2.65.8 (feh1p): 8. Allgemeine Wirtschaftslage.

Zum Text. Zur Fußnote (erste von 16). Zu den Funktionen. Zum Navigationsmenü. Zum Navigationsbaum

 

Bandbilder:

   Das Kabinett Fehrenbach  Konstantin Fehrenbach Bild 183-R18733Paul Tirard und General Guillaumat Bild 102-01626AOppeln 1921 Bild 146-1985-010-10Bild 119-2303-0019

Extras:

 

Text

RTF

8. Allgemeine Wirtschaftslage.

Der Reichswirtschaftsminister führte aus, daß für unsere gesamte wirtschaftliche Lage und ihre Besserung zwei Momente außenpolitischer Natur von gewaltigem Einfluß seien: das Kohlenabkommen in Spa und die Frage der Wiedergutmachungsleistung. Gerade vom Standpunkt unserer Wirtschaft müsse man immer wieder die Frage des direkten Aufbaues in den Vordergrund stellen und auch immer wieder die sachliche Wiedergutmachung betonen, um in letzterer Hinsicht durch Zuführung von Aufträgen an die heimische Industrie gleichfalls die Arbeitslosigkeit steuern zu können. Die Maßnahmen, die zu erwägen seien, seien verschiedener Natur. Es müsse 1. der immer mehr zunehmenden Stillegung von Betrieben ein besonderes Augenmerk zugewendet werden. Er habe deshalb eine Verordnung, betreffend Anmeldepflicht über Betriebsabbrechung und Stilllegungen in Bearbeitung, die er dem Kabinett noch vorlegen wolle, deren grundsätzliche Anerkennung er aber heute bereits beantrage10. 2. In positiver Richtung würde in folgender Weise vorgegangen werden können: a) Das Reich und die Länder sowie die Gemeinden müßten ersucht werden, die erforderlichen öffentlichen Arbeiten tunlichst umgehend in Angriff zu nehmen bzw. energisch zu fördern. Er denke da u. a. an Kanalbauten, Bauten zwecks Ausnutzung der Wasserkräfte (Ersatz der schwarzen durch die weiße Kohle); b) es wäre weiter zu denken an öffentliche Aufträge auf dem Gebiete der Schuhversorgung, der Textilversorgung für die Bergarbeiter usw.; c) es müsse die Wohnungsbeschaffung für die Bergleute beschleunigt werden, die sehr wichtig sei, einmal wegen des Abkommens von Spa, da die Wohnungsbeschaffung die Voraussetzung für eine Förderung der Produktion sei, und zweitens wegen der Belebung des Baugewerbes. Dabei wäre zu erwägen, ob nicht die ganze Angelegenheit einem tüchtigen Unternehmer in Generalentreprise gegeben werden solle, z. B. Haberland11; d) weiter in Frage käme eine indirekte Bekämpfung der Arbeitslosigkeit durch Förderung der Produktion. In dieser Hinsicht wäre zu erwägen, ob nicht mit Rücksicht auf die Absatzstockungen deutscher Fabrikate im Ausland eine[164] Reihe von bestimmten Artikeln frei von Ausfuhrabgaben12 bleiben könnten. Die heute im volkswirtschaftlichen Ausschuß angenommene Entschließung, die Ausfuhrabgaben wenigstens temporär nicht zu verlangen, um durch Erleichterung der Ausfuhr der Industrie erhöhte Betätigung zu verschaffen, scheine ihm sehr beachtenswert. Im übrigen würden diese Fragen bereits im Reichswirtschaftsministerium behandelt, wobei die Tendenz auf Erhaltung der Arbeit im Innern gerichtet sei; e) Problem der Wirtschaftsbank. Notwendig sei ein großes Kreditinstitut, welches unter kulantesten Bedingungen den geldhungrigen Betrieben die nötigen Mittel zur Verfügung stellen und ihnen die aus den Valutaschwankungen13 hervorgehenden Schwierigkeiten überwinden helfen müsse. Es sei daher die Schaffung eines solchen Instituts zu erwägen. Voraussichtlich würde man in Bankkreisen auf Gegnerschaft stoßen14, trotzdem müsse aber das Problem erwogen werden. Vielleicht würde es möglich sein, unter Benutzung der deutschen Girozentrale, einem Kreditinstitut der deutschen Selbstverwaltungskörperschaften, das gewünschte Ziel zu erreichen. Er habe bereits Verhandlungen eingeleitet und würde dankbar sein, wenn das Kabinett ihn mit der Weiterführung der Verhandlungen betrauen würde und sich mit dem Grundgedanken, vorbehaltlich der Form und des Inhalts, einverstanden erklären würde15; f) Wirtschaftliches Dienstjahr16. Ein weiteres, wenn auch erst für die[165] Zukunft wirkendes Mittel sei die Einführung eines wirtschaftlichen Dienstjahres für die männlichen und weiblichen Personen. Nach Fortfall des Volksheeres bedürften wir, insbesondere für die 18 bis 20jährigen, einer gesunden Erziehung. Nur diese würde die Grundlage für eine gesunde Wirtschaft abgeben. Der Gedanke würde auch Anklang finden, da er auf die Gemeinschaftlichkeit der Arbeit für das Vaterland abziele. Abgesehen von dem erzieherischen Einfluß zur Arbeit würde er gerade das unangenehmste Kontingent der Arbeitslosen aus dem allgemeinen Arbeitsmarkt herausnehmen. Auch zur Überbrückung der Klassengegensätze würde das wirtschaftliche Dienstjahr beitragen. Gedacht sei die Verwendung der Arbeitskräfte insbesondere für die Urproduktion, in erster Linie Kohle und Landwirtschaft, sowie für lebenswichtige Betriebe des Reiches, der Länder und der Gemeinden. Auch die Einrichtung der Technischen Nothilfe könne dadurch weiterentwickelt werden. In Bulgarien sei bereits ein Gesetz über die Arbeitspflicht durchgeführt17. Ob es möglich sei, ein solches Gesetz durchzusetzen, sei fraglich. An sich glaube er mit Rücksicht auf die soziale Idee, die in dem Gedanken der gemeinschaftlichen Arbeit liege, auch die Zustimmung der Mehrheitssozialdemokratie erhalten zu können18.

10

Später erlassen als „Verordnung, betreffend Maßnahmen gegenüber Betriebsabbrüchen und -stillegungen“ (RGBl. 1920, S. 1901 ). Durch diese VO wurden die Inhaber und Leiter von gewerblichen Betrieben verpflichtet, einen Betriebsabbruch oder eine Betriebsstillegung vorher der Landeszentralbehörde anzuzeigen.

11

Georg Haberland, Vorstand der Berliner Bodengesellschaft, der Berliner Bodenkredit AG und anderer Grundstücksgesellschaften.

12

Durch die VO über die Außenhandelskontrolle vom 20.12.1919 war die Ausfuhr jeder Art von Waren an eine Ausfuhrbewilligung gebunden. Bei der Erteilung dieser Bewilligung war eine Ausfuhrabgabe zu entrichten, die dem Reich zufloß und aus der soziale Aufgaben finanziert werden sollten (RGBl. 1919, S. 2128 ).

13

Im Juni 1920 hatte die Notierung für 100 RM in New York 2,55 US$ betragen. Im Juli sank sie auf 2,50 $ , am August auf 2,09 $ und im September 1920 nochmals auf 1,70 $. Ein ähnlicher Verfall der dt. Währung zeigte sich auch an den anderen ausländischen Devisenmärkten (Stat. Jb. für das Dt. Reich, Bd. 42, S. 275).

14

Am 28.9.1920 veröffentlichten die privaten dt. Banken eine Erklärung, in der sie zu dem Plan der Gründung einer Wirtschaftsbank Stellung nahmen. Die Banken legten dar, daß sie in der Lage seien, jedes Kreditbegehren aus Handel und Industrie zu befriedigen, und daß daher die Gründung einer besonderen Wirtschaftsbank verfehlt sei. Zudem warnten die Banken vor der Verwendung von Reichsmitteln zur Kreditgewährung. Unterzeichnet war diese Erklärung u. a. von der Diskonto-Gesellschaft, der Commerz- und Privat-Bank, der Dresdner Bank, der Deutschen Bank und der Nationalbank für Deutschland. Zum Text der Erklärung s. Vorwärts Nr. 482 v. 29.9.1920.

15

Nachdem der RWiM bereits die ersten Vorgespräche über die Gründung einer Wirtschaftsbank mit Vertretern von Handel, Industrie und Banken geführt hatte, teilte der RFM Ende Oktober dem RWiM mit, daß er jede Hergabe von Mitteln für die geplante Wirtschaftsbank ablehnen müsse (Der RFM an den RWiM am 27.10.1920, R 43 I /1151 , Bl. 25–31).

Wenig später befaßte sich auch der RT-Ausschuß für den Reichshaushalt mit dem Plan einer solchen Bank. Am 19. 11. brachte der Ausschuß eine Entschließung ein, in der die RReg. aufgefordert wurde, bei allen Maßnahmen des gewerblichen Kredits, die aus öffentlichen Mitteln durchgeführt werden sollten, den Weg der ordentlichen Gesetzgebung und nicht der VO zu beschreiten (RT-Drucks. Nr. 939 , IIa3, Bd. 364). Am 19.3.1921 stimmte der RT diesem Antrag zu (RT-Bd. 348, S. 3238 ). Damit behielt sich der RT die Vergabe gewerblicher Kredite aus öffentlichen Mitteln selbst vor.

16

Die Einführung eines wirtschaftlichen Dienstjahres war kurz zuvor Gegenstand der parlamentarischen Diskussion gewesen. Am 30.7.1920 hatten die demokratischen Abgeordneten Schiffer, Schücking und Fraktion eine Entschließung an die RReg. gerichtet, in der sie sie aufforderten, anstelle der früheren allgemeinen Wehrpflicht mit ihren erzieherischen Wirkungen ein allgemeines wirtschaftliches Dienstjahr einzuführen (RT-Drucks. Nr. 276, Bd. 363 ).

Nachdem dieser Gedanke bei den Parteien des RT keine allgemeine Zustimmung gefunden hatte, zogen die Abgeordneten ihre Entschließung zurück (RT-Bd. 344, S. 434 , S. 439–440, S. 444–446).

17

Am 10.6.1920 war in Bulgarien ein Arbeitsdienstpflichtgesetz erlassen worden (Schultheß 1920, II, S. 252).

18

In der Debatte über die Entschließung Schiffer-Schücking (s. o. Anm. 16) hatte der sozialdemokratische Abg. Schöpflin erklärt, daß die SPD den Gedanken eines wirtschaftlichen Dienstjahres in dieser Stunde und in der Art, wie es gefordert werde, ablehne, wenn auch die SPD sonst dieser Idee durchaus freundlich gegenüberstehe (RT-Bd. 344, S. 439 ).

Der Reichsarbeitsminister war der Auffassung, daß man der Stillegungsverordnung wohl zustimmen und auch das Reich, die Länder und Gemeinden zur Beschleunigung der Inangriffnahme von öffentlichen Arbeiten auffordern solle, wobei die Frage der Kreditbeschaffung eine große Rolle spielen würde. Die Einrichtung einer Wirtschaftsbank kann in der Richtung helfen. Die Einführung eines wirtschaftlichen Dienstjahres würde allerdings nur für die spätere Zukunft helfen. Mit den vorgeschlagenen Maßnahmen würde man aber im Augenblick nicht viel weiterkommen. Die größte Gefahr bilde die Erwerbslosenfrage. Sturmzeichen eines Umsturzes machten sich überall bemerkbar. Mitte August habe die Zahl der unterstützten Arbeitslosen eine halbe Million ohne Angehörige betragen. Hierzu müßten auch noch die Kurzarbeiter gerechnet werden, deren Zahl auch bedeutend sei. In Berlin allein gäbe es zur Zeit 150 000 unterstützte Erwerbslose. Die Erwerbslosenunterstützung selbst sei niedrig. Man könne von ihr nicht sagen, daß man durch sie die Leute arbeitsscheu mache19. Zu einer Lösung müsse man aber kommen. Die Ursachen der Krisis lägen in der Absatzstockung, die wiederum ihren Grund in den hohen Preisen habe. Das Preisniveau übersteige die Kaufkraft, auch mit dem Ausland könne man nicht mehr konkurrieren. Die Rohmaterialien seien zu teuer, auch der Handel wolle zu große Gewinne aus dem Geschäft ziehen. Während die Löhne sich nur versiebenfacht, selten verzehnfacht hätten, seien die Preise für Stahl, Kohle und landwirtschaftliche Erzeugnisse um ein weit größeres Vielfaches gestiegen. Es müsse daher seiner Auffassung nach mit einem Preisabbau bei den wichtigsten Sachen[166] begonnen werden, und zwar sei zu überlegen, ob nicht die Preise für Rohmaterialien heruntergesetzt, die teuren Warenlager ausgekehrt und die notleidende Bevölkerung mit den allernotwendigsten Dingen versorgt werden könnte. Er wolle die Frage anregen, ob etwa die Rohmaterialien nicht beschlagnahmt werden müßten, um damit wieder die Industrie in Gang zu setzen. Ferner sollte versucht werden, an die Schieberlager heranzukommen. Endlich müsse dem furchtbar ausgearteten Schmuggel entgegengetreten werden. Zu denken sei an eine besondere Polizeitruppe, für die man gegebenenfalls die jetzt aus dem Heere ausscheidenden Offiziere verwenden könne. Eine weitere Möglichkeit sehe er in weiteren großen Aufträgen der Post, Eisenbahn und Landwirtschaft. Er würde im bestimmten Rahmen bereit sein, Kapitalien aus Mitteln der Erwerbslosenfürsorge für diese produktive Erwerbslosenfürsorge vorzuschießen.

19

Zu den Sätzen der Erwerbslosenfürsorge s. RGBl. 1920, S. 871  f.

Der Reichsschatzminister war der Auffassung, daß ein wesentlicher Grund für den Niedergang der Industrie der Mangel an Betriebskapital sei, der verschärft würde durch die großen Risiken (Schwanken der Valuta), auf die sich die Industrie einstellen müsse. Hier könne nur eine Heilung eintreten, wenn es gelänge, die Valuta zu fixieren. Deshalb erscheine es ihm zweckmäßig, den Gedanken der Wirtschaftsbank energisch zu verfolgen und auch die Frage einer Gewährung größerer Anzahlungen bei Staatslieferungen in Aussicht zu nehmen. Der Handel erfahre eine ungeheure Verteuerung durch die Zwangsbewirtschaftung. Daher sei es dringend erforderlich, mit dieser und mit den Kriegsgesellschaften20 schleunigst abzubauen. Ferner müsse jeder Ressortminister für sein Ressort überlegen, was er für die Besserung der Wirtschaftslage und Linderung der Arbeitslosigkeit tun könne. So würden von seinem Ressort für das besetzte Gebiet in diesem Jahre Bauten im Betrage von 200 Millionen Mark und im nächsten Jahre von 400 Millionen Mark ausgeführt werden. Ferner sei es notwendig, die für diese Bauten erforderlichen Möbel und Wäsche zu beschaffen. In letzterer Beziehung könnten insbesondere die Heimarbeiterinnen berücksichtigt werden. Auf dem Gebiete der Elektrizität sei jede Bautätigkeit eingeschränkt. Das Elektrizitätsgesetz habe eine absolute Verhinderung der Bautätigkeit herbeigeführt21. Bisher sei nichts geschehen. Er habe den Beirat für Elektrizitätswirtschaft zu Besprechungen eingeladen gehabt und werde demnächst dem Reichswirtschaftsrat ein Organisationsgesetz vorlegen. Endlich sei der Ausbau der Wasserkräfte erforderlich, der auch bisher nicht so gefördert worden sei, wie es notwendig gewesen wäre. Insbesondere wolle er versuchen, das Rheinprojekt möglichst zu beschleunigen. Gleichfalls wolle er auch mit Bayern über das bayerische Wasserprojekt verhandeln22. Er sei der Auffassung,[167] daß teure Bauten immer noch billiger seien als unproduktive Erwerbslosenfürsorge. Er bat das Kabinett um Unterstützung, insbesondere hinsichtlich des Ausbaues der Wasserkräfte.

20

Die Kriegsgesellschaften waren von 1914 an während des Weltkrieges zur Durchführung der Kriegswirtschaft errichtet worden. Nach Angaben des RWiM bestanden am 30.9.1920 noch 22 Kriegsgesellschaften (RT-Bd. 346, S. 1331 ).

21

„Gesetz, betreffend Sozialisierung der Elektrizitätswirtschaft“ (RGBl. 1920, S. 19  f.). In diesem Gesetz war die Übernahme der Elektrizitätswirtschaft durch das Reich angekündigt worden.

22

Hier ging es um den Bau eines Main-Donau Schiffahrtsweges über Aschaffenburg, Bamberg, Nürnberg, Kelheim nach Passau, der von Bayern schon lange geplant war (Schreiben des RVM über die schwebenden Wasserstraßenpläne v. 28.2.1921, R 43 I /2137 , bes. Bl. 207 u. 213 f.).

Der Reichswehrminister teilte mit, daß der Ausbau der Küstenbefestigungen zunächst aus politischen Gründen zurückgestellt sei23; infolgedessen habe man die erforderlichen Erdarbeiten nicht vornehmen können. Ein großer Mangel liege außer in der Nichtausführung von Neubauten darin, daß auch Reparaturen nicht vorgenommen würden, und er möchte anregen, ob nicht ein Teil des Reichsnotopfers24 angerechnet werden könne auf auszuführende Reparaturarbeiten der Abgabepflichtigen.

23

Zu den Küstenbefestigungen s. Dok. Nr. 155, Anm. 5.

24

Zum „Reichsnotopfer“ s. Dok. Nr. 103, P. 1.

Ministerialdirektor Nobis regte eine baldige Entscheidung des Reichs über den Mittellandkanal an25. Preußen sei bereit, die Mittellinie sofort in Angriff zu nehmen, wenn das Reich die Zusicherung hinsichtlich der Übernahme geben könne.

25

Hier handelte es sich um den Abschluß des Mittellandkanals auf dem Teilstück zwischen Hannover und Magdeburg. Strittig war zwischen Preußen und den mitteldt. Ländern, deren Staatsgebiet teilweise berührt wurde, nur die Linienführung des Kanals. Während Preußen den Bau des Kanals auf der sogenannten „Mittellinie“ nördlich von Braunschweig und Helmstedt plante, wünschten die mitteldt. Länder die Führung des Kanals auf der sogenannten „Südlinie“ südlich von Braunschweig und Helmstedt (Karte der Linienführung des Kanals in den Drucks. der Verfassungsgebenden Pr. Landesversammlung 1919/ 1921, Drucks. Nr. 2659, R 43 I /2137 , Bl. 147). Auch das Reich war an der Linienführung des Kanals interessiert, da es die Baukosten tragen sollte. Ferner kam hinzu, daß bis zum 1.4.1921 die Wasserstraßen überhaupt auf das Reich übergehen sollten und damit auch der Bau des Kanals Reichssache wurde (Eingabe der mitteldt. Regierungen an die Pr. Staatsregierung im Mai 1920, R 43 I /2137 , Bl. 98–109).

Nachdem es über die Linienführung des Kanals zu keiner Einigung gekommen war, war Preußen einseitig vorgegangen. Am 1.7.1920 hatte die Pr. Staatsregierung einen GesEntw. über die Vollendung des Mittellandkanals eingebracht, der auf die Wünsche der mitteldt. Regierungen keine Rücksicht nahm und unverändert auf der „Mittellinie“ beruhte (Drucks. Nr. 2659 der Verfassungsgebenden Pr. Landesversammlung 1919/1921, R 43 I /2137 , Bl. 144–155). Das Reich hatte daraufhin erklärt, daß es sich durch etwaige Beschlüsse Preußens nicht gebunden fühle und sich eine Stellungnahme vorbehalte (StS Peters am 30.7.1920 vor dem RT, RT-Bd. 344, S. 423 /24).

Der Reichsverkehrsminister erwiderte, daß die Angelegenheit durch das Vorgehen Preußens verzögert sei. Das Reich würde unvoreingenommen an die Prüfung der Projekte herantreten. Die Erdarbeiten bei den jetzt in Angriff genommenen Strecken seien dadurch erschwert, daß es an Baggern fehle; andererseits sei es unmöglich, lediglich mit Handarbeitern die Erdarbeiten vorzunehmen, da die Kosten ins Ungemessene steigen würden. Er habe für sein Ressort bereits an die Industrie große Aufträge gegeben. Bei den ungeheuren Rohmaterialpreisen habe die Auftragsbestellung aber auch ihre Grenzen; deshalb müsse seiner Auffassung nach unter allen Umständen eine Preissenkung der Rohstoffe versucht werden.

Der Reichsarbeitsminister schlug vor, auch auf eine Beschneidung der überhohen Handelsgewinne hinzuwirken und ferner das Bau- und Bekleidungsgewerbe zu beleben.

Staatssekretär Moesle wandte sich auch aus politischen Gründen gegen die Anregung des Reichswehrministers auf Verwendung bzw. Belassung eines Teiles[168] des Reichsnotopfers der Abgabepflichtigen für Reparaturzwecke. Mit besonderen Maßnahmen gegen den Schmuggel sei er einverstanden.

Der Reichswirtschaftsminister hielt die Anregungen des Reichswehrministers wegen der Reparaturen für beachtenswert; man könne auch gegebenenfalls an die Gewährung von Überteuerungszuschüssen denken.

Nach weiteren Erörterungen wurde folgendes festgestellt:

a) Mit der vorgeschlagenen Stillegungsverordnung erklärt sich das Kabinett grundsätzlich einverstanden.

b) Das Kabinett war ferner einverstanden damit, daß die beteiligten Ressorts sich mit den Ländern wegen beschleunigter Ausführung von Arbeiten größeren Stils zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in Verbindung setzen sollten.

c) Der Reichswirtschaftsminister wurde ermächtigt, in der Frage der Gründung eines Kreditinstituts für die deutsche Wirtschaft (Wirtschaftsbank). die Vorbereitungen zu treffen und mit den in Betracht kommenden Stellen in dem von ihm vorgetragenen Sinne zu verhandeln.

d) Bezüglich des wirtschaftlichen Dienstjahres überwog die Meinung, daß die Idee verfolgbar sei und daß deshalb der Reichswirtschaftsminister in Verbindung mit dem Reichsarbeitsminister und dem Reichsminister der Finanzen die Angelegenheit prüfen solle.

e) Ferner wurde der Reichswirtschaftsminister gebeten, die Fragen der Beschlagnahme von Rohstofflagern, der Bekämpfung des Schmuggels sowie des Abbaues der Preise für Kohle und Eisen zu prüfen und dem Kabinett binnen zwei bis drei Wochen einen eingehenden Bericht zu erstatten.

Extras (Fußzeile):