1.181 (bru3p): Nr. 695 Karl Lange an den Reichskanzler. 8. März 1932

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[2365] Nr. 695
Karl Lange an den Reichskanzler. 8. März 1932

R 43 I /2042 , Bl. 302–305

Betr.: Der politische Radikalismus als Folge der Arbeitslosigkeit

Hochverehrter Herr Reichskanzler!

Ich darf mir erlauben, Ihnen anliegend ein soeben fertiggestelltes Schaubild zu überreichen1, für das ich wohl gerade in der augenblicklichen Zuspitzung der politischen Lage Ihr besonderes Interesse voraussetzen darf2.

1

ORegR Planck notierte am 9. 3., daß der RK das Original des Schreibens besitze, der StSRkei habe Kenntnis (R 43 I /2042 , Bl. 302).

2

In der Anlage abgedruckt.

Daß zwischen der Wirtschaftskrise und ihrer Arbeitslosigkeit auf der einen und der politischen Radikalisierung immer breiterer Massen auf der anderen Seite ein gewisser Zusammenhang besteht, liegt auf der Hand und ist nie verkannt worden. Daß dieser Zusammenhang aber derartig eng und unmittelbar sei, wie es die von uns angestellte und auf dem Schaubild zum Ausdruck gebrachte statistische Untersuchung beweist, war für mich selber aufs äußerste überraschend.

Auf dem Bilde ist dargestellt:

1.)

Die Entwicklung der Arbeitslosigkeit in Prozenten der Erwerbstätigen über 18 Jahren unter Ausschaltung der Saisonschwankungen,

2.)

die für die beiden radikalen Flügelparteien, NSDAP und KPD, bei den verschiedenen Reichstags- und Landtagswahlen abgegebenen Stimmen in Prozenten der Stimmberechtigten.

Für beide Kurven ist übereinstimmend der Stand zur Zeit der vorletzten Reichstagswahl, Mai bzw. Juni 1928, gleich 100 gesetzt worden. Es ergibt sich folgendes:

Der Abstieg der deutschen Wirtschaftslage wurde von Ende 1928 bis Mitte 1929, wo die Weltmarktkonjunktur ihren Höhepunkt erreichte, infolge der dadurch bedingten starken Exportsteigerung auf immerhin ¾ Jahre unterbrochen, die Arbeitslosigkeit verminderte sich entsprechend. Dieser Zwischenaufschwung von mittlerer Dauer genügte bereits, um bei den drei nächstfolgenden Wahlen die radikalen Stimmenziffern etwas absinken zu lassen. Sobald jedoch seit der zweiten Hälfte des Jahres 1929 der Konjunkturabschwung sich wieder fortsetzte und die Zahl der Arbeitslosen wuchs, stieg auch sofort wieder die Zahl der radikalen Stimmen. Von Ende 1929 ab ergibt sich nun eine derartige Gleichläufigkeit der beiden Kurven der Arbeitslosigkeit und der radikalen Stimmabgabe, daß man nahezu von einer Identität sprechen kann. Lediglich die Konjunkturbesserung des Frühjahrs 1931, die bereits nach drei Monaten durch die Kreditkatastrophe zerschlagen wurde, war zu kurz und kam der Öffentlichkeit zu wenig zum Bewußtsein, um sich politisch auswirken zu können. Infolgedessen macht die Kurve der radikalen Stimmenabgabe zwar den Knick der Arbeitslosenkurve nicht mit, verläuft jedoch auch weiterhin in einem geradezu frappanten Parallelismus.

[2366] Es scheint sich mir hieraus, wie gesagt, zu ergeben, daß die politische Radikalisierung in noch viel höherem Grade, als man es bisher annahm, eine Funktion der Arbeitslosigkeit darstellt und demgemäß als wirtschaftspolitisches Krankheitssymptom zu bewerten ist.

Da es mir wichtig scheint, diesen Gedankengang noch für die gegenwärtige Vorbereitung der Reichspräsidentenwahl3 zur Geltung zu bringen, habe ich das Kurvenbild gleichzeitig der Kölnischen Zeitung zur Veröffentlichung übersandt4. Mit Rücksicht auf die für meinen Verband als wirtschaftspolitischen Verein gegebene offizielle innenpolitische Neutralität5 habe ich dabei naturgemäß darum gebeten, das Schaubild in redaktioneller Form, also ohne Quellenangabe, zu verwenden, was auch eine anderweitige Verwendung zu Zwecken der Wahlpropaganda erleichtern wird.

3

Der erste Wahlgang fand am 13.3.32 statt.

4

Das Schaubild mit der Erläuterung Langes wurde von der Kölnischen Zeitung Nr. 139 am 10.3.32 veröffentlicht. In einem Kommentar zu dem Schaubild führte die Zeitung aus: „Dieser mathematische Beweis des Zusammenhangs der radikalen Stimmen mit der Kurve der Arbeitslosigkeit, der in anderen Bevölkerungsschichten rückgängige Einkommen und Existenzbedrohung entsprechen, dürfte kurz vor der Präsidentenwahl Anlaß zu einigem Nachdenken geben. Man kann von dem Arbeitslosen oder dem in seiner Existenz Vernichteten nicht erwarten, daß er die ausgewogene Besinnung behält, die für aufbauende und wiederherstellende Arbeit ist. Er wird ein Opfer der Parolen, die rufen: ‚Schluß damit! Es muß anders werden‘; ohne daß dabei die Verbreiter solcher Schlagworte die geringste Gewähr zu wiederaufbauenden Fähigkeiten geben. Um so mehr müssen diejenigen, die einer solchen aus Existenzvernichtung erwachsenden Psychose widerstehen können, darauf achten und daran arbeiten, daß ihr Schicksal nicht von der an sich verständlichen Stimmung von Verzweifelnden bestimmt wird. Das bedeutet, daß den Parteien, die von der Verzweiflung dieser Menschen leben, der eigne Wille und die Hilfsbereitschaft der noch im wirtschaftlichen Leben Stehenden entgegengesetzt wird. Diejenigen, die in diesen Reihen heute noch glauben, Sonderplänen und Sonderinteressen nachgehen zu können, laden eine gefährliche Schuld auf sich. Es heißt im Gegenteil alle Kräfte der Vernunft zusammenzufassen, um die Wahl des Mannes durchzusetzen, der such seine Eigenschaft als Treuhänder aller Volksschichten die Gewähr dafür bietet, sie aus der Verwirrung, deren Untergrund die Verzweiflung ist, herauszuführen. Daß auf diesem Wege die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit mit allen Mitteln, die irgendwie wirtschaftlich zu vertreten sind, an der Spitze der Aufgaben stehen muß, ist die andere Lehre des obigen Schaubilds“ (R 43 I /2042 , Bl. 306).

5

Karl Lange war Geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Vereins Deutscher Maschinenbau-Anstalten.

Mit dem Ausdruck meiner besonderen Hochachtung verbleibe ich, hochverehrter Herr Reichskanzler,

Ihr ganz ergebener

gez. Karl Lange.

[2367] Politischer Radikalismus als Folge der Arbeitslosigkeit

Politischer Radikalismus als Folge der Arbeitslosigkeit

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