1.12 (bru2p): Nr. 264 Vermerk des Ministerialdirektors v. Hagenow über die Besprechung des Reichskanzlers mit sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten am 17. März 1931

Zum Text. Zur Fußnote (erste von 24). Zu den Funktionen. Zum Navigationsmenü. Zum Navigationsbaum

 

Bandbilder:

Die Kabinette Brüning I und II. Band 2 Das Kabinett Brüning I Bild 183-H29788NS-Wahlversammlung im Sportpalast Bild 102-10391Arbeitslose Hafenarbeiter Bild 102-11008Bankenkrise 1931 Bild 102-12023

Extras:

 

Text

RTF

Nr. 264
Vermerk des Ministerialdirektors v. Hagenow über die Besprechung des Reichskanzlers mit sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten am 17. März 1931

R 43 I /1021 , Bl. 150–156

Am 17. März 1931 empfing der Herr Reichskanzler in Gegenwart des Reichsministers der Finanzen Dietrich und des Reichsarbeitsministers Dr. Stegerwald die Führer der sozialdemokratischen Fraktion, nämlich die Abgeordneten Dr. Breitscheid, Dr. Hertz, Dr. Hilferding und Wels1.

Der Abgeordnete Dr. BreitscheidBreitscheid setzte die schwere Situation auseinander, in der sich die sozialdemokratische Fraktion unter den gegenwärtigen Verhältnissen befände. Da im Laufe des heutigen Nachmittags eine Fraktionssitzung stattfinde, müsse er über die Stellungnahme der Reichsregierung zu den akuten Fragen Bescheid haben.

1) Was die Steuerfragen angehe, so glaube er, daß die Annahme der Tantiemesteuer für die Reichsregierung tragbar sei2. Er könne sich nicht vorstellen, daß sich aus der Annahme dieser Steuer irgendwelche Schwierigkeiten ergeben könnten.

Was den erhöhten Zuschlag zur Einkommensteuer betreffe3, so wisse er, daß die Deutsche Volkspartei dagegen sei4. Er glaube aber, daß das Plenum[956] des Reichstags diesen Zuschlag annehmen werde5. Infolgedessen müsse er die Frage aufwerfen: was wird die Regierung tun, wenn diese Steuer zur Annahme kommt?

In diesem Zusammenhange wies der Herr Abgeordnete Breitscheid noch darauf hin, daß die Ablehnung des Gefrierfleisches im Reichsrat6 die Situation in seiner Partei noch wesentlich verschärft habe. Auch die vielfachen Reden des Herrn Abgeordneten Dingeldey, die sich in letzter Zeit mehrfach gegen die Sozialdemokratie gerichtet hätten7, trügen nicht dazu bei, den Führern der sozialdemokratischen Fraktion die Lage zu erleichtern.

2) Zu dem zollpolitischen Ermächtigungsgesetz müsse er erklären, daß sich auch hier gewisse Schwierigkeiten ergeben würden, wenn nicht nach dieser oder jener Richtung hin der Fraktion Zugeständnisse gemacht würden8.

3) Auch gegen das Osthilfegesetz wurden im Hinblick auf die Arbeitslosenversicherung gewisse Bedenken erhoben. Nach Auffassungen, die in der sozialdemokratischen Fraktion vertreten würden, sei es richtiger, das von der Industrie für die Osthilfe zur Verfügung gestellte Geld für die Arbeitslosenversicherung zu verwenden9.

4) Eine Blankovollmacht auf dem Gebiet des Etatsermächtigungsgesetzes10 zu geben, sei für die sozialdemokratische Fraktion nicht möglich, solange sie nicht wisse, welche diesbezüglichen Absichten die Reichsregierung habe.

5) Die Vertagung des Reichstags bis zum November würde in der Fraktion schwer zu erreichen sein. Aus demokratischen Gründen könne seine Fraktion eine solche Vertagung nicht annehmen, da es sich mit der Demokratie nicht vereinbaren lasse, das Parlament so lange auszuschalten, zumal in der Zwischenzeit grundsätzliche Maßnahmen getroffen werden müßten.

In diesem Zusammenhange sprach Herr Abgeordneter Breitscheid die Besorgnis aus, daß die Brauns-Kommission nach Vertagung des Reichstags arbeiten werde, um die Arbeitslosenversicherung abzubauen11. Dazu käme noch die Frage des Abbaus der Beamtengehälter12. Ein solcher Abbau sei an und für sich für die sozialdemokratische Fraktion nicht untragbar; dagegen wäre ein damit zusammenhängender Abbau von Arbeiterlöhnen für sie unmöglich. Auch die Frage der Arbeitszeitverkürzung müsse in Angriff genommen werden. Vom Standpunkt der sozialdemokratischen Fraktion sei es äußerst bedenklich, diese Frage im Wege einer Notverordnung zu lösen13.

[957] Aus all diesen Erwägungen heraus könne er im Namen der sozialdemokratischen Fraktion dem Herrn Reichskanzler gegenüber nur die Bitte aussprechen, den Reichstag nicht bis zum November zu vertagen.

Der Reichskanzler erwiderte, daß er für die erbetene Aussprache sehr dankbar sei.

Die Reichsregierung müsse nach wie vor entscheidenden Wert darauf legen, daß der Reichstag sich bis in den Herbst hinein vertage. Er sei durchaus bereit, einzustimmen in eine Vertagung bis Oktober. Nach seiner Meinung sei es äußerst gefährlich, den Reichstag zur Zeit noch länger zusammenzuhalten. Je länger er hier bliebe, desto weitergehende Wünsche würden von den einzelnen Parteien verfolgt. Die Regierung müsse jetzt Ruhe haben, um die im Interesse von Volk und Vaterland liegenden Maßnahmen treffen zu können. S. seien z. B. 700 Millionen [RM] für die Arbeitslosenversicherung, Krisenunterstützung und Wohlfahrtspflege erforderlich. Da es nicht möglich sei, diese Summe von neuen Steuern aufzubringen, müßten andere Maßnahmen ergriffen werden. Auf außenpolitischem Gebiet seien sehr baldige Verhandlungen notwendig, die aber nicht geführt werden können, wenn der Reichstag unter Beteiligung der Rechtsopposition anwesend sei. In diesem Zusammenhang wies der Herr Reichskanzler auf die politische Einstellung der Nationalsozialisten und der Deutschnationalen hin und führte aus, daß es nach seinen Meldungen zutreffend sei, daß die Nationalsozialisten und Hugenberg in der Zwischenzeit enger zusammengekommen seien. Außerdem sei für eine längere Vertagung des Parlaments entscheidend, daß die Ressorts gar nicht mehr in der Lage seien, die ungeheuren Arbeiten zu leisten, wenn das Parlament anwesend sei. Das Risiko, im Sommer eine Tagung abzuhalten, sei für ihn und die Reichsregierung zu groß.

Was die Steuerfragen angehe, so werde die Reichsregierung nach wie vor dagegen Stellung nehmen und vor allem ihre Bedenken gegen die Zuschläge zur Einkommensteuer erheben. Jede Besitzsteuererhöhung wirke sich auf der Einnahmeseite rein negativ aus. Er glaube nicht, daß sich aus der Annahme der Tantiemesteuer politische Komplikationen ergeben können, wohl aber dann, wenn noch andere Steuern angenommen würden14.

Hinsichtlich des Zollermächtigungsgesetzes erklärte der Herr Reichskanzler, daß die Reichsregierung in dieser Frage behutsam vorgehe. Mit Herrn Reichsernährungsminister Schiele seien genau die Termine festgelegt worden, zu denen die Zölle zu erhöhen seien. Von der Ermächtigung würde äußerst vorsichtiger Gebrauch gemacht werden15. Nach seiner Überzeugung sei der Landwirtschaft nur zu helfen, wenn die Kreditverhältnisse der Genossenschaften geregelt seien und die Landwirtschaft im großen Rahmen Selbsthilfe treibe. Würde letzteres nicht geschehen, so gebe es nach seiner Meinung für die Landwirtschaft[958] ein böses Erwachen. Was die zeitliche Dauer des Ermächtigungsgesetzes angehe, so müsse die Reichsregierung darauf Wert legen, daß das Ermächtigungsgesetz mindestens ein Jahr dauere, weil die Landwirtschaft sich auch zeitlich einstellen müsse.

Zur Frage der Arbeitszeit erklärte der Herr Reichskanzler, daß er sich nicht vorstellen könne, daß es möglich sei, ein entsprechendes Gesetz im Reichstag durchzubringen. Er glaube, daß diese Frage nur individuell zu lösen sei.

Der Reichsarbeitsminister führte hierzu ergänzend aus, daß auf dem Gebiet der Arbeitszeit nach seiner Meinung nur ein Rahmengesetz oder eine Ermächtigung an den Arbeitsminister in Betracht kommen könne.

Auf dem sozialpolitischen Gebiet stünden zur Zeit drei Fragen im Vordergrund:

1. Arbeitszeitfrage.

Der Gutachterausschuß werde voraussichtlich eine Ermächtigung an die Reichsregierung für das Beste halten16.

2. Arbeitslosenversicherung.

Auf diesem Gebiet könne er zur Zeit noch nichts sagen.

Der Herr Präsident des Statistischen Amts rechne im Jahresdurchschnitt 1 Million Arbeitslose mehr als bisher. 400 Millionen [RM] für Krisenfürsorge seien auch nicht ausreichend. Dazu käme die große Mehrbelastung der Gemeinden mit den Wohlfahrtserwerbslosen. Diese Frage bereite ihm große Sorge. Über alle diese Dinge müsse innerhalb der Ressorts eingehend verhandelt werden. – Was die Arbeitsbeschaffung angehe, so sei dies eine Geld- bzw. Kreditfrage. Die Reichsbahn könne an und für sich ein großes Beschaffungsprogramm machen, wenn sie die erforderlichen Geldmittel hätte. Da aber keine langfristigen Anleihen zu haben seien, so sei es natürlich sehr schwer, etwas Näheres zur Frage der Arbeitsbeschaffung zu sagen. Er sei bereit, über das Gutachten der Brauns-Kommission bezüglich der Arbeitslosenreform mit den Führern der Gewerkschaften zu sprechen, falls diese Frage im Rahmen der Notverordnung gelöst würde. Die Besprechung könnte allerdings nur geheim und vertraulich geführt werden.

3. Knappschaftsversicherung.

Wie solle die Knappschaftsversicherung in Ordnung gebracht werden? 50 Millionen [RM] seien noch restlich zu beschaffen. Diese Summe könne aus dem Reichsetat nicht gedeckt werden. Auch in dieser Frage müsse noch eine sorgfältige Prüfung erfolgen17.

Der Reichsminister der Finanzen legte dar, daß es möglich sei, zwei Wege einzuschlagen:

Erstens schematisch zu versuchen, die Schwierigkeiten zu beheben. Eine stärkere Heranziehung der indirekten Steuern sei nicht mehr möglich. Es bleibe[959] nur noch übrig, die Umsatzsteuer auf 1½% zu erhöhen; das würde aber eine erhebliche Verteuerung des Lebens bedeuten.

Zweitens: Versuch, durch Maßnahmen der Wirtschaft einen ausreichenden Impuls zu geben, um mehr Arbeiter zu beschäftigen. Nach seiner Meinung sei dies das einzige richtige Mittel. Wenn man aber diesen Weg betrete, dann könne man den Reichstag nicht zusammen haben, da er alles, was die Regierung machen würde, zerschlagen werde. Wie sollen die Ämter arbeiten, wenn der Reichstag zusammen sei, da die Mehrzahl der Ämter schon jetzt in der Arbeit ersticke. Daneben seien außenpolitische Aktionen in die Wege zu leiten. Es müsse eine bessere Basis geschaffen werden, schon um den Kampf mit den Nationalsozialisten aufnehmen zu können. Es müsse natürlich auch alles versucht werden, um den Sozialdemokraten die Lage zu erleichtern.

Hierbei kam der Reichsminister der Finanzen auf folgende Punkte zu sprechen:

a) Militäranwärterfrage.

Den Zwang, Militäranwärter bei den Krankenkassen einzustellen, könne man wegfallen lassen. Hierfür sei aber in erster Linie der Innenminister zuständig18.

b) Tantiemesteuer.

Er glaube, daß hier keine Schwierigkeiten entstehen würden, wenn die Tantiemesteuer zur Annahme komme.

c) Einkommen- und Vermögenssteuer.

Hier müsse er sich auf den Standpunkt des Kanzlers stellen. Es gehe nicht an, die Steuern zur Durchführung zu bringen; sie würden praktisch nichts nützen, sondern höchstens schaden. Er als Finanzminister könne auf diesem Gebiet nicht nachgeben.

d) Etatsermächtigungsgesetz.

Zu diesem Punkt habe der Herr Reichskanzler bestätigt, daß es der Volkspartei zugesagt sei, eine gesetzliche Bestimmung zu schaffen. Hierbei betonte der Herr Reichsminister der Finanzen, daß der Etat nicht in Ordnung zu halten sei, wenn sich nicht die wirtschaftlichen Verhältnisse bessern. Bei Aufstellung des Etats habe man mit einem gewissen, wenn auch noch so geringen Anstieg der Konjunktur gerechnet. Würde dieser Anstieg nicht eintreten, dann würde der Etat allerdings nicht mehr balancieren.

Der Abgeordnete Dr. HilferdingHilferding bemerkte, er habe bedauert, daß der Herr Reichsinnenminister bei der Debatte über den Hamburger Vorfall (Ermordung des Kommunisten) nicht in Erscheinung getreten sei19.

[960] Was die Vertagung des Reichstags anlange, so befürchte er, daß der Exodus der Rechtsparteien eine politische Rechtfertigung bekomme, wenn der Reichstag sich so lange vertage. Aus diesen Erwägungen heraus könne er nur raten, zu Pfingsten eine kurze Tagung von 14 Tagen zu veranstalten und hierfür die Tagesordnung jetzt noch festzulegen, damit kein Unglück eintrete. Mit einer solchen Pfingsttagung werde man einen gewissen politischen Erfolg erreichen. Wenn man das Programm der Tagung genau festlege, dann könne er auch nicht einsehen, welche Gefahr drohe. Was solle denn sonst geschehen? Die Sozialdemokratie sei in einer sehr schwierigen Situation, weil sie die Verantwortung für die Regierung mittrage.

Auf dem Gebiet des Etatsermächtigungsgesetzes müßten sie unbedingt Gewißheit haben, daß in sozialpolitischen Fragen keine Verschlechterung geschaffen würden.

Den Zuschlag zur Einkommensteuer solle man ruhig laufen lassen. Da diese Erhöhung nicht von der Regierung vertreten, im Gegenteil bekämpft werde, könne er sich nicht vorstellen, daß sich für sie Schwierigkeiten ergeben, wenn diese Steuer angenommen würde. Das gleiche gelte für die Vermögenssteuer.

Der Reichskanzler setzte noch einmal eingehend auseinander, daß für die Regierung keine Chancen gegeben seien, wenn der Reichstag zusammenbleibe. Die Regierung müsse bei einer Nichtvertagung bis zum Herbst die Konsequenzen ziehen. Dies habe er auch dem Herrn Ministerpräsidenten Braun klar erklärt, da für die bevorstehende Arbeit im Reichstag keine Mehrheit zu bekommen sei. Es müsse zunächst abgewartet werden, wie die Wirtschaft sich entwickle. Man sei auch nicht in der Lage, die Reparationen länger zu zahlen. Es müßten die einschneidenden Maßnahmen, die zu treffen seien, eingehend geprüft werden. Eine solche Prüfung sei nicht möglich, wenn der Reichstag irgendwie zu Pfingsten oder später zusammenkomme.

Der Abgeordnete Dr. HertzHertz schlug vor, den Einberufungstermin im Oktober festzulegen und den Präsidenten des Reichstags zu ermächtigen, den Reichstag einzuberufen.

Der Abgeordnete Dr. BreitscheidBreitscheid stellte im Laufe der Aussprache fest, daß das Ergebnis der Besprechung für die Sozialdemokratie sehr gering sei. Die Volkspartei ertrage es nicht, daß neue Steuern gemacht würden. Auf der anderen Seite mute man der Sozialdemokratischen Partei sehr viel zu. Man müsse auch einmal der Volkspartei mit Energie entgegentreten.

Aus den Erklärungen des Reichskanzlers entnehme er, daß, wenn die Sozialdemokratie nicht für eine Vertagung des Reichstags eintrete, das eine Kabinettskrise bedeute. Er könne noch immer nicht einsehen, warum man nicht zu Pfingsten kurz zusammentreten könne. Denn man müsse doch auch überlegen, was es für die Sozialdemokratie bedeute, wenn es bis Oktober keinen[961] Reichstag gebe. Gegen diktatorische Vollmachten würde die Sozialdemokratie keine Bedenken haben, aber sie müsse vorher wissen, was die Regierung wolle. Solche allgemeinen Auskünfte, wie sie den sozialdemokratischen Führern heute in der Besprechung erteilt worden seien, könne er unmöglich in der Fraktion vortragen. Auch der Reichsminister der Finanzen rede sehr geheimnisvoll. Er habe den Eindruck, daß man die schlechte Stellung der Sozialdemokratie ausnütze. Der Effekt sei der, daß sich die Regierung für die Dauer nicht halten könne. Im Hinblick auf den Parteitag in Chemnitz vom 31. Mai20 sprach der Abgeordnete Breitscheid noch einmal die dringende Bitte aus, der Sozialdemokratie die Situation nicht allzu sehr zu erschweren.

Der Abgeordnete WelsWels betonte, daß man der Arbeiterschaft eine Vertagung bis zum Herbst nicht klarmachen könne. Man müsse sich auch psychologisch so einstellen, daß die Führer der Sozialdemokratie einen gewissen Erfolg auf dem Parteitag erzielen können. Auf die Volkspartei nehme man dauernd Rücksicht. Die Sozialdemokratie sei nicht Hörige der Volkspartei. Jede Werbekraft der Sozialdemokratie gehe verloren, wenn sie in eine Vertagung bis zum Herbst ohne weiteres einwillige. Im Interesse des demokratischen Staates sei es unbedingt geboten, daß man auf die Wünsche der sozialdemokratischen Fraktion auch in der Vertagungsfrage mehr Rücksicht nehme. Er glaube nicht, daß die Volkspartei den Etat ablehnen werde, wenn man ihre Wünsche nicht erfülle21. Man solle dies in Ruhe abwarten.

Der Reichskanzler wies noch einmal auf die großen Schwierigkeiten hin, die eine Pfingsttagung zur Folge hätte. Auch die Bayerische Volkspartei strebe eine solche Pfingsttagung an, um politische Ziele zu erreichen. Er gebe sich aber nicht dazu her, unter das bayerische Joch zu kriechen.

Der Abgeordnete WelsWels schlug im Laufe der weiteren Aussprache vor, den Reichstag bis zum Oktober mit der Formel zu vertagen, daß dem Reichstagspräsidium das Recht eingeräumt werde, den Reichstag früher einzuberufen, wenn die Reichsregierung es erfordere22.

Der Abgeordnete Dr. HertzHertz kam noch einmal auf das Etatsermächtigungsgesetz zu sprechen und betonte, daß hier Ausnahmevorschriften geschaffen werden müßten für Sozialausgaben, für Hinterbliebenenbezüge, für Kriegsbeschädigtenrenten und für Kleinrentner.

Der Reichskanzler erwiderte, daß er Ausnahmen nicht zulassen könne, da die Gefahr bestehe, daß dieser Ausnahmekreis noch erweitert würde und vor allen Dingen auf die Beamtengehälter erstreckt würde. Er erkläre aber ausdrücklich, daß die Leistungen aus der Invalidenversicherung und die Beiträge der Krisenfürsorge nicht herabgesetzt würden.

Der Abgeordnete Dr. BreitscheidBreitscheid kam noch auf das landwirtschaftliche Ermächtigungsgesetz zu sprechen und warf die Frage auf, was werden solle,[962] wenn die Sozialdemokratie nicht dafür stimme23. Die Sozialdemokratie könne unbedingt für dieses Gesetz eintreten, zumal die Brotpreise wieder gestiegen seien.

Der Abgeordnete Dr. HilferdingHilferding machte zu der Agrarpolitik noch folgende Ausführungen:

Der Weizenpreis sei dauernd gestiegen. Eine Hochhaltung dieses Preises sei unmöglich, zumal zu befürchten sei, daß der Roggenpreis sich bald anschließen werde. Für die Sozialdemokratie sei die Erhöhung des Brotpreises unmöglich.

Der Herr Reichskanzler führte aus, daß er morgen in eine weitere Aussprache über die Agrarpolitik mit den Abgeordneten der Sozialdemokratie eintreten werde24.

H[a]genow[]

Fußnoten

1

Das vorliegende Dok. ist auszugsweise publiziert in: Matthias/Morsey: Das Ende der Parteien, S. 205–209.

2

Die SPD hatte am 5.12.30 einen GesEntw. eingebracht, der für Aufsichtsratsmitglieder Zuschläge zur Einkommensteuer in Höhe von 20% vorsah (RT-Bd. 449 , Drucks. Nr. 412 ). Der RT nahm am 23.3.31 den GesEntw. an (RT-Bd. 445, S. 1890 ).

3

SPD-GesEntw. über Zuschläge zur Einkommensteuer in den Rechnungsjahren 1930 und 1931 (RT-Bd. 449 , Drucks. Nr. 413 ). Nachdem die SPD ihren Antrag zurückgezogen hatte, hatte der Steuerausschuß einen eigenen GesEntw. über Zuschläge zur Einkommensteuer vorgelegt (RT-Bd. 450 , Drucks. Nr. 910 ).

4

Die DVP hatte in ihrer Fraktionssitzung vom 12.3.31 Steuererhöhungen abgelehnt (R 45 II /67 , S. 314).

5

Der GesEntw. des Steuerausschusses wurde vom RT am 23.3.31 angenommen (RTBd. 445, S. 1890 ).

6

Vgl. Dok. Nr. 260, Anm. 8.

7

Dingeldey hatte am 15.3.31 in München vor Konzessionen der RReg. an die SPD in der Steuerfrage nachdrücklich gewarnt (DAZ Nr. 119–120 vom 17.3.31).

8

S. dazu das folgende Dok. Nr. 265.

9

Damit ist die im OsthilfeGesEntw. (RT-Bd. 450 , Drucks. Nr. 901 ) vorgesehene Industrieumlage gemeint. Vgl. auch RGBl. 1931 I, S. 117 .

10

ReichshaushaltsGesEntw. für das Rechnungsjahr 1931. Vgl. dazu Anm. 20.

11

Die sog. Brauns-Kommission (vgl. Dok. Nr. 272, P. 1) veröffentlichte nach der Vertagung des RT ihr Gutachten.

12

Vgl. Dok. Nr. 300.

13

S. Dok. Nr. 300.

14

Der RR erhob in seiner Sitzung vom 21.4.31 gegen die Tantiemesteuer und den Einkommensteuerzuschlag Einspruch. Der RR schloß sich der Auffassung der RReg. an, daß alles darauf ankomme, die Bildung von Privatkapital zu fördern (Niederschriften über die Vollsitzungen des Reichsrats, Jahrgang 1931, S. 131).

15

Vgl. Dok. Nr. 249 sowie Dok. Nr. 277, P. 1.

16

Im 1. Teil ihres Gutachtens vom 27.3.31 sprach sich die Brauns-Kommission gegen eine gesetzliche Arbeitszeitverkürzung aus und empfahl eine gesetzliche Ermächtigung für die RReg., eine Beschränkung der Arbeitszeit für einzelne Gewerbezweige oder Berufe anzuordnen (Gutachten in R 43 I /2039 , Bl. 309–343, hier Bl. 318).

17

Vgl. Dok. Nr. 289.

18

Nach § 11 des Wehrmachtsversorgungsgesetzes vom 19.9.25 waren ehemalige Unteroffiziere und Mannschaften, die Inhaber des Zivildienstscheines (Militäranwärter) waren, berechtigt, Beamten- oder Angestellten bei den Reichs-, Landes-, Kommunalbehörden oder bei sonstigen öffentlichen Körperschaften zu besetzen (RGBl. 1925 I, S. 351 ).

19

Am 13.3.31 hatte in Hamburg ein Polizeiwachtmeister, der nationalsozialistischer Umtriebe verdächtigt worden war, den gegen ihn ermitteltenden Beamten angeschossen. Am 14. 3. war ein kommunistisches Bürgerschaftsmitglied von Nationalsozialisten in einem Autobus erschossen worden (Schultheß 1931, S. 78). Die SPD-Fraktion hatte daraufhin am 16.3.31 einen Antrag im RT eingebracht, in dem der Abscheu über diese Bluttaten ausgesprochen und die RReg. ersucht worden war, einen GesEntw. gegen politischen Mord und gegen Waffenmißbrauch vorzulegen (RT-Bd. 450 , Drucks. Nr. 933 ). Der RT hatte den Antrag am 16.3.31 angenommen (RT-Bd. 445, S. 1608 ). Vgl. das Gesetz gegen Waffenmißbrauch vom 28.3.31 (RGBl. I, S. 77 ) und die NotVO zur Bekämpfung politischer Ausschreitungen vom 28.3.31 (RGBl. I, S. 79 ).

20

Der SPD-Parteitag fand vom 31. 5.–5.6.31 in Leipzig statt (Schultheß 1931, S. 118).

21

Trotz erheblicher Meinungsverschiedenheiten innerhalb der DVP-Fraktion (vgl. dazu R 45 II /67 , S. 318–319), stimmte die Mehrheit der DVP dem Haushaltsgesetz am 25.3.31 zu (RT-Bd. 445, S. 2002 , S. 2022).

22

Der RT vertagte sich am 26.3.31 bis zum 13.10.31 (RT-Bd. 445, S. 2053 ).

23

S. dazu Dok. Nr. 266.

24

S. Dok. Nr. 266.

Extras (Fußzeile):