2.53.4 (wir1p): 4. Außerhalb der Tagesordnung: Oberschlesien.

Zum Text. Zur Fußnote (erste von 2). Zu den Funktionen. Zum Navigationsmenü. Zum Navigationsbaum

 

Bandbilder:

Die Kabinette Wirth I und II (1921/22). Band 1Bild 146III-105Bild 183-L40010Plak 002-009-026Plak 002-006-067

Extras:

 

Text

RTF

4. Außerhalb der Tagesordnung: Oberschlesien.

Reichsminister Dr. Rosen machte Mitteilung von der heute durch den französischen Botschafter überreichten Note der französischen Regierung betreffend Oberschlesien8.

8

Am 16.7.21 hatte das französische Ministerium des Äußeren die folgende Note veröffentlicht, deren Inhalt der Botschafter Laurent noch am gleichen Tage dem RAM Rosen vortrug: „Nachdem die Englische Regierung einerseits festgestellt hat, daß die IAK in Oberschlesien das Volksabstimmungsgebiet sowohl von den polnischen als von den deutschen Banden hat räumen lassen und die Verwaltung des ganzen Abstimmungsgebietes wieder übernommen hat, und nachdem die Englische Regierung andererseits festgestellt hat, daß der französische, der englische und der italienische Kommissar die Unmöglichkeit eingesehen haben, einen gemeinsamen Vorschlag der drei Regierungen zu unterbreiten und die Lösung der oberschlesischen Frage diesen drei Regierungen vorzubehalten, hat die Englische Regierung dem Vorschlage zugestimmt, eine Sachverständigenkommission möge sich anfangs nächster Woche in Paris versammeln. Diese technische Kommission soll innerhalb weniger Tage ihren Bericht fertigstellen, damit der Oberste Rat, der sich gegen den 24. Juli versammeln wird, noch vor August eine Entscheidung treffen könne, da sich der englische Ministerpräsident in diesem Monat im Engadin zur vollständigen Erholung aufhalten müsse. […] Ferner hat die französische Regierung in London und Rom die militärischen Vorbereitungen der Deutschen in Oberschlesien zur Kenntnis gebracht, die diese an den Toren des Abstimmungsgebietes vornehmen und die für die Entscheidung der alliierten Regierung eine Drohung bedeuten würden, gegen die die IAK und die geringen Besatzungstruppen ohnmächtig wären. […] Von den 40 000 Mann der Hoefer-Armee sind 10 000 im Land geblieben, weitere 10 000 Mann in Gruppen auf verschiedenen Plätzen verteilt. Etwa 20 000 Mann wurden in Mittel- oder Niederschlesien untergebracht oder haben Urlaub erhalten oder wurden, wie Studenten, die man jederzeit zurückberufen kann, nach Hause geschickt. So stehen also die Deutschen im Abstimmungsgebiet oder an seinen Toren, und von General Hoefer werden fast unglaubliche Äußerungen, die er im Kreise seiner Offiziere abgab, berichtet, die seinen Entschluß bekunden, in Oberschlesien bei der erstbesten Gelegenheit mit den Waffen zu intervenieren, und sich auf jeden Fall einer Entscheidung der Mächte, die Deutschland nicht volle Genugtuung gibt, zu widersetzen. Die französische Regierung ist der Ansicht, daß es unmöglich sei, den Obersten Rat nach einem nur wenige Tage dauernden Studium der oberschlesischen Angelegenheit durch die Sachverständigen zu versammeln, um eine improvisierte Entscheidung in einer so wichtigen Angelegenheit zu treffen, bei der man unter den Drohungen Deutschlands beraten müsse, die ohne Zweifel einen polnischen Angriff hervorrufen würden, wodurch die Alliierten wiederum in einen Krieg hineingetrieben würden. Die Alliierten seien nach den letzten Abmachungen der Auffassung, daß es unmöglich sei, an die Prüfung der endgültigen praktischen Lösung der Frage heranzutreten, solange die IAK ihre Autorität über das Abstimmungsgebiet nicht wiederhergestellt habe, frei von deutschen und polnischen Banden und den Drohungen, denen sie sich gegenüber sehen und die die Durchführung der Entscheidung der drei Mächte jeden Augenblick Gefahren aussetzen, einen Mißerfolg zu erleiden. Auch die Anwendung des Versailler Vertrages werde durch Gewalt verhindert. […] Der französische Ministerpräsident hat auch diesen Standpunkt in Rom und London klargelegt, wobei er vorschlug, daß die Alliierten von der Zusammenkunft des Obersten Rates die notwendigen Verstärkungen nach Oberschlesien entsenden, um die notwendige Sicherheit herzustellen, die dem Friedensvertrage Geltung verschaffen könne. Die französische Regierung hat in dieser Hinsicht bereits ihre Dispositionen getroffen.“ (Vorwärts Nr. 333 vom 17.7.21). Bei seinem Besuch bei Rosen hatte Laurent die französischen Forderungen wie folgt zusammengestellt: „1. Es wird von Deutschland jede notwendige Maßregel verlangt, um die Selbstschutz- und Freikorpsorganisation zu entwaffnen, aufzulösen und von der Grenze Oberschlesiens zu entfernen. – 2. Deutschland wird aufgefordert, alle notwendigen Maßregeln zu treffen, damit die Entscheidung der alliierten Mächte und die Ausführung des Friedensvertrages in Oberschlesien keinen Widerstand finden. – 3. Deutschland hat alle Maßregeln zu treffen für die schnelle Herbeischaffung von Verstärkungen, welche eventuell noch nach Oberschlesien gesandt werden sollen.“ (Vorwärts a.a.O.).

[137] Nach eingehender Besprechung über den Inhalt der zu erteilenden Antwort sagte der Reichsminister Dr. Rosen zu, vor Abgang der Antwortnote dem Kabinett von ihrem Wortlaut Mitteilung zu machen9. Über die wegen der Verhältnisse in Oberschlesien zu ergreifenden Maßnahmen soll in einer besonderen Chefbesprechung Beschluß gefaßt werden.

9

Wortlaut der Antwortnote vom 23.7.21 oder Protokoll einer Mitteilung ihres Wortlauts in R 43 I nicht ermittelt; die Note ist jedoch abgedruckt bei Karl Hoefer, Oberschlesien, S. 363 ff.

Extras (Fußzeile):