2.21.6 (bau1p): [Anlage]

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Ausführungen zu Punkt 4 des Protokolls.

Wissell: Trägt die wirtschaftspolitischen Vorschläge des Reichswirtschaftsministeriums unter Verweisung auf die Denkschrift und die neu vorgelegten Bemerkungen zur Frage der Wirtschaftspolitik vor.

Dr. Mayer: Gegen dieses Programm. Statt dessen Ausbau der Verreichlichung. Verreichlichung der Elektrizitätserzeugung ist eine Großtat. Überführung der Braunkohlen in den Besitz des Reichs bereits beschlossen10. Erwerb des größten Eisenerzvorkommens Deutschlands für das Reich in Angriff genommen11. Das ist ein Programm, auf dessen Boden ich mich mit beiden Füßen stelle. Gegen Planwirtschaft auch in sozialistischen Kreisen Bedenken, z. B. Dr. Hilferding12. Die Entscheidung über den Gedanken einer zentralen Regelung muß zurückgestellt werden bis zur Durchführung des Systems der Bezirksräte13. Das neue Arbeitsparlament muß mit entscheiden. In der Zwischenzeit Hebung der Produktion und Wiederanschluß an die Weltwirtschaft (Zuruf Wissells: Die will ich auch).

10

Zu diesem Vorhaben s. Dok. Nr. 14, P. 11 und 25, P. 4.

11

Siehe dazu Dok. Nr. 31, P. 2.

12

Hilferding hatte sich – nach seiner ablehnenden Stellungnahme im Rahmen seiner Mitarbeit in der 1. Sozialisierungskommission – zuletzt am 5. 7. auf dem 10. dt. Gewerkschaftskongreß in Nürnberg wie folgt geäußert: „Die merkwürdigen Pläne des Reichswirtschaftsministers Wissell sind ganz unklar. Die gebundene Planwirtschaft hat mit Sozialismus nichts zu tun, denn sie geht darauf aus, das Unternehmertum zu erhalten. Sie ist die Übertragung der Arbeitsgemeinschaften auf das ökonomische Gebiet. Wissells Planwirtschaft bedeutet eine Gefahr für die Verwirklichung der Sozialisierung“ (Vorwärts Nr. 340 vom 6.7.19) – Über Hilferdings Position s. Wilfried Gottschalch: Strukturveränderungen der Gesellschaft und politisches Handeln in der Lehre von Rudolf Hilferding. S. 168 ff.

13

Vgl. dazu Art. 165 RV Abs. 2 und 3: Danach sollen auf regionaler Ebene Bezirksarbeiterräte die sozialen und wirtschaftlichen Interessen der Arbeiter und Angestellten wahrnehmen und mit den Vertretungen der Unternehmer und anderer Interessenvertreter „zur Erfüllung der gesamten wirtschaftlichen Aufgaben und zur Mitwirkung bei der Ausführung der Sozialisierungsgesetze“ zu Bezirkswirtschaftsräten zusammentreten. – Zur Diskussion über den Aufbau dieser Organe s. die Denkschrift von Hausschild: Der vorläufige Reichswirtschaftsrat 1920–1926. S. 495 ff.

Bauer: Entwurf Wissells zur Erklärung auf Interpellation Arnstadt enthält allgemeine Gedankengänge, gegen die nicht viel zu sagen. Aber das bestimmte Programm ist zu verwerfen. Zu bedauern, daß Wissell den Reichswirtschaftsrat[94] im wesentlichen zugunsten einer zweiten Organisation überflüssig machen will. Behauptung Wissells, daß eine neue Wirtschaft kommen werde und nicht wieder die alte, sei unbewiesen. Hier Hilferdings Auffassung richtig. Von Wissell vorgeschlagene Organisationen beseitigen nicht den Kapitalismus, sondern konservieren ihn. Unterschied nur, daß nicht Unternehmer allein, sondern auch Arbeiter und Konsumenten mitwirken. Unternehmer und Arbeiter werden sich sehr bald einig sein auf Kosten der Konsumenten. Stinnes hat schon während des Krieges erklärt: Im Falle eines Sieges würden Arbeiter und Unternehmer sich in die Beute teilen. Das Gefährlichste an dem Programm ist die Beschränkung des Handels.

Dr. David: Das Leben war früher da, als die Wissenschaft. Die Wissenschaft ist immer erst später mit ihrem Laternchen dem Leben nachgegangen. Das gilt besonders von der Volkswirtschaft. Kein menschlicher Geist kann ihre Kompliziertheit restlos erfassen. Alles Neue ist hier vor der Wissenschaft gekommen und war da; die Wissenschaft hat sich dann bestrebt, es zu erfassen. Das ganze fein verästelte Banksystem, z. B. ist von der Praxis gefunden und hat sich Stück für Stück durch die Schwierigkeiten mit feinstem Instinkt fortgebildet. Die Verfasser des Wissell’schen Programms haben Beweggründe, die ihnen alle Ehre machen: soziale Motive. Machen aber schweren Fehler, zu glauben, daß das Gros der anderen Menschen ebenso wie sie seien. Wissell sagt selbst, daß es dem einzelnen in den nächsten Jahren wirtschaftlich nicht gut gehen werde, das Pflichtgefühl müsse uns durchführen. Springfeder ist aber nicht Pflichtgefühl, sondern für 90 Prozent der Menschen in erster Linie das Privatinteresse. Das hat jetzt schon erstaunliche Wege gefunden, sich wieder zu betätigen. (Vgl. Leipziger Messe, Ladenauslagen usw.) Der wirtschaftliche Egoismus wird sich der „Selbstverwaltungskörper“ bemächtigen. Bei Annahme des Programms wäre Weiterbestand des Kabinetts und der Arbeitsmehrheit des Parlaments gefährdet. Wissells und seiner Mitarbeiter Tatkraft, theoretische Energie und Initiative schätze ich außerordentlich hoch, aber die Pläne müssen zuerst dem Reichswirtschaftsrat vorgelegt werden.

Andreae: Für Wissells Programm sind nicht nur Theoretiker, sondern auch Praktiker. Ausgangspunkt ist, daß wir große Verpflichtungen gegen das Ausland haben, ca. 30 Milliarden, wozu weitere 60 bis 70 Milliarden Einfuhrbedürfnis kommen. Theoretisch ist dies Problem gar nicht lösbar. Freie Einfuhr mit den egoistischen Anschauungen des Handels führt zum Ruin. In welcher Weise sich der freie Handel betätigen wird, zeigen die besetzten Gebiete. In Köln sind in den ersten Geschäften die guten französischen und englischen Fertigwaren zu haben. Also Ein- und Ausfuhrbeschränkungen notwendig. Der Einfuhr- und Ausfuhrkommissar allein kann darüber nicht entscheiden. Er braucht dazu Organisationen. Dazu soll die Bildung der Verbände der einzelnen Industrien dienen. Diese Verbände haben auch sonst wirtschaftlichen Wert, beispielsweise haben die Amerikaner sich bereit erklärt, durch ihren Baumwolltrust mit unserem Baumwolltrust große Geschäfte über Rohstofflieferungen auf Kredit abzuschließen. Die Grenzverhältnisse sind zwar sehr schlecht; wir müssen aber damit rechnen, daß wir wieder eine dichtere Grenze und verläßliche Zöllner bekommen.

[95] Ministerpräsident Bauer: Mit Andreae würden wir schnell einig sein; darüber gibt es keine Meinungsverschiedenheiten. Wenn eine Gesamtorganisation für die Geschäfte mit dem Ausland nützlich ist, kann man dafür G.m.b.H.s, z. B. eine G.m.b.H. der Textilfirmen gründen. Wissell will aber die Sache sozialistisch verbrämen.

Hermann Müller: Niemand von uns will vollständig planlos darauf loswirtschaften. Der Erfinder des Wortes „Planwirtschaft“ hat dem Kinde den schlechtesten Dienst geleistet. Diese unbeliebte Theorie fördert den Partikularismus, besonders in den besetzten Gebieten. Das System ist auch wegen der Steuern gefährlich. Über die Kriegswirtschaft hat uns nur der Schleichhandel hinweggeholfen, ebenso wird uns über die Planwirtschaft nur der Schmuggel hinweghelfen. Personalkredit im Ausland ist das wichtigste für das Problem der Kreditbeschaffung.

Erzberger: Der Antwort Wissells auf Interpellation kann man mit Ausnahme weniger Sätze zustimmen, weil so allgemein gehalten. Wissells System ist die größte Autokratie. Wissells Entwurf über die Gemeinwirtschaft wollen wir dem Reichswirtschaftsrat unterbreiten. Brauchen wir den komplizierten Unterbau? Man kann doch bestimmen: 1) Alle Einfuhr und Ausfuhr ist frei mit folgenden Ausnahmen . . . .; 2) 50 bis 60% der Einfuhr ist zur Verfügung zu stellen zur Verteilung, das übrige erhält der Importeur zur freien Verfügung. – Verbände, die den ausländischen Verbänden gegenübertreten können, sind schon da und brauchen nicht erst geschaffen zu werden. Wir brauchen fast alles in Deutschland. Wir sollten erst alles einmal hereinlassen; es wird ja das meiste umgearbeitet.

Wissell: Ich möchte eine Erklärung des Kabinetts, daß es sich im Grunde auf den Boden der Denkschrift des Reichswirtschaftsministeriums stellt. Wesentlich ist, daß an den Verbänden nicht nur die kapitalistischen Organisationen, sondern auch die Arbeiter mitbeteiligt werden. Die Verstaatlichungen sind jetzt sehr teuer. Die Aktionäre der Berliner Straßenbahn machen dabei ein gutes Geschäft, denn wenn sie ihr Geld benutzen, ist das Geld mehr wert als heute14. Der Reichswirtschaftsrat ist nicht geeignet, die Aufgaben der Fachverbände zu übernehmen, weil er territorial gegliedert ist und nicht fachlich (Zwischenruf des Ministerpräsidenten Bauer: Der ist doch nicht territorial aufgebaut). In seiner höchsten Spitze entsteht er aus territorialem Aufbau15. Es bedarf nicht Ihrer Bitte, daß ich Ihre Einwände prüfen möge. Ich habe alle Einwände mir immer wieder vorgehalten, aber immer wieder mit dem Ergebnis, daß mein Plan der richtige ist. Die Zusammenfassung ist notwendig. Die Tabakindustrie[96] hat uns erklärt, sie bekomme als einzelner nicht den Kredit; nur die Gesamtheit könne 600 Millionen Mark erhalten. Nur auf dem Wege des organisatorischen Zusammenschlusses können wir das Vaterland wieder in die Höhe bringen. Ihre Einwände haben manches Begründete und Berechtigte, aber bei meinem Prinzip muß man bleiben. Können sich die Parteien darauf nicht einigen, dann muß ich gehen16. Denn ausführen muß jemand, der die Überzeugung der Richtigkeit hat.

14

Die im Zweckverband Groß-Berlin vereinigten Gemeinden und Landkreise beschlossen am 30.6.19, das gesamte Straßenbahnwesen der Stadtregion, das sich bis dahin in den Händen einer Privatgesellschaft (Große Berliner Straßenbahn) befunden hatte, anzukaufen. Der Kaufpreis beträgt 100 Mio M, für einen angesammelten Tilgungsfonds sollen weitere 37,5 Mio M vergütet werden. Die Gesamtsumme sollte in Verbandsobligationen bezahlt werden (Vorwärts Nr. 329 vom 30.6.19).

15

Über den RWiRat vgl. die grundlegenden Bestimmungen des Art. 165 RV. – Weitere Einzelheiten s. Dok. Nr. 42, P. 9.

16

Als das RKab. und, nach Vortrag der sozialdemokr. Minister am 10./11. 7., auch die SPD-Fraktion der NatVers. sich gegen Wissells Wirtschaftsprogramm ausspricht, übersendet der RWiM am 12. 7. dem RPräs. sein Rücktrittsgesuch (s. Dok. Nr. 23).

Dr. Bell: Für Wissells Programm offenbar auch mehrheitssozialistisches Kabinett nicht zu haben. Im Reichswirtschaftsministerium selbst scheinen zwei Richtungen zu sein, die miteinander und gegeneinander arbeiten; Erfurter Programm und Abart des Staatssozialismus, wobei hinter sozialistischem Mantel Kapitalismus getrieben wird.

Dr. David stellt nochmals fest, daß weder ein Kabinett nach rechts, noch ein solches nach links für Wissells Programm zu haben ist. Er schlägt Erklärung folgenden Sinnes vor: Denkschrift gibt Anregungen, die noch der Prüfung bedürfen. Es wird Aufgabe der noch zu schaffenden Arbeiter- und Wirtschaftsräte sein, die Sache mit der Regierung durchzuarbeiten. Auf Grund der so ausgearbeiteten Beschlüsse ist an die Nationalversammlung heranzutreten; bis jetzt sind nur die und die Maßnahmen getroffen.

Schmidt: Kriegswirtschaft hat sehr viel gesunde Maßnahmen gehabt; nach Jahren werden wir sehen, daß wir ohne sie gar nicht ausgekommen wären. Die „Planwirtschaft“ ist keine Gemeinwirtschaft, sondern höhere kapitalistische Entwicklung. Die Preise haben dabei nach oben keine Grenze. Die Unternehmungen, auch die finanziell rückständigsten, werden finanziell gesichert. Einfluß der Arbeiter und Konsumenten ist nicht hoch einzuschätzen. Kontrolle ist zu schwach. Gewisse Ein- und Ausfuhrverbote müssen bleiben. Daher alles daranzusetzen, unsere Zollgrenze aufrecht zu erhalten. Anderes Programm muß sofort aufgestellt werden: Vermehrung der Monopolbetriebe, der gemischtwirtschaftlichen Betriebe. Getreidemonopol (Erzberger stimmt zu) vielleicht auch Spiritusmonopol; Monopolisierung des Tabak-Kleinverkaufs, vielleicht verbunden mit Zündhölzer-Verkauf17.

17

Vgl. Dok. Nr. 25, P. 10, Anm. 21.

Wissell: Der Gedanke der Getreidemühlenwirtschaft ist schon weiter verfolgt. Kommunalisierungsgesetz ist im Reichsamt des Innern vorbereitet18.

18

Zum Fortgang s. diese Edition: Das Kabinett Müller I, Dok. Nr. 56, P. 5.

Ministerpräsident Bauer: Vertreten noch andere Mitglieder die Auffassung des Reichswirtschaftsministeriums? (Es meldet sich niemand.) Also wird es nicht gebilligt, sondern wir müssen in größerem Umfange zur Sozialisierung solcher Zweige übergehen, die dazu reif sind, und zur Monopolisierung. Das Weitere ist Aufgabe des Reichswirtschaftsrats, der fachlich zu gliedern ist und im wesentlichen die Aufgaben zu erfüllen haben wird, die Wissell den Fachverbänden[97] zuweist, so daß keine so großen Gegensätze in der Sache bestehen. Stellungnahme zum Programm also zu verschieben19. Das wertvollste sind die positiven Mitteilungen.

19

Zur Wirtschaftspolitik äußert sich der RMinPräs. am 23. 7. in einer Programmrede vor der NatVers. Darin heißt es u. a.: „Ein Wort zu der vielberedeten ‚Planwirtschaft‘. Das Kabinett hat diese Zwangskartellierung aller Zweige der Wirtschaft abgelehnt, die sozialdemokratischen Mitglieder des Kabinetts vor allem, weil sie in der Planwirtschaft die ernsteste Gefahr für die völlige Durchführung des Sozialismus sehen. Die Regierung will die Zwangsjacke der Kriegsgesellschaften nicht gegen eine neue, für den Frieden zugeschnittene vertauschen. […] Für unsere künftige Wirtschaftspolitik werden drei Gebote richtunggebend sein: Erstens: Sozialisierung, soweit als möglich, und keinerlei Neuerschwerungen für die künftige durchgehende Sozialisierung. Zweitens: Sicherstellung des Bedarfs der Minderbemittelten an Nahrung und Kleidung. Drittens: Fernhalten überflüssiger Luxuseinfuhr, die unsere Zahlungsmittel verschlechtern müßte, und überhaupt jede Einfuhr, die unseren Arbeitsmarkt ungünstig beeinflussen würde. In den Grenzen dieser drei Gebote aber Freiheit der Wirtschaft, Heranziehung jeder Initiative und jeden Kredits, Dezentralisation der Mitarbeit an der Aufforstung unseres wirtschaftlichen Lebens, zu dem wir jede Hand und jede Beziehung brauchen“ (NatVers.-Bd. 328, S. 1848 ).

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