2.68 (feh1p): Nr. 68 Die Preußische Gesandtschaft München an das Auswärtige Amt. Berlin, 12. September 1920

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Nr. 68
Die Preußische Gesandtschaft München an das Auswärtige Amt. Berlin1, 12. September 1920

1

Als Absendeort dieses Berichtes war Berlin angegeben; offenbar hat der Pr. Gesandte Graf Zech diesen Bericht in Berlin verfaßt (R 43 I /2318 , Bl. 45).

R 43 I /2318 , Bl. 45–46 Abschrift2

2

Eine Abschrift dieses Berichtes übersandte das AA am 13.9.1920 der Rkei und dem RIMin. (R 43 I /2318 , Bl. 46).

[Betrifft: Innere Lage in Württemberg]

Den Ausführungen eines württembergischen Vertrauensmannes, der während einiger Monate der Regierung Blos angehört hat, entnehme ich über die Lage in Württemberg folgendes:

Die Tatsache, daß es der Württembergischen Regierung gelungen ist, des Generalstreiks Herr zu werden, steht für das Land augenblicklich im Vordergrunde des Interesses3. Der ernste und unerschütterliche Wille der Staatsleitung, die gesetzliche Ordnung aufrechtzuerhalten, hat die Unterstützung aller erhaltenden Kräfte ohne Ausnahme gefunden. Eine zielbewußt in gemeinsamer Arbeit zur Abwehr der radikalen Übergriffe geschaffene Organisation war sorgfältig bis ins kleinste Detail ausgebaut worden, so daß die bürgerliche Gegenaktion, wenn sie in voller Stärke hätte einsetzen müssen, ein nicht gering zu veranschlagendes Machtmittel gewesen wäre. Die technischen Einzelheiten der bürgerlichen Gegenmaßregeln, so interessant sie auch sind, haben aber weniger politische Bedeutung als die Feststellung, daß Württemberg es verstanden hat, sich so überraschend stark zu konsolidieren, daß es der Schwierigkeiten, die ihm sein großer Industriebevölkerungsanteil seit nunmehr fast zwei Jahren bereitet, mit solcher Sicherheit Herr zu werden vermag. Den Grund zu dieser Erstarkung der Staatsgewalt hat bereits die Regierung Blos gelegt, deren Lage innerhalb des von Spartakus-Umtrieben bedrohten Groß-Stuttgarts während eines vollen Jahres zeitweise recht wenig erfreulich war. Zu Beginn dieses Jahres konnte die Regierung aber bereits die Hauptgefahr als überwunden betrachten; ihrer aus den Neuwahlen des Frühsommers hervorgegangenen Rechtsnachfolgerin übergab sie dann ein verhältnismäßig gefestigtes[182] Regime4. Der praktische und aufgeweckte Sinn der Schwaben hatte es verstanden, das Land vor Katastrophen zu bewahren, die seinem östlichen Nachbarn trotz viel geringerer Schwierigkeiten nicht erspart geblieben waren.

3

Am 28. 8. war es in Württemberg zu einem Generalstreik über den Steuerabzug gekommen. Im Verlauf dieses Streiks hatte sich die Landesregierung gegenüber den Arbeitern durchgesetzt. Siehe dazu Dok. Nr. 67, Anm. 11.

4

Am 6.6.1920 hatten in Württemberg Landtagswahlen stattgefunden. Dabei war die Regierung Blos durch die bürgerliche Regierung Hieber abgelöst worden (Schultheß 1920, I, S. 147 u. 153).

Dieser historische Rückblick ist notwendig um zu erklären, daß eine reaktionäre Stimmung in Württemberg heute nicht besteht oder daß sie, soweit man von ihr sprechen konnte, vollständig im Abflauen begriffen ist. Württemberg ist eben nie durch so schwere Erfahrungen gegangen wie Bayern und hat es daher nicht nötig, sich reaktionär zu gebärden.

Allerdings gibt man ausnahmslos in allen bürgerlichen Kreisen laut der Hoffnung Ausdruck, daß das erfolgreiche Vorgehen Württembergs der Reichsregierung als Beispiel in der Kontrollfrage der Eisenbahner dienen möge5, und die Presse lobt „die innere Harmonie und die Einheitlichkeit des Willens“ ihrer Landesregierung als vorbildlich für das Reich. Besondere Kränze werden von den bürgerlichen Blättern dem Minister des Innern, Graf, geflochten und seine tatkräftige Tüchtigkeit zu einer Parallele mit seinem sozialistischen Vorgänger Heymann benutzt, die für letzteren ungünstig ausfällt.

5

Zum Verhalten der RReg. in der Frage der Eisenbahnkontrolle s. Dok. Nr. 54, P. 3 und Dok. Nr. 58.

Der politische Erfolg genügt aber nicht, um die ernsten wirtschaftlichen Sorgen zu verscheuchen, welche namentlich auf der Großindustrie mit besonderer Schwere lasten. Diese Schwierigkeiten sind für Württemberg die gleichen wie für die übrigen Länder des Reichs und bieten daher nichts Bemerkenswertes. Die bevorstehende Entlassung von 4000 Arbeitern der Daimler Werke macht den verantwortlichen Stellen viel Kopfzerbrechen. Doch scheint Aussicht vorhanden, daß sich die Regierung die Unterbringung der Leute angelegen sein lassen wird. Übrigens soll ein großer Teil dieser Arbeiter aus landwirtschaftlichen Kräften bestehen, die zu ihrer ursprünglichen Beschäftigung zurückkehren können. Von den Großindustriellen wird die augenblicklich vorhandene Gelegenheit dazu benutzt, die Betriebe von Kommunisten zu reinigen, da der Ausgang des Generalstreiks hierzu die Möglichkeit bietet.

Trotz dieser schwarzen Wolken am Himmel der Konjunktur und der Sozialpolitik sieht man der Zukunft im allgemeinen mit einer gewissen Ruhe entgegen, da das gute Funktionieren der Einwohner- und Polizeiwehr sowie der technischen Nothilfe den Bürgern Vertrauen eingeflößt hat. Der Respekt der Radikalen vor der Einwohnerwehr ist so groß, daß es während der achttägigen Unruhe nirgends zu Reibungen gekommen ist. Wenn es gelingt, die Arbeiterschaft beschäftigt durch den Winter zu bringen, hofft man auf den Anbruch ruhigerer Zeiten für das Land.

Die Ernte ist gut ausgefallen, und der Bauernstand, der auch in Württemberg einen wichtigen Faktor darstellt, ist zufrieden. Die Weinernte wird allerdings voraussichtlich durch die lange Regenperiode leiden und sich wenig befriedigend gestalten. Im allgemeinen war ja während der ganzen Kriegszeit die Ernährungslage Württembergs verhältnismäßig günstiger als in den Nachbarländern,[183] und dieser Zustand scheint bis heute in einem gewissen Grade fortzubestehen.

Im Gegensatz zu den bayerischen Verhältnissen hat in Württemberg bekanntlich ein eigentlicher Partikularismus nie bestanden; das Verhältnis zum Reich zeichnete sich stets durch treue Loyalität aus. Dagegen betrachtete man Bayern und dessen oft recht selbstsüchtige Aspirationen mit einer gewissen Eifersucht. Dieser Zustand hat sich in der Nachkriegszeit ein wenig verändert. Auf das Reich und die Verhältnisse in Berlin blickt man mit einem gewissen Mißtrauen, da man die sehr schwierigen und schwankenden Zustände in der Zentrale nicht ganz objektiv zu würdigen vermag. Diese kritische Betrachtung des Reiches hält sich aber vollständig fern von irgendwelchen separatistischen Velleitäten, für die der nüchtern praktische Sinn der Schwaben keine Sympathie hat. Auf der anderen Seite hat sich in Württemberg eine Art von süddeutscher Solidaritätsstimmung Bayern und Baden gegenüber herausgebildet, die ihre Erklärung in den im Vergleich zu Norddeutschland und dem Reich verhältnismäßig einfacheren und gefestigteren Zuständen der drei Länder findet. Insbesondere die württembergische Demokratie arbeitet auf ein möglichst enges Zusammenwirken mit den Nachbarn hin.

gez. Zech

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