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[Fortsetzung der Parteiführerbesprechung 18 Uhr]
Anwesend: Brüning, Groener, Stegerwald; StS Pünder; MinDir. v. Hagenow, Zechlin; RTPräs. Löbe, RTVPräs. Esser; PrMinPräs. Braun; StS Weismann; RbkPräs. Luther; für die SPD: RT-Abg. Wels, Breitscheid, Hilferding, Hertz, Aufhäuser; Protokoll: MinR Vogels.12
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Das Protokoll über die Besprechung des RK mit den SPD-Abg. ist zusammen mit den Äußerungen des PrMinPräs. und des PrIM auszugsweise abgedruckt in: Matthias/Morsey: Das Ende der Parteien, S. 211–213; Ursachen und Folgen, Bd. VIII, Dok. Nr. 1695 c.
Der Reichskanzler setzte in gleicher Weise, wie er dies bei der vorausgegangenen Besprechung getan hatte, auseinander, daß er keine Möglichkeit sehe, jetzt eine Änderung der Notverordnung vorzunehmen und setzte ferner die Gründe auseinander, die die Reichsregierung zu der Forderung veranlassen, jetzt von einer Einberufung des Reichstags Abstand zu nehmen. Er wiederholte auch seine Bereitwilligkeit, bei einer Kompromißmöglichkeit über Änderung der Notverordnung persönlich mitzuarbeiten, wenn sichergestellt sei, daß sich für das Kompromiß eine Mehrheit finden werde und wenn ferner Zweck und Ziel der Notverordnung unangetastet bleiben, insbesondere der finanzielle Endeffekt nicht herabgesetzt werde.
[1205] Anschließend machte Reichsbankpräsident Dr. LutherLuther die gleichen Ausführungen wie in der vorausgegangenen Besprechung.
Ebenso der Reichsminister der Finanzen.
Der Abgeordnete BreitscheidBreitscheid führte aus, daß auch die Sozialdemokratische Fraktion unbedingt für die Finanzsanierung eintrete und daß sie bei der Erreichung dieses Zieles mitarbeiten wolle. Die erschütternden Darlegungen des Reichsbankpräsidenten und des Reichsministers der Finanzen hätten den Willen seiner Freunde, an der Beseitigung des Defizits mitzuarbeiten, noch verstärkt. Er glaube aber, darauf hinweisen zu müssen, daß der Devisenabzug nicht allein darauf zurückzuführen sei, daß die Einberufung des Reichstags drohe. Er fürchte auch, daß der Devisenabzug anhalten werde, wenn der Reichstag nicht zusammentrete. Was soll er dann aber seinen Leuten im Lande sagen? Es gebe eben eine Reihe von Gründen für das Abziehen von Devisen, insbesondere rechne er darunter die Tatsache, daß in vielen deutschen Städten schon jetzt Unruhen erkennbar geworden seien, und gerade diese Unruhe sei auch ein Faktor, der im Ausland wirke. Er müsse befürchten, daß die Unruhe in den Städten noch vermehrt werde, wenn die Notverordnung unverändert in Kraft bleibe.
Reichsbankpräsident Dr. Luther habe selbst erklärt, daß niemand im Ausland sich um die Einzelheiten der Notverordnung kümmere. Ferner habe der Reichskanzler erklärt, daß er nur auf solche Änderungen der Notverordnung eingehen wolle, die die Grundzüge und Grundziele der Notverordnung unangetastet ließen. Es komme also doch nur darauf an, das Ziel des Ausgleichs im Reichsetat zu erhalten. Der Reichskanzler habe erklärt, daß er gemeinsam mit den Fraktionen nachdenken wolle, welche Abänderungsmöglichkeiten es im Rahmen dieser Grenzen gebe, und zwar in der Zeit bis zum Zusammentritt des Reichstags am 13. Oktober13. Solange könne nach Auffassung seiner Freunde nicht gewartet werden. Die kritische Zeit liege weit früher. Er könne nicht zugeben, daß der in der Notverordnung eingeschlagene Weg der einzige Weg zur Erreichung des Ausgleichs im Reichshaushalt sei. Mit Erklärungen, wie der Reichskanzler sie abgegeben habe, wären die Leute draußen im Lande nicht zu beruhigen. Niemand garantiere dafür, ob und was bei dem Verhandeln etwa herauskommen werde. Er rege daher an, sich zwar nicht auf die Einberufung des Reichstags festzulegen, aber doch damit einverstanden zu sein, daß der Hauptausschuß des Reichstags einberufen werde. Dadurch werde ein Ventil geschaffen, damit sich die Stimmung der Unzufriedenen Luft machen könne. Durch die Einberufung des 5. Ausschusses14 werde gewissermaßen nur eine Kulisse geschaffen. Man könne den Leuten im Lande dann wenigstens verständlich machen, daß Verhandlungen im Gange seien. Dieser Ausweg sei das äußerste Entgegenkommen, zu dem die Sozialdemokratie bereit sei.
Der Abgeordnete HilferdingHilferding setzte sich gleichfalls für die Einberufung des Hauptausschusses des Reichstages ein.
[1206] Der Reichskanzler erwiderte mit der Frage, wie man sich die Arbeit im Hauptausschuß denn vorstelle. Er sei überzeugt, daß dort binnen 2 Wochen mit wechselnden Mehrheiten die verschiedensten Beschlüsse zustande gekommen sein würden, durch die so ungefähr alles, was in der Notverordnung drin stehe, aufgehoben werde. Dann werde man erneut vor der Forderung nach der Einberufung des Reichstags stehen. Er müsse deshalb auf das Bestimmteste erklären, daß er die Einberufung des Hauptausschusses mit der Einreichung seiner Demission an den Herrn Reichspräsidenten beantworten werde.
Der Abgeordnete HilferdingHilferding versuchte alsdann noch auseinanderzusetzen, daß es doch nur darauf ankommen könne, einen Beschluß auf Nichteinberufung des Reichstags zu erzielen. Dieser Beschluß allein werde die Beruhigung erzielen, die die Regierung erhoffe. Wenn dann noch der 5. Ausschuß im Einvernehmen mit der Regierung zu arbeiten beginne, so werde dies niemand beunruhigen.
Im gleichen Sinne äußerte sich der Abgeordnete WelsWels.
Da eine Annäherung der Auffassung der Reichsregierung einerseits und der Vertreter der Sozialdemokratie andererseits nicht möglich erschien, wurde die weitere Aussprache abgebrochen.
Anschließend an die Besprechung mit den Vertretern der Sozialdemokratischen Fraktion empfing der Reichskanzler um 7½ Uhr als Vertreter der Deutschnationalen Reichstagsfraktion die Abgeordneten OberfohrenOberfohren und HugenbergHugenberg.
Hierüber besteht besondere Niederschrift15.
An den Empfang der Vertreter der Deutschnationalen Reichstagsfraktion schloß sich um 8 Uhr 15 eine Aussprache mit dem Vertreter der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei, Abg. GöringGöring, an. Hierbei waren anwesend: [Brüning, Dietrich, Groener; RbkPräs. Luther; Protokoll: MinR Vogels.]
Der Reichskanzler und der Reichsbankpräsident machten dem Abgeordneten Göring im wesentlichen die gleichen Mitteilungen über den Ernst der Lage, die in den vorausgegangenen Besprechungen den Vertretern der anderen Fraktionen gemacht worden waren.
Der Abgeordnete GöringGöring beschränkte sich im wesentlichen darauf, die Informationen entgegenzunehmen. Er versicherte, daß er das Gehörte sofort an seine Parteifreunde berichten werde. Die einzige Gegenfrage, die er tat, lautete dahin, ob Reichsbankpräsident Luther wisse, wie sein Amtsvorgänger Schacht die gegenwärtige Lage beurteile, ob ihm bekannt sei, daß Dr. Schacht die Situation noch schwärzer sehe wie Dr. Luther und daß Dr. Schacht die Auffassung vertrete, daß die Erschütterungen des Devisenmarktes, jedenfalls zum Teil, auch auf das Verhalten Dr. Luthers gegenüber der Deutschen Volkspartei zurückzuführen seien.
Demgegenüber wies der Reichsbankpräsident darauf hin, daß der am meisten ins Gewicht fallende Abzug, über 200 Millionen Devisen, am Freitag, dem[1207] 12., bereits erfolgt gewesen sei, bevor er, Dr. Luther, mit einzelnen Persönlichkeiten der Deutschen Volkspartei verhandelt habe16.
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Vgl. die Aufzeichnung des RbkPräs. über die Unterredung mit DVP-Abg. am 12.6.31 im Nachl. Luther Nr. 365, Bl. 28–31.
Der Abgeordnete GöringGöring ließ keinen Zweifel darüber, daß seine Fraktion für die Einberufung des Reichstags stimmen werde, daß seine Fraktion dagegen kein Interesse an der Einberufung eines Ausschusses des Reichstags hätte. Er bezweifelte auch, daß es der Reichsregierung gelingen werde, die Haushalte von Reich, Ländern und Gemeinden in Ordnung zu bringen. Die Beunruhigung, die zu den Abzügen der Devisen geführt habe, hinge in erster Linie zusammen mit den Erscheinungen des Bürgerkrieges, die sich allenthalten in Deutschland offenbarten. Das Ausland werde in erster Linie deshalb unruhig, weil die Übergriffe der Kommunistischen Partei von Tag zu Tag stärker in die Erscheinung treten; aber gegen die Kommunisten geschehe ja nichts Durchgreifendes.
Der Reichskanzler erwiderte, daß die Ministerien der Länder ihre Polizeiorgane bereits mit schärfsten Weisungen versehen hätten, gegen Unruhen einzuschreiten. Aus diesem Grunde habe daher das Ausland keine Veranlassung zur Beunruhigung.
Im übrigen habe es die Reichsregierung nicht verabsäumen wollen, alle Parteien über den Ernst der Lage zu informieren und habe es daher auch für ihre Pflicht gehalten, auch die Nationalsozialisten ins Bild zu setzen.