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5. Beamtenabbau.
Zu Punkt 5 trug der Reichsminister der Finanzen den Inhalt des von ihm vorgelegten Gesetzentwurfs vor39 und wies darauf hin, daß die beschleunigte Annahme des Gesetzes erforderlich sei40 als Voraussetzung der allgemeinen Finanzreform.
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Der Entw. des Gesetzes war vom RFM dem StSRkei am 23.8.23 zugeleitet worden. Im Anschreiben war ausgeführt worden, die geltenden Vorschriften des Reichsbeamten- und -haushaltsgesetzes seien nicht ausreichend, um den unerläßlichen Beamtenabbau durchzuführen und die Verwaltung von entbehrlichen und hemmenden Kräften zu befreien. Nach Vorberatungen, in denen auch das preußische Altersgrenzengesetz und die österreichischen Personalabbaumaßnahmen herangezogen worden seien, halte der RFM die folgenden Vorhaben „für geboten: I. Versetzung von Reichsbeamten über 65 Jahre in den Ruhestand, II. Versetzung von Reichsbeamten über 60 Jahre in den Ruhestand, III. einstweilige Versetzung entbehrlicher Reichsbeamter in den Ruhestand, IV. Zusicherung einer Pension usw. an freiwillig ausscheidende lebenslänglich angestellte Reichsbeamte, V. Gewährung von Abfindungssummen an zu entlassende Reichsbeamte auf Probe, auf Kündigung oder auf Widerruf und an freiwillig ausscheidende lebenslänglich angestellte Beamte, VI. Gewährung von Zuschüssen zu den Umzugskosten der nach Nr. IV und V ausscheidenden Beamten, VII. Gewährung von Abfindungssummen an vorgemerkte Versorgungsanwärter, VIII. Ausdehnung dieser Maßnahmen auf die Länder“ (R 43 I/2612, Bl. 42–54). Kritisch bemerkte als zuständiger Referent der Rkei, RegR Grävell, zu dem GesEntw. am 4.9.23: „Die vorgeschlagenen Maßnahmen sind grundsätzlich zu billigen. Es dürfte jedoch zu erwägen sein, ob nicht bei dem dringend notwendigen Abbau der Verwaltungskörper und der finanziellen Lage des Reiches notwendig werden wird, etwas schonungsloser als vorgeschlagen vorzugehen. So erscheint mir bei der Ansicht, Härten zu vermeiden, etwas zu weit gegangen zu sein, wenn sogar solchem Personal, das auf Probe und Kündigung angestellt ist, Abfindungssummen gezahlt werden sollen. Auch bei der Erstattung von Umzugskosten braucht nicht allzu weit gegangen zu werden.“ MinR Kempner schloß sich dieser Auffassung an und fügte hinzu: „Mit der Frage des Beamtenabbaus ist die Frage des Abbaus der Angestellten untrennbar verbunden. Es ist nicht angängig, 1000 Beamte zu pensionieren, dafür aber 10 000 Angestellte neu einzustellen. Es ist dringend erforderlich, daß mit der Regelung des Beamtenabbaus gleichzeitig die Frage der Einstellung der Angestellten erörtert wird“ (R 43 I/2612, Bl. 55).
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Danach zunächst: „zur Durchführung der geplanten allgemeinen Finanzreform“.
Der Reichsminister des Innern äußerte erhebliche Bedenken hinsichtlich der Wirkungen des neuen Gesetzes auf die Stimmung der Beamten und somit auf die allgemeine innerpolitische Lage41. § 2 des Art. 8 gehe viel zu weit und[231] § 9 stelle unter Berücksichtigung des gegenwärtigen Verhältnisses zwischen dem Reich und den Ländern eine zu starke Zumutung an die letzteren dar42.
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Bereits am 23.8.23 hatte der Deutsche Beamtenbund in einem Schreiben an die RReg. sich auf eine Notiz in der „Roten Fahne“, Nr. 190 vom 18.8.23, bezogen, wonach noch vom Kabinett Cuno die Entlassung von 400 000 Beamten vorgesehen worden sei. Als Interessenvertretung der Beamtenschaft bat der Beamtenbund um Auskunft, ob ein Abbau vorgesehen sei sowie nach dessen Ideen und System (R 43 I/1948, Bl. 309). S. auch u. Anm. 43.
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Die vom RIM angezogenen Bestimmungen lauten: „Art. VIII, § 2: (1) Beamte, die auf Grund dieses Gesetzes endgültig oder einstweilen in den Ruhestand treten oder ausscheiden, dürfen, auch wenn es sich um eine Verwendung als Angestellte oder Arbeiter oder um eine vorübergehende Beschäftigung handelt, nur mit Zustimmung der Reichsregierung in den Reichsdienst wieder eingestellt werden. – Die Reichsregierung kann die Befugnis auf eine oder mehrere oberste Reichsbehörden übertragen. (2) Für Beamte, die auf Grund des Art. III § 1 [Besonderer Beschluß zur planmäßigen Verminderung der Beamtenschaft mit Wartegeld] einstweilen in den Ruhestand versetzt sind, gilt § 28 des Reichsbeamtengesetzes [Verlust des Wartegeldes bei Verweigerung eines übertragenen Reichsamtes (Gesetz vom 18.5.07)] nicht. – Art. IX. Ausdehnung auf die Länder. Die Länder sind berechtigt und verpflichtet, für die Landesbeamten sowie für die Beamten der Gemeinden und Gemeindeverbände eine den allgemeinen Grundsätzen dieses Gesetzes entsprechende Regelung bis zum 1. April 1924 zu treffen“ (R 43 I/2612, Bl. 53).
Der Reichskanzler stellte fest, daß mit Rücksicht auf die bestehenden grundsätzlichen Meinungsverschiedenheiten eine sofortige Erledigung des Entwurfs nicht möglich sei, und daß daher zunächst eine Einigung zwischen dem Reichsminister der Finanzen und dem Reichsminister des Innern erfolgen müsse. Der Reichsfinanzminister verständigte sich mit dem Reichsminister des Innern dahin, zunächst die Verhandlungen mit den Ländern aufzunehmen43.
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Demgegenüber hatte Hilferding in seinem Schreiben vom 23.8.23 (s. o. Anm. 39) gemeint, vor der Fühlungnahme mit den Ländern solle zunächst die RReg. grundsätzlich Stellung zum GesEntw. nehmen (R 43 I/2612, Bl. 48). „Die Zeit“, Nr. 209 vom 11.9.23, meldete, daß vielfache Bemerkungen über den GesEntw. von falschen Voraussetzungen ausgehen würden. Die RReg. habe hierzu noch nicht Stellung genommen, es sei auch nicht vorgesehen, an die Stelle der Beamten Angestellte zu setzen. „Im übrigen liegen die Abbaumaßnahmen gerade im Interesse der Beamtenschaft selbst, da die Entfernung überalterter oder sonst leistungsunfähiger Kräfte die Möglichkeit eines Aufstiegs für den leistungsfähigen und dienstfreudigen Teil der Beamtenschaft verbessern würde. – Falls die Vorlage eines entsprechenden Gesetzentwurfs beschlossen werden sollte, wird jedenfalls den Spitzenorganisationen der Beamtenschaft ausreichend Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben werden.“ Zum Fortgang s. Dok. Nr. 63, 126 u. 144, P. 5.