1.53 (vpa2p): Nr. 182 Aufzeichnung des Staatssekretärs Meissner über eine Besprechung des Reichspräsidenten mit dem Reichskanzler und dem Preußischen Ministerpräsidenten Braun am 29. Oktober 1932, 12.15 Uhr

Zum Text. Zur Fußnote (erste von 9). Zu den Funktionen. Zum Navigationsmenü. Zum Navigationsbaum

 

Bandbilder:

Das Kabinett von Papen Band 2Das Kabinett von Papen Bild 183-R1230-505Wahllokal in Berlin Bild 102-03497AGöring, Esser und Rauch B 145 Bild-P046294Ausnahmezustand in Berlin während des „Preußenschlages“.Bild 102-13679

Extras:

 

Text

RTF

Nr. 182
Aufzeichnung des Staatssekretärs Meissner über eine Besprechung des Reichspräsidenten mit dem Reichskanzler und dem Preußischen Ministerpräsidenten Braun am 29. Oktober 1932, 12.15 Uhr

R 43 I /2281 , S. 175–187 Durchschrift1

Anwesend: v. Hindenburg, v. Papen, Braun, Meissner.

[Verfassungsrechtliche Stellung des Preußischen Staatsministeriums und der Kommissariatsregierung nach der Entscheidung des Staatsgerichtshofs]

Der Herr Reichspräsident führte einleitend aus: Der Streit zwischen Preußen und dem Reich über die Verordnung des Reichspräsidenten vom 20. Juli2 sei durch das Urteil des Staatsgerichtshofs3 erledigt. Es sei selbstverständlich, daß die Reichsregierung sich auf den Boden dieses Urteils stelle. Wir wollen loyal versuchen, auf diesem Boden zu einer Zusammenarbeit zu gelangen, welche den der preußischen Regierung vom Staatsgerichtshof zugesprochenen Rechten Rechnung trägt und auf der anderen Seite die Befugnisse des Reichskommissars und die Notwendigkeit einer einheitlichen Reichspolitik wahrt.

Ministerpräsident Braun: Ich will die persönliche Bitterkeit herunterschlucken, die ich über die Art und Weise meiner Entfernung aus dem Amt eines Ministerpräsidenten nach fast 14jähriger Ministerschaft empfinden muß4, und heute die Dinge rein sachlich behandeln. Wir stellen uns auf den Boden des Urteils und erkennen dasselbe als maßgebend an. Das preußische Kabinett ist[832] auch der Überzeugung, daß Sie, Herr Reichspräsident, als Hüter der Verfassung für eine loyale Auslegung und Ausführung dieses Urteils Sorge tragen werden. Aus dem Urteil ergeben sich für die Praxis eine Reihe von Schwierigkeiten. Aber in einem Punkte ist das Urteil klar, nämlich darin, daß die Amtsentsetzungen der preußischen Minister verfassungswidrig waren und nicht erfolgen durften; ebenso hat der Staatsgerichtshof den Vorwurf zurückgewiesen, daß die preußische Regierung ihre Pflicht dem Reich gegenüber verletzt habe. – Es kommt nun darauf an, in welcher Weise die Dinge abgegrenzt werden sollen. Ich bin der Auffassung, daß den preußischen Ministern die Attribute ihrer Amtsstellungen wieder eingeräumt werden, so daß diese in der Lage sind, ordnungsmäßig ihre Amtsgeschäfte in dem durch das Urteil gegebenen Umfange auszuüben. – Der Staatsgerichtshof hat zwar anerkannt, daß der Reichskommissar nach Artikel 48,25 Amtsbefugnisse der Minister übernehmen kann, aber Voraussetzung dafür ist immer die Notwendigkeit, eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung abzuwehren. Es frage sich, ob diese Gefährdung der öffentlichen Ordnung, nachdem der Reichskommissar seit mehreren Monaten amtiert und die Ruhe wohl wieder hergestellt hat, diese Voraussetzungen noch gegeben sind. Nach meiner Auffassung dürfen Maßnahmen, die die preußische Regierung beschränken, nur solange aufrecht erhalten werden, als dies im Interesse der öffentlichen Sicherheit notwendig ist. Ich muß bestreiten, daß es heute notwendig ist, die ganze Verwaltung bis zur Berliner Porzellanmanufaktur dem Reichskommissar zu unterstellen, um die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten; ich würde es verstehen, wenn bis auf weiteres die Polizeikräfte usw. ihm unterstellt werden, aber darüber hinaus ist m. E. der Artikel 48 zur Zeit nicht anwendbar. – Der Artikel 48 darf nicht dazu verwandt werden, die Verfassungs- und Verwaltungsreform durchzuführen. Auch ich halte den gegenwärtigen Zustand nicht für ideal; man ist bei der Weimarer Verfassung auf halbem Wege stehengeblieben. Ich für meine Person war immer bemüht, diese Diskrepanz praktisch nicht in Erscheinung treten zu lassen und habe mich immer für eine gewisse Zusammenfassung der Regierung im Reich und in Preußen ausgesprochen. Ich habe sogar dem früheren Reichskanzler Brüning angeboten, daß ich zurücktreten wolle und Brüning als Preußischer Ministerpräsident gewählt werden solle, um diese Zusammenfassung zu schaffen; ebenso habe ich mit ihm wegen Zusammenlegung gewisser Ministerien verhandelt6. Es ist aber nach meiner Auffassung unmöglich, in der gegenwärtigen Atmosphäre und mit der Begründung, daß dies zur Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung führe, aufgrund von Artikel 48 die Dinge zu regeln. Eine solche Aktion muß im Einvernehmen mit der preußischen Regierung vorgenommen werden. Dann werden auch die Widerstände im Süden, die jetzt vorhanden sind, überwunden.

Mein Verlangen ist also, daß die Anordnungen des Reiches auf solche Maßnahmen beschränkt werden, die notwendig sind zur Aufrechterhaltung der[833] öffentlichen Sicherheit. Mein Vorschlag geht dahin, daß das Staatsministerium nach Maßgabe des Urteils des Staatsgerichtshofs in seine Rechte eingesetzt wird und alsbald zwischen der Reichs- und der Staatsregierung Verhandlungen über die Zusammenfassung der Verwaltung im Reich und Preußen geführt werden. Die Kampfmethoden, die uns noch einmal vor den Staatsgerichtshof führen können, müssen aufhören, insbesondere muß mit den Personalveränderungen Schluß gemacht werden.

Reichskanzler von Papen: Es hat uns ferngelegen, die persönliche Integrität des Ministerpräsidenten Braun und seiner Ministerkollegen anzuzweifeln. Es waren nur politische Auffassungen und Erwägungen, die uns zum Eingreifen des Reiches bestimmt haben. – Was die Rechtslage anlangt, so wiederhole ich, daß wir gewillt sind, das Urteil loyal auszuführen. Die Entscheidung des Staatsgerichtshofs hat festgestellt, daß der Reichspräsident das Recht hat, in Preußen einen Reichskommissar mit allen Befugnissen der Exekutive einzusetzen, die er für notwendig hält. Auf der anderen Seite hat er der preußischen Landesregierung das Recht anerkannt, Preußen vor dem Landtag und dem Reichsrat zu vertreten. Die Exekutive liegt also in vollem Umfange beim Reichskommissar, die Vertretung des Landes bei der bisherigen Regierung. Die Exekutive kann nicht geteilt werden. Wir wollen aber versuchen, einen Weg zu finden, der der preußischen Regierung die Erfüllung der ihr verbliebenen Aufgaben ermöglicht, ohne daß die Exekutivgewalt des Reichskommissars berührt wird; es ist unmöglich, daß die Herren des preußischen Kabinetts eine Ingerenz auf die Amtsführung der einzelnen Ressorts nehmen; soweit sie Informationen benötigen, müssen sie den Weg über den Reichskommissar oder seinen Stellvertreter nehmen; sie können aber nicht in die einzelnen Ressorts hineinregieren.

Die politische Lage hat sich in den letzten 3 Monaten weiter verschärft und sie würde sich nicht erleichtern, wenn die geschäftsführende alte preußische Regierung, die keine Mehrheit in ihrem Landtag hat, die Dinge wieder in die Hand nähme. Dazu kommt, daß der Landtag selbst aktionsunfähig ist und keine neue Regierung bilden kann. Ich kann daher pflichtmäßig dem Herrn Reichspräsidenten eine Aufhebung oder Einschränkung der Verordnung nicht vorschlagen. – Die Personalveränderungen haben wir nur aus sachlichen Gesichtspunkten vorgenommen. Im Gegensatz zu Ihnen, Herr Ministerpräsident, ist die Reichsregierung der Auffassung, daß es bei der gegenwärtigen Lage notwendig ist, aufgrund der nach Maßgabe des Artikels 48 gegebenen Vollmachten auch die Verwaltungsreform durchzuführen und die Verfassungsreform vorzubereiten. Wenn man sich die Beseitigung zum Ziele setzt, ist es zweckmäßig und praktisch, schon jetzt einen Zustand zu schaffen, der ein Urteil darüber gestattet, wie diese Frage später dauernd auf dem gesetzgeberischen Wege geregelt wird. Die Reichsregierung ist überzeugt, daß so am besten der Boden für die künftige gesetzgeberische Regelung der Reichsreform vorbereitet wird.

Ministerpräsident Braun: Die preußischen Minister müssen ihre alten Amtsräume beziehen können und müssen, um ihre Aufgaben zu erfüllen, die Referenten zur Information beordern können und die Akteneinsichtnahme haben. Das ist kein Eingreifen in die Exekutive.

Reichskanzler von Papen: Es ist unmöglich, daß die preußischen Minister[834] unmittelbar Anordnungen an die Ressorts geben. Wenn sie den Wunsch nach Information haben, so müssen sie ihn über den Reichskommissar oder seinen Vertreter äußern7.

Ministerpräsident Braun: Das ist doch ein unwürdiger Zustand. Man soll hier nicht kleinlich sein. Er appelliere an den Herrn Reichspräsidenten, in diesem Sinne einzuwirken.

Der Herr Reichspräsident verweist auf die vom Herrn Reichskanzler abgegebene Erklärung, daß man loyal einen Weg suchen wolle.

Ministerpräsident Braun: Ich lege persönlich gar keinen Wert auf die Amtstätigkeit, die durch das Staatsgerichtsurteil mir zugewiesen ist. Ich wäre gern schon früher aus dem Amte geschieden, aber es ging nicht. Jetzt, nachdem der Staatsgerichtshof uns diese Aufgabe ausdrücklich zugewiesen hat, komme ich gar nicht mehr aus dem Amte heraus. Ich muß also solange aushalten, bis eine neue preußische Regierung gebildet ist. – Es gibt außer den hier berührten Fragen noch eine ganze Reihe von Einzelheiten, die noch geregelt werden müssen, z. B. die Ausübung des Begnadigungsrechts8. – In die Dinge, die der Reichskommissar nach der Entscheidung des Staatsgerichtshofs für sich in Anspruch nehmen kann, wollen wir uns nicht einmischen, aber es darf auch uns das Arbeiten innerhalb der uns verbleibenden Zuständigkeit nicht erschwert werden. Nach wie vor halte ich es für unmöglich, die Verwaltungs- und Verfassungsreform durch Anordnung des Reichskommissars durchzuführen.

Der Herr Reichspräsident Die Einzelheiten müssen auf dem Wege unmittelbarer Verhandlungen zwischen den Herren des preußischen Kabinetts und dem Reichskanzler und Reichskommissar geregelt werden. Ich hoffe, daß sich eine Lösung finden wird, da, wie mir scheint, der gute Wille auf beiden Seiten vorhanden ist.

Ministerpräsident Braun stellt in Aussicht, daß, sobald das preußische Kabinett, das jetzt durch Wahlreisen nicht geschlossen zusammentreten kann, Ende der nächsten Woche Beschluß gefaßt hat, er die Auffassung des Kabinetts dem Herrn Reichskommissar mitteilen werde9. Daran anschließend könne man dann die Einzelheiten noch besprechen.

Der Herr Reichspräsident schließt die Besprechung, indem er nochmals der Auffassung Ausdruck gibt, daß eine Lösung gefunden werde. Das Reich könne aber nur eine einheitliche Politik führen und zu diesem Zwecke müßten bei der gegenwärtigen Lage die Machtmittel des Reichs und Preußens in einer Hand zusammengefaßt sein. Anders käme man nicht aus den Schwierigkeiten heraus.

Ministerpräsident Braun: Man muß aber hierbei im Rahmen der Verfassung bleiben.

Dauer der Besprechung: 1 Stunde und 5 Minuten.

Für die richtige Niederschrift:

gez. Dr. Meissner

Staatssekretär

Fußnoten

1

Von Meissner am 30. 10. an den StSRkei übersandt.

2

Dok. Nr. 68.

3

Entscheidung des Staatsgerichtshofs in der Streitsache Preußen gegen das Reich vom 25.10.32, zum Text s. Anm 2 zu Dok. Nr. 177.

4

Hierzu vgl. Dok. Nr. 70; 73 und 81. – Braun in einem Brief an MinDir. Brecht vom 29.8.32 in diesem Zusammenhang u. a.: „Und nun wegen Nichterfüllung der Pflichten gegen das Reich wie ein Dienstbote, der gestohlen hat, und den man das Haus nicht mehr betreten läßt, aus dem Amte gejagt zu werden, das ist reichlich bitter. Und umsomehr, als es auf Anordnung eines Mannes geschieht, für dessen Lauterkeit und Verfassungstreue ich mich mit mit meiner ganzen Person öffentlich eingesetzt habe, und der dem nicht zuletzt seine Wiederwahl zum Reichspräsidenten verdankt. Aus meiner über vierzigjährigen Praxis weiß ich, daß es in der Politik keine Dankbarkeit gibt. Aber ein gewisses Maß von Achtung ist doch unerläßliche Voraussetzung auch für eine politische Zusammenarbeit.“ Der Brief, von Brecht verlesen bei den Verhandlungen vor Staatsgerichtshof am 10. 10., gedr. in: Preußen contra Reich, S. 47 f.

5

Art. 48 Abs. 2 RV, Text: Anm 4 zu Dok. Nr. 170.

6

Zu diesen Verhandlungen (1931) vgl. Brüning, Memoiren, S. 483 ff.; Schulze, Otto Braun, S. 689 ff.

7

Zur Auseinandersetzung zwischen Bracht und Brecht in dieser Frage s. Dok. Nr. 188 und 189.

8

Zum Gnadenrecht vgl. Anm 7 zu Dok. Nr. 178.

9

Dazu vgl. Dok. Nr. 188.

Extras (Fußzeile):