1.111.1 (bru2p): Wirtschaftslage

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Wirtschaftslage

Streng Vertraulich

Nach Eröffnung der Besprechung führte der Reichsbankpräsident aus, daß die lange Dauer der Unruhe im Auslande wegen des Hoover-Planes für die deutsche Wirtschaft nicht mehr tragbar sei. Die Stunde sei gekommen, in der von deutscher Seite aus eine starke Initiative entfaltet werden müsse, da Deutschland nicht mehr Objekt des Geschehens sein könne. Er habe sich die Wirtschaftslage sehr eingehend durch den Kopf gehen lassen und sei zu der Auffassung gekommen, daß ein Garantieverband geschaffen werden müsse, um die fälligen Auslandskredite zu sichern. Die deutsche Wirtschaft müsse zu einer Gesamtgarantie zusammengeschlossen werden. Hierbei werde es sich selbstverständlich um eine freiwillige Selbsterhaltungsaktion der Wirtschaft unter Führung der Golddiskontbank handeln. Aufgabenkreis dieses Verbandes werde zunächst sein, die Julifälligkeiten zu regeln. Weitere Aufgabe werde als zweiter Akt sein, den Versuch zu unternehmen, für sich Auslandskredite zu bekommen. Diese Regelung setze aber voraus, daß die Haftung nach außen unbegrenzt sei. Was die Haftung nach innen angehe, so sei das Ziel zunächst 500 Millionen RM, und zwar 250 Millionen müßten die Banken übernehmen und 250 Millionen die übrige Wirtschaft. Die Haftung selbst werde ratierlich sein mit Zusatzquote1.

Staatssekretär Dr. TrendelenburgTrendelenburg wies darauf hin, daß derartige Pläne bereits früher im Reichswirtschaftsministerium im Gange gewesen seien, nämlich der sogenannte Hachenburg-Plan2. Der Grundgedanke sei durchaus begrüßenswert.[1293] Eine gewisse Schwierigkeit erblicke er darin, daß sich der Garantieverband nur auf Bankschulden erstrecken solle, nicht aber auf private Schulden.

Der Reichsbankpräsident wies darauf hin, daß die Angelegenheit von der Reichsbank aus betrieben werden müsse, weil die Reichsbank ein Interesse habe an einer devisenkräftigen Wirtschaft.

Der Reichsminister der Finanzen fragte, ob alle leistungsfähigen Unternehmen herangezogen werden sollen. Es würde wohl nicht angehen, daß man große leistungsfähige Unternehmen ausschließe, weil dann der Garantieverband zu einem Verband der Schwachen würde. Alle potenten Kräfte müßten dabei sein.

Staatssekretär Dr. TrendelenburgTrendelenburg bat, die Angelegenheit nicht von Reichs wegen aus in die Hand zu nehmen, weil dann zu befürchten sei, daß die Wirtschaft mit Gegenforderungen komme. Die Angelegenheit müsse als eine Stützungsaktion der Wirtschaft aufgezogen werden.

Diese Auffassung wurde vom Reichsbankpräsidenten bestätigt.

Staatssekretär Dr. SchäfferSchäffer nahm zur Frage der Haftung Stellung und legte unter anderem dar, daß eine unbegrenzte Haftung wohl unmöglich sei, da sich kein Unternehmen hierzu bereit erklären könne, weil es sonst seine Kreditfähigkeit opfere.

Demgegenüber wies der Reichsbank-Vizepräsident DreyseDreyse darauf hin, daß es selbstverständlich keine Solidarhaftung sein könne, sondern nur eine Quotenhaftung. Allerdings müsse die Haftung nach außen als eine unbegrenzte in Erscheinung treten. Der in Aussicht genommene Haftungsbetrag von 500 Millionen müsse selbstverständlich auf eine Reihe von Jahren umgelegt werden.

Staatssekretär Dr. SchäfferSchäffer hob noch einmal hervor, daß die Höchstgrenze der Haftung für eine Firma feststehen müsse.

ReichsbankpräsidentLutherLuther legte dar, daß nach außen hin die Golddiskontbank eingeschaltet werde, die Kredite aufzunehmen mit Unterstützung des Garantieverbandes.

Reichsbank-Vizepräsident DreyseDreyse bemerkte, daß die Golddiskont-Bank einen Bereitschaftskredit haben werde, mit dem sie in Notfällen zu Hilfe kommen müsse. Es werde vielleicht auch Fälle geben, in denen der Kredit über die Golddiskont-Bank geleitet werde. Es könnte auch Fälle geben, in denen die Reichsbank dazwischen zu treten habe, wenn der Kredit zurückgezahlt werde.

Der Reichsminister der Finanzen wies darauf hin, daß bei dem Garantieverband die gleichen Verhältnisse sein werden wie bei einer Genossenschaft mit unbeschränkter Haftpflicht.

Staatssekretär Dr. TrendelenburgTrendelenburg betonte, daß der Weg über die Golddiskont-Bank eine gewisse Gefahr bedeute, wenn die Kredite umgeleitet würden. Nach seiner Meinung beruhe der Hoover-Plan darauf, daß man sich bestrebe, statt der privaten Schulden etwas anderes zu setzen. Der Privatkredit sei immer mehr gefährdet wie der öffentliche Kredit, der schwer tot zu machen sei.

[1294] Dieses Gefahrenmoment wurde vom Reichsbankpräsidenten LutherLuther anerkannt, jedoch mit dem Bemerken, daß er im gegenwärtigen Augenblick keine andere Regelung sehe. Es sei durchaus richtig, daß der Hoover-Plan eine Verlegung der Verschuldung herbeiführen könne.

Der Reichskanzler bemerkte, daß in den letzten Jahren bei der Kapitalinvestierung schwere Fehler gemacht worden seien. Würden diese Fehler radikal mit aller Schärfe beseitigt, dann werde auch nach seiner Meinung neues Geld wieder nach Deutschland hereinfließen. Deutschland werde dann wieder aufnahmefähig sein. Vor allem müßten die Städte hinsichtlich ihrer Finanzgebarung einer starken Kontrolle unterstellt werden. Bei den Kommunen müßte unbedingt die kurzfristige Verschuldung in Zukunft verhindert sein. Mit Herrn Minister Severing habe er heute früh über diese Fragen gesprochen und volles Verständnis gefunden3.

Der Reichsbank-Vizepräsident DreyseDreyse legte noch dar, daß man die gegenwärtige Verlegenheit der Banken benutzen müsse, um vorzuschreiben, daß in Zukunft Auslandsverschuldungen nur noch im Einvernehmen mit der Reichsbank erfolgen dürften. Auf die Frage, wie hoch sich die ausländische Verschuldung bei den Großbanken darstelle, erwiderte Reichsbank-Vizepräsident Dreyse, daß die Devisen- und Rembours-Kredite zusammen bei den 6 Großbanken etwa 3 Milliarden ausmachen würden, nach Abzug der Guthaben wohl etwa 2,5 Milliarden.

Staatssekretär TrendelenburgTrendelenburg schätzte die kurzfristigen Auslandsschulden in Deutschland auf 4–5 Milliarden RM.

Reichsbankpräsident Dr. LutherLuther stellte noch fest, daß das Problem der Rheinischen Landesbank in die Regelung nicht einbezogen sei4.

Hierzu bemerkte Staatssekretär SchäfferSchäffer, daß die Frage der Rheinischen Landesbank keine Bonitätsfrage, sondern eine Liquiditätsfrage sei.

Sodann kam Staatssekretär TrendelenburgTrendelenburg noch auf den Fall Borsig5 zu sprechen und führte aus, daß das Reichswehrministerium hier durch Erteilung von Aufträgen und Bevorschussung helfen müsse, wenn die Aufrechterhaltung der Firma aus militärischen Gründen von großer Bedeutung sei. Sodann werde das oberschlesische Arrangement zur Durchführung zu kommen haben6.

Fußnoten

1

In einer wohl in der Rbk angefertigten, undatierten Aufzeichnung war der Zweck des Garantieverbands formuliert worden: „Unter Führung der Deutschen Golddiskontbank wird ein Garantieverband gebildet mit dem Ziel, die ausländischen Gläubiger der wichtigsten deutschen Banken (20) durch eine Garantiestellung der ersten Vertreter der deutschen Wirtschaft (Banken und Industrie) zu veranlassen, von einer Fortsetzung der abnorm sich häufenden und die Wirtschaft gefährdenden Kündigungen ihrer nächstfälligen Forderungen abzusehen und so den Devisenabfluß der Reichsbank zum Stillstand zu bringen“ (Nachl. Luther Nr. 336). Ein weiterer Entw. (von der Hand Luthers?) über die Aufgaben des Garantieverbands befindet sich im Nachl. Luther Nr. 365, Bl. 77–79). Vgl. auch Luther, Vor dem Abgrund, S. 182 f.

2

Das Mitglied des Vorl. RWiR Rechtsanwalt Max Hachenburg hatte im Herbst 1921 die Gründung einer „Kreditvereinigung des deutschen Volkes“, die Industrie, Landwirtschaft und Handel umfassen sollte, vorgeschlagen; die Kreditvereinigung sollte die dt. Reparationszahlungen garantieren; das Projekt scheiterte am Widerstand der Industrie: vgl. diese Edition, Die Kabinette Wirth I/II, Dok. Nr. 115, Anm. 3, Dok. Nr. 135 und Dok. Nr. 144, P. 1.

3

Der RK hatte Severing wegen des Zusammenbruchs der Rheinischen Landesbank empfangen (Nachl. Pünder Nr. 43, Bl. 132).

4

S. Dok. Nr. 364, P. 2 a.

5

Vgl. Dok. Nr. 360.

6

S. Dok. Nr. 360, Anm. 14. Zu den weiteren Beratungen über den Garantieverband s. Dok. Nr. 366.

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