2.208.1 (bru1p): Osthilfe.

Zum Text. Zur Fußnote (erste von 8). Zu den Funktionen. Zum Navigationsmenü. Zum Navigationsbaum

 

Bandbilder:

Die Kabinette Brüning I und II. Band 1 Das Kabinett Brüning I Bild 183-H29788NS-Wahlversammlung im Sportpalast Bild 102-10391Arbeitslose Hafenarbeiter Bild 102-11008Bankenkrise 1931 Bild 102-12023

Extras:

 

Text

RTF

Osthilfe.

Reichsminister Treviranus trug den Inhalt der anliegenden Aufstellung über den Finanzbedarf für die Umschuldung vor1. Er trat dafür ein, daß die Osthilfe auf alle bedrohte Ostgebiete ausgedehnt werden möchte. Der Gesetzentwurf, der Anfang Januar vorgelegt werden soll2, werde sich im wesentlichen an die Bestimmungen des Entwurfs halten, der im Sommer vom Reichstage abgelehnt worden sei3. Nur werde es nicht möglich sein, den § 12 aufzunehmen, nach dem 50 Millionen zu Krediterleichterungen für Industrie und Gewerbe vorgesehen waren4. Hierzu seien keine Mittel verfügbar.

[759] Der Reichsminister der Finanzen erklärte, über die Deckung des Umschuldungsbedarfs (Ziff. 2 der Anlage) sei bei den Vorbesprechungen Einigkeit erzielt worden. Die Banken, die gefragt worden seien, hätten sich mit der Ausstattung der Ablösungsscheine einverstanden erklärt, wie sie das Reichsfinanzministerium vorschlage.

Die Osthilfe über den Bezirk ihrer jetzigen Geltung auszudehnen, sei unmöglich. Der Kredit des Reichs werde auf das schwerste gefährdet, wenn 600 Millionen für Ablösungsscheine aufgebracht werden müßten.

Die Geldmittel, die nicht durch Ablösungsscheine gedeckt seien, müßten in Höhe von 50 Millionen entweder aus Industrieobligationen oder aus laufenden Etatsmitteln bereitgestellt werden. Die Beteiligung Preußens an der Osthilfeaktion gestaltete sich immer mehr zu einer societas leonina. Schließlich käme es darauf hinaus, daß das Reich alle Lasten übernehme und für den Erfolg im vollen Umfange verantwortlich gemacht würde, während Preußen nur die Vorteile hätte, die es hätte haben wollen. Wenn Preußen nicht für die Ablösungsscheine mithaften würde, so wäre das Reich der einzige Leidtragende.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft führte hierzu aus, daß die ganze Aktion auf der Basis gleichmäßiger Beteiligung Preußens und des Reichs eingeleitet worden sei, daß diese Voraussetzung aber nicht erfüllt würde.

Demgegenüber wies Staatssekretär Krüger darauf hin, daß Preußen für die Umschuldung mithafte. Das Angebot von 100 Millionen, das Preußen gemacht habe, sei seinerzeit abgelehnt worden5.

Das bestritt der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft entschieden.

Der Reichskanzler erklärte, daß diese Streitfrage genau geprüft und daß das Schreiben des Preußischen Ministerpräsidenten in der Angelegenheit entsprechend beantwortet werden würde6. Der Gesetzentwurf solle so rechtzeitig[760] ausgearbeitet werden, daß er vor der Kabinettssitzung am 12. Januar einer eingehenden Prüfung unterzogen werden könne7.

Die Frage der Ausdehnung der Osthilfe soll dabei offenbleiben8. § 12 des alten Entwurfs wird nicht aufgenommen.

Fußnoten

1

Den Umschuldungsbedarf bezifferte die Oststelle auf 300 Mio RM. Davon waren 175 Mio RM gedeckt, die restlichen 125 Mio RM sollten durch die Industriebelastung für 1932/33 (50 Mio RM), durch innere Umschuldung (35 Mio RM) und Ablösungsscheine (40 Mio RM) gedeckt werden. Die Belastung der Etats bis 1938 schätzte die Oststelle auf 60 Mio RM für 1931/32, 68 Mio RM für 1932/33, auf je 18 Mio RM für 1933/1936 und 8 Mio RM für 1937/ 38. Preußen sollte durch Mithaftung für die Barumschuldung und die innere Umschuldung beteiligt sein. Zur Durchführung der Umschuldung wurden drei Möglichkeiten vorgeschlagen:

1. Rückgriff auf die Industriebelastung und Mobilisierung durch Ablösungsscheine mit fünfjähriger Laufzeit und jährlicher Tilgung von 1/5 aus Etatsmitteln; oder

2. Ausgabe von Ablösungsscheinen mit zehnjähriger Laufzeit und jährlicher Tilgung von 1/10 aus Etatsmitteln; oder

3. Kombination von Ablösungsscheinen für unorganisierten Kredit mit innerer Umschuldung für organisierten Kredit (R 43 I /1447 , Bl. 387–390).

2

S. Dok. Nr. 222, P. 2.

3

Der Osthilfe-GesEntw. war dem RT am 16.6.30 vorgelegt worden (RT-Bd. 442 , Drucks. Nr. 2141 ). Der GesEntw. war vom RT am 17.7.30 in 2. Lesung angenommen worden (RT-Bd. 428, S. 6459 –6463). Die 3. Lesung hatte wegen der Auflösung des RT am 18.7.30 nicht mehr stattfinden können.

4

§ 12 des GesEntw. ermächtigte die RReg., Mittel zur Linderung der besonderen Notlage auf wirtschaftlichen, gewerblichen, gesundheitlichen, sozialen und kulturellen Gebieten bereitzustellen und dem Gewerbe, dem Handel und dem Handwerk Krediterleichterungen zu gewähren (RT-Bd. 442 , Drucks. Nr. 2141 , S. 3).

5

S. Dok. Nr. 87, Anm. 4.

6

Der PrMinPräs. hatte im Schreiben an den RK vom 13.12.30 die seitens der RReg. vertretene Auffassung nachdrücklich zurückgewiesen, daß die PrReg. der RReg. zugesichert habe, sich an der Aufbringung der für die Umschuldung in den Osthilfegebieten erforderlichen Mittel mit dem Reich zu gleichen Teilen zu beteiligen. Er habe in seinem Schreiben vom 24.7.30 der RReg. angeboten, zur Einleitung der durch die Nichtverabschiedung des Osthilfeges. gefährdeten Osthilfeaktion einen Zwischenkredit von 100 Mio RM bis zum 31.12.30 über die Preußenkasse zur Verfügung zu stellen. „Das Angebot betraf also nicht eine Beteiligung Preußens an der dauernden Aufbringung der erforderlichen Umschuldungsmittel, sondern nur einen dem Betrage und der Fälligkeit nach fest begrenzten Zwischenkredit. Dieses Angebot eines Zwischenkredites hat die Reichsregierung nicht angenommen, weil sie glaubte, das mit der Aufnahme eines kurzfristigen Zwischenkredits verbundene Risiko nicht übernehmen zu können. Eine Verpflichtung zur Bereitstellung von Umschuldungsmitteln ist somit nicht zur Entstehung gelangt.“ Über das Angebot vom 24. 7. hinaus habe die PrReg. keine Zusagen über die Bereitstellung von Umschuldungsmitteln gemacht. Daher entbehre die Mahnung an die PrReg., ihren Verpflichtungen nachzukommen, jeder Berechtigung (R 43 I /1805 , Bl. 247–248). Feßler vermerkte zu dem Brief am 18. 12., daß Braun an der Tatsache nicht vorbeikomme, daß stets von gleichmäßiger Beteiligung Preußens und des Reichs ausgegangen worden sei. Auch in seinem Schreiben vom 24. 7. sei klar zum Ausdruck gekommen, daß Preußen endgültig die Aufteilung des Risikos der Umschuldung zwischen Reich und Land je zur Hälfte gewünscht habe. Allerdings handele es sich nicht um einen einklagbaren Anspruch des Reichs gegen Preußen. Es könne politisch nur darauf ankommen, ob die gleichmäßige Beteiligung zugesagt worden sei oder nicht (R 43 I /1805 , Bl. 249). Der Entw. eines im Sinne des Feßlerschen Vermerks gehaltenen Antwortschreibens des RK an den PrMinPräs. befindet sich in R 43 I /1805 , Bl. 249–250 und Bl. 291.

7

Die Oststelle übersandte der Rkei am 31.12.30 den neuen GesEntw. über die Osthilfe (R 43 I /1805 , Bl. 292–306). Am 6. und 12.1.31 fanden in der Oststelle Ressortbesprechungen über den GesEntw. statt (Aufzeichnungen in R 43 I /1805 , Bl. 343–357 und Bl. 421 bis 428).

8

In einem als „Persönlich!“ gekennzeichneten Schreiben an den RK vom 23.12.30 kritisierte der REM die Beschlüsse der Sitzung vom 19.12.30. Die Verschlechterung des gegenwärtigen Osthilfe-GesEntw. gegenüber dem ursprünglichen sei so schwerwiegend, daß es zweifelhaft sei, ob der weiten Kreisen der ostdt. Landwirtschaft drohende allgemeine Zusammenbruch mit den nunmehr in Aussicht genommenen beschränkten Mitteln überhaupt noch abgewendet werden könne. Während ursprünglich 650 Mio RM für die Umschuldung im Osten verwendet werden sollten, seien jetzt nur wenig mehr als 300 Mio RM für diesen Zweck vorgesehen. Inzwischen habe sich aber seit Sommer 1930 die Lage der Landwirtschaft weiter verschlechtert. „Hier wird das nur durch Opferwillen zu bekundende allgemeine Interesse sich darauf konzentrieren müssen, im wohlverstandenen allgemeinen Interesse zur Erhaltung der Landwirtschaft als Wirtschafts- und Ernährungsfaktor wenigstens im laufenden Jahre und möglichst sofort öffentliche Mittel einzusetzen, nachdem der Weg der privatwirtschaftlichen, mit öffentlicher Hilfe durchzuführenden Kapitalbeschaffung vorerst versagt hat.“ Der PrReg. warf der REM vor, sie beabsichtige eine Enteignung des Großgrundbesitzes: „Die heutige Lage der Landwirtschaft ist so, daß sie ohne ihr Verschulden die im Zuge der Entwicklung der letzten Jahre ständig steigenden Lasten bei dem unabwendbaren Sinken der Ertragspreise nicht mehr zu tragen vermag. Dies gilt für die großen wie für die kleinen Betriebe, wenn letztere auch zur Zeit noch die Schwierigkeiten leichter zu überwinden vermögen. Es hat aber den Anschein, daß die Preußische Staatsregierung das Ziel der Aufgaben der Osthilfe mehr oder weniger in einer Ablösung des großen Besitzes durch kleinere Betriebseinheiten erblickt und die Osthilfe dazu benutzen will, durch ihre Anwendung in stärkerem Maße die Überführung der Bewirtschaftung der unterstützungsbedürftigen Großbetriebe in bäuerliche Betriebsformen zu erzwingen. […] Ich würde es geradezu für ein Verhängnis für die deutsche Volksernährung halten, wenn in einer Zeit der Krisen ein noch keineswegs volkswirtschaftlich als richtig erwiesenes und darum desto gefährlicheres Experiment in größerem Umfange durchgeführt werden sollte. Natürlich kann sich auch die Osthilfe dem nun einmal durch die anhaltende Not geschaffenen Faktum nicht entziehen, daß eine beträchtliche Anzahl landwirtschaftlicher Großbetriebe den Wirkungen des Kapitalverlustes erlegen ist, und daß dieser Ausscheidungsprozeß bis zu einem gewissen Grade nun nicht mehr aufzuhalten ist. Die Osthilfe wird aber ihr Augenmerk auch darauf zu richten haben, die zum mindesten für die Versorgung des deutschen Volkes mit Körner- und Hackfrüchten wichtigen Großbetriebe, soweit sie lebensfähig sind, zu halten. Die Vorgänge der letzten Monate erfüllen mich mit banger Sorge, ob nicht dem in dieser Richtung angesetzten Bestreben der Reichsstellen seitens Preußens in bedenklichem Umfange entgegengewirkt wird. Für die gesamte Volksernährung und Volkswirtschaft halte ich es für geboten, auch der großen Landwirtschaft in den Gebieten, in denen sie zu Haus ist, ebenso nachdrücklich zu helfen, wie das für bäuerliche Betriebe geschieht.“ Der REM forderte eine räumliche Ausdehnung der Osthilfe, ein beschleunigtes Umschuldungsverfahren und eine fühlbare Senkung der Steuern, Lasten und sozialen Abgaben in den Osthilfegebieten. Anderenfalls „würde es mir nahezu unmöglich gemacht werden, die von mir bislang bereitwillig übernommene Mitverantwortung für die Osthilfe weiter zu tragen“. Das Schreiben des REM wurde vom RK abgezeichnet; Pünder vermerkte: „Keine Antwort z. d. A.“ (R 43 I /1805 , Bl. 282–289). Vgl. Dok. Nr. 222, Anm. 2. Der Vorwurf, mit der Osthilfe wolle man den ostdt. Großgrundbesitz zerschlagen, war bereits im November 1930 von Graf Eulenburg-Prassen gegenüber dem RPräs. erhoben worden. In einem Schreiben vom 20.11.30 an Eulenburg hatte der RPräs. diese Beschuldigung zurückgewiesen: „Ich habe aus den stattgehabten Erhebungen wie auch der heutigen Aussprache die Überzeugung gewonnen, daß die führenden Persönlichkeiten der Osthilfe, sowohl Reichskommissar Treviranus und sein Vertreter Dr. Wachsmann als auch der von Preußen gestellte Kommissar Staatsminister Dr. Hirtsiefer von keiner anderen Absicht geleitet sind als von der, dem notleidenden Osten Hilfe zu bringen. Politische Tendenzen, insbesondere auch der Gedanke einer absichtlichen Zerschlagung des Großgrundbesitzes, liegen – daran zweifle ich nicht – den genannten Herren fern. Daß der Plan, durch Siedlungen die deutsche Bevölkerung im Osten zu verstärken, bei den Arbeiten der Osthilfe eine Rolle spielt, wird von den genannten Herren nicht bestritten; sie betonen, daß hierbei lediglich nationale und bevölkerungspolitische Momente maßgebend sind“ (Abschrift in R 43 I /1805 , Bl. 260–265).

Extras (Fußzeile):