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Nr. 8
Bericht Walter Loebs über seine Unterredung mit Oberst Conger am 8. und 9. März in Trier. Frankfurt a./M., 10. März 19191
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Dem Bericht Walter Loebs ging ein Schreiben vom 4.3.1919 an den RMPräs. voraus, in dem Loeb ausführte: „Wie Ihnen bekannt sein dürfte, führe ich Unterhandlungen mit dem Stabschef der amerik. Armee [!], Herrn Oberst Conger, die teilweise zu sehr erfreulichen Ergebnissen geführt haben. Ich reise nun auf Einladung des Obersten nächsten Samstag [8.3.1919] wieder nach Trier und wäre Ihnen sehr verbunden, falls Sie mir bis dahin in kurzen Worten inoffiziell über folgende Punkte Ihre Ansicht mitteilen wollten: 1. Wie stellt sich die Reg. zu den bis jetzt veröffentlichten Friedensbedingungen […]? 2. Inwieweit ist der Mangel an Nahrungsmitteln und die Rohstoffblockade an den inneren Unruhen schuld? Herr RPräs. Ebert ist sicher gerne bereit, Ihnen Auskunft über die Art der Verbindung zu geben. Je weiter die Basis, desto bedeutender der zu erreichende Eindruck.“ (R 43 I/164, Bl. 176 f.). Das Begleitschreiben zum Bericht vom 10.3.1919 lautete: „Leider bin ich bis heute ohne Antwort auf mein Schreiben vom 4. d. M. geblieben, um dessen Beantwortung ich ergebenst bitte. Ich werde mir erlauben, auch Ihnen für die Zukunft meine Berichte über die Verhandlungen in Trier zu überreichen, welche Sie von der ungeheuren Wichtigkeit derselben unterrichten […]“ (R 43 I/164, Bl. 178). Auch dieser Bericht wurde vom RMPräs. nicht beantwortet, ebensowenig wie ein weiteres Schreiben Loebs an den RMPräs. vom 10.4.1919, in dem Loeb sich über das Ausbleiben einer Antwort beschwerte (R 43 I/164, Bl. 191). Daraufhin übersandte der UStSRkei am 14.4.1919 ein Schreiben an Loeb, in dem er erklärte, der RMPräs. habe die Schreiben und den Bericht Loebs „erhalten und mit großem Interesse gelesen. Die Beantwortung ist nur deswillen unterblieben, weil der Herr MinPräs. auf Grund einer Mitteilung von Exz. Erzberger annahm, daß Sie Ende März in Berlin sein und ihn dann besuchen würden […]“ (R 43 I/164, Bl. 192).
R 43 I/164, Bl. 179-185 Durchschrift
[Betrifft: Amerikanische Waffenstillstands- und Friedensvertragspolitik.]
[28] Die Unterredung2 mußte dieses Mal während der Nachtzeit stattfinden, da französische Spione unseren fortlaufenden Verkehr ausfindig gemacht hatten.
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Am 8. und 9.3.1919 im amerik. Großen Hauptquartier in Trier.
Herr Oberst Conger erklärte mir vor Beginn der Unterhaltung im Namen seiner Regierung folgendes:
„Deutschland macht seine eigenen Interpretationen der 14 Punkte Wilsons und vergißt dabei, daß die Alliierten den Krieg gewonnen haben. Amerika kann nicht übersehen, daß zwei Millionen Mann nach Europa gebracht worden sind, und daß sie 30 Milliarden Dollars für diesen Krieg ausgegeben haben; Amerika kann weiterhin nicht übersehen und nicht vergessen, daß es die Alliierten waren, mit denen es Seite an Seite gefochten und den Krieg gewonnen hat.
Aus diesem Grunde ist Amerika gezwungen, die 14 Punkte Wilsons in dem Lichte des militärischen Sieges und im Lichte der begründeten Forderung seiner Alliierten zu betrachten. Amerika kann keine Interpretation der 14 Punkte auf der Basis eines Kriegs ohne Sieg durch Deutschland annehmen, sondern ist gezwungen, die 14 Punkte, wie oben gesagt, unter der Voraussetzung des militärischen Sieges zu wahren. Die Situation hat gewechselt, seit Präsident Wilson nach Amerika gegangen ist3.“
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Präs. Wilson hatte am 14.2.1919 die Rückreise nach den USA angetreten; am 14.3.1919 traf er wieder in Paris ein (Schultheß 1919, II, S. 472 f.).
Nach Anhörung dieser Eröffnung entspann sich eine Diskussion über die Frage der zukünftigen Bedingungen.
[Loeb:] Ist dies eine offizielle Mitteilung Ihrer Regierung?
[Conger:] Dies sind meine Instruktionen, was ich Ihnen zu sagen habe.
[Loeb:] Wie betrachtet die amerikanische Regierung den Abbruch der Verhandlungen in Spa4?
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Im Zusammenhang mit den Verhandlungen über die Lebensmittelversorgung Deutschlands in Spa forderten die Ententevertreter die Auslieferung der dt. Handelsflotte an den Weltschiffsraumpool, der von London aus verwaltet wurde, um mit dem so gewonnenen Schiffsraum Lebensmittel nach Dtl. zu liefern. Die RReg. stand jedoch auf dem Standpunkt, diese Forderung stelle einen Vorgriff auf den Friedensvertrag dar, und forderte Garantien dafür, daß die Schiffe dt. Eigentum blieben. Da die all. Unterhändler erklärten, keine weitergehenden Verhandlungsvollmachten zu besitzen, wurden die Lebensmittelverhandlungen am 6.3.1919 abgebrochen (s. Schultheß 1919, II, S. 500 ff. ). Die Verhandlungen wurden am 13.3.1919 in Brüssel wieder aufgenommen und führten zu dem Brüsseler Abkommen vom 14.3.1919 (s. Dok. Nr. 14b, P. 1).
[29] [Conger:] Es werden z. Zt. in Paris unter fortlaufender Verständigung mit dem Präsidenten Wilson die neuen Grundlagen besprochen, die eine Wiederaufnahme der Verhandlungen möglich machen werden. Ich glaube jedoch nicht, daß die Alliierten und Vereinigten Staaten von ihrem Standpunkt abgehen.
[Loeb:] Sie wissen doch, daß in den Waffenstillstandsbedingungen ausdrücklich gesagt wird, daß Deutschland versorgt werden soll5, und Sie wissen doch fernerhin, daß es notwendig ist, Deutschland zu versorgen, denn die Hungerpsychose wird immer wirksamer.
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In Art. XXVI Abs. 2 des Waffenstillstandsvertrags vom 11.11.1918 hieß es: „Die Alliierten und die Vereinigten Staaten nehmen in Aussicht, während der Dauer des Waffenstillstandes Dtl. in dem als notwendig anerkannten Maß mit Lebensmitteln zu versorgen.“ (Waffenstillstand, I, S. 49).
[Conger:] Das erstere ist hier bekannt; weiteres kann ich nicht sagen. Was das Zweite anbetrifft, so gestehe ich Ihnen zu, daß es notwendig ist, Deutschland zu versorgen, und ich kann Ihnen die zwei verschiedenen Standpunkte, die bei den Alliierten vertreten sind, mitteilen. Der erste ist: „Die Gefahr des Bolschewismus und die Notwendigkeit der Versorgung Deutschlands.“ Der zweite ist: „Der Bolschewismus ist in Deutschland nicht vorhanden und wird in Deutschland keinen Boden finden. Die Deutschen benutzen den Bolschewismus als Propagandamittel mit ihren Forderungen an die Alliierten, und es herrscht die Ansicht vor, daß die Streiks von den Militaristen unterstützt werden. Die Militaristen wollen dadurch erreichen, daß sie mehr Militär zusammenziehen können, um bei geeigneter Gelegenheit alsdann die Regierung zu stürzen und das alte System wieder zur Herrschaft zu bringen.“
[Loeb:] Ist dies der Standpunkt der Alliierten und der Amerikaner?
[Conger:] Ich habe ausdrücklich vorhin erklärt, daß diese beiden Ansichten bei den Alliierten vorhanden sind und auch dort nicht klar geschieden werden können.
[Loeb:] Teilen Amerikaner diese Ansichten?
[Conger:] Die erstere mit wenigen, nicht einflußreichen Ausnahmen unbedingt, die letztere wohl kaum, doch ist es möglich, daß einzelne Herren beeinflußt worden sind.
[Loeb:] Glauben Sie, daß unsere Militaristen wirklich die Streiks provozieren?
[Conger:] Es ist nicht unbedingt notwendig, daß Ihre Regierung weiß, daß die Militär-Parteien dies tun, aber die Vertreter dieser Ansicht scheinen Material in Händen zu haben.
Im übrigen scheint es uns, und die Frage wird immer wieder von den Alliierten aufgeworfen, daß Sie heute bereits eine stärkere Militärmacht wieder haben, als Ihnen zugebilligt ist.
[Loeb:] Soviel mir bekannt ist, haben die Alliierten und die Vereinigten Staaten bis jetzt über die Zahlen unserer Militärmacht noch keine Forderungen gestellt. Ich glaube kaum, daß die von Herrn Reichsminister Erzberger genannte Zahl überschritten ist6. Ich glaube, daß meine Regierung nichts dagegen einzuwenden[30] hat, wenn drei Offiziere Ihres Stabes nach Deutschland kommen, um genauen Einblick in diese Verhältnisse zu erhalten. Ich bemerke jedoch ausdrücklich, daß es lediglich Herren Ihres Stabes sein dürfen, da selbstverständlich Deutschland eine Kontrolle seiner militärischen Maßnahmen offiziell den Alliierten nicht zugestehen kann.
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In einem telegrafischen Bericht Loebs über eine Unterredung mit Conger vom 24.2.1919 heißt es: „[…] Erzberger erklärte die Zahl der jetzigen Armee für 200 000. […]“ (R 43 I/164, Bl. 174 f.).
[Conger:] Ich bitte mich telegrafisch zu verständigen. Eine Klärung dieser Angelegenheit ist von ungeheurer Wichtigkeit. Sie müssen bedenken, daß unsere Leute in Deutschland niemals so ungehindert dort auftreten können, wie es notwendig wäre, um einen objektiven Einblick zu erhalten.
[Loeb:] Sie dürfen überzeugt sein, daß ich es Herren Ihres Stabes ermöglichen werde, jeden Einblick zu bekommen, den sie wünschen7.
Waffenstillstandsbedingungen
[Loeb:] Sind die uns mitgeteilten Bedingungen vom 24. 2. heute noch maßgebend8?
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In seinem Telegramm vom 24.2.1919 (s. Anm. 6) berichtete Loeb, Conger habe ihm folgende bis zu diesem Zeitpunkt festgelegten Vorfriedensbedingungen genannt: „Die festgesetzte Zahl der Soldaten wird mehr wie das Doppelte [der von Erzberger genannten Zahl, s. Anm. 6] sein, also ca. 500 000 und das dazugehörige Armeematerial in großzügiger Zahl. Die Alliierten sind immer noch der Ansicht, daß Dtl. nochmals Militär erhalten könnte. Marine ist noch nicht geklärt, doch glaubt Conger, daß Dtl. hier Konzessionen machen muß, da England in der Armeefrage Amerika unterstützt und Frankreich stark opponiert. Wilson erklärte, daß nächster Waffenstillstand die militärischen Seiten des Präliminarfriedens und des Friedens sein muß, damit die Alliierten wissen, wie diese Bedingungen sind. Die Bedingungen werden so sein, daß die alliierten Völker sie unterstützen werden, und die Alliierten und Amerika werden bei Nichtannahme vorgehen […]“ (R 43 I/164, Bl. 174 f.).
[Conger:] Nein, dieselben wurden verschiedentlich geändert; die Zahl der Truppen herabgemindert, aber es ist noch nichts festgelegt, da alles auf die Entscheidung des Präsidenten Wilson ankommt. Es ist möglich, daß ein Teil der durch die Presse veröffentlichten Bedingungen9 wahr werden, doch ist noch nichts festgelegt. Präsident Wilson wird in diesen Fragen ein großes Wort zu sagen haben, und er wird natürlich sehr zusehen, daß seine 14 Punkte gewahrt werden.
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Dem Bericht einer niederländischen Nachrichtenagentur vom 2.3.1919 zufolge sollte Foch im Rat der Zehn gefordert haben: daß alle dt. U-Boote vernichtet werden sollten, daß die Verteidigungswerke von Helgoland und des Kieler Kanals zu schleifen seien, daß die dt. Kriegsschiffe vernichtet oder an die All. auszuliefern seien, daß Dtl. 15 Infanteriedivisionen und 5 Kavalleriedivisionen (!) zugestanden werden sollten, und daß die dt. Kriegsproduktion einzuschränken sei (Vorwärts, Nr. 113, 3.3.1919).
[Loeb:] Von den 14 Punkten ist aber nicht viel zu spüren, und Sie wissen, daß sich in Deutschland niemand bereit finden wird, ein Abkommen oder einen Frieden zu unterzeichnen, der über diese 14 Punkte hinausgeht.
[Conger:] Was werden Sie tun, wenn ein anderer Weg nicht möglich ist?
[Loeb:] Persönlich kann ich bemerken, daß wir es wie Trotzki10 machen werden; den Standpunkt unserer Regierung haben wir Ihnen ja dargelegt. Ich werde aber versuchen, von unserer Regierung einen Bericht einzufordern.
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Nach Abbruch der Friedensverhandlungen in Brest-Litowsk beschrieb Trotzki am 10.2.1918 den herrschenden Zustand als „weder Krieg noch Friede“.
[31] [Conger:] Präsident Wilson wird am 14. d. M. voraussichtlich nach Europa kommen, ich werde Ihnen am 22. d. M. die Bedingungen mitteilen11.
[Loeb:] Bis wann werden die offiziellen Verhandlungen beginnen?
[Conger:] Ich glaube kaum vor dem 1. April.
[Loeb:] Werden die Alliierten den Waffenstillstand vorher nicht kündigen?, denn die Ungewißheit für Deutschland ist unerträglich.
[Conger:] Nein, es wird nichts unternommen werden; sicherlich, wenn nicht besondere Umstände dazu Veranlassung bieten, nicht mit der Einwilligung von Amerika. Sollten Sie hören, daß der Termin zu den Verhandlungen auf ein früheres Datum gesetzt wird, so daß der 22. März nicht abgewartet werden kann, dann können Sie vorher zu mir kommen.
Völkerbund
[Conger:] Sie kennen die Schwierigkeiten, die Präsident Wilson in Amerika gehabt hat12. Wir werden abwarten müssen, in welcher Form der Völkerbund nun zustande kommt. Für Amerika wird maßgebend sein, daß wir uns gemäß unserer Tradition in europäische Verhältnisse nicht einmischen wollen und auch keinen Teil unserer Souveränität aufgeben wollen.
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Am 4.3.1919 hatte Senator Lodge im amerik. Senat einen Entschließungsantrag eingebracht, wonach der Senat erklären sollte, daß er den Plan des Völkerbundes nicht billige. Der Antrag konnte an diesem Tag und in dieser Sitzungsperiode des Senats nicht mehr behandelt werden, aber nach Angaben des Senators Lodge unterstützten ihn 38 weitere Senatoren, d. h. mehr als ein Drittel der Mitgliederzahl, was genügte, um die Ratifikation des Friedensvertrages, für die Zweidrittelmehrheit notwendig war, zu verhindern (s. Schultheß 1919, II, S. 392 f.).
Nahrungsmittelversorgung
[Conger:] Wir Amerikaner wissen, daß Sie Nahrungsmittel brauchen. Es wird Aufgabe der Unterkommission sein, diese Frage zu regeln. Wir erwarten von Deutschland, daß es hierbei, seiner Situation bewußt, Zugeständnisse macht.
[Loeb:] Sie wissen, daß man von uns Unmögliches verlangt. Wir können unmöglich unsere Handelsschiffe ausliefern, ohne die Sicherheit zu haben, daß wir auch ernährt werden13.
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Siehe Anm. 4.
[Conger:] Sie wissen doch, daß wir die Schiffe bekommen können unter Wahrung des Kriegszustandes auch ohne Ihr Zugeständnis.
[Loeb:] Jawohl, aber kein deutscher Staatsmann wird die Verantwortung hierfür übernehmen und einen solchen Vertrag unterzeichnen. Wenn man uns vergewaltigt, dann müssen eben diejenigen die Verantwortung übernehmen, die sie zu tragen haben.
Besatzungsfrage
[Loeb:] Ist es wahr, daß Ihre Proviantämter Lebensmittel an die Bevölkerung verteilen und trifft es zu, daß Sie deutsche Arbeiter für Amerika anwerben?
[32] [Conger:] Nein, ich will Ihnen diese Gerüchte erklären: Die Straßen hier im Rheinland sind sehr schlecht und ertragen die gewaltige Belastung unseres Verkehrs nicht. Wir übernehmen daher die Wiederherstellung der Straßen, die Verbesserung derselben und beschäftigen hiermit deutsche Arbeiter, welche wir verpflegen und bezahlen.
Wir haben fernerhin entgegen dem Verlangen der Alliierten beschlossen, unsere Requisitionen und Verpflegungsscheine zu bezahlen.
Kriegsgefangene
[Conger:] In den nächsten Bedingungen wird auch ein Absatz über Ihre Gefangenen enthalten sein. Im übrigen ist den unter amerikanischem Schutz befindlichen Gefangenen gestattet, ihren Briefwechsel auf alles sie Betreffende in unbeschränkter Zahl auszudehnen.
Übersicht
Bei den diesmaligen Verhandlungen hatte ich den Eindruck, daß sich die Situation seit der Abreise Wilsons zu unseren Ungunsten verschlechtert hat. Ich hatte eine Unterredung mit dem Major im Generalstab Mushing, welcher meine Ansicht bestätigte. Im übrigen aber sind die Amerikaner der Ansicht, daß die Ablehnung unsererseits einen nicht zu verhehlenden Eindruck auf die Alliierten gemacht hat, welcher ihnen zeigt, daß sie den Bogen nicht überspannen dürfen. Es ist notwendig, daß in der Zeit bis zur nächsten Unterredung von offizieller Seite zu den neuen Waffenstillstandsbedingungen, wie sie uns in der Presse bekannt sind14, Stellung genommen wird.
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Siehe Anm. 9.
Walter Loeb