1.128 (bru3p): Nr. 642 Der Reichskanzler an Adolf Hitler, 22. Januar 1932

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Text

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Nr. 642
Der Reichskanzler an Adolf Hitler, 22. Januar 1932

R 43 I /2683 , S. 245–259 Reinentwurf

[Betrifft: Wahl des Reichspräsidenten]

Einschreiben!

Eilbrief!

Sehr geehrter Herr Hitler!

In Ihrem Auftrage überreichte mir am 16. ds. Mts. der Reichstagsabgeordnete Göring Ihre Denkschrift1, in der Sie Ihre Ablehnung meiner Anregung eines verfassungsändernden Reichsgesetzes, betreffend die Verlängerung der Amtszeit des Herrn Reichspräsidenten, darlegen2. Da Sie aus Gründen, mit denen ich nichts zu tun habe, Ihre Denkschrift veröffentlichten, sehe ich mich genötigt3, meine Antwort gleichfalls der Allgemeinheit zugänglich zu machen4.

1

Das Schreiben ist auszugsweise veröffentlicht in Schultheß 1932, S. 9–11 und in Ursachen und Folgen VIII, Dok. Nr. 1791a, vollständig in Poetzsch-Heffter, S. 102 ff.

Das vorliegende Dok. auszugsweise in Schultheß 1932, S. 16–18 und Ursachen und Folgen, Bd. VIII, Dok. Nr. 1791b.

Am 17.1.32 hatte StS Pünder die Abschrift der Hitlerschen Denkschrift an RIM Groener mit der Bitte um Stellungnahme zu einer Antwort übersandt (R 43 I /2683 , Bl. 195; Durchschrift im Nachl. Pünder , Nr. 97, Bl. 224 und Abdruck der Denkschrift Bl. 225–237).

2

Hitler hatte seine Bedenken bereits in einem Schreiben an den RPräs. formuliert: vgl. Dok. Nr. 626.

3

Hitler hatte mit Presseveröffentlichungen und öffentlichen Spekulationen die Publikation seines Schreibens gerechtfertigt: Nachl. Pünder , Bl. 225 f.

4

Die Antwort des RK wurde von WTB Nr. 162 am 23.1.32 veröffentlicht (R 43 I /585 , Bl. 55–56).

Sie begründen Ihre Haltung mit verfassungsrechtlichen und mit politischen Bedenken.

Ihre verfassungsrechtlichen Bedenken sind unbegründet. Sie gehen von nicht zutreffenden Voraussetzungen aus.

Es hat sich niemals, wie Sie meinen, um ein „Aufheben“ der die Wahl des Reichspräsidenten betreffenden Bestimmungen der Weimarer Verfassung gehandelt. Niemals ist davon die Rede gewesen, daß der „verfassungsmäßig niedergelegte Hergang der Wahl des Reichsoberhauptes“ verlassen werden sollte. Meine Absicht ging vielmehr von vornherein dahin, wie es Ihnen gegenüber klar zum Ausdruck gebracht ist, die Amtsdauer der geschichtlichen Gestalt des jetzigen Herrn Reichspräsidenten aus Gründen des Gesamtwohles des deutschen Volkes um eine gewisse Zeit im Wege der Gesetzgebung zu verlängern.

[2216] Die Frage, ob eine derartige Verlängerung der Amtsdauer des Herrn Reichspräsidenten verfassungsrechtlichen Bedenken unterliegt, ist selbstverständlich von der Reichsregierung geprüft worden5, bevor mit Ihnen in Verbindung getreten wurde. Nach dem Ergebnis dieser Prüfung ist die Verlängerung der Amtsdauer durch ein verfassungsänderndes Gesetz zulässig. Das ergibt sich aus Artikel 76 der Reichsverfassung, der ausdrücklich bestimmt, daß und in welchen Formen die gesetzgebenden Körperschaften die Verfassung ändern können6. Der Satz: „Die Verfassung kann im Wege der Gesetzgebung geändert werden“, ist allgemein gefaßt, und es ist kein Grund ersichtlich, warum nicht in den Formen des verfassungsändernden Gesetzes von der Regelung des Artikel 43 Abs. 1 der Reichsverfassung, wonach das Amt des Reichspräsidenten sieben Jahre dauert, im Einzelfall sollte abgewichen werden können. Um ein solches verfassungsänderndes Gesetz, das übrigens die Bestimmung des Artikel 43 Abs. 1 der Reichsverfassung über die Amtsdauer des Reichspräsidenten als solche bestehen lassen würde, handelte es sich und nicht, wie Sie in Verkennung der Rechtslage anzunehmen scheinen, um eine „Wahl“ des Reichspräsidenten durch den Reichstag7, durch die der Reichspräsident „den wechselnden Zufällen parlamentarischer Majoritäten ausgeliefert werden würde“. Die grundsätzliche Bestimmung des Artikel 41 Abs. 1 der Reichsverfassung, wonach der Reichspräsident vom ganzen deutschen Volk gewählt wird, würde also durch ein Gesetz, wie es die Reichsregierung im Auge hatte, in keiner Weise berührt, geschweige denn „aufgehoben“ werden. Es geht deshalb auch fehl, wenn Sie meinen, daß man bei einer bloßen Verlängerung der Amtsdauer im Wege der Gesetzgebung folgerichtig auch ein Recht des Reichstages, den Reichspräsidenten abzusetzen, anerkennen müßte.

5

Vgl. Dok. Nr. 617.

6

Vgl. hierzu den Kommentar von Anschütz: „Die Verfassung kann im Wege der Gesetzgebung geändert werden […] alles ohne Unterschied des Inhalts und der politischen Tragweite“: Die Verfassung des Dt. Reiches 131930, S. 350 f.

7

Vgl. auch Dok. Nr. 617.

Schließlich darf nicht übersehen werden, daß zum Zustandekommen eines Reichsgesetzes die Beschlußfassung des Reichstages allein nicht genügt, und daß bei einem verfassungsändernden Gesetz, wie es hier in Frage gestanden hätte, nicht nur dem Reichspräsidenten, sondern auch dem Reichsrat das Recht zugestanden haben würde, das vom Reichstag beschlossene Gesetz zum Volksentscheid zu stellen.

Ihre politischen Argumente muß ich als unsachlich zurückweisen. Während meine Anregung in der Präsidentschaftsfrage ausschließlich von nationalen, überparteilichen Gesichtspunkten diktiert war, halten Sie mir eine ausschließlich von Ihrem parteipolitischen nationalsozialistischen Gesichtspunkt gesehene, in allgemeinen Wendungen sich ergehende Darstellung der deutschen Nachkriegsentwicklung entgegen8 . Diese Darstellung geht an den wichtigsten Vorgängen dieser[2217] Zeit vorbei. Ich bedauere dieses Nachspiel unserer einer großen nationalen Aufgabe gewidmeten Aussprache, muß aber zur Steuer der Wahrheit Ihren Theorien durch den Hinweis auf die Tatsachen entgegentreten.

8

Vgl. Hitlers Ausführungen im Nachl. Pünder , Bl. 236: „Ich halte es jedenfalls vom Standpunkt der Repräsentation des deutschen Volkes nach außen für unumgänglich notwendig, daß ein Regiment kommt, dessen Existenz weder der Angst, noch des Hinweises auf die zur Verfügung stehenden staatlichen Machtmittel bedarf, sondern das aus eigener Kraft, wurzelnd im Willen der Nation, seine Daseinsberechtigung schöpft. Ich sehe daher, Herr Reichskanzler, in jedem Vorgang, der zur Überwindung des heutigen Systems führen kann, einen außenpolitischen Gewinn Deutschlands.“

Sie behaupten, meine Anregung in der Präsidentschaftsfrage habe letzten Endes die Erhaltung des „heutigen Systems“ bezweckt. Dieses „System“ habe in dreizehnjähriger planmäßiger Zerstörungsarbeit Deutschland zum Ruin geführt. Nur die Überwindung dieses „Systems“ verspreche innere Gesundung und außenpolitische Erfolge. Deshalb müßten Sie sich meiner Anregung versagen.

Ich muß es ablehnen, mit Ihnen in eine Diskussion über Schlagwort-Begriffe einzutreten. Wer den Ernst einer schweren Aufgabe völlig erkennt, wird niemals Zuflucht zu einem Schlagwort nehmen. Vom vaterländischen Standpunkt aus muß ich es auffällig finden, daß Sie die Hauptursache der deutschen Not auf parteipolitische Verhältnisse zurückführen. Nach fast allgemeiner Auffassung ist ein außenpolitischer Tatbestand, der Versailler Vertrag mit seiner politischen und wirtschaftlich-finanziellen Ungerechtigkeit und Unvernunft, der entscheidende Grund unserer deutschen Not und zum großen Teil auch der Weltnöte. Die Bestimmungen und die Handhabung dieses Vertrages in den ersten fünf Jahren seiner Geltung haben alle deutschen Wiederaufbauversuche immer wieder zerstört, die deutsche Währung erschüttert und schließlich die Einheit des Reiches selbst bedroht. Wenn das Reich gerettet wurde, so ist das nur geschehen durch das Zusammenstehen aller Volksgenossen ohne Unterschied der Parteien.

Sie gehen an diesem wesentlich durch außenpolitische Verhältnisse geschaffenen Sachverhalt ebenso vorbei, wie Sie die heutige deutsche Wirtschaftsnot vom Standpunkt Ihrer Parteiideologie aus kurzer Hand dem von Ihnen bekämpften „System“ zur Last legen. Auch hier verschließen Sie sich den Tatsachen. Eine ungeheure Wirtschaftskrise hat, wenn auch in verschiedenem Ausmaße, die meisten Länder der Erde erfaßt. Sachkundige Männer aller Länder haben sich über die Ursachen dieser Krise geäußert und führen sie auf gewaltige Strukturwandlungen zurück, die die Weltwirtschaft durch den Krieg selbst und seine Folgeerscheinungen erfahren hat. Die industriell fortgeschrittensten Länder trifft diese Krise am schärfsten durch die Geißel der Arbeitslosigkeit. Daß unter diesen Ländern Deutschland am härtesten erfaßt wurde, ist die Folge davon, daß der deutsche Wirtschaftskörper durch die Blutentziehungen des Versailler Vertrages in seiner eben gekennzeichneten langjährigen Handhabung sowie durch die Reparationsleistungen in seiner Widerstandskraft besonders geschwächt war.

Ich muß Sie deshalb davor warnen, diese Dinge ausschließlich von Ihrem parteipolitischen Gesichtspunkt aus darzustellen. Auch eine Reichsregierung, die eine Ihrer Auffassung entsprechende Zusammensetzung hätte, stünde vor den genannten wirtschaftlichen Tatsachen und müßte auf dem Wege weiterschreiten, der der von mir geleiteten Regierung durch eben diese Tatsachen aufgenötigt worden ist. Wenn Sie im übrigen meine Anregung in der Präsidentschaftsfrage als ein Produkt der Angst des „Systems“ vor der politischen Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus[2218] bezeichnen, so können Sie damit meine Mitarbeiter und mich nicht treffen. Durch das Vertrauen des Herrn Reichspräsidenten auf unseren Posten gestellt, tun wir nach besten Kräften unsere Pflicht. Wir kennen nur ein Ziel: Rettung des Vaterlandes aus seiner großen Not. Über unsere Erfolge steht jedem das Urteil frei. Unser gutes Gewissen aber lassen wir uns von niemand bestreiten. Es gibt uns die Kraft, ohne Furcht den Weg zu gehen, den es uns vorschreibt.

Wir scheuen daher auch das Urteil des deutschen Volkes über unsere Maßnahmen nicht.

Wenn Sie die von Ihnen gewünschte Beseitigung des „herrschenden Systems“ als einen außenpolitischen Gewinn Deutschlands bewerten zu sollen glauben, so muß ich Ihnen die Verantwortung für diesen Angriff auf eine Regierung, die alle Kraft an die Besserung der Lage des deutschen Volkes in den kommenden Verhandlungen zu setzen entschlossen ist, überlassen. Es muß Ihnen bekannt sein, wie die ganze Arbeit dieser Regierung von dem Primat der Außenpolitik beherrscht wird. Ebenso aber werden Sie nicht leugnen wollen, daß der außenpolitische Erfolg zum Teil durch die Geschlossenheit bedingt ist, mit der die Nation hinter ihren Unterhändlern steht. Ich kann nur bedauern, daß Sie selbst in dieser kritischen Lage nicht die Folgerung aus dieser Wahrheit ziehen, die sich von selbst ergibt.

Wenn Sie zum Schluß meine Fühlungnahme mit Ihnen als dem Führer einer, wie Sie sagen, jahrelang verfemten Partei vom Gesichtspunkt der Moral aus beanstanden, so kann ich Ihnen nur erwidern, daß es nicht das erste Mal war, daß ich mit Ihnen politische Probleme besprach9, und daß es andererseits sich für mich von selbst verstand, daß ich mich in einer die ganze Nation tief bewegenden Frage, auch mit dem Führer der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei unmittelbar in Verbindung setzte10.

9

Vgl. Dok. Nr. 135.

10

Hitler antwortete dem RK in einem offenen Brief im Völkischen Beobachter Nr. 29 vom 29.1.32 in R 43 I /585 , Bl. 58, Auszug in Ursachen und Folgen, Bd. VIII, Dok. Nr. 591 c.

Mit vorzüglicher Hochachtung

B[rüning]

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