1.170 (bru3p): Nr. 684 Der Reichskommissar für Preisüberwachung an den Reichskanzler. 24. Februar 1932

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Nr. 684
Der Reichskommissar für Preisüberwachung an den Reichskanzler. 24. Februar 1932

R 43 I /1163 , Bl. 130–131

[Betrifft: Vorschläge für die weitere Preisüberwachung]

Sehr geehrter Herr Reichskanzler!

In der soeben überreichten und noch einmal in Abschrift beigefügten Mitteilung erlaube ich mir, meine Vorschläge für die weitere Preisüberwachung zu unterbreiten1. Der Inhalt dieser Mitteilung entspricht den Plänen, die ich Ihnen, sehr geehrter Herr Reichskanzler, seit Wochen vorzutragen die Ehre hatte, die Sie gebilligt haben und die ich dann auch den beteiligten Wirtschaftskreisen einschließlich Gewerkschaften mitgeteilt habe.

1

Hierzu Dok. Nr. 683.

[2324] Ich muß bei diesen Vorschlägen auch trotz der Einwendungen, die vom Reichsarbeitsministerium herkommen2, verbleiben, Einwendungen, die übrigens der Herr Reichsarbeitsminister persönlich niemals in dieser Schroffheit vertreten hat. Denn diese Einwendungen übersehen doch, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf, die Notwendigkeit, gerade im Interesse der Arbeitnehmer die Wirtschaft im Gang zu halten. Wird aber die Preissenkungsaktion noch weiter fortgesetzt, so sind nach meiner pflichtgemäßen Überzeugung in den industriellen Werkstätten Lähmungserscheinungen geradezu unvermeidlich. Aus einer Einrichtung, die als Segen gedacht war, würde ein Fluch auch für die Arbeitnehmer werden.

2

Nicht ermittelt.

Immer wieder darf ich darauf hinweisen, daß die Überwachung der Preisspannen bei den täglichen Nahrungs- und Genußmitteln aufrechterhalten werden soll3. Ich habe gestern, da Ihr Wunsch mir nicht mehr rechtzeitig übermittelt werden konnte, die in Anlage II beigefügte Übertragungsanordnung erlassen. Ich bitte aber, aus dem rot unterstrichenen Satz zu entnehmen, daß ich bereits von mir aus der ungeklärten Situation Rechnung getragen und den Erlaß zentraler Anweisungen und Richtlinien vorbehalten habe. Die Anordnung stellt sich also nur als eine Fortsetzung der bisherigen Übertragungsanordnungen dar, die schon für einen großen Teil hinausgegangen waren, und behält sowohl der Reichsregierung wie einem Reichskommissar die Möglichkeit vor, jederzeit zentral wieder einzugreifen.

3

Dies war nach dem Willen des Rkab. die ursprüngliche Kompetenz des RPreisKom.: siehe Dok. Nr. 568 und Dok. Nr. 571, P. 2.

Wenn vom Reichsarbeitsministerium unter Hinweis auf Erfahrungen des vergangenen Jahres die Zuverlässigkeit der Landes- und Ortsbehörden bezweifelt wird, so kann ich nach meinen Erfahrungen während der Preisüberwachung über mangelnde Mitarbeit und Initiative dieser Stellen nicht klagen, im Gegenteil, ich habe manchmal einen gewissen Übereifer dämpfen müssen. Ein Vergleich mit dem Vorjahre ist auch aus diesem Grunde nicht möglich, weil im Vorjahre diesen Behörden keinerlei Machtmittel zur Verfügung standen. Sie waren nur auf Verhandlungen und Bitten angewiesen. Jetzt sollen ihnen nach dem Entwurf der Anlage II sämtliche Befugnisse des Reichskommissars, auch die der Geschäftsschließung4, übertragen werden5. Ich bin überzeugt, daß sie sie ausnutzen werden.

4

Mit Vo. vom 23.2.32 übertrug Goerdeler seine Befugnisse zur Preisüberwachung lebenswichtiger Lebensmittel und für lebenswichtige handwerkliche Leistungen an die obersten Landesbehörden, behielt sich aber weiterhin den Erlaß zentraler Anliegen und Richtlinien vor (R 43 I /1163 , Bl. 134–135).

5

Der VoEntw. über die Übertragung der Einhaltung und Überwachung der Preissenkungen an die obersten Landesbehörden in R 43 I /1163 , Bl. 136.

Aber auch aus einem anderen Grunde kann ich das Verfahren nur empfehlen. Preisüberwachung ist dasselbe wie künstliche Atmungsversuche beim Menschen. Hier muß mit den Methoden dauernd gewechselt werden, wenn man sich nicht technisch und auch moralisch totlaufen will. Nur ein elastisches Wechseln der Methoden verbürgt die Festhaltung des bisher Erreichten und seine Fortsetzung. Augenblicklich muß für die Industrie im Großen unbedingt eine Atempause geschaffen werden, um Arbeitsgelegenheiten zu erhalten und zu vermehren. Für den täglichen Lebensbedarf aber erwarte ich gerade von einem verstärkten Einspannen der örtlichen Initiative einen erneuten Druck.

[2325] Wenn dann nach einiger Zeit auch diese Methode wieder anfängt, in ihrer Wirkung zu verblassen, dann kann man wieder wechseln und auf eine erneute zentrale Beeinflussung zurückgehen. Dann muß mit einem sichtbaren Akt und mit einem höheren Ruck der Reichskommissar wieder in Erscheinung gesetzt werden. Er wird dann von vornherein, von einem gewissen Vertrauen getragen, wieder einige Bewegungen in den erstarrenden Wirtschaftskörper bringen können.

Um dies nun der Reichsregierung nach Möglichkeit zu erleichtern und um dem Drängen der öffentlichen Meinung auf dem Gebiete des Tarifwesens, insbesondere bei Gas und Elektrizität Rechnung zu tragen, bin ich bereit, für dieses Restgebiet das Amt des Reichskommissars für Preisüberwachung weiterzuführen. Zu einer unveränderten Fortsetzung der Tätigkeit über diese Begrenzung hinaus aber könnte ich mich bei dem Gewicht der oben dargelegten Gründe nicht entschließen. Ich bin überzeugt, daß Sie, sehr geehrter Herr Reichskanzler, diese Gründe so, wie Sie es bisher getan haben, anerkennen werden.

Die Veröffentlichung der anliegenden Mitteilung sollte sobald wie möglich geschehen. Keinesfalls aber bitte ich, sie über den 29. d. M. hinaus zu verschieben6, denn ich habe, mich in Übereinstimmung mit Ihnen fühlend, schon vor einigen Tagen die Presse, die ja auch meine Absichten kennt, auf Anfrage dahin unterrichtet, daß ich ihr am Montag, den 29. d. M., einen vorläufigen Schlußbericht geben würde. Am gleichen Abend habe ich beim Rundfunk einen Vortrag übernommen7. Ich wäre daher sehr dankbar, wenn ich bis zu diesem Zeitpunkt auch über Ihre Entschließung, sehr verehrter Herr Reichskanzler, unterrichtet sein würde. Ich kann auch in der nächsten Woche mit Rücksicht auf meine Leipziger Verpflichtungen leider nur Montag und Mittwoch in Berlin sein8.

6

Vgl. die WTB-Meldung Nr. 491 vom 5.3.32 in R 43 I /1163 , Bl. 138.

7

Der Wortlaut des Rundfunkvortrags vom 29.2.32 wurde von WTB am 2.3.32 veröffentlicht (R 43 I /1163 , Bl. 140–141).

8

Vgl. hierzu Dok. Nr. 699, P. 3.

In vorzüglicher Hochachtung habe ich die Ehre zu sein, sehr geehrter Herr Reichskanzler,

Ihr sehr ergebener

Goerdeler

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