1.126 (str2p): Nr. 240 Der Hessische Staatspräsident an den Reichskanzler. Darmstadt, 11. November 1923

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[1026] Nr. 240
Der Hessische Staatspräsident an den Reichskanzler. Darmstadt, 11. November 1923

R 43 I /189 , Bl. 319

[Betrifft: Verhandlungen mit Tirard.]

Eilt sehr!

Aus Mainz erhalte ich durch den Hessischen Landeskommissar1 folgende Mitteilungen:

1

Provinzialdirektor Dr. Karl Usinger.

In Köln haben am 9. November 1923 2 Sitzungen stattgefunden, eine des sog. 15er Ausschusses, der in Hagen gebildet wurde, und eine des sog. Verhandlungsausschusses des großen Wirtschaftsausschusses für das besetzte Gebiet2. Das Ergebnis der beiden Verhandlungen war die Absicht, mit den Alliierten alsbald zu verhandeln. Die Verhandlungen sollen sich in der Hauptsache auf Wirtschaftsfragen erstrecken, von einer etwaigen Staatenumbildung am Rhein soll zunächst möglichst wenig gesprochen werden. Die Beschlußfassung wurde stark beeinflußt durch die Mitteilung, daß bei einer Besprechung, die Geheimrat Louis Hagen mit Tirard hatte, die beiden Fragen:

2

Gemeint ist einmal der 15er Ausschuß (s. dazu Anm. 82 zu Dok. Nr. 179), sodann der Wirtschaftsausschuß, der auf Vöglers Betreiben entstanden war (s. dazu Anm. 5 u. 6 zu Dok. Nr. 146).

1.

Läßt Tirard die Separatisten fallen?

2.

Besteht die Sicherheit, daß das Rheinland innerhalb des Deutschen Reiches bleibt?

von Tirard bejaht wurden. Die beiden Ausschüsse haben einen gemeinsamen kleineren Ausschuß gebildet, der aus 9 bis 10 Personen als den Vertretern der Pfalz, Rheinhessen und Rheinpreußen besteht3. Dieser letztgenannte Ausschuß wird am kommenden Mittwoch, dem 14. November vormittags 11 Uhr, in Köln zusammenkommen. Am Nachmittag 5.30 [Uhr] soll er von Tirard empfangen werden4.

3

S. Dok. Nr. 234.

4

Über die Unterredung zwischen Hagen und Tirard berichtet B. Falk in seinen Lebenserinnerungen: „Die Besprechung ging aber über das Thema Goldnotenbank weit hinaus. Tirard äußerte, er sei von seiner Regierung ermächtigt, mit einer kleinen Organisation über die endgültige Regelung eines neuen Staatswesens am Rhein zu verhandeln. Diese Organisation dürfe aber nicht nur aus Kölnern bestehen, besonders müsse die Pfalz dabei berücksichtigt werden. Täglich kämen Deputationen aus allen Teilen des besetzten Gebietes zu ihm, um mit ihm über diesen Gegenstand zu handeln. Vielleicht könnten mehrere Staaten gebildet werden. Es sei auch denkbar, daß der neue Staat im Rahmen verbleibe“; allerdings müsse er dann anders stehen als die anderen Länder, er müsse selbständiger sein, eigene Währung und eigene Zollgrenzen erhalten, auch eigene diplomatische Vertretung und eine eigene Flagge besitzen. Hagen berichtete über diese Besprechung dem Fünfer-Ausschuß in Köln und dem Provinziallandtag, der jetzt beschloß, sich in die Verhandlungen einzuschalten. Er bestellte hierfür einen besonderen Ausschuß aus 21 Mitgliedern, der am 13. [!] November 1923 Rücksprache mit Tirard hielt, die aber keinerlei weitere Aufklärung brachte (BA: Kl.Erw. 385, Bl. 168). Gemeint ist die Besprechung am 14.11.23, s. dazu K. D. Erdmann, Adenauer in der Rheinlandpolitik, Dok. Nr. 12, S. 308 ff.

[1027] Die vorstehenden unbedingt zuverlässigen Mitteilungen veranlassen mich, an die Reichsregierung die ergebene Bitte zu richten, mir sobald als möglich eine Mitteilung darüber zugehen zu lassen, ob die Reichsregierung von den vorerwähnten Verhandlungen und Absichten Kenntnis hat, ob sie sie billigt und in welcher Weise der Einfluß der Reichsregierung auf die Verhandlungen und die weitere Entwicklung der Angelegenheit gewährleistet ist5. Ich brauche nicht darauf hinzuweisen, daß die Fragen, mit denen sich die verschiedenen Ausschüsse befassen, gerade für Hessen von der allergrößten Wichtigkeit sind, daß sie als Lebensfragen des Landes Hessen bezeichnet werden müssen. Hessen muß daher das allergrößte Interesse haben, an den Verhandlungen, wenn auch zunächst vielleicht nur in inoffizieller Form, beteiligt zu werden. Die Hessische Staatsregierung sieht sich aber außer Stande, in der Angelegenheit etwas zu unternehmen, ehe ihr nicht die klare Auffassung der Reichsregierung bekannt ist. Ich darf angesichts der Wichtigkeit der Angelegenheit Ihrer gefälligen Erwägung ergebenst anheimstellen, ob es nicht erforderlich ist, eine vertrauliche Besprechung der Reichsregierung mit den Vertretern der beteiligten Länderregierungen durch Ihre Initiative herbeizuführen6.

5

S. hierzu die Äußerungen des RK in Dok. Nr. 233, P. 1.

6

S. Dok. Nr. 245.

Angesichts der Tatsache, daß schon im Laufe der kommenden Woche Verhandlungen mit den Alliierten stattfinden, darf ich die ergebene und dringende Bitte aussprechen, mir eine umgehende Mitteilung zukommen lassen zu wollen7.

7

Kempner vermerkte am 13.11.23 am Kopf des Schreibens: „Herrn Wienstein. Wohl erledigt durch heutige Besprechung?“ und verfügte es am 14. 11. „z.d.A.

Ulrich

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