1.89 (vpa2p): Nr. 218 Aufzeichnung des Staatssekretärs Meissner über eine Besprechung des Reichspräsidenten mit dem Vorsitzenden der Zentrumspartei Kaas am 18. November 1932, 18 Uhr

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[975] Nr. 218
Aufzeichnung des Staatssekretärs Meissner über eine Besprechung des Reichspräsidenten mit dem Vorsitzenden der Zentrumspartei Kaas am 18. November 1932, 18 Uhr1

NL Schleicher 31, Bl. 5–9 Durchschrift2

[Lage nach dem Rücktritt der Reichsregierung; Möglichkeiten der Regierungsbildung; Kanzlerschaft Hitlers?]

Nach den einleitenden Worten des Herrn Reichspräsidenten3 erklärte Prälat Kaas4: Für das Ziel der nationalen Konzentration steht Ihnen die überzeugte und nachhaltige Mitarbeit des Zentrums unbedingt zur Verfügung. Ich habe schon in meiner Wahlrede in Münster gesagt, daß ich nur darin einen dauernden Ausweg aus der schwierigen Lage sehe, daß 3 bis 4 mutige Parteiführer einen Treue-Pakt untereinander machen, um eine Regierung zu unterstützen5. Wir wollen nicht wieder zurückfallen in den Parlamentarismus, sondern wir wollen dem Reichspräsidenten einen politischen und moralischen Rückhalt schaffen für eine autoritäre Regierung, die vom Reichspräsidenten inspiriert und instruiert wird. Wir wollen nicht rückwärts, sondern vorwärts.

Für meine Partei, die zwischen den anderen steht, ist der zeitliche Moment des heutigen Empfangs etwas früh für ein endgültiges Urteil. Eine endgültige Stellungnahme werden wir erst abgeben können, nachdem die Stellungnahme der anderen Parteiführer vorliegt, die Parteiführer untereinander sich besprochen haben und eine sachliche Klärung vorliegt.

Der von dem Herrn Reichspräsidenten erwähnte Dualismus zwischen dem Reich und Preußen ist auch von mir stets als Hemmnis betrachtet worden; seine[976] dauernde Beseitigung wird eine Frage der Methode und der Verfassungsmäßigkeit sein. Wir sind bereit, was in dieser Beziehung verfassungsmäßig erreichbar ist, zu unterstützen; aber die Verfassung zu überschreiten sind wir ebenso wenig bereit wie der Herr Reichspräsident, der diese Verfassung unter Anrufung Gottes feierlich im Reichstag vor der deutschen Volksvertretung beschworen hat6. Das deutsche Volk ist an vielem irre geworden, aber noch niemals an Ihnen, Herr Reichspräsident; deshalb sind wir so für Ihre Wiederwahl eingetreten, überzeugt, daß wir in Ihnen den gewissenhaftesten Hüter der Verfassung sehen dürfen. So lange verfassungsmäßig vorgegangen wird, sind wir bereit, mit Ihnen jeden Weg zu gehen, der denkbar ist. Zu einem späteren Zeitpunkt darf ich Ihnen abschließend hierfür unsere Stellungnahme mitteilen.

Was die Frage einer Kanzlerschaft Hitlers anlangt, so kann ich nur sagen, daß die Berufung des Kanzlers persönliches Recht des Herrn Reichspräsidenten und Sache seines persönlichen Vertrauens ist. In diese Sphäre mischen wir uns nicht ein. Das ist „Bannmeile“ für uns. Nur möchte ich folgendes sagen: Wir stehen vor einem schlimmen Winter; auf der einen Seite sind 12 Millionen Deutsche in der Rechtsopposition, auf der anderen Seite 13½ Millionen in der Linksopposition. Deshalb ist das Ziel einer nationalen Konzentration einschließlich der Nationalsozialisten eine Notwendigkeit. Ich möchte wünschen, daß der „Kurzschluß“ des 13. August7, den ich nicht auf Fehler der Reichsführung, sondern auf die Verkennung der Lage von anderer Seite zurückführe, nicht eintritt; es muß in Ruhe und Überlegung eine Lösung gefunden werden, und es darf nicht in einer kurzen Besprechung die Entscheidung über diese wichtige Frage überhastet fallen. Es wird vielfach in Presse und persönlichen Unterhaltungen behauptet, diese jetzigen Verhandlungen hätten gar nicht das ernsthafte Ziel zu einer Konzentration. Demgegenüber muß man sagen, daß im Lande und in der Wirtschaft überall gewünscht wird, daß ein absolut ernsthafter Versuch zu einer Zusammenfassung gemacht wird. Es wäre ein furchtbares Unglück, wenn an Personenfragen die sachliche Konzentration scheitern würde, und deshalb bitte ich mit Rücksicht auf den Ernst der Gesamtlage, die Verhandlungen so zu führen, daß selbst, wenn anfangs von irgend einer Seite ein falscher Zungenschlag kommen sollte, man nicht gleich die Besprechung als gescheitert erklärt. Man muß es den Besprechungen unter den Parteiführern überlassen, etwa auftretende Schwierigkeiten zu mindern. Die Notwendigkeit eines positiven Ergebnisses ist so wichtig, daß ich es als ein Verhängnis betrachten würde, wenn man diese Verhandlungen nur formell führte, und wenn man eine anfängliche Weigerung der Nazi zum Anlaß eines Abbruches nehmen würde. Sollte trotz alledem aus irgend einem Grunde ein positives Ergebnis nicht erzielt werden – vorläufig glaube ich an ein solches – auch dann würde ich noch sagen, daß mir ein Zurück zu dem Kabinett von Papen, so wie es war, nicht richtig erscheint. Das Kabinett von Papen hatte nicht die Fühlung mit dem Volke, die zum Regieren notwendig ist. Wir werden den Herrn Reichspräsidenten mit aller Energie unterstützen, wenn sachliche Forderungen gestellt werden, die der[977] Herr Reichspräsident glaubt nicht erfüllen zu können; wir bitten den Herrn Reichspräsidenten, alles zu konzedieren, was möglich ist, ohne grundsätzliche Überzeugungen preisgeben zu müssen. Wir bitten den Herrn Reichspräsidenten, alles zutun, damit die Schuldfrage eines eventuellen Scheiterns klar vor dem deutschen Volke liegt, daß unser Bemühen nicht an Fehlern der Reichsleitung gescheitert ist.

Die sachlichen Fragen würden die Parteiführer am besten untereinander klären, und vielleicht empfiehlt es sich dabei, wenn Sie, Herr Reichspräsident, einen Mann Ihres besonderen Vertrauens mit der Leitung dieser internen Fühlungnahme unter den Parteiführern betrauen würden, damit auch diese Verhandlungen nicht in die alte Methode des Parteien-Verhandelns zurückfallen. Wem Sie diese Arbeit übertragen wollen, ist Ihre Sache; am besten wäre es natürlich, wenn eine Persönlichkeit damit betraut würde, die nicht als Reichskanzler-Kandidat in Frage kommt. Ich glaube, daß eine sachliche Verständigung über die dringenden sachlichen und wirtschaftlichen Fragen der nächsten Zeit zwischen den Parteiführern möglich sein wird. Ich bin der Auffassung, daß man in diesem Winter mit der alten Methode der Notverordnungen und der Reichstagsauflösung nicht weiter kommt, wenn man aber hinter eine Präsidialführung die Mehrheit der Parteien, die sich für eine bestimmte Frist und für ein bestimmtes sachliches Programm zusammenfinden, stellt, dann können wir über alle Schwierigkeiten hinwegkommen. Ich denke hierbei an eine nur sehr sparsame parlamentarische Arbeit, aber ganz entbehren kann man den Reichstag nicht. Das Kabinett wäre kein Koalitionskabinett, sondern ein Präsidialkabinett, das aber mindestens für eine gewisse Zeit über eine Mehrheit des Reichstags verfügt.

Dauer der Besprechung 35 Minuten.

Für die richtige Niederschrift:

Meissner

Staatssekretär

Fußnoten

1

Abgedr. auch bei Goßweiler, Karl Dietrich Brachers „Auflösung der Weimarer Republik“, in: ZfG 6 (1958), S. 547 f.; Ursachen und Folgen, Bd. VIII, Dok. Nr. 1908 b; Hubatsch, Hindenburg und der Staat, Dok. Nr. 92.

2

Von Meissner am 18. 11. an RWeM v. Schleicher „zur vertraulichen Kenntnisnahme“ übersandt (NL Schleicher  31, Bl. 4). Die Aufzeichnung nicht bei den Akten der Rkei.

3

Für die einleitenden Ausführungen des RPräs. hatte Meissner folgenden Text entworfen: „Das Kabinett von Papen hat demissioniert, um den Weg freizumachen für den Versuch einer Konzentration der Parteien und einer Mehrheitsbildung im Reichstag. Ich will nun den ehrlichen Versuch machen, einen solchen Zusammenschluß der Parteien, vom Zentrum bis zu den Nationalsozialisten, hinter einer neuzubildenden Regierung und deren Programm herbeizuführen. Ich habe die Führer der in Frage kommenden Parteien zu mir geladen, um von ihnen ihre Auffassung zur politischen Lage zu hören und sie zu fragen, ob und unter welchen Voraussetzungen sie hierzu bereit sind. Ich bitte Sie also, mir nun ihre Meinung darzulegen und hierbei sich insbesondere auch darüber zu äußern, wie nach Ihrem Dafürhalten dies sachliche Arbeitsprogramm einer solchen Konzentrationsregierung aussehen müßte und wie Sie sich die Führung und persönliche Zusammensetzung einer solchen Regierung denken.“ (BayHStArch. MS/629, Fotokopie des im ZArch. Potsdam (Büro des RPräs.) befindlichen Originals). Möglicherweise bediente sich Hindenburg dieser Textvorlage auch zur Einleitung seiner Besprechungen mit Dingeldey am späten Nachmittag des 18. (Dok. Nr. 219) und mit Schäffer am 19.11.32 (Dok. Nr. 223).

4

Zum Nachstehenden vgl. den von Kaas dem Zentrumsvorstand am 19. 11. erstatteten Bericht (Morsey, Zentrumsprotokolle, Nr. 715).

5

Zu dieser Wahlrede (17. 10.) s. Dok. Nr. 200, dort auch Anm 13.

6

Hierzu vgl. Anm 6 zu Dok. Nr. 130.

7

Vgl. dazu Dok. Nr. 101104.

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