2.39 (bau1p): Nr. 38 Der Reichswirtschaftsminister an den Reichsministerpräsidenten. Weimar, 2. August 1919

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Nr. 38
Der Reichswirtschaftsminister an den Reichsministerpräsidenten. Weimar, 2. August 1919

R 43 I /130 , Bl. 243–245

[Betrifft: Anknüpfung wirtschaftlicher Beziehungen zu Sowjetrußland1.]

1

In dieser Angelegenheit hatte am 18. 7. im AA unter Vorsitz von MinDir. von Stockhammern eine Besprechung mit Vertretern des RWiMin., des RFMin., des PrHandMin., des Rkom. für Aus- und Einfuhrbewilligung, des Dt.-russ. Vereins und des Raiffeisenverbandes stattgefunden. Laut Protokoll war übereinstimmend festgestellt worden, „daß die Wiederaufnahme von Handelsbeziehungen zur Sowjetregierung nach wie vor unerwünscht“ sei, da in absehbarer Zeit mit einem Regierungswechsel in Rußland gerechnet werden müsse. Lediglich der Einholung von Informationen über das derzeitige russ. Wirtschaftsgefüge, „die vielleicht später für uns von Wert sein könnten“, war zugestimmt worden (Protokollabschrift in: R 85 /1083 ).

Der Abgeordnete Cohn–Berlin (USPD) hat mir über eine Möglichkeit, mit Rußland wieder in geschäftliche Beziehungen zu kommen, soeben folgendes mündlich mitgeteilt:

Die Wiederanknüpfung wirtschaftlicher Beziehungen zu Rußland sei auch politisch von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Sie sei geeignet, dem jetzt bestehenden Zwischenzustand, halb Krieg, halb Frieden2, ein Ende zu machen und eine allgemeine politische Verständigung zwischen Deutschland und Rußland unter Zuziehung von Polen und Litauen vorzubereiten. Die Sowjetregierung sei bereit, die wirtschaftlichen Beziehungen mit Deutschland aufzunehmen. Allerdings müßten Abmachungen mit Polen und Litauen wegen des Durchtransports voraufgehen. Beide Länder könnten dafür am Wirtschaftsverkehr verhältnismäßig beteiligt werden. Ein mit Vollmacht von Tschitscherin versehener russischer Beauftragter stehe zur Einleitung der Verhandlungen zur Verfügung. Von Rußland wären Flachs, Leder, Holz, Kupfer und andere Rohstoffe im Werte von etwa 300 Millionen Mark zu erhalten. Rußland brauche[167] vor allem Groß- und Kleinmaterial für die Landwirtschaft, pharmazeutische Präparate, Lokomotiven. Dazu Menschen; zunächst vor allem Monteure und Qualitätsarbeiter.

2

Nachdem die diplomatischen Beziehungen zwischen dem Dt. Reich und Sowjetrußland am 5./6.11.18 unterbrochen und durch die all. Waffenstillstands- und Friedensbedingungen auch die Verträge von Brest-Litowsk und Berlin aufgehoben worden waren, beantwortete das AA die Frage nach dem rechtlichen Status der beiderseitigen Beziehungen dahingehend, „daß Deutschland sich zur Zeit mit Rußland zwar in einem vertragslosen Zustand unterbrochener diplomatischer Beziehungen, nicht aber im Kriegszustande befindet“ (Friedensabt. des AA an das RJMin., 31.7.19; abgedruckt in: Deutsch-sowjetische Beziehungen. Bd. II, Dok. Nr. 57).

Was die Transportwege anlangt, so sei es zweifelhaft, ob der Weg über See von der Entente verhindert werden könne. Wichtiger sei zur Zeit jedenfalls der Landweg über Litauen. Die Verhältnisse in diesem Staat seien zur Zeit sehr ungeordnet. Litauen brauche dringend Kapital und habe dieserhalb schon Verbindung mit deutschen Banken aufgenommen. Es habe aber auch Bedarf an denselben Waren wie Rußland und könnte an den Lieferungen beteiligt werden. Es lasse sich auf diesem Wege vielleicht der Beginn einer Loslösung Litauens von der Entente verwirklichen. Das sei äußerst wichtig auch für die Erhaltung von Ostpreußen für das Deutsche Reich. Im Friedensvertrag seien für Rußland und die Randstaaten Entschädigungsforderungen gegen Deutschland vorbehalten3. Da Deutschland diese unter dem Druck der Kriegslasten niemals werde bezahlen können, bliebe nur eine Entschädigung in Land übrig und das bedeute wohl den Verlust von Ostpreußen. Deutschland habe schon deswegen auch alles Interesse, Polen von der Entente abzubringen. Sowjet-Rußland sei jetzt schon bereit zu Verhandlungen über den Verzicht auf die ihm im Friedensvertrag zugesprochenen Entschädigungen.

3

Vgl. Artt. 116 und 117 VV.

Wenn auch nur eine „Gelegenheitsgesellschaft“ zwischen Deutschland, Rußland, Polen und Litauen zustande komme, so bedeute das im übrigen auch, daß der bolschewistische Einfluß Rußlands nach dem Westen geringer werde.

Wie mir Herr Cohn weiter mitteilte, will Herr Ulrich Rauscher am Dienstag in Berlin mit dem russischen Beauftragten wegen einer Zusammenkunft mit dem Herrn Minister des Auswärtigen in Verbindung treten4. Auch ich beabsichtige, den russischen Beauftragten im Laufe der nächsten Woche zu[168] sprechen, da ich mit den Ausführungen des Herrn Abgeordneten Cohn, jedenfalls soweit sie das wirtschaftliche Gebiet betreffen, in den wesentlichen Punkten grundsätzlich übereinstimme und als Reichswirtschaftsminister die rascheste Herbeiführung wirtschaftlicher Beziehungen zu Rußland, Polen und Litauen für dringend geboten erachte.

4

Einzelheiten nicht ermittelt, doch interessierten den RAM – nach eigener Aussage – „gerade diese Ostfragen zur Zeit ganz besonders“. In einem Schreiben an den RAM vom 30. 7. hatte der sozialdemokr. RuStKom. Winnig die Auffassung vertreten, „daß uns eine Verständigung mit dem bolschewistischen Rußland, selbst wenn sie erreichbar und innerpolitisch ungefährlich wäre, wirtschaftlich gar nichts nützen würde. Dieses bolschewistische Rußland ist unfähig, eine leistungsfähige Wirtschaft aufzubauen und kommt infolgedessen als Träger eines großen Warenverkehrs für uns nicht in Betracht. Bündnisfähig, politisch und wirtschaftlich, wird nur das Rußland von übermorgen sein, das sich der bolschewistischen Anarchie entledigt hat. Je eher dieser Zeitpunkt eintritt, umso besser für uns“. Winnig knüpfte an diese Feststellungen die Forderung, dt. Freikorpssoldaten in den baltischen Randstaaten nicht am Übertritt in weißruss. Dienste (vgl. Dok. Nr. 52, Anm. 8) zu hindern (PA, Deutschland Nr. 131, Bd. 61). Anknüpfend an seine oben zit. Erklärung antwortet der RAM am 5. 8. dem RuStKom. u. a.: „So wenig ich dabei die Wichtigkeit der Zukunft unterschätze und so sehr ich Ihnen darin zustimme, daß unser Wirtschaftsverhältnis zum zukünftigen Rußland eine der wichtigsten Angelegenheiten unserer auswärtigen Politik sein muß, so leid tut es mir, im Augenblick mich weniger von diesen Erwägungen als vom Druck der Entente leiten lassen zu müssen. Ihr werden ja unsere östlichen Aussichten auch nicht entgangen sein, und sie versucht infolgedessen, auf alle Art und Weise sich des Vertragsinstrumentes zu bedienen und uns vom Osten abzudrängen. Seit dem Tage Ihres Briefes sind hier verschiedene neue Noten von Foch eingegangen. Wir können uns, so wie die Dinge heute liegen, der sofortigen Zurücknahme unserer Leute aus den Randstaaten nicht mehr widersetzen, wir würden sonst Gefahr laufen, daß uns offene Vertragswidrigkeit nachgewiesen werden könnte“ (PA, Deutschland Nr. 131, Bd. 61).

Bei der allgemeinen wirtschaftlichen und politischen Tragweite, die m. E. der Angelegenheit zuzumessen ist, beehre ich mich anheimzustellen, sie demnächst auch im Kabinett zur Sprache zu bringen5.

5

Zum Fortgang s. Dok. Nr. 40, P. 5.

Schmidt

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