1.45 (mu22p): Nr. 301 Reichsminister a. D. Hermes an den Reichskanzler. 25. September 1929

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Nr. 301
Reichsminister a. D. Hermes an den Reichskanzler. 25. September 1929

R 43 I /1108 , Bl. 275-277, hier: Bl. 275-277

[Betrifft: Rücktritt von der Führung der deutsch-polnischen Handelsvertragsverhandlungen.]

Sehr verehrter Herr Reichskanzler!

Hiermit beehre ich mich, Ihnen die Bitte zu unterbreiten, mich von dem seitens der Reichsregierung mir erteilten Auftrag zur Führung der deutsch-polnischen Handelsvertragsverhandlungen zu entbinden. Zur Begründung meines Entschlusses erlaube ich mir, Ihnen folgendes ergebenst vorzutragen:

Zunächst darf ich daran erinnern, daß ich Ende Juni d. J. mit dem Reichskabinett dahin übereingekommen war, mich zur Fortführung der deutsch-polnischen Handelsvertragsverhandlungen Anfang August d. J. nach Warschau zu begeben und dort zunächst etwa 6 Wochen hindurch ohne Unterbrechung die Verhandlungen zu führen. Unter Hinweis auf die Verhandlungslage mit Polen und die vom Reichstag gefaßten Beschlüsse auf landwirtschaftlichem Gebiete hatte ich dabei den Standpunkt vertreten, daß die Fortführung der Verhandlungen deutscherseits es erforderlich mache, den Verhandlungsführer mit neuen Instruktionen zu versehen. Ich habe diese Notwendigkeit in Sitzungen des Reichskabinetts persönlich dargelegt und dabei die volle Unterstützung des[961] Auswärtigen Amtes gefunden. Da indes das Reichskabinett eine Entschließung in dieser entscheidenden Vorfrage noch nicht getroffen hat, konnte eine Fortführung der Verhandlungen bisher nicht erfolgen. Das Auswärtige Amt hat auch neuerdings noch die Auffassung vertreten, daß die Verhandlungen solange nicht wiederaufgenommen werden können, bis es möglich ist, der deutschen Delegation klare Instruktionen über die deutsche Stellung zu den polnischen Zollwünschen, vor allem auf landwirtschaftlichem Gebiete, zu erteilen.

In einer ausführlichen Besprechung habe ich Anfang September d. J. mit Herrn Ministerialdirektor Ritter und Herrn Geheimrat Eisenlohr im Auswärtigen Amt die Sachlage erneut durchgesprochen. Herr Ministerialdirektor Ritter erklärte in dieser Besprechung, daß eine Weiterbehandlung der Angelegenheit vor Ende Oktober d. J. wohl nicht in Frage komme. Ich habe es daraufhin als erwünscht bezeichnet, mit dem polnischen Delegationsführer in persönliche Fühlung zu treten, um eine Verschärfung der Verhandlungslage nach Möglichkeit zu vermeiden. Im Laufe unserer Besprechung wurde dann der im Auswärtigen Amt entstandene Plan erörtert, die Verhandlungen mit Polen in der Richtung zu führen, daß unter Abbau der beiderseitigen Kampfmaßnahmen eine vorläufige Verständigung durch gegenseitige Gewährung einer de facto meistbegünstigten Zollbehandlung im beiderseitigen Warenverkehr gesucht werden solle. Unter Zurückstellung meiner grundsätzlichen Bedenken habe ich mich Herrn Ministerialdirektor Ritter ausdrücklich für die Durchführung dieser Aufgabe zur Verfügung gestellt und mit aller Klarheit zum Ausdruck gebracht, daß ich besonderes Gewicht auf die Führung der Verhandlungen durch mich lege. Das Auswärtige Amt unterbreitete dann unter dem 7. September dem Reichskabinett eine entsprechende Vorlage und schlug darin vor, den deutschen Delegationsführer zu ermächtigen, demnächst mit dem polnischen Delegationsführer über die sofortige gegenseitige Gewährung einer de facto meistbegünstigten Zollbehandlung unter näher präzisierten Bedingungen zu verhandeln. Diese Vorlage des Auswärtigen Amtes ist in der Sitzung des Reichskabinetts am 17. d. M. zur Behandlung und Verabschiedung gelangt.

Zu meiner großen Überraschung erfuhr ich aber nach Rückkehr von einer dienstlichen Reise nach Paris, daß das Reichskabinett nicht, wie das Auswärtige Amt es in seiner Vorlage vorschlug, mich als Delegationsführer mit den einschlägigen Verhandlungen beauftragt, sondern beschlossen hat, die Verhandlungen auf diplomatischem Wege führen zu lassen. Noch größer war meine Überraschung über die Tatsache, daß dieser Beschluß des Reichskabinetts auf Anregung des Auswärtigen Amtes selbst gefaßt worden ist, daß dieses Ressort demnach seine erst 8 Tage vorher fertiggestellte eigene Vorlage in einem entscheidenden Punkte in der Kabinettssitzung preisgegeben hat, ohne mir von dieser Absicht auch nur die geringste Kenntnis zu geben. Meine vorübergehende Abwesenheit von Berlin kann keineswegs als erklärender Umstand für dieses Vorgehen herangezogen werden. Die Sitzung des Reichskabinetts fand am 17. d. M. statt, und bereits am 9. d. M. früh teilte ich Herrn Geheimrat Eisenlohr meine Rückkehr telefonisch mit. Wenn das Auswärtige Amt entgegen einer mit mir getroffenen eindeutigen Vereinbarung und entgegen seiner eigenen Kabinettsvorlage die Absicht hatte, der Reichsregierung[962] einen neuen Vorschlag zu unterbreiten, so hätte ich billigerweise erwarten dürfen, daß mir vorher Gelegenheit zu einer Rückäußerung gegeben worden wäre. Niemand wird behaupten wollen, daß eine Verschiebung um wenige Tage nicht möglich gewesen sei.

Der Beschluß des Reichskabinetts bedeutet eine unleugbare Schwächung meiner Stellung als Verhandlungsführer gegenüber der polnischen Seite. Da das Auswärtige Amt mit dieser Auswirkung seines Vorgehens rechnen mußte, habe ich leider heute nicht mehr die Überzeugung von der erforderlichen vollkommenen Unterstützung der mir übertragenen Mission durch das zuständige Ressort. Ich füge den Ausdruck des Bedauerns hinzu, daß das Reichskabinett augenscheinlich keine Möglichkeit gefunden hat, das Vorgehen des Auswärtigen Amtes zu verhindern1.

1

In einem Gespräch mit Hermes hatte Pünder gesagt, daß Wirth am 17. 9. zweimal erklärt habe, man erwarte vom Wechsel in der Verhandlungsführung keine Schwierigkeiten. „In der Entscheidung des RKab. sei keinerlei Spitze gegen ihn zu erblicken“ (Vermerk Pünders v. 25. 9.; R 43 I /1108 , Bl. 278 f., hier: Bl. 278 f.).

Abgesehen von den dargelegten Gründen sehe ich mich aber auch aus allgemeinen sachlichen Erwägungen nicht in der Lage, für die vom Reichskabinett ohne meine Anhörung getroffene Entscheidung durch Beibehaltung meines Mandats eine Verantwortung zu übernehmen. Die überreichen Erfahrungen der deutsch-polnischen Handelsvertragsverhandlungen haben jeden sachverständigen Beurteiler davon überzeugen müssen, daß der vor meiner Amtsübernahme auf diplomatischem Wege erfolgte Abschluß des Holzabkommens und damit die Herausnahme des für die polnische Seite überaus wichtigen Holzes aus den allgemeinen Wirtschaftsverhandlungen ein schwerer Fehler war und die Position Deutschlands als Vertragsgegner in der Folge wesentlich erschwert hat2. Wenn jetzt trotz dieser Erfahrungen unter Ausschaltung der Delegation wiederum der diplomatische Weg beschritten wird, und dabei auch die Frage der Kohle einbezogen wird, so kann ich mich der ernsten Befürchtung nicht verschließen, daß ein solches Verfahren infolge mangelnder Berücksichtigung des wirtschaftlichen Gesamtzieles Deutschlands unsere Stellung in den schwierigen Verhandlungen mit Polen erneut beeinträchtigen wird, und daß damit die Aussichten für das Zustandekommen eines die deutschen Interessen angemessen berücksichtigenden deutsch-polnischen Gesamtvertrages weiter verringert werden.

2

Das Holzabkommen war am 19.1.29 ratifiziert worden.

Ich hoffe, daß Sie, sehr verehrter Herr Reichskanzler, die Gründe würdigen werden, die ich Ihnen für meinen Entschluß vorgetragen habe und darf Sie schließlich bitten, noch den Ausdruck meines verbindlichsten Dankes für das mir stets bekundete Vertrauen entgegennehmen zu wollen.

Mit der Versicherung meiner höchsten Wertschätzung habe ich die Ehre zu zeichnen als

Ihr ganz ergebener

Hermes.

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