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Nr. 42
Der Preußische Ministerpräsident an den Reichskanzler. 4. Januar 19331
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Das Schreiben trägt eine Sichtparaphe v. Schleichers vom 7.1.1933.
[Stellung und Befugnisse der Preußischen Staatsregierung.]
Sehr geehrter Herr Reichskanzler!
Nachdem nunmehr feststeht, daß die ursprünglich für Mitte Dezember und später in Ihrem Schreiben vom 23. Dezember v.Js.2 für Beginn des Jahres 1933 in Aussicht genommene Fortsetzung unserer letzten Unterredung am kommenden Freitag3 stattfinden wird, halte ich es für zweckmäßig, zur Vorbereitung der Aussprache auf einige Punkte Ihres Schreibens vom 23. Dezember kurz einzugehen.
Die meinem Schreiben vom 20. Dezember4 beigefügte schriftliche Zusammenstellung der Punkte, auf die sich nach meiner Meinung die Aussprache erstrecken muß, bedeutete keineswegs eine Fortführung des „Federkriegs“. Sie war vielmehr erforderlich, da es sich zum Teil um verwickelte Fragen handelt, und sollte lediglich der technischen Vorbereitung dienen. In der Aussprache zwischen uns wird zu klären sein, welchen Punkten Sie ohne weiteres zustimmen können, in welchen Punkten wir wenigstens zu einer tatsächlichen Einigung gelangen können und welche Punkte dem Staatsgerichtshof zur Entscheidung vorzulegen sein würden.
Der von mir und dem Herrn Preußischen Finanzminister dem preußischen Staatssekretär des Finanzministeriums zur Vorbereitung des preußischen Haushalts für 1933 erteilte Auftrag5 konnte nicht länger zurückgestellt werden. Der Staatsrat hat wegen der bisherigen Verschiebung bereits der Staatsregierung Vorwürfe gemacht. Ihre Auffassung, daß die eigentliche Aufstellung des Haushalts Sache des Reichskommissars sei und daß die Preußische Staatsregierung lediglich den so aufgestellten Haushalt dem Landtag und Staatsrat vorzulegen habe, kann ich nicht teilen. Aufgabe der Staatsregierung ist es, dem Landtag einen Haushaltsentwurf so vorzulegen, wie sie ihn für richtig hält und dem Landtage gegenüber vertreten kann. Dazu gehört, daß sie die Richtlinien für die Aufstellung des Haushalts bestimmt und die wichtigeren Einzelentscheidungen[181] bei der Vorbereitung trifft. Es ist sachgemäß, daß sich die Staatsregierung bei dieser Aufgabe der vorhandenen Staatsbeamten in den Fachressorts bedient und nicht etwa eines neuzuschaffenden großen Beamtenstabes. Aus Ihrem Schreiben entnehme ich zu meinem Bedauern, daß Sie dem Herrn Staatssekretär des Finanzministeriums vorläufig untersagt haben, den Auftrag auszuführen. Ich möchte hoffen, daß wir hierüber in der mündlichen Besprechung zu einem Einverständnis gelangen.
Was endlich die Unterrichtung der preußischen stellvertretenden Bevollmächtigten zum Reichsrat über die Rechtsauffassungen der Preußischen Regierung im Verhältnis zum Reich angeht, so kann sich die Staatsregierung die Ausübung dieses selbstverständlichen Rechts nicht versagen. Der Reichsrat ist nach der Reichsverfassung zur Mitwirkung bei der Gesetzgebung und Verwaltung des Reichs berufen6. Auch über diesen Punkt hoffe ich auf eine Klärung in der mündlichen Aussprache.7
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Einzelheiten s. in den Artikeln 60 und 67 RV.
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Die Unterredung findet tatsächlich am 6.1.1933 statt. Nach dem Bericht, den MinPräs. Braun noch am gleichen Tag in einer Sitzung des PrStMin. abgibt, war es eine Aussprache „über die gegenwärtige politische Lage und über die erwünschte Bereinigung der Differenzpunkte, die hinsichtlich der Durchführung des Urteils des Staatsgerichtshofs zwischen dem Staatsministerium und dem Reichskommissar bestehen“. An Einzelheiten erwähnt Braun „die Fragen der Ausübung des Begnadigungsrechts, der Aufstellung des Staatshaushalts für 1933, der von den Kommissaren des Reichs bisher beobachteten Personalpolitik sowie der im Zusammenhang mit einer etwaigen Auflösung des Reichstags möglichen Auflösung des Landtags“ (Kabinettsprotokoll vom 6.1.1933; Nachl. Severing; Bd. 67). – Eine atmosphärische Schilderung der Aussprache gibt Braun in seinen Memoiren, in denen er insbesonders den zuletzt genannten, einen offenen Verfassungsbruch intendierenden Punkt hervorhebt und seine daran geknüpften Hoffnungen verdeutlicht: „Wir schieben die [Neu-]Wahlen bis weit in das Frühjahr hinaus, regieren inzwischen mit Verordnungen und führen einen einheitlichen nachdrücklichen Kampf gegen die Machtansprüche der Nationalsozialisten. […] Ist der nationalsozialistische Spuk zerstoben, dann bekommen wir arbeitsfähige Parlamente und können der schwierigen Probleme Herr werden, umsomehr als auch die Wirtschaftskrise offenbar ihren Höhepunkt überschritten hat und Aussicht auf Besserung der Wirtschaftslage besteht.“ Schleicher habe ausweichend auf diesen Plan reagiert und Braun will den RK „mit der bitteren Erkenntnis verlassen“ haben, „daß die Mission des neuen Preußens, die Demokratie in Deutschland zu sichern und zu vertiefen, ihr Ende erreicht“ habe (Otto Braun: Von Weimar zu Hitler. S. 436–439; vgl. dazu die der Bedeutung dieser Unterredung Rechnung tragende Analyse von Hagen Schulze: Otto Braun oder die demokratische Sendung Preußens. S. 773–776).
Zum Schluß bitte ich Sie, Herr Reichskanzler, versichert zu sein, daß der Preußischen Staatsregierung nichts ferner liegt, als der Reichsregierung Schwierigkeiten machen zu wollen. Sie verlangt lediglich im Interesse des Landes Preußen und damit auch des Reiches eine loyale Ausführung der Entscheidung des Staatsgerichtshofs vom 25. Oktober 1932.
In ausgezeichneter Hochachtung
Ihr sehr ergebener
Braun