1.206.1 (bru3p): 1. Notlage der Gemeinden.

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1. Notlage der Gemeinden.

Ministerialdirektor Dr. Zarden trug vor, daß in der Notverordnung über die Verwaltung der Einnahmen und Ausgaben des Reichs für die Zeit vom 1. April 1932–30. Juli 1932 vom 29. März 1932 vorgesehen sei, daß zur Erleichterung der Wohlfahrtslasten der Gemeinden und Gemeindeverbände bis zu 75 Millionen RM ausgegeben werden dürfen1. Mithin stehe für jeden der drei Monate ein Betrag von 25 Millionen RM zur Verfügung. Diese Beträge würden von Ländern und Gemeinden für unzureichend gehalten2. Außerdem sei es nicht gelungen, mit den Ländern über einen Verteilungsschlüssel einig zu werden. Im abgelaufenen Rechnungsjahr seien die Reichszuschüsse bekanntlich zum Teil unmittelbar an die Gemeinden geflossen, zum Teil schlüsselmäßig an die Länder verteilt worden, die entscheidenden Wert darauf gelegt hätten, einen Notfonds zur Unterstützung besonders notleidender Städte selbst verwalten zu können. Auch jetzt werde von den Ländern, in erster Linie vom Preußischen Innenministerium, erneut die Forderung erhoben, daß ein Teil der Reichszuschüsse an die Länder fließe, zur Auffüllung des sogenannten Kampferspritzenfonds. Der Deutsche Städtetag bekämpfe allerdings diese Sonderfonds; er wünsche, daß die Reichsmittel in voller Höhe unmittelbar an die Städte flössen3.

1

Vgl. Dok. Nr. 697, P. 9 und Dok. Nr. 699, P. 9 und RGBl. 1932 II, S. 97 .

2

Vgl. hierzu Dok. Nr. 707. Der Reichsstädtebund hatte in seinem Schreiben vom 5.3.32 die Zuweisung des Reichs an die Gemeinden in dem Zwischenetat als zu niedrig kritisiert und gefordert, die Krisenfürsorge auf die Angehörigen aller Berufe und zeitlich unbegrenzt auszudehnen, um die Gemeinden vor einem weiteren Anschwellen der Wohlfahrtserwerbslosen zu schützen (R 43 I /2323 , Bl. 33–347).

Der Lippische StPräs. Drake hatte in einem Schreiben vom 9.4.32 den Verteilungsschlüssel der Reichsmittel kritisiert; ebenso argumentierte die Denkschrift „Erleichterung der Wohlfahrtslasten der Gemeinden und Gemeindeverbände durch das Reich“, die der Essener OB Bracht dem StS Pünder am 12.4.32 übergeben hatte (R 43 I /2323 , Bl. 36, Bl. 37–46). Ähnliche Eingaben übersandte Oldenburg am 12.4.32, Braunschweig am 11.4.32, Schaumburg-Lippe am 15.4.32, Bremen am 19.4.32, Mecklenburg-Schwerin am 16.4.32, Lübeck und erneut Lippe am 21.4.32 (R 43 I /2323 , Bl. 47–48, Bl. 58, Bl. 61, Bl. 70–73, Bl. 74–78, Bl. 82–90, Bl. 91).

3

Diese Forderung hatte der Präs. des Dt. Städtetages Mulert in einer Besprechung mit dem RFM am 14.3.32 erhoben und wiederholte sie in einem Schreiben an den RFM vom 18.4.32. Mulert warf dem RFM vor, mit fast jeder Bestimmung in den NotVoen die Selbstverwaltung zu knebeln und zu binden. „Ohne die Hand zu rühren, sieht das Reich zu, wie in zahlreichen Ländern trotz der im wesentlichen auf den Gemeinden drückenden Last der Wirtschaftskrise die Länder ihre eigenen Etats immer wieder zu Lasten der Gemeinden sanieren und damit deren Stellung weiter untergraben“ (Abschrift mit Schreiben Mulerts an den RK vom 18.4.32 in R 43 I /2323 , Bl. 92–100, Zitat Bl. 94).

[2448] Die Forderung von Ländern und Gemeinden gehe dahin, daß auch im ersten Quartal des Etatsjahres 1932 die Reichszuschüsse mindestens die gleiche Höhe beibehielten, die im letzten Winter zur Verfügung gestanden habe. Wenn das Reich dieser Forderung entspreche, müßten monatlich 25 Millionen an die Gemeinden zur Auszahlung gelangen und darüber hinaus 10 Millionen an die Länder-Fonds.

Der Reichsminister der Finanzen schlage vor, in Abweichung von dem bisherigen Plane die zur Verfügung stehenden 75 Millionen RM in der Weise auf die einzelnen Monate zu verteilen, daß im April 25 + 10 Millionen = 35 Millionen ausgezahlt werden und im Mai zunächst 30 Millionen RM. Für Juni würden alsdann nur 10 Millionen übrigbleiben. Mit dieser Regelung müsse man sich aber einstweilen abfinden in der sicheren Erwartung, daß bis zum 1. Juni die in Aussicht genommene Reform der Arbeitslosenfürsorge in Kraft gesetzt werden könne. Dadurch werde die Frage der Reichszuschüsse für die Erwerbslosenfürsorge ja ohnehin auf eine andere Basis gestellt werden.

Der Reichskanzler teilte ergänzend mit, daß er am Vormittag den Oberbürgermeister der Stadt Berlin, Herrn Sahm, und den Stadtkämmerer Asch zum Vortrag über die Finanzlage der Stadt Berlin empfangen habe. Danach sei die finanzielle Lage Berlins allerdings katastrophal4.

4

Vgl. Dok. Nr. 707, Anm. 5. In der Zusammenfassung der „Denkschrift zum Haushaltsplan der Stadt Berlin 1932“ wurde festgestellt, daß aus den Vorjahren 1930 und 1931 noch Fehlbeträge in Höhe von ungefähr 110 MioRM übernommen werden müßten, deren Abdeckung in keiner Weise möglich sei. Die schwebende Schuld von 386 MioRM belaste mit dem Zinsendienst den laufenden Haushalt. Für die Rückzahlung der aufgenommenen Kredite fehlten jegliche Mittel. „Der Kassenbedarf des Jahres 1932 stellt einen Betrag von über 12% der Haushaltsausgaben ohne Erwerbslosenfürsorge dar. Es besteht darüber kein Zweifel, daß die Stadt diese Summe durch Sparmaßnahmen, und wären sie noch so unerbittlich, nicht aufbringen kann. Eine Steigerung der Einnahmen oder auch nur eine weitere vorläufige Deckung des neuen Fehlbetrages aus Kassenkrediten ist völlig unmöglich. […] Die überaus ernste Lage und die Unmöglichkeit, diese Lage aus eigener Kraft zu meistern, haben den Magistrat veranlaßt, zunächst von der Verabschiedung des Haushaltsplans abzusehen und sich um Hilfe an Reich und Land zu wenden“ (Denkschrift mit Sichtparaphe des RK in R 43 I /2323 , Bl. 52–57, hier Bl. 56). Der RK hatte am 14.4.32 vor dem Beginn der Ministerbesprechung OB Sahm und Stadtkämmerer Asch empfangen (Entw. der Pressemitteilung vom 14.4.32 in R 43 I /2323 , Bl. 51; Nachl. Pünder  Nr. 44, Bl. 49).

Ministerialdirektor Zarden erwiderte, daß die Städte nach dem von ihm vorgetragenen neuen Vorschlage des Reichsministers der Finanzen für den laufenden Monat und den kommenden Monat ja die gleichen Zuschußbeträge erhalten würden, wie bisher. Es sei daher anzunehmen, daß Berlin alsdann auch weiter durchkommen werde.

Das Reichskabinett erteilte daraufhin zum Vorschlage des Reichsministers der Finanzen seine Zustimmung.

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