1.140 (bru3p): Nr. 654 Entschließung des Bundesvorstands des Reichs-Landbundes vom 31. Januar 1932

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Nr. 654
Entschließung des Bundesvorstands des Reichs-Landbundes vom 31. Januar 1932

R 43 I /2550 , Bl. 116–118 Durchschrift

Allen Vorschlägen und Warnungen des Reichs-Landbundes1 zuwider hat die Reichsregierung in den beiden Brüning/Schiele/Jahren die zur Rettung der deutschen Landwirtschaft erforderlichen Maßnahmen entweder überhaupt nicht oder zu spät, oder unzureichend und lückenhaft ergriffen. Das Urteil über die Agrarpolitik des Kabinetts Brüning–Schiele wird durch folgende Feststellungen getroffen2:

1

RLB-Direktor Kriegsheim übersandte am 3.2.32 dem RK die Entschließung. MinR Feßler vermerkte handschriftlich: „Der politisch-agitatorische und über sachliche Ausführungen hinausgehende Ton der Entschließung läßt eine Empfangsbestätigung nicht angezeigt erscheinen“ (R 43 I /2550 , Bl. 115).

2

Handschriftliche Randbemerkung Feßlers zu diesem Absatz: „Typische Formulierung“.

Der Agrarindex senkte sich vom März 1930 von 110,0 auf 91,8 am 27. Januar 1932. Gemessen an den Jahresdurchschnittspreisen (Großhandelspreise) drückt sich die schwindende Kaufkraft der Agrarstoffe in folgenden Zahlen aus:

1927

1928

1929

1930

1931

Agrarindex

137,8

134,3

130,2

113,1

94,5

Index für industr. Fertigwaren

147,3

158,6

157,4

150,1

130,4

Preisspanne

9,5

24,3

27,2

37,0

35,9

Agrarindex gemessen an den Jahresdurchschnittspreisen (Großhandelspreise) 1927-1931

Diese Feststellungen sind für die Regierung Brüning/Schiele vernichtend. Sie beweisen, daß die deutsche Landwirtschaft bei dieser Regierung noch stärker ausgeplündert worden ist als in den Jahren zuvor. Sie beweisen ferner, daß die Reichsregierung[2249] weder den Auftrag des Reichspräsidenten in seiner Botschaft vom 18. März 1930 erfüllt hat, „beschleunigt die dauerhafte Lebensfähigkeit der deutschen Landwirtschaft in allen Betrieben – in den großen wie in den bäuerlichen – wieder herzustellen“3, noch der besonderen Verstärkung dieses Auftrages durch den Reichspräsidenten bei dem Empfang der Reichsregierung am 1. Januar 1931, „dem deutschen Landwirt seine Existenzmöglichkeit zu erhalten“4, entsprochen hat, ebensowenig, wie der der Reichsregierung durch Agrargesetz vom 28. März 1931 auferlegten Verpflichtung zur Beseitigung des Mißverhältnisses zwischen dem Index der landwirtschaftlichen Erzeugnisse und der landwirtschaftlichen Produktionserfordernisse5. Auch die jüngsten Vorgänge auf dem engeren agrarpolitischen Gebiet lassen erkennen, daß die Reichsregierung nach wie vor die Land- und Forstwirtschaft und die ihr verwandten Betriebsarten opfert. Das kürzlich hinter dem Rücken der Landwirtschaft und gegen diese zugunsten gewisser Exportindustrien seitens der Reichsregierung abgeschlossene Russengeschäft6 hält die heimischen Agrarpreise unter der durch die deutschen Produktionskosten bedingten Höhe. Die mit dem Maismonopol verbundenen Möglichkeiten des Schutzes der heimischen Preisbildung sind von der Reichsregierung, trotz aller Vorstellungen sachkundiger landwirtschaftlicher7 Vertreter, nicht ausgenutzt. Das Gleiche gilt für die in der Devisenbewirtschaftung und sonstigen Absperrungen liegenden Möglichkeiten. So trägt die Reichsregierung die volle Verantwortung für den Zusammenbruch der deutschen bäuerlichen Veredlungswirtschaft.

3

Vgl. diese Edition, Das Kabinett Müller II, Dok. Nr. 480.

4

Vgl. die Neujahrsansprache in Schultheß 1931, S. 2.

5

Vgl. hierzu Art. 3 des Ges. über Zolländerungen vom 28.3.31 (RGBl. I, S. 101 ).

6

Vgl. Dok. Nr. 682, P. 2.

7

Handschriftliche Bemerkung Feßlers: „(großlandwirtschaftlicher)“.

Zusammenhanglose Einzelmaßnahmen, wie z. B. die völlig unzureichende Butterzollerhöhung8, bestätigen das Gesamtbild und das Gesamturteil. Das Gleiche gilt auch hinsichtlich der angeblich bevorstehenden neuen Osthilfenotverordnung9.

8

Vgl. Dok. Nr. 635, P. 1.

9

Vgl. Dok. Nr. 662, P. 6.

Bezeichnend für die Einstellung der Reichsregierung zum deutschen Nährstand sind die soeben veröffentlichten Vorschriften über die Sicherung des Bezuges von Kunstdünger zur Frühjahrsbestellung10. Diese Vorschriften sichern Düngerproduzenten und Düngerhändlern die Preise für Produktion und Absatz. Sie bürden das ganze Risiko der Volksernährung dem Landvolk auf, dem die Reichsregierung durch ihr schuldhaftes Verhalten während zweier Jahre auch nicht die geringste Aussicht auf Wiederherstellung der Lebensfähigkeit bietet. Die bisherige Agrarpolitik hat schon im vergangenen Jahre dazu geführt, daß mehrere 100 000 Morgen landwirtschaftlichen Bodens im deutschen Osten nicht mehr ordnungsmäßig bestellt werden konnten. Der durch den weiteren Zusammenbruch der Agrarpreise hervorgerufene gegenwärtige Stand der Düngemittelversorgung läßt im kommenden Herbst einen Ertragsausfall zwischen 2,5 und 5 Millionen Tonnen Getreidewert befürchten. Die Politik der Brüning-Regierung führt das deutsche Volk in den Hunger und damit in das Verderben.

10

Vgl. Dok. Nr. 641, P. 5.

[2250] Die Erfahrungen während der letzten zwei Jahre haben klar gezeigt, daß eine versinkende Landwirtschaft auch alle übrigen Teile des deutschen Volkes mit sich reißt. Sie haben aber auch weiter gezeigt, daß man Agrarpolitik nicht von den übrigen Zweigen der Wirtschaft und der Gesamtpolitik getrennt betreiben kann, daß nur auf der Grundlage einer erfolgreichen deutschen Agrarpolitik das Gesamtwirtschafts- und Volksleben Deutschlands wieder aufgebaut werden kann11.

11

Kritik an der Agrarpolitik der RReg. äußerte auch die DtStP. Am 8.2.32 übersandte die Reichsgeschäftsstelle der DtStP eine Entschließung ihres Agrarausschusses, in der es hieß: „Die Deutsche Staatspartei anerkennt den Willen der Reichsregierung zur Erhaltung der deutschen Landwirtschaft. Sie bedauert aber, daß die jetzige Agrarpolitik nicht genügend auf die Interessen der bäuerlichen Veredelungswirtschaft eingestellt worden ist, sondern überwiegend den Interessen der landwirtschaftlichen Großbetriebe gegolten hat. Sie erhebt in entscheidender Stunde ihre warnende Stimme dagegen. Das Steuer der Agrarpolitik muß unverzüglich herumgeworfen werden. Der Kampf zur Wiedergewinnung der Rentabilität der deutschen Landwirtschaft muß jetzt mit aller Energie von der Ausgabenseite her aufgenommen werden.“ Im einzelnen forderte die DtStP: Preissenkung für Dünge- und Futtermittel, landwirtschaftliche Maschinen und Geräte; Fortsetzung der Zinssenkung; Senkung der überhöhten Pachten und Erlaß eines Dauer-PachtschutzGes.; weitere Senkung aller Abgaben und Lasten; Aufhebung oder Senkung der Futtermittelzölle; Förderung der Umstellung der Erzeugung auf die Markterfordernisse, Verkürzung des Weges vom Erzeuger zum Verbraucher, keine Zulassung von polnischen Wanderarbeitern; Freigabe von mindestens zwei Morgen Zuckerrübenanbau. „Schließlich erwartet die Deutsche Staatspartei eine energische Fortsetzung der beschleunigten und verbilligten bäuerlichen Handwerker- und Landarbeitersiedlungen sowie auch die Beteiligung der früher angesetzten Siedler- und Bauernbetriebe an der Osthilfeaktion. Die deutsche Agrarpolitik muß endlich zur Bauernpolitik werden!“ (Anschreiben und Entschließung in R 43 I /2550 , Bl. 155–156).

An den Herrn Reichspräsidenten richtet der Reichs-Landbund die Frage, ob er weiterhin dulden will, daß sein Auftrag, auf welchen die deutsche Landwirtschaft ihre letzten Hoffnungen gesetzt hatte, von der derzeitigen Reichsregierung in so offenkundiger Weise mißachtet wird.

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