2.90 (cun1p): Nr. 90 Aufzeichnung des Ministers Luther über die Ministerbesprechung vom 2. März 1923

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Das Kabinett Cuno Wilhelm Cuno Bild 183-1982-0092-007Französischer Posten Bild 183-R43432Posten an der Grenze des besetzten Gebietes Bild 102-09903Käuferschlange vor Lebensmittelgeschäft Bild 146-1971-109-42

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[290] Nr. 90
Aufzeichnung des Ministers Luther über die Ministerbesprechung vom 2. März 19231

1

Die Aufzeichnung trägt die handschriftliche Notiz Luthers: „Herrn Staatssekretär Hamm. Luther 3. 3.“

R 43 I /1383 , Bl. 4 f.

In der Reichsministerbesprechung vom 2. März d. Js. sind folgende Beschlüsse gefaßt worden:

1) Betr. Getreidewirtschaft des nächsten Jahres:

a) dem Preußischen Antrag kann nicht beigetreten werden2.

2

Zum preußischen Antrag s. Anm. 4 zu Dok. Nr. 73.

b) Reichsminister Dr. Luther trug den Inhalt der Denkschrift vom 12. 2. 1923 vor3 und bemerkte dabei, daß es ihm sehr erwünscht sein würde, wenn die Reichsregierung grundsätzlich den Standpunkt einnähme, daß für die 7 Millionen am meisten bedürftigen Volksgenossen in Ergänzung der unmittelbaren Reichsfürsorge an die Seite der Brotversorgung durch die Landwirtschaft eine Vorsorge für Wohnung, Kleidung, Erziehung durch die anderen schaffenden Stände trete.Von einer Beschlußfassung wurde abgesehen, der Reichsminister Dr. Luther aber ermächtigt, im Sinne seiner Denkschrift mit den hauptsächlich Beteiligten, besonders mit der Landwirtschaft, Fühlung zu nehmen. Vorhergehen soll dieser Fühlungnahme die Feststellung, ob die Erhebung einer Umlage in Geld gemäß dem Vorschlage der Denkschrift oder in anderer Weise technisch möglich erscheint, und zwar durch eine eilig aufzunehmende Verhandlung zwischen dem Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft und dem Reichsfinanzministerium4.

3

Abgedruckt als Dok. Nr. 73.

4

Das handschriftliche Protokoll der Ministerbesprechung vermerkt im Anschluß an die Erklärungen Luthers zu diesem Punkt in der abschließenden Zeile: „Hermes: Habe Luther schon gesagt, welch große Bedenken ich habe.“ Ein Notizzettel, der am 2. 3. wohl während der Sitzung zwischen Luther und Hamm gewechselt wurde, enthält die Anfrage Hamms: „II. Was soll auf das preußische Drängen auf eine gemeinsame Kabinettssitzung gesagt werden?“ und die Antwort Luthers: „II muß freigehalten werden, bis meine Besprechung mit H. Hermes war (nächsten Mittwoch).“ (R 43 I /1383 , Bl. 11). Das Ergebnis dieser Besprechung vom 14. 3. faßt Luther in einem Schreiben vom 15. 3. an den RFM zusammen: „1. Es besteht Übereinstimmung darüber, daß bei freier Getreidewirtschaft das Reich Brotgetreidereserven in Höhe von 3 bis 3½ Mio t in der Hand haben muß und daß die in dieser Vorratspolitik, insbesondere infolge der schwankenden Valuta, liegenden Risiken wie bisher vom Reich getragen werden können. 2. Es besteht Übereinstimmung darüber, daß bei freier Getreidewirtschaft eine Verbilligung des Brotes für Minderbemittelte erforderlich ist, wie dies auch durch den zum Haushalt meines Ministeriums jüngst gefaßten Beschluß des Reichshaushaltsausschusses des RT anerkannt worden ist [RT-Drucks. Nr. 5631, Bd. 377 ]. 3. Übereinstimmung besteht auch darüber, daß gemäß der grundsätzlichen Stellung der RReg. und in Verfolg des erwähnten Beschlusses des Haushaltsausschusses im Wege der Verhandlungen mit den Parteien sofort das Einverständnis der Mehrheit festgestellt werden muß, seiner Zeit zur Sicherung der Kosten der Verbilligung des Brotgetreides für die notwendige Deckung einzutreten, wobei in erster Linie an eine Steuer in Anlehnung an die Vermögenssteuer oder Zwangsanleihe gedacht ist. Eine bestimmte Steuervorlage einzubringen besteht nach Ihrer Erklärung zur Zeit keine Möglichkeit. Ob bei Einbringung der Getreidevorlage diese Möglichkeit als gegeben anzusehen ist, soll dann erneut geprüft werden.“ (R 43 I /1262 , Bl. 161-163). Am 16. 4. bringen Luther und Hermes den Gesetzentwurf als gemeinsame Kabinettsvorlage ein (s. Dok. Nr. 139, P. 4).

[291] 2) Der Preis des Umlagegetreides wird für das vierte Sechstel auf 500 000,- und für das sechste [richtig: fünfte] Sechstel auf 600 000,- M für Roggen festgesetzt5. Gemäß bereits ergangenem Kabinettsbeschluß soll der Abgabepreis der Reichsgetreidestelle für Getreide jetzt nicht erhöht werden6. Das gleiche soll gelten für den Mehlabgabepreis der Reichsgetreidestelle.

5

Nachdem der 20er-Ausschuß am 19. 1. die Preisfestsetzung für das vierte Sechstel vertagt hatte (s. Dok. Nr. 49, P. 2), empfahl die Ausschußmehrheit in der Sitzung vom 22.2.23 für das vierte und fünfte Sechstel einen Durchschnittspreis von 600 000 M pro t Getreide, die Minderheit der Verbraucher dagegen 495 000 M. Der REM beantragte daraufhin in seiner Kabinettsvorlage vom 28.2.23 die obigen Preise, die etwa 69% des freien Marktpreises entsprechen und damit im Rahmen der bisherigen Relationen bleiben (R 43 I /1262 , Bl. 2).

6

Der REM vermerkte in seiner Kabinettsvorlage vom 28. 2. dazu: „Die Abgabepreise der Reichsgetreidestelle für das von ihr dem Kommunalverband überwiesene Getreide belaufen sich zur Zeit auf durchschnittlich 200 000 M für die t. Sie decken bereits jetzt nicht ganz die Kosten des Inlandsgetreides, einschließlich der bis zur Abgabe entstehenden Spesen. Bei einem Umlagepreis von 500 000 M belaufen sich die neben dem reinen Getreidepreis entstehenden Unkosten auf etwa 100 000 M, bei einem Umlagepreis von 600 000 M auf etwa 120 000 M.“ (R 43 I /1262 ). Eine tabellarische Übersicht über die Gesamtverluste des Reichs bei verschiedenen Abgabepreisen ist angefügt.

3) Der Preis für die Märzfreigabe des Zuckers wurde auf 81 000,- M festgesetzt7. Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft teilte gleichzeitig mit, daß die Zuckerwirtschaftsstelle sich bereit erklärt habe, für die Säuglinge und stillenden Mütter des besetzten Gebietes 5 000 dz zum bisherigen Preise von 40 000,- M zur Verfügung zu stellen.

7

Vgl. Anm. 4 zu Dok. Nr. 84.

4) Dem anliegenden Beschluß des Volkswirtschaftlichen Ausschusses des Reichswirtschaftsrates wurde, soweit es sich um die Zuckerwirtschaft des nächsten Jahres handelt, in der Grundauffassung beigetreten und Bekanntgabe dieser Stellungnahme beschlossen8.

8

Die Entschließung des Wirtschaftspolitischen Ausschusses des RWiR lautet: „Die bisherigen Erfahrungen bei der Bewirtschaftung des Zuckers und die Notwendigkeit, den Umfang der Zuckererzeugung in Deutschland mit den Produktionsmöglichkeiten in Einklang zu bringen, rechtfertigen das Bestreben nach Einführung der freien Zuckerwirtschaft für das Wirtschaftsjahr 1923/24. Die Regierung wird ersucht, baldmöglichst eine Erklärung abzugeben. Die Bedenken der Zuckerverbraucher gegen die Freigabe der Zuckerwirtschaft werden umso eher zurückgestellt werden können, je mehr Zucker zur Verfügung steht. Das setzt voraus, daß die Anbaufläche gegen das jetzige Wirtschaftsjahr nicht zurückgeht. Zur Sicherstellung des Mundzuckerbedarfs wird gefordert, für die letzte Hälfte des Zuckerwirtschaftsjahres eine genügende Reserve bei der Zuckerindustrie zu schaffen, die nach den Weisungen der Regierung zu verwenden ist. Außerdem empfiehlt es sich, die Belieferung der zuckerverarbeitenden Industrie von der Befriedigung des Mundzuckerbedarfs abhängig zu machen. Die Erteilung von Ausfuhrerlaubnissen für Zucker ist von der Deckung des Inlandsbedarfs abhängig zu machen.“ (R 43 I /1262 , Bl. 12). Eine entsprechende Erklärung des REM erscheint am 6. 3. in der Presse; sie gibt zugleich die neuen Umlagepreise für Getreide und die Zuckerpreise bekannt.

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