1.107 (vpa2p): Nr. 236 Tagebuchaufzeichnung des Reichsfinanzministers über Beratungen zur Regierungsbildung am 29. November 1932

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Nr. 236
Tagebuchaufzeichnung des Reichsfinanzministers über Beratungen zur Regierungsbildung am 29. November 19321

1

Niedergeschrieben am 4.12.32.

Tagebuch Schwerin v. Krosigk (Auszug), IfZ ZS/A-20, Bd. 4, Bl. 7–8

Abschrift von Abschrift2

2

Bei der Vorlage handelt es sich nach einem Vermerk des IfZ-Archivleiters Hoch aus dem Jahre 1958 um „eine Abschrift (Auszug) der Abschrift des Originals […], die StSekr. [a. D. Hans] Schäffer durch Vermittlung des englischen Historikers Trevor-Roper erhalten hat“ (IfZ ZS/A-20, Bd. 4, Bl. 1). Das Original des Tagebuchs war Schwerin v. Krosigk bei seiner Verhaftung durch die Alliierten im Mai 1945 abgenommen worden und soll sich danach in den National Archives der USA befunden haben, wo es – wie sein Verfasser in Memoiren und nachgelassenen Korrespondenzen bestätigt (Schwerin v. Krosigk, Staatsbankrott, S. 7; NL Schwerin  v. Krosigk 71, hierin eine Abschrift des im IfZ in Abschrift befindlichen Tagebuchauszugs) – trotz jahrelanger Bemühungen der dt. Botschaft in Washington und zuständiger amerik. Stellen nicht mehr aufzufinden war.

In den nächsten Tagen ging das nervöse Rätselraten in den Zeitungen „Papen oder Schleicher“ immer weiter3. Am Dienstagnachmittag4 wurde ich zum[1030] Kanzler bestellt, bei dem Justizminister Gürtner, der anständigste und ruhigste Mann im Kabinett, war. Sie besprachen gerade die Verfassungsfragen im Falle einer erneuten Auflösung des Reichstags. Papen bat mich, Gürtner meine ihm schon bekannte Auffassung von der Lage zu wiederholen. Ich legte meine Argumente nochmals dar, daß in diesen Zeiten eine Doppelpolitik Wilhelmstraße und Bendlerstraße nicht erträglich sei5, daß man die Tür nach rechts zu den Nazis offenhalten müsse, um nicht die Nazis in eine kompakte Mehrheit mit den Kommunisten zusammenzuschweißen, daß dies aber unter Papen nicht möglich sei, daß der Widerstand von allen Seiten jede Wirtschaftsbelebung verhindern und ein Arbeitsprogramm, auf das doch der Reichspräsident entscheidenden Wert lege, illusorisch machen werde, daß die Heftigkeit des Widerstandes, der sich nun mal gegen Papen als Prototyp einer antisozialen und reaktionären Regierung richte, zu Teilstreiks und schließlich zum Bürgerkrieg führen könne6, daß man aber der Truppe nicht zumuten könne, gegen rechts und gegen links zu kämpfen, und daß daher die große Gefahr bestehe, daß der Reichspräsident abgehen müsse, weil die Reichswehr die nationale Jugend auf den Barrikaden zusammenschieße, oder weil sie nicht schieße, und daß Schleicher und Hitler über ihn hinweg sich zusammenfinden. Gürtner gab zu, daß ein Kabinett Schleicher eine größere Chance biete, und daß bei der außerordentlichen, für das Schicksal von Volk und Land entscheidenden Gefahr der Lage das Gewicht einer solchen Chance sorgfältig abgewogen werden müsse. Papen sagte uns, daß unter dem Druck der letzten Tage und der von allen Seiten auf ihn einstürmenden entgegengesetzten Ratschläge der Reichspräsident, vor allem auch unter dem Einfluß seines Sohnes, müde zu werden beginne. Man müsse noch die gerade mit Strasser begonnenen Verhandlungen abwarten7, aber dann zu einer Entscheidung kommen. Er selbst glaube auch, daß vieles für die Kandidatur Schleichers spreche, aber wenn der alte Herr ihn erneut beauftrage, könne er sich nicht entziehen. Er fragt mich geradezu, ob ich ihm dann meine Mitarbeit verweigern würde. Ich antwortete, daß ich die Lage nie unter dem Gesichtspunkt der mich betreffenden persönlichen Entscheidung beurteilt hätte,[1031] sondern immer nur unter dem Gesichtspunkt, was für das Land das Beste sei; wie ich mich gegebenenfalls zu entscheiden hätte, hänge nicht allein von mir, sondern auch von ihm ab, ob er es nämlich übernähme, in einem Kabinett, in dem es auf die letzte Hergabe von Willen und Können ankäme, mit einem Minister zu arbeiten, der von vornherein vollkommen von der Aussichtslosigkeit überzeugt sei und also mit gebrochenen Flügeln an die Arbeit gehe.

3

Dabei wurde ein Teil der Presse in jenen Krisentagen anscheinend auch durch gezielte Indiskretionen aus Regierungskreisen in die jeweils gewünschte Richtung gelenkt. So hatte die „BZ am Mittag“ am 29. 11. unter Berufung auf „höchste Stellen“ eine Meldung über die unmittelbar bevorstehende Bildung eines „Kampfkabinetts Papen“ gebracht, die höchstes Aufsehen erregte. Schäffer notierte hierzu unter dem 30. 11.: „Schleicher selbst hat gestern abend am Telefon erzählt, daß der alte Herr wieder fußhoch gegangen sei, als er in der „B. Z.“ vom Kampfkabinett Papen gelesen habe. Aber vielleicht war das der Zweck dieser Mitteilung von Marcks und Döhle.“ (Schäffer-Tagebuch, IfZ ED 93, Bd. 23 a, S. 1015). Die „BZ“ selbst kommentierte den Fall am 30. 11. folgendermaßen: „Wir wollen in diesem Augenblick nicht auf das seltsame Spiel, das hier sichtbar geworden ist, irgendwie eingehen, denn wir wünschen von dem Verdacht freizubleiben, als ob wir uns aktiv an irgendwelchen Störungsversuchen beteiligen wollen. Aber schon heute müssen wir erklären, daß die gestern von uns veröffentlichten Nachrichten, die übrigens von anderen maßgeblichen Stellen Dritten wiederum als ‚höchstens verfrüht‘ bezeichnet wurden, auf Quellen zurückgehen, an deren authentischem Charakter ein Zweifel nicht erlaubt ist.“ („BZ am Mittag“-Ausschnitte in NL Luther  351).

4

29.11.32.

5

So RIM v. Gayl gegenüber Schwerin v. Krosigk schon am 26.11.32. Vgl. Anm 2 zu Dok. Nr. 234.

6

Diese aus dem Berliner Verkehrsstreik resultierenden Besorgnisse teilte der RFM mit dem ganzen Kabinett. Sie gaben auch Veranlassung zu dem Vortrag Otts in der Ministerbesprechung am 2.12.32 (Dok. Nr. 239 b).

7

Hierzu vgl. die Mitteilung Schleichers in der Ministerbesprechung am 2. 12. (Dok. Nr. 239 b). – Über diese Verhandlungen und die Rolle Strassers in den Plänen Schleichers s. Bracher, Die Auflösung der Weimarer Republik, S. 667 ff.; Hentschel, Weimars letzte Monate, S. 75 ff.; Kissenkoetter, Gregor Strasser und die NSDAP, S. 162 ff.; Plehwe, Reichskanzler Kurt von Schleicher, S. 234 ff.; Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. VII, S. 1158 ff..

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