob die Reichsratsbevollmächtigten noch nach Stuttgart fahren sollen. Der badische Gesandte Nieser teilte mit, daß er gestern erneut den dienstlichen Befehl erhalten habe, mit nächster Gelegenheit nach Stuttgart zu fahren.

Unterstaatssekretär Schulz hält die Aufforderung, nach Stuttgart zu reisen, für überholt durch die letzten Ereignisse. Die Lage habe sich inzwischen außerordentlich entspannt. Seine größte Sorge, daß es sich bei der Schifferschen Vereinbarung um ein Kompromiß handelt, sei nicht eingetroffen: Es sei ein bedingungsloses Kapitulieren von Kapp und Lüttwitz gewesen. Auch die Frage v. Seeckt sei völlig geklärt und erledigt: v. Seeckt habe mit den Führern der S.P.D. eingehende Besprechungen gehabt, in denen alle Bedenken zerstreut worden seien. Er nehme an, daß die Regierung so schnell als möglich jetzt nach Berlin zurückkehren wird; eine Reise nach Stuttgart wäre jetzt ein Fehler. Über die Beendigung des Generalstreiks schweben jetzt Verhandlungen40; die Arbeiter in Berlin wollen die Arbeit wieder aufnehmen, sobald die Truppen aus Berlin herausgebracht sind.

Unterstaatssekretär Lewald verlas die neuesten W.T.B.-Depeschen und Unterstaatssekretär Geib gab die letzten Nachrichten aus dem Ruhrgebiet bekannt41.

Unterstaatssekretär Lewald teilte hierauf noch mit, daß Minister Schiffer ihm soeben gesagt habe, daß heute vormittag Verhandlungen stattfinden, ob absolute Sicherheit besteht, daß die Regierung sich in Berlin frei bewegen kann, und daß die Marinedivision [!] entfernt wird42. Im übrigen stelle er als übereinstimmende Meinung fest, daß es zwecklos wäre, jetzt noch nach Stuttgart zu reisen.

VII. 19. März vorm[ittags] 10 Uhr

Unterstaatssekretär Geib teilte mit, daß er und Minister Schiffer gestern nachmittag mit den Hirsch-Dunkerschen und den christlichen Gewerkschaften (nicht auch mit den freien, die Verhandlungen abgelehnt haben,) verhandelt haben. Beide haben sich mit dem Abbruch des Generalstreiks einverstanden erklärt. Jetzt seien Verhandlungen des Gewerkschaftsbunds mit Stuttgart im Gange; dieser habe kategorisch verlangt, daß die Regierung aus Stuttgart sobald als möglich hierher zurückkehre. Neuerdings sei aber aus Stuttgart gemeldet worden, daß die Minister dort bleiben wollen, bis der Generalstreik aufgehört hat.

Der Adjudant des Generals v. Seeckt, Oberst[leutnant] Hasse, machte hierauf eingehende Mitteilung über die Lage in Deutschland.

[789] Unterstaatssekretär Schulz hielt jetzt für die Hauptfrage, wie wir die kommunistische Gefahr innerlich (durch geeignete innere Maßnahmen) überwinden. Gestern hätten bis in die Nacht hinein Verhandlungen stattgegunden, die heute fortgesetzt würden. Die Bestrebungen gehen dahin, den Generalstreik unter Zustimmung der Unabhängigen auf der ganzen Linie abzublasen. Bis heute abend hoffe man, zu einer Lösung zu kommen. Gelinge sie, so müsse ein fester Damm nach links gezogen werden. Durch die Unabhängigen gehe ein Riß, indem ein Teil nach links, ein Teil nach rechts neige; hier dürfe aber die Trennung nicht einsetzen; der Wall müsse unter Mitwirkung der Unabhängigen gegen die Kommunisten gezogen werden.

Minister Schiffer stellte fest, daß die Haltung der Entente und anderer auswärtiger Mächte während des Putsches eine überwältigend freundliche war; verschiedene Vertreter haben ihm die formalen Glückwünsche ihrer Regierungen zur Beseitigung der Kapp-Leute überbracht. Malcolm habe sich glatt zur Verfügung gestellt. Er habe die Nachricht erhalten, daß Amerika uns eine Million Dollar für Lebensmittel zur Verfügung stellen will. Die Nachricht werde aber mit Vorsicht aufzunehmen sein43. Die innere Situation habe sich außerordentlich verdüstert. Der Generalstreik dauere fort. Der allgemeine Gewerkschaftsbund, der Bund der Angestellten und der Beamtenbund haben sich zusammengetan. Diese neue Bewegung trete in radikalster Form auf. Er habe den Eindruck, daß nicht bloß die Regierung, sondern auch die Sozialdemokratie sich gegenüber dieser Bewegung ablehnend verhält. In diesen Kreisen bestehe eine große Erbitterung gegen die Regierung, weil sie von hier fortgegangen ist. Ihm sei zum Vorwurf gemacht worden, daß er gewagt habe, zur Wiederaufnahme der Arbeit aufzufordern44. Die Leute wünschen, daß die Regierung hierher zurückkehrt und daß einige Minister entlassen werden; sie wollen eine Räterepublik in parlamentarischer Form. Ferner wollen sie entscheidende Mitwirkung bei der Bildung der Regierung. Dazu kommt noch eine Reihe von Forderungen auf dem Gebiet der Sozialisierung. Die eingeleiteten Verhandlungen seien zunächst vertagt worden. Er sei der Meinung, daß die Regierung im Interesse ihrer Autorität so rasch wie möglich aus Stuttgart zurückkehren sollte. Daß der Generalstreik auf die Dauer aufrechtzuerhalten ist, glaube er nicht; in breiten Kreisen der Arbeiterschaft bestehe außerordentliche Streikmüdigkeit. Was die militärische Lage betreffe, so sei Berlin fest in den Händen des Militärs. Die Versorgung sei auf längere Zeit hinaus gesichert. Die Gesamtsituation werde hoffentlich militärisch zu halten sein; zu erwägen sei, ob nicht der verschärfte Belagerungszustand zu verhängen ist45. Heute sollen erneut Verhandlungen zwischen den Mehrheitsparteien und den Organisationen der Arbeiter, Angestellten und Beamten stattfinden, die hoffentlich bis heute abend zum Ziele führen werden.

Der Gesandte v. Preger sprach den Dank der Versammlung dem Minister Schiffer aus.

[790] VIII. 20. März 1920, vorm[ittags] 10 Uhr

Unterstaatssekretär Schulz teilte mit, daß gestern und heute nacht unter dem Vorsitz der preußischen Regierung zwischen den Vertretern der Mehrheitsparteien und den Organisationen der Arbeiter, Angestellten und Beamten Verhandlungen geführt worden sind, die erst heute früh 6 Uhr zum Abschluß gebracht werden konnten46. Das Ergebnis dieser Verhandlungen sei folgendes:

1. Die hier anwesenden Vertreter der Regierungsparteien werden bei ihren Fraktionen dafür eintreten47, daß bei der bevorstehenden Neubildung der Regierungen im Reich und in Preußen die Personenfrage von den Parteien nach Verständigung mit den am Generalstreik beteiligten gewerkschaftlichen Organisationen der Arbeiter, Angestellten und Beamten gelöst und daß diesen Organisationen ein entscheidender Einfluß auf die Neuregelung der wirtschaftlichen und sozialpolitischen Gesetzgebung eingeräumt wird unter Wahrung der Rechte der Volksvertretung.

2. Sofortige Entwaffnung und Bestrafung aller am Putsch oder am Sturz der verfassungsmäßigen Regierung Schuldigen sowie der Beamten, die sich ungesetzlichen Regierungen zur Verfügung gestellt haben.

3. Gründliche Reinigung der gesamten öffentlichen Verwaltungen und Betriebsverwaltungen von gegenrevolutionären Persönlichkeiten, besonders solchen in leitenden Stellen und ihren Ersatz durch zuverlässige Kräfte, Wiedereinstellung aller in öffentlichen Diensten aus politischen oder gewerkschaftlichen Gründen gemaßregelten Organisationsverrtreter.

4. Schnellste Durchführung der Demokratisierung der Verwaltungen auf demokratischer Grundlage unter Mitbestimmung auch der gewerkschaftlichen Organisationen der Arbeiter, Angestellten und Beamten.

5. Sofortiger Ausbau der bestehenden und Schaffung neuer Sozialgesetze, die den Arbeitern, Angestellten und Beamten volle soziale und wirtschaftliche Gleichberechtigung gewährleisten. Schleunige Einführung eines freiheitlichen Beamtenrechts.

6. Sofortige Inangriffnahme der Sozialisierung aller dazu reifen Wirtschaftszweige unter sofortiger Berufung der Sozialisierungskommission unter Beteiligung der Berufsverbände. Sofortige Übernahme der Kohlensyndikate und des Kalisyndikats auf das Reich.

[791] 7. Wirksame Erfassung, gegebenenfalls Enteignung der verfügbaren Lebensmittel und verschärfte Bekämpfung des Wucher- und Schiebertums in Land und Stadt. Sicherung der Erfüllung der Ablieferungsverpflichtung und Verhängung fühlbarer Strafen bei böswilliger Verletzung der Verpflichtungen.

8. Auflösung aller der Verfassung nicht treu gebliebenen konterrevolutionären militärischen Formationen und ihre Ersetzung durch Formationen aus den Kreisen der zuverlässigen republikanischen Bevölkerung, insbesondere der organisierten Arbeiter, Angestellten und Beamten, ohne Zurücksetzung eines Standes. Bei dieser Reorganisation bleiben erworbene Rechtsansprüche treugebliebener Truppen und Sicherheitswehren unangetastet.

9. Im übrigen wird mitgeteilt, daß die Minister Heine und Noske ihr Abschiedsgesuch eingereicht haben48.

Unterstaatssekretär Albert teilt mit, daß Reichskanzler Bauer mit den Ministern Müller, Giesberts und Geßler etwa um 11 Uhr in Berlin eintreffen werde49.

Unterstaatssekretär Haniel gab bekannt, daß der französische, englische, italienische und belgische Geschäftsträger bei Minister Schiffer waren, um ihm ihre Glückwünsche zur Überwindung des Putsches auszudrücken, zugleich aber die Erwartung auszusprechen, daß auch der Putsch von links unterdrückt werden wird.

Hierauf ging die Versammlung auseinander in der Meinung, daß angesichts der jetzigen Lage eine weitere Zusammenkunft nicht mehr nötig ist.

Aufgezeichnet

Berlin, den 3. April 1920

gez. [von] Schleehauf

Ministerial-Direktor

Fußnoten

*

Dieses und das folgende Dokument Nr. 219 sind nach dem Rücktritt des Kab. Bauer entstanden. Ihre Aufnahme in den vorliegenden Band erschien dennoch geboten, da sie in Ergänzung der vorangehend abgedruckten Dokumente geeignet sind, wesentliche Aspekte der Vorgeschichte, des Ablaufs und der Folgen des Kapp-Lüttwitz-Putsches zu beleuchten.

1

Durch den Einzug der „Regierung“ Kapp in die Rkei am 13. 3. morgens (vgl. Dok. Nr. 189) war die die Arbeit der verfassungsmäßigen RReg. koordinierende Tätigkeit der Rkei unterbrochen worden, so daß in den Akten der Rkei zeitgenössische Materialien für eine hinreichende Dokumentation der Regierungsarbeit weitgehend fehlen. Während RArbM Schlicke davon ausging, daß die mit ihm in Berlin anwesenden Regierungsvertreter „ein kleines Kollegium bilden sollten, das zu irgendwelchen schwierigen Fragen schnell Stellung nehmen könne“ (Schlicke an Schiffer, 17. 3. 20; Nachl. Schiffer , Nr. 18, Bl. 59 f.), konzentrierten sich die Bemühungen zur Überwindung der politischen Krise sehr bald auf die Aktivitäten des Vizekanzlers und RJM Schiffer, der ohne ausdrückliches Mandat der RReg. versuchte, eine Verhandlungslösung herbeizuführen. Schiffer arbeitete dabei mit den sich zu gemeinsamen Sitzungen versammelnden UStSS und RR-Bevollmächtigten zusammen. Die nachfolgende, diese Sitzungen protokollierende Aufzeichnung des MinDir. von Schleehauf wird dem Nachfolger RK Bauers am 13. 4. von dem württembergischen RR-Gesandten Hildenbrand übergeben (hschr. Vermerk Müllers auf R 43 I /2721 , Bl. 20).

2

Am 14. 3. anläßlich des Ausweichens der RReg. von Dresden nach Stuttgart (vgl. Dok. Nr. 191).

3

Der Beschluß war von den UStSS Albert, von Haniel, Lewald, Joël, Schroeder, Teuke, Walther, Geib und Stieler gefaßt worden (Nachl. Schiffer , Nr. 18, Bl. 116). UStS von Haniel hatte bereits in einer Verfügung vom 13. 3. mittags den Bediensteten des AA mitgeteilt, daß er vertretungsweise die Leitung des AA übernommen habe und die Geschäfte unter ausdrücklicher Wahrung seines Amtseides weiterführen werde: „Eine auch nur zeitweise Unterbrechung der auswärtigen Beziehungen würde in jedem Falle die vaterländischen Interessen auf das Schwerste bedrohen“ (R 43 I /2727 , Bl. 3).

4

Vgl. Dok. Nr. 175, P. 2.

5

Einzelheiten s. NatVers.-Bd. 342 , Drucks. Nr. 2478 .

6

Einzelheiten s. NatVers.-Bd. 342 , Drucks. Nr. 2488 .

7

Die Mitglieder des PrStMin. waren von den Putschisten vorübergehend in Schutzhaft genommen worden; die PrLV war von Kapp als „preußischer Ministerpräsident“ „in Anbetracht der veränderten politischen Lage“ am 17. 3. für aufgelöst erklärt worden (Schultheß 1920, I, S. 47). Die pr. Minister wurden am 14. 3. – u. a. mit dem Ziel, einige von ihnen für den Eintritt in die Reg. Kapp zu gewinnen – wieder freigelassen.

8

Im Wortlaut identisch mit einer vom PrMinPräs. Hirsch und den Ministern Heine (zugleich für den verhinderten Dr. Südekum), Fischbeck, Stegerwald, Haenisch und Oeser am 13. 4. gefaßten Entschließung (Abschrift in: R 43 I /2727 , Bl. 2).

9

Im Anschluß an diese Sitzung teilt der württembergische Gesandte Hildenbrand den Mitgliedern der in Stuttgart weilenden RReg. telefonisch den oben zit. Beschluß der UStSS mit. Er berichtet weiter, daß z. Z. die Vollmacht Gen. Maerckers, im Auftrag der Reg. „Ebert-Noske“ Verhandlungen mit „Kapp-Lüttwitz“ zu führen, von RJM Schiffer, dem PrFM Südekum und einigen UStSS geprüft werde. Auch sei man der Ansicht, „daß die Regierung Kapp einsieht, daß sie unhaltbar ist und [man] glaubt, es wäre richtiger, die Nationalversammlung nicht in Stuttgart, sondern in Berlin abzuhalten“ (R 43 I /2727 , Bl. 70).

10

Über die von Gen. Maercker eingeleitete Vermittlungsaktion s. Dok. Nr. 190, insbesondere Anmm. 5 und 6.

11

Zur Einschätzung der Lage durch die RReg. s. Dok. Nr. 194.

12

Der hier von Schiffer vorgetragene Gedanke, die politische Krise durch einen Ausgleich zwischen den verfassungsmäßig legitimierten und den putschistischen Kräften zu überwinden, muß als das Ergebnis einer Reihe, aus den Akten der Rkei nur bruchstückhaft rekonstruierbarer Verständigungsbemühungen angesehen werden. Mit dem Ziel, „die ganze Abwicklung des Unternehmens den Parteien zu überlassen, in dem Sinne der baldigen Anberaumung von Wahlen und einer Umformung in der Zusammensetzung des Kabinetts“, hatten die pr. Minister Südekum und Oeser in Begleitung des Schöneberger OB Dominicus bereits am 14. 3. bei Kapp interveniert. Dieser lehnte den Vorschlag kurzerhand ab und weigerte sich zunächst, das angemaßte Amt niederzulegen (undatierte Aufzeichnung Kapps über das März-Unternehmen; Nachl. Kapp , E II 9, Bl. 71 f.; vgl. Oeser an den Untersuchungsrichter des RG, 11.5.20, abschriftlich an Südekum; Nachl. Südekum, Nr. 21, Bl. 33 f.; Südekum an Hermann Müller, 25.9.20; ebd., Nr. 99, Bl. 95–100). Schiffer will am 15. 3. in Anwesenheit von UStS Albert in einem von UStS Schroeder vermittelten Gespräch mit Kapps ursprünglichem Chef der Rkei, von Falkenhausen, diesen auf „die Aussichtslosigkeit, Zwecklosigkeit und Bedenklichkeit des Unternehmens“ hingewiesen haben. Falkenhausen soll sich bei dieser Gelegenheit als „Helfer und Mittler“ bezeichnet haben, „der insbesondere bestrebt sei, auf gütlichem Wege einen Ausgleich herbeizuführen“ (Schiffer an den Untersuchungsrichter des RG, 18.4.20 [?], Nachl. Schiffer, Nr. 18, Bl. 127–138, hier Bl. 130 f.). Über das Gespräch fertigte auch von Falkenhausen eine Niederschrift an. Danach habe er sich bei Schiffer unter Berufung auf Schroeders Angaben damit eingeführt, „daß Schiffer bereit sei, darüber zu verhandeln, wie der infolge des Generalstreiks drohenden Anarchie und wirtschaftlichen Auflösung begegnet werden könne. Der RJM habe seine Bereitschaftserklärung abzuschwächen versucht; er sei jedoch in eine Erörterung der Frage eingetreten, wobei er den bedingungslosen Rücktritt Kapps forderte, da andernfalls „die verfassungsmäßige Regierung sich durch einen Vergleich mit Kapp in den Augen der Massen hoffnungslos kompromittiere“. Von seinen Gesprächspartnern, zu denen inzwischen auch der pr. Minister Oeser hinzugetreten war, sei schließlich die Bemerkung gefallen, „daß die Erfüllung der Forderungen, die der Regierung in der Nacht vom 13. zum 14. März von militärischer Seite als Ultimatum gestellt waren (Neuwahlen, Rücktritt der Regierung usw.) [vgl. Dok. Nr. 190, Anm. 6], jetzt durch die Lage selbst gesichert sei“. Auf Falkenhausens „Einwendungen hiergegen wurde dann auch die Möglichkeit zugegeben, diese Bedingungen förmlich festzulegen. Herr Oeser entwickelte den Gedanken, daß bei der bevorstehenden Sitzung des Seniorenkonvents der Nationalversammlung die Führer der Mehrheitsparteien (als Machthaber der Regierung sozusagen) diese Bedingungen anerkennen könnten. Nach seiner Auffassung würden sie dazu bereit sein“ (Aufzeichnung o. D. und ohne Unterschrift; hschr. Vermerk: „v. Falkenhausen, Mitte September 1921“, in: Nachl. Kapp E II 9, Bl. 101 f.; in der Aufzeichnung wird das Gespräch irrtümlich auf den 16.3.20 datiert). – Zur Haltung der Parteien s. u. Anm. 14. Am gleichen Tage versuchte eine Abordnung des Verbandes der Berliner Metall-Industriellen unter Führung von GehR von Borsig eine Besprechung Schiffers mit Mitgliedern der „Regierung“ Kapp herbeizuführen, um – wohl unter dem Eindruck der durch Kapps Antistreikverordnungen unabsehbar werdenden Folgen des Generalstreiks – „möglichst schnell und auf gütlichem Wege dem Streit ein Ende zu machen“. Die Besprechung kam aus formalen Gründen vorerst nicht zustande (Schiffer an den UStSRkei, 8.4.20; R 43 I /2720 , Bl. 112 f.).

13

Vgl. Dok. Nr. 194, Anm. 6.

14

Obwohl die Mehrheitsparteien im Reich und in Preußen den Militärputsch am 13. 3. als einen „mit aller Kraft zu bekämpfende[n] Verfassungsbruch“ verurteilt hatten (Schultheß 1920, I, S. 50), einigten sich Vertreter der Koalitionsparteien in interfraktionellen Beratungen am 15. 3. doch darauf, die Grundforderungen des Gen. von Lüttwitz – Kabinettsumbildung, RT- und RPräsWahlen – zu übernehmen (ebd., S. 54). Diese Einigung wurde den mit Kapp in Verbindung stehenden Vertretern der Rechtsparteien bekanntgegeben, während Schiffer sich nachfolgend für die Annahme des sich abzeichnenden Ausgleichskonzepts bei der RReg. in Stuttgart einsetzte (vgl. Dok. Nr. 198, insbesondere Anm. 2).

15

Das Telegr. Groeners – wohl vom 15. 3. – lautete: „Dem Herrn Feldmarschall habe ich zu melden, daß eine Regierung Kapp-Lüttwitz für das Deutsche Reich unmöglich ist, es besteht die Gefahr, daß der ganze Süden und Westen des Reiches vom übrigen Teil getrennt wird, außerdem ist eine Regierung Kapp-Lüttwitz außenpolitisch nicht tragfähig, was umso verhängnisvoller ist, als gerade jetzt unsere wirtschaftspolitische Lage sich zu bessern beginnt. Herr Feldmarschall sind die Hoffnung weitester Kreise des deutschen Volkes in diesem Augenblick, da ein Wort von Ihnen genügt, um die Reichswehr auf den verfassungsmäßigen Boden zurückzuführen, daher habe ich an den Reichspräsidenten Ebert folgendes Telegramm gerichtet: An den Herrn Reichspräsidenten Ebert: Falls Ihnen meine Vermittlung erwünscht, bin bereit zu versuchen, daß Feldmarschall von Hindenburg Einfluß auf Reichswehr ausübt mit dem Zweck, verfassungsmäßigen Zustand in Berlin wieder herzustellen. Halte jedoch Änderung des Charakters der Regierung durch Neubesetzung der wichtigen Fachministerien nach sachlichen, nicht parteipolitischen Gesichtspunkten nach ihren Vorschlägen unter Feldmarschalls und meiner Billigung für erforderlich, ferner Ausschreibung baldiger Reichstagswahlen. Verfassungsänderungen dürfen vor Zusammentritt des neuen Reichstags nicht vorgenommen werden. Gleiches Telegramm geht an Feldmarschall Hindenburg. […]“ (Nachl. Schleicher , Nr. 18, Bl. 54; von Groener auch an die Presse gegeben, vgl. Frankfurter Zeitung Nr. 202 vom 16.3.20). – Der RPräs. lädt Gen. Groener zu einer Aussprache nach Stuttgart ein (Nachl. Schleicher, Nr. 18, Bl. 53).

16

Vgl. dazu das von Lüttwitz gezeichnete, undatierte Manuskript „Meine Erklärungen zum Kapp-Unternehmen“ in: Nachl. Luetgebrune , Nr. 27 sowie die autobiographische Schrift Lüttwitz’: Im Kampf gegen die Novemberrevolution. S. 117 ff.

17

Vgl. dazu Dok. Nr. 194, insbesondere Anm. 7.

18

Zur Zeit waren das RSchMin. und das RFMin. vakant, RVM Bell hatte Rücktrittsabsichten geäußert, und die Stellung von RWeM Noske war durch den Ausbruch des Militärputsches erschüttert.

19

Oberst von Feldmann, Chef des Ausrüstungsamtes, stand auf dem Boden der Resolution des Offizierskorps, der Beamten und Angestellten des RWeMin. vom 15. 3., in der erklärt worden war, daß das Personal des RWeMin. „den Ereignissen“ fernstünde, aber bereit sei, „zur Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung“ seinen Dienst vorläufig weiterzutun, wenn sichergestellt sei, daß die bekanntgewordenen Verhandlungen zwischen der alten und der neuen Regierung zur Bildung einer Regierung führen würden, „die von dem Vertrauen der Mehrheit des Volks getragen ist, und daß Rücksichten auf die Person der zur Zeit an der Macht befindlichen Persönlichkeiten zurückgestellt“ würden (Nachl. Mentzel , Nr. 9, Bl. 25). Die Resolution war Gen. von Lüttwitz am 15. 3. abends von den Amtschefs des RWeMin. mit dem Hinweis, daß sie seine Befehlsgewalt nicht anerkennen würden, eröffnet worden. Feldmann soll Kapp am 16. 3. mittags anläßlich des Vortrags der Resolution erklärt haben, daß „der von den beiden Männern für ihre Ziele, und seien sie die besten, gewählte Weg“ nicht gebilligt werden könne (Lagebericht des Ausrüstungsamtes vom 16.3.20, 14 Uhr; ebd., Bl. 20–22).

20

Die Unterredung fand am 10.3.20 statt (vgl. Dok. Nr. 219).

21

Zur Mission Gen. Maerckers vgl. Dok. Nr. 198.

22

Die telefonische Mitteilung Riezlers vom 16. 3., 18 Uhr, wurde vom GehRegR Brecht aufgezeichnet: „Die Situation verschlägt sich nach links. Die Bewegung gerät immer mehr in die Hände der revolutionären Obleute. Wir sind bestrebt, der Regierung Kapp die Situation klarzumachen. Es ist notwendig, daß für die Truppen eine Form des Rückzugs gefunden wird, d. h. für die Mannschaften usw., weil sonst Spartakus. Die Beamtenschaft hält sich sehr gut.“ Des weiteren berichtete Riezler über die Haltung des Personals des RWeMin. (vgl. Anm. 19) und über den vorstehend im Prot. zit. „Vorschlag Gotheinbetr. die Modalitäten eines eventuellen Rücktritts von Kapp und Lüttwitz (R 43 I /2727 , Bl. 53).

23

Die beiden Rechtsparteien, deren führende Vertreter am 13. 3. öffentlich mit den Putschisten sympathisierten (vgl. Schultheß 1920, I, S. 51 f.), hatten sich inzwischen zu einem „neutralen“ Lavieren zwischen den Fronten durchgerungen. An den Bemühungen, den Putsch zu liquidieren, war der DVP-Abg. Stresemann maßgeblich beteiligt. Er ließ am 16. 3. nachmittags, als die UStSS mit Gen. von Lüttwitz im RT konferierten, den RJM durch den Abg. Leidig informieren, „daß die Kapp-Lüttwitz-Regierung nunmehr bereit sei, zurückzutreten“ (Schiffer an den Untersuchungsrichter des RG, 18.4.20 [?], Nachl. Schiffer , Nr. 18, Bl. 133; vgl. Erich H. Schlottner: Stresemann, der Kapp-Putsch und die Ereignisse in Mitteldeutschland und in Bayern im Herbst 1923. Phil. Diss. Frankfurt/M. 1947).

24

Einzelheiten über die Gründung und die vermeintliche Aufstandsplanung eines am 16. 3. zusammentretenden „Revolutionären Exekutivkomitees der Arbeiter“, in dem sich Mitglieder der „KPD-Opposition“, der sog. „Kampfgruppen“ der USPD und einzelne sozialdemokr. Funktionäre zusammenfanden s. bei Erwin Könnemann und Hans-Joachim Krusch: Aktionseinheit contra Kapp-Putsch. S. 188 f.

25

Es ist fraglich, ob das in Anm. 24 genannte Komitee tatsächlich offene Kampfhandlungen einleiten wollte. Aus den tagebuchartigen Notizen Wilhelm Piecks geht hervor, daß das ZK der KPD sofort nach Bekanntwerden der „Kampf“vorbereitungen aus militärisch-taktischen und ideologischen Gründen Maßnahmen zur Verhinderung eines bewaffneten Aufstands einleitete (Erwin Könnemann und Hans-Joachim Krusch: A.a.O., S. 189 f.).

26

Nach den im RWeMin. gesammelten Nachrichten verschärfte sich unter dem Druck der von der Arbeiterschaft ausgehenden Widerstandsbewegung die Sicherheitslage im Laufe des 16. 3. zunehmend: In Berlin schien sich die Gefahr eines bewaffneten Aufstands anzubahnen. Oberstlt. Kalle vom Büro des StKom. für die Überwachung der öffentlichen Ordnung meldete dem RWeMin. um 13.30 Uhr: „Kampforganisation der K.P.D. ist nunmehr fertig aufgestellt. 18 000 Mann, reichlich Waffen und Munition vorhanden. Absicht, loszuschlagen.“ Nach einer Mitteilung des stellv. Stabschefs des Reichswehrgruppenkommandos 1, Hptm. von Viebahn, spitzte sich gegen 16.30 Uhr die Lage in Berlin wie folgt zu: „Arbeiterschaft hat Ultimatum gestellt: Wenn bis heute abend nicht die Truppen aus den Arbeitervierteln zurückgezogen seien und die Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung den Arbeitern selbst überlassen bliebe, so würde Waffenangriff der Arbeiter auf Truppen erfolgen. Augenblick sei jetzt gekommen, der neuen Weltanschauung zum Durchbruch zu verhelfen. – Ultimatum wird abgelehnt. Viebahn hält Drohung der Arbeiter für ernst.“ Über ein Gespräch mit dem USPD-„Führer“ Weth berichtete Maj. Hagemann um 17.30 Uhr dem Tagebuchführer. Weth habe gefordert: „Räumung aller Vororte bis 9.00 abds. Sonst Gewalt gegen Reichswehr.“ Auf den Vorschlag, die „unmittelbar bevorstehend[e]“ Einigung zwischen der „Stuttgarter und Berliner Regierung“ abzuwarten, habe Weth erwidert: „Verhandlungen Berlin–Stuttgart sind uns total gleichgültig. Ausgang nebensächlich für Interessen der U.S.P.D. Zeitpunkt für Weltrevoltuion gekommen“ (Diensttagebuch in: Nachl. Schleicher , Nr. 18, Bl. 35 f., 38). – Eine undatierte und ungezeichnete mschr. Notiz, in der sinngemäß die Ausführungen Weths – hier als Ultimatum der „radikale[n] Arbeiterschaft“ hingestellt – festgehalten sind, befindet sich in: Nachl. Kapp, E II 8, Bl. 33.

27

Zum Einfluß des „Ultimatums“ auf die Ausgleichsverhandlungen s. u. Anm. 29. – Zur Reaktion der RReg. s. Dok. Nr. 199.

28

Nach Schiffer sollen Hülsen und Cleewitz bei ihrer Meldung des angeblichen Ultimatums als Quelle „Major Pabst“ angegeben haben (Schiffer an den Untersuchungsrichter des RG, 18.4.20 [?]; Nachl. Schiffer , Nr. 18, Bl. 133). Vgl. dazu den Brief Pabsts an Erger vom 26.3.61, zit. bei Johannes Erger: Der Kapp-Lüttwitz-Putsch. S. 257 f.

29

Der mit Schiffer in Berlin zurückgebliebene sozialdemokr. RArbM Schlicke schreibt am 17. 3. mit Bezug auf diese Vorgänge an Schiffer: „Im Laufe der Aussprache [der RR-Mitglieder usw. am 16. 3. nachmittags] waren Sie fortgegangen. Im Laufe der weiteren Aussprache erschienen die Vertreter von Lüttwitz mit dem bekannten Bären, den sie dem Reichsrat auch glücklich aufgebunden haben. Sie beteiligten sich an den Verhandlungen, und das mache ich Ihnen zum Vorwurf. Es unterlag für Sie und für mich keinem Zweifel – das geht aus Ihrem Vorschlag vom Vormittag hervor –, daß Vertreter der Reichsregierung mit den Usurpatoren nicht verhandeln dürfen. Trotzdem haben Sie das getan, sind nicht wieder in die Reichsratssitzung zurückgekehrt und haben mich von Ihrem weiteren Vorhaben nichts wissen lassen“ (Nachl. Schiffer , Nr. 18, Bl. 59 f.). Tatsächlich war Schiffer in der Nacht vom 16. zum 17. 3. in Anwesenheit des PrMinPräs. Hirsch sowie von Südekum, Stegerwald, Oeser, Albert, Göhre, Schulz, Riezler, Ernst und Hergt zunächst mit Hptm. Pabst, dann mit Oberst Bauer im RJMin. zusammengetroffen. Inwieweit es sich hierbei um förmliche „Verhandlungen“ mit dem Ziel, den Kapp-Lüttwitz-Putsch durch vertragliche Vereinbarungen zu liquidieren, gehandelt hat, ist umstritten. Einzelheiten dazu s. bei Johannes Erger: A.a.O., S. 259 ff. – Zum Inhalt und Ergebnis der Unterredungen s. u. die Ausführungen des PrMinPräs. Hirsch.

30

Zur Mission Alberts s. Dok. Nr. 202.

31

Eine detaillierte Übersicht über die Übernahme der Geschäfte in den Ministerien des Reichs und Preußens sowie in der Rkei und der Rbk durch Kapp, Lüttwitz und den von ihnen beauftragten Personenkreis befindet sich in der Anklageschrift des Oberreichsanwalts im Hochverratsverfahren gegen Jagow und Genossen vom 11.7.21 (Nachl. Luetgebrune , Nr. 26, Bl. 183–250, hier Bl. 207 ff.).

32

Am 17. 3. morgens war in der letzten „Kabinettssitzung“ der „Regierung Kapp“ der Rücktritt Kapps beschlossen worden (vgl. dazu Dok. Nr. 200). Nachdem das Ergebnis dieser Sitzung zusammen mit der Bitte, weitere Verständigungsverhandlungen einzuleiten, RJM Schiffer und den Parteiführern der Rechtsparteien und des Zentrums bekanntgemacht worden war, traten im Laufe des Vormittags unter Schiffers Leitung Regierungsvertreter des Reichs und Preußens sowie Politiker der Rechts- und der Mehrheitsparteien im RJMin. zusammen. Unter dem Eindruck der immer noch als bedrohlich angesehenen Sicherheitslage und angesichts der Haltung der Putschisten, die weiterhin an Gen. von Lüttwitz als Oberbefehlshaber festhielten, stimmten die Versammelten dem Vorschlag zu, Lüttwitz zu einer Besprechung mit den Parteiführern in das Ministerium bitten zu lassen, um – wie es Südekum darstellt –, „durch ähnliche Abmachungen, wie sie früher Herr Schiffer getroffen hatte, eine beschleunigte Beendigung des Putsches herbeizuführen“ (Südekum-Niederschrift über den Kapp-Lüttwitz-Putsch, o. D.; Nachl. Südekum , Nr. 99, Bl. 138–152, hier Bl. 149). RArbM Schlicke will es unterlassen haben, gegen das Vorhaben anzugehen, um „außerhalb des Kabinetts stehenden Personen nicht das Schauspiel [zu liefern], daß zwei Minister sich gegenseitig in die Parade fahren“ (Schlicke an Schiffer, 17.3.20; Nachl. Schiffer, Nr. 18, Bl. 59 f.). Da RJM Schiffer nach Rücksprache mit RIM Koch (vgl. Dok. Nr. 201, Anm. 5) und alle sozialdemokr. Politiker eine direkte Beteiligung an weiteren Ausgleichsverhandlungen ablehnten, trafen in der gegen 13 Uhr beginnenden Aussprache die Abgg. Gothein, Trimborn, Hergt, Stresemann und der UStS im RJMin., Joël, auf der einen, Gen. von Lüttwitz und Hptm. Pabst auf der anderen Seite in den Räumen des RJMin. aufeinander. Schiffer, Südekum u. a. verfolgten die Unterredung von einem Nebenzimmer aus. Umstände und Verlauf der „Verhandlungen“ kommen in der RT-Debatte vom 2.8.20 eingehend zur Sprache (RT-Bd. 344, S. 530  ff.; weitere Hinweise s. bei Johannes Erger: A.a.O., S. 269 ff., 274 ff.).

33

Zum Informationsstand der RReg., die zu diesem Zeitpunkt noch nicht über den bereits vollzogenen Rücktritt Kapps von Berlin aus unterrichtet worden war, s. Dok. Nr. 201.

34

Vgl. dazu Dok. Nr. 205, Anm. 2.

35

Obwohl Gen. von Lüttwitz am 17. 3. mittags von führenden Offizieren des RWeMin. und einzelnen Truppenführern zum Rücktritt gedrängt worden war (vgl. Dok. Nr. 202, Anm. 5), hatte das in Anm. 32 zit. Gespräch zwischen Lüttwitz und Pabst sowie Hergt, Stresemann, Trimborn, Gothein und Joël noch nicht zu einem Vergleich geführt. Lüttwitz forderte – nach Hergt – als „conditio sine qua non“ für seinen Rücktritt eine gesicherte Amnestie. Nachdem RJM Schiffer die Einbringung eines umfassenden Amnestiegesetzes Pabst gegenüber bereits am Vorabend zugesichert hatte, gaben die Parteienvertreter – auch nach Rücksprache mit den sozialdemokr. Politikern Hirsch und Südekum – eine Zusage über das Zustandekommen eines solchen Gesetzes ab (vgl. dazu Dok. Nr. 211, insbesondere Anm. 5; Einzelheiten s. in den Ausführungen der beteiligten Politiker in der RT-Debatte vom 2.8.20, RT-Bd. 344, S. 530  ff.). Eine abschließende Einigung scheiterte an der für die Parteienvertreter zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht mehr annehmbaren Forderung des Gen., das Kommando über die Truppen noch „einige Tage“ zu behalten. Erst als in einer gegen 16 Uhr in der Rkei stattfindenden Kommandeurversammlung deutlich wurde, daß die Mehrzahl der Truppen eine Militärdiktatur ihres Oberkommandierenden ablehnte, entschloß sich Lüttwitz unter dem Druck seiner ultimativ aufbegehrenden Offiziere, folgendes „Abschiedsgesuch“ dem Vizekanzler und RJM durch „Major“ Pabst überbringen zu lassen: „Nachdem ich aus den Ausführungen der Fraktionsvorstände die Sicherheit gewonnen habe, daß Neuwahlen in wenigen Wochen stattfinden werden, daß die verfassungsmäßige Wahl des Reichspräsidenten durch das Volk gesichert ist und eine Umbildung der Regierung erfolgt, habe ich mich entschlossen, um den inneren Frieden herbeizuführen, meinen Abschied einzureichen“ (Abschrift in: R 43 I /2720 , Bl. 27). Den Militärbehörden gab der Gen. seinen Rücktritt in folgender, vom Reichswehrgruppenkommando 1 an WTB zur Veröffentlichung weitergegebenen Form bekannt: „Die unmittelbar drohende bolschewistische Gefahr erfordert festen Zusammenschluß aller vaterländischen Männer zur Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung im Reiche. Meine Person darf kein Hinderungsgrund für den Zusammenschluß sein. Nachdem führende Männer aller Parteien mit Ausnahme der U.S.P.D. die Durchführung meiner Forderungen im wesentlichen zugesagt haben, sehe ich meine Aufgabe als erfüllt an und trete von meinem Posten als Oberbefehlshaber zurück. Die in und um Berlin zusammengezogenen Truppen unterstehen nach wie vor dem Wehrgruppenkommando [muß heißen: Wehrkreiskommando] III“ (Nachl. Schiffer , Nr. 18, Bl. 64; vgl. Walther Frhr. von Lüttwitz: Im Kampf gegen die Novemberrevolution. S. 133). Schiffer behauptet in seiner „nach persönlichen Erinnerungen“ nach 1941 entstandenen Niederschrift „Der Kapp-Putsch“, an dem Zustandekommen der schr. Amnestiezusage und der nachfolgenden Mitteilung über das Besprechungsergebnis nicht beteiligt gewesen zu sein (Nachl. Schiffer, Nr. 16, Bl. 104 f.). Das oben zit. Abschiedsgesuch zusammen mit der schr. Bewilligung des Abschieds, die – hier als amtliche WTB-Meldung gekennzeichnete – Mitteilung, und zwei weitere Anlagen werden von RJM Schiffer dem RWeMin. noch am 17. 3. zur weiteren Veranlassung übersandt (R 43 I /2720 , Bl. 27–29).

36

GenMaj. von Seeckt wird mit der Wahrnehmung der Geschäfte des Oberbefehlshabers des Reichswehrgruppenkommandos 1 betraut (R 43 I /2725 , Bl. 129). Über die Umstände der Beauftragung s. die Tagebuchaufzeichnung Schiffers vom 17.3.20 (mschr. Übertragung in: Nachl. Schiffer , Nr. 18, Bl. 157 sowie den Brief Schiffers an den amerikanischen Historiker H. J. Gordon vom 1.11.50, abgedruckt bei H. J. Gordon: Die Reichswehr und die Weimarer Republik. S. 421; auch in: Ursachen und Folgen. Bd. IV, Dok. Nr. 856 d).

37

Vgl. dazu Dok. Nr. 202 und 203.

38

Im Nachl. Schiffer  befindet sich eine hschr. Aufzeichnung UStS Lewalds vom 17. 3., in der neben der Bekundung des „wärmsten Dank[s] für die erfolgreichen Bemühungen um Beilegung der außerordentlichen Schwierigkeiten“ dem RJM mitgeteilt wird, daß UStS Schulz Bedenken geäußert habe, „ob die getroffenen Abmachungen haltbar seien. Er weiß nicht, ob der Deutsche Gewerkschaftsbund einverstanden ist. Die Berliner Arbeiter hätten gestern den General v. Seeckt als ganz unannehmbar bezeichnet. Herr Hildenbrand teilt mit, daß Seeckt vor einigen Wochen mit Bolschewisten verhandelt habe“ (a.a.O., Nr. 18, Bl. 58).

39

Zu den wirtschaftlichen Auswirkungen des Kapp-Lüttwitz-Putsches s. den Bericht des RWiM über die Wirtschaftslage im März 1920 vom 29.4.20 (R 43 I /1147 , Bl. 127–131) sowie einen undatierten Bericht ohne Unterschrift über „Die wirtschaftlichen Wirkungen des Kapp-Putsches auf Grund statistischen Materials durch den Pressedienst des Reichswehr-Ministeriums“ (Nachl. Mentzel , Bd. 9, Bl. 1–5).

40

Einzelheiten s. Dok. Nr. 204 sowie unten in den Abschnitten VII und VIII.

41

Zur Lage im rheinisch-westfälischen Industriegebiet s. Dok. Nr. 207, Anm. 2.

42

Vgl. dazu Dok. Nr. 206, Anm. 6.

43

Zur Haltung des Auslands s. Dok. Nr. 208, Anm. 7 und Dok. Nr. 214.

44

Aufruf vom 17.3.20 in: Schultheß 1920, S. 56.

45

Einzelheiten s. Dok. Nr. 205, insbesondere Anmm. 6 und 8.

46

Zum Gang der Verhandlungen s. Dok. Nr. 204, Anm. 28. Eine Liste der Teilnehmer an der beschlußfassenden Nachtsitzung befindet sich in: Arbeiterklasse siegt über Kapp und Lüttwitz. Bd. I, Dok. Nr. 83, Anm. 4.

47

Noch am 20. 3. werden die RR-Bevollmächtigten von der Rkei darauf hingewiesen, daß die am Kopf der in der Sitzung mitgeteilten Vereinbarung stehenden Worte „Die hier anwesenden Vertreter der Regierungsparteien werden bei ihren Fraktionen dafür eintreten“ für alle neun Punkte des Textes gelten (R 43 I /2199 , Bl. 10). Die hier wiedergegebene Vereinbarung ist – z. T. mit stilistischen und geringfügigen inhaltlichen Veränderungen – bereits wiederholt abgedruckt u. a. in: Schultheß 1920, I, S. 69 f.; E. R. Huber (Hrsg.): Dokumente zur dt. Verfassungsgeschichte. Bd. 3, Dok. Nr. 210; Arbeiterklasse siegt über Kapp und Lüttwitz. Bd. I, Dok. Nr. 83.

48

Der PrIM Heine hatte dem PrMinPräs. bereits am 18. 3. sein Abschiedsgesuch überreicht, weil er – wie er an seinen Nachfolger telegrafiert – „infolge der Einmischung der Parteigenossen in die Frage der Ämterbesetzung, namentlich wegen ihres Verlangens Ernst zu entlassen, befürchten mußte, die erforderliche Selbständigkeit in der Führung“ seines Amtes zu verlieren (Heine an Severing, 21.3.20; Nachl. Severing  I/49). – Zur Beurteilung des Heine und dem Berliner PolizeiPräs. Ernst zur Last gelegten Verhaltens der Berliner Sipo-Führer s. Dok. Nr. 210. Zum Rücktritt RWeM Noskes s. Dok. Nr. 206, insbesondere Anm. 8.

49

Zum Fortgang s. Dok. Nr. 206.

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