2.17 (mu21p): Nr. 17 Die Unternehmerverbände an den Reichsarbeitsminister. 22. August 1928

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Nr. 17
Die Unternehmerverbände an den Reichsarbeitsminister. 22. August 19281

R 43 I /2033 , Bl. 267-272 Durchschrift

[Betrifft: Krisenfürsorge.]

Sehr geehrter Herr Minister!

Wir entnehmen der Tagespresse Mitteilungen, wonach2 innerhalb der Reichsregierung die Absicht besteht, aus Anlaß der bekannten Beschlüsse über den Bau des Panzerkreuzers weitere sozialpolitische Maßnahmen zu ergreifen, insbesondere eine weitere erhebliche Ausdehnung der Krisenfürsorge durch[67] Ausdehnung der Unterstützungsdauer von 26 auf 39 Wochen durchzuführen. Authentische Nachrichten über die Richtigkeit oder Unrichtigkeit dieser Mitteilungen von berufener Seite zu erlangen, war uns bisher nicht möglich. Die unterzeichneten Spitzenverbände müssen daher vorsorglich für den Fall, daß die oben erwähnte Nachricht zutreffend sein sollte, der Reichsregierung gegenüber schon jetzt nachdrücklichst zum Ausdruck bringen, daß sie eine derartige Verquickung rein politischer Fragen mit Fragen des weiteren Ausbaues unserer sozialpolitischen Gesetzgebung in der nach den bisherigen Pressemeldungen offenbar beabsichtigten Weise für unvereinbar mit dem Grundsatz sachlicher sozialpolitischer Arbeit betrachten. Die unterzeichneten Verbände betrachten es nicht als ihre Aufgabe, hier zur Frage des Panzerkreuzerbaues Stellung zu nehmen, sie halten sich aber für berufen und verpflichtet, mit aller Entschiedenheit und unter Umständen auch vor aller Öffentlichkeit zu betonen, daß die Tatsache der Verwendung von Mitteln des Reichsetats zum Bau eines neuen Panzerkreuzers kein begründeter Anlaß ist, um hieraus eine sachliche Notwendigkeit herzuleiten, die sozialpolitische Gesetzgebung in der oben angedeuteten Form weiter auszubauen.

Es ist im Augenblick nicht der Zweck unserer Ausführungen, im einzelnen näher zu der offenbar3 beabsichtigten Ausdehnung der Krisenfürsorge Stellung zu nehmen. Die unterzeichneten Verbände4 haben auch aus Anlaß der letzten Beratungen über den soeben veröffentlichten Erlaß der Reichsregierung zur Krisenfürsorge betont, daß sie eine ausreichende Unterstützung der Erwerbslosen, die trotz allen Bemühens Arbeitsmöglichkeiten nicht finden, für notwendig halten. Gerade anläßlich der Beratungen über den letzten Erlaß der Reichsregierung sind aber auch nicht nur von seiten der Unternehmer, sondern auch der Behörden, wie des Reichsarbeitsministeriums selbst aus den Erfahrungen der letzten Jahre heraus auf die ernsten wirtschaftlichen, finanziellen und nicht zuletzt auch arbeitsmoralischen Bedenken hingewiesen worden, die gegen eine fortgesetzte Ausdehnung der Krisenfürsorge sprechen. Abgesehen davon, daß auf Grund vielfältiger statistisch erwiesener Erfahrungen die Selbstverantwortung und damit das in erster Reihe zu fördernde Streben, sich selbst um Arbeitsgelegenheiten zu bemühen, für den Erwerbslosen in bedenklichem Umfange herabgemindert werden muß, halten sich die unterzeichneten Verbände auch für verpflichtet, auf die ernsten finanziellen Bedenken hinzuweisen, die ihrer Auffassung nach vom Standpunkte einer verantwortlichen Finanzwirtschaft hierbei in Rechnung gesetzt werden müssen. Es ist nach unserer Kenntnis schon bei den jetzigen Bestimmungen über die Krisenfürsorge so gut wie sicher, daß der hierfür im Etat vorgesehene Betrag nicht zur Deckung der tatsächlichen Ausgaben ausreichen wird. Des ferneren muß angesichts der Entwicklung des Arbeitsmarktes schon heute mit höchster Wahrscheinlichkeit damit gerechnet werden, daß das Reich auf Grund der Bestimmungen des Arbeitslosenversicherungsgesetzes der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung zinslose Darlehen in zweifellos nicht unerheblichem[68] Umfange gewähren muß, für die im Etat Mittel nicht vorgesehen sind. Angesichts der ohnehin recht ungünstigen Abschlüsse der Reichsfinanzen im ersten Etatsquartal müssen die beiden hier geschilderten Momente bereits ohne weitere Ausdehnung der Krisenfürsorge mit nicht unbeträchtlicher Sorge erfüllen, die sich bei einer etwa beabsichtigten weiteren Ausdehnung der Krisenfürsorge und damit bedingten weiteren Ausgaben des Reichs auf diesem Gebiete entsprechend verstärken muß.

Wir haben dieses Schreiben auch dem Herrn Reichskanzler sowie den übrigen Mitgliedern des Reichskabinetts zugeleitet5.

Vereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände

Das geschäftsführende Präsidialmitglied:

gez. Brauweiler

Reichsverband der Deutschen Industrie

Das geschäftsführende Präsidialmitglied:

i. V. gez. Dr. Herle

Deutscher Industrie- und Handelstag

Das geschäftsführende Präsidialmitglied:

gez. Hamm

Fußnoten

1

Das Schreiben wurde am gleichen Tag dem RK zugesandt und am folgenden Tag in der DAZ wiedergegeben. – Der „Sozialdemokratische Pressedienst“ schrieb am 23.8.28 zur Kritik am Kabinettsbeschluß über die Krisenfürsorge: „Den Grundakkord für den unehrlichen und dreisten Protest haben die Spitzenorganisationen der Unternehmer gegeben, die noch kurz vor dem Kabinettsbeschluß einen Brief an die RReg. gerichtet haben, der die Verbesserung der Krisenunterstützung verhindern sollte“ (R 43 I /2033 , Bl. 266, 261 f., 264 f.).

2

Dahinter gestrichen: „offenbar“.

3

Danach gestrichen: „aus Anlaß des Panzerkreuzerbaues“.

4

Aus: „Unternehmerverbände“.

5

Das Schreiben wurde am 24.8.28 vom StSRkei im Auftrag des RK beantwortet (Konzept mit Randvermerk Pünders v. 24.8.28: „Vom Hn RK, der durchaus einverstanden ist, zurückerhalten.“): Das Schreiben sei erst im Lauf des 23. 8. eingegangen, nachdem sein Inhalt schon durch die Presse bekannt gewesen sei. Als Material habe es nicht mehr benutzt werden können, da der Kabinettsbeschluß am Vormittag des 22. 8. gefaßt worden sei. Der StS beabsichtige keine sachliche Vertiefung der Frage der Krisenfürsorge, weise aber darauf hin, daß das Schreiben von einer falschen Voraussetzung ausgehe, da zwischen den beiden Fragen des Panzerschiffbaues und der Krisenfürsorge keine Beziehung bestehe. Da er für die Tagesordnung der KabS. zuständig sei, könne er feststellen: „Die Frage der Krisenfürsorge hat auf Grund der bekannten Entschließungen des RT und des RR in den letzten Wochen mehrfach das RKab. beschäftigt. Nachdem gemäß einer eingehenden Aussprache im Kabinett am 10. 8. noch gewisse Feststellungen getroffen werden mußten und diese letzten Vorarbeiten erledigt waren, war es selbstverständlich, daß die Angelegenheit der Krisenfürsorge zur abschließenden Erledigung auf die Tagesordnung einer der nächsten Sitzungen gesetzt werden mußte, daß in der gleichen Zeit auch die Frage des Neubaues des Panzerschiffs das Kabinett beschäftigt hat, ist lediglich ein zeitliches Zusammentreffen.“ Im letzten Satz anstelle: „daß in der gleichen Zeit …“ zunächst: „Es wäre also grundfalsch anzunehmen, daß die Kabinettsberatungen bezüglich der Krisenfürsorge irgendeinen sachlichen Zusammenhang bezüglich des Panzerschiffs gehabt hätten“ (R 43 I /2033 , Bl. 273 f.).

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