2.98 (sch1p): Nr. 92 Der Reichsministerpräsident an die preußischen Gesandten bei den süddeutschen Regierungen. 30. Mai 1919

Zum Text. Zur Fußnote (erste von 3). Zu den Funktionen. Zum Navigationsmenü. Zum Navigationsbaum

 

Bandbilder:

Das Kabinett ScheidemannReichsministerpraesident  Philipp Scheidemann Bild 146-1970-051-17Erste Kabinettssitzung der neuen deutschen Reichsregierung am 13.2.1919 in Weimar Bild 183-R08282Versailles: die deutschen Friedensunterhändler Bild 183-R11112Die Sozialisierung marschiert! Plak 002-005-026

Extras:

 

Text

RTF

Nr. 92
Der Reichsministerpräsident an die preußischen Gesandten bei den süddeutschen Regierungen. 30. Mai 1919

R 43 I /8 , Bl. 13 f. Entwurf1

[Betrifft: Verhalten der Landesregierungen im Fall eines feindlichen Einmarschs]

Ich ersuche Sie, der dortigen Regierung durch persönliche Besprechung mit dem Ministerpräsidenten sowie in der Form einer Note folgendes mitzuteilen:

1. Die Reichsregierung hat sich auf Ersuchen einiger süddeutscher Regierungen2 mit der Frage beschäftigt, wie sich die Regierungen der deutschen Gliedstaaten für den Fall einer Nichtunterzeichnung des vorgelegten Friedensvertragsentwurfs und des Einrückens der Feinde in das Staatsgebiet verhalten sollen. Die endgültige Entschließung hierüber kann erst getroffen werden, wenn die Entscheidung über Unterzeichnung oder Nichtunterzeichnung eines Friedensvertrages fällt. Diese Entscheidung wird erfolgen im engsten Benehmen nicht nur mit der Nationalversammlung, sondern auch mit den Landesregierungen und den Landesversammlungen. Die Reichsregierung ersucht daher die dortige Regierung Vorkehrungen zu treffen, daß ein bevollmächtigter Minister, gegebenenfalls der Ministerpräsident selbst, sich auf telegrafisches Ersuchen zu sofortigen Verhandlungen in Berlin bereit hält, und daß die nötige Fühlung mit der dortigen Landesversammlung zur Herbeiführung einer umgehenden Entschließung hergestellt wird.

[399] 2. Um jedoch schon jetzt die Möglichkeit zu den erforderlichen vorbereitenden Maßnahmen zu geben, teilt die Reichsregierung mit, daß es nach ihrer Auffassung notwendig wäre, daß die süddeutschen Regierungen im Falle einer Besetzung des Landes durch die Feinde ihren Regierungssitz behufs Anschluß an die Reichsregierung nach einem noch zu vereinbarenden Orte im Norden verlegten. Bleiben die Regierungen an Ort und Stelle, so werden sie durch die Entente vergewaltigt. Es wird versucht werden, sie zu einem Sonderfrieden zu bewegen, der in letzter Linie trotz scheinbar günstigerer Bedingungen auch für Süddeutschland unerträglich wäre, jedenfalls die Reichseinheit vernichtete und mittelbar ganz Deutschland zur Kapitulation zwänge. Dadurch würde der Zweck, unsere Feinde durch Nichtunterzeichnung zum Nachgeben zu veranlassen, von vornherein vereitelt werden. Verlegen jedoch die süddeutschen Regierungen ihren Regierungssitz, wie das auch Belgien und Frankreich beim Einrücken der deutschen Truppen getan haben, nach einem anderen Platz, so ist keine verfassungsmäßige Regierung da, die mit dem Feinde zu verhandeln legitimiert wäre. Eine unter dem Druck der Feinde gebildete neue Regierung würde verfassungsmäßig ungesetzlich sein. Gegenüber den von ihr etwa vorgenommenen Handlungen und Erklärungen würde die alte Regierung ein Gegengewicht bilden, das außenpolitisch von allergrößter Bedeutung wäre.

Im übrigen würden die Verwaltungsorgane des Landes auf ihren Posten bleiben. Als einheitliche Spitze für diese rein verwaltungsmäßige Tätigkeit würde die Regierung zweckmäßig ein besonderes Organ schaffen, aber immer mit der Maßgabe, daß diese zentrale Verwaltungsspitze nicht zu politischen Handlungen, sondern nur zur Abwicklung der reinen Geschäftstätigkeit ermächtigt wäre. Ein Minister dürfte jedenfalls nicht zurückbleiben oder beteiligt sein. Es müßte Vorsorge getroffen werden, daß die Verlegung des Regierungssitzes nicht als Flucht der Regierung wegen ihrer persönlichen Sicherheit aufgefaßt – das Fortgehen erfordert in diesem Falle mehr Heroismus als das Bleiben –, sondern als notwendige Regierungsmaßnahme von der Bevölkerung verstanden würde. Hierzu ist die unter 1) vorgeschlagene Fühlungnahme mit der Landesversammlung erforderlich. Am wirksamsten wäre es, wenn die Führer der Parteien sich dem Vorgehen der Regierungen anschlössen und sich nach dem neuen Regierungssitz begäben.

3. Über das Verhalten der Behörden im einzelnen finden schon morgen, Sonnabend, den 31. Mai Besprechungen statt, zu denen der hiesige Vertreter der dortigen Regierung zugezogen wird3.

Scheidemann

Fußnoten

1

Das Telegramm ging mit dem unveränderten Wortlaut des Entwurfs in PA, Wk 31, Bd. 5) an die pr. Gesandtschaften in München, Dresden, Stuttgart, Karlsruhe und Darmstadt; vgl. Dok. Nr. 90, P. 5.

2

Das bezieht sich offenbar auf das Telegramm aus Stuttgart, das während der Kabinettssitzung am 29.5.1919 von UStS Albert verlesen wurde, in den Akten der Rkei aber nicht zu ermitteln ist, s. Dok. Nr. 90, P. 5.

3

Siehe Dok. Nr. 89, Anm. 2.

Extras (Fußzeile):