2.171.1 (ma11p): [Verlängerung des Micum-Vertrages.]

Zum Text. Zur Fußnote (erste von 6). Zu den Funktionen. Zum Navigationsmenü. Zum Navigationsbaum

 

Bandbilder:

Die Kabinette Marx I und II, Band 1 Wilhelm Marx Bild 146-1973-011-02Reichskanzler Marx vor seinem Wahllokal Bild 102-00392Hochverratsprozeß gegen die Teilnehmer am PutschDawes und Young Bild 102-00258

Extras:

 

Text

RTF

[Verlängerung des Micum-Vertrages.]

Bergrat Herbig verlas das Protokoll der Verhandlung der Sechserkommission mit der Micum in Düsseldorf am 8. April 1924 (vgl. Anlage)1.

1

Nach dem anliegenden Protokoll dieser Verhandlung forderte der Micum-Präsident Frantzen die Verlängerung des Micumabkommens vom 23.11.23 mit dem Ruhrbergbau über den 15. 4. hinaus. Die Delegierten der Sechserkommission wiesen dagegen auf die wachsende Verschuldung und Kreditunfähigkeit der Betriebe hin. Sie seien zur Fortsetzung der Sachlieferungen bereit, wenn ihnen eine Möglichkeit zur Finanzierung eröffnet werde und wenn die frz.-belg. Eisenbahnregie eine ausreichende Wagengestellung gewährleiste. Frantzen erklärte dazu, die Schuld an den unbefriedigenden Transportverhältnissen treffe die Reichsbahnverwaltung, die nicht genügend Wagenmaterial in das besetzte Gebiet schicke. Wegen der Finanzierung müßten sich die Industriellen an die dt. Regierung wenden; diese könne die Lieferungen bezahlen. „Die dt. Botschafter haben Schritte bei den Ministerpräsidenten in Paris und Brüssel getan. Die dt. Regierung ist bereit, die Kohlenlieferungen zu finanzieren nach Besprechungen von Regierung zu Regierung. Die Antwort war, daß die Angelegenheit in Düsseldorf zwischen den lokalen Behörden (Micum) und den Interessenten zu regeln sei. Die dt. Regierung, die hiernach den Willen zeigt, zu finanzieren, kann sich mit den Interessenten auseinandersetzen.“ Wenn die Leistungen nach dem 15. 4. aufhörten, würde das von den Besatzungsmächten als passiver Widerstand angesehen werden. Die nächste Besprechung zwischen der Micum und der Sechserkommission wird auf den 11. 4. festgesetzt.

[545] Der Reichskanzler dankte für die Berichterstattung und gab seiner Entrüstung Ausdruck über das Verhalten der Micum, die behauptet habe, daß die Reichsregierung sich bereit erklärt hätte, die Finanzierung der Micum-Verträge für die Zukunft zu übernehmen.

Ein Vertreter des Reichsverkehrsministeriums berichtete über die Wagengestellung im Gebiet der Regiebahnen. Die Ziffern der Regie seien sehr angreifbar. Tatsächlich habe die Regie dauernd mehr Wagen in das Regiegebiet bekommen, als sie herausgegeben habe. Wenn trotzdem die Wagengestellung im Gebiet der Regiebahnen ungenügend sei, so sei daran lediglich die Unfähigkeit der Regie schuld.

Generaldirektor Vögler bat um Überlassung der zahlenmäßigen Unterlagen; es sei allerdings wesentlich, daß diese sich auch auf den Monat März bezögen.

Die Überlassung wurde zugesagt.

Der Reichsminister des Auswärtigen wies anhand der an den Botschafter v. Hoesch erteilten Instruktion und dessen Antwort über die Unterredung mit Poincaré2 darauf hin, daß die Behauptung Frantzens über die Bereitwilligkeit der Deutschen Regierung zur Finanzierung der Micum-Verträge unrichtig sei. Die Deutsche Regierung habe niemals einen Zweifel darüber gelassen, daß sie zu irgendwelcher Finanzierung von Sachleistungen nicht in der Lage sei. Dieser Standpunkt sei auch der französischen Regierung bekannt und von Poincaré ausdrücklich anerkannt worden.

2

S. Dok. Nr. 163, Anm. 11.

Generaldirektor Vögler bat um Überlassung der diesbezüglichen Instruktion und der Antwort des Botschafters v. Hoesch.

Dies wurde zugesagt.

Der Reichsminister der Finanzen wies auf das Gutachten der Sachverständigen hin, in dem nicht bloß zum Ausdruck gebracht sei, daß Deutschland nur dann in der Lage wäre, Leistungen zu vollbringen, wenn es die finanzielle und ökonomische Souveränität über das ganze Gebiet zurückerhalte3, sondern auch ausdrücklich vermerkt sei, daß im Jahre 1924/25 Deutschland Zahlungen aus Überschüssen des Budgets nicht leisten könne4.

3

Vgl. Sachverständigen-Gutachten, S. 4.

4

Vgl. Sachverständigen-Gutachten, S. 21.

Generaldirektor Vögler wies auf die außerordentlich schwierige Situation hin, in der sie sich am kommenden Freitag [11. 4.] bei den weiteren Verhandlungen mit der Micum befänden. Die Verhandlungen seien von größter politischer Tragweite, und sie wüßten zunächst noch nicht, wie sie diese führen sollten. Eine Stillegung der Betriebe am 15. April sei ganz ausgeschlossen, dies[546] bedeute die völlige Anarchie und den endgültigen Verlust des Ruhrgebiets. Die französische Politik dränge in dieser Richtung. Die immer mehr zunehmende Verschuldung des Bergbaus sei durch die Franzosen gewollt, um so letzten Endes die Beteiligung an der deutschen Industrie zu erzwingen. Zur Zeit könne die Verschuldung des Ruhrbergbaues auf 4 M je Tonne Jahresleistung veranschlagt werden. Dies bedeute, daß während der Zeit der Micum-Verträge bereits rund 1/5 der gesamten Substanz verlorengegangen sei. Frantzen schätze die Verschuldung nur ungefähr auf die Hälfte, auf rund 200 Millionen. Diese Summe sei jedoch zu niedrig und berücksichtige größere Posten, z. B. die rückständige Kohlensteuerschuld nicht.

Der Reichsminister des Auswärtigen glaubte, daß man versuchen müsse, einen Ausweg in Verbindung mit dem Gutachten des Sachverständigen-Komitees zu finden. Dazu sei aber notwendig, daß sich das Kabinett zunächst einmal mit dem Sachverständigen-Gutachten befasse und eine Stellungnahme dazu herbeiführe5. Er schlage daher vor, die Beratungen zu unterbrechen und am nächsten Tag, nachdem das Kabinett zu dem Sachverständigen-Gutachten eine vorläufige Stellungnahme eingenommen habe, die Verhandlungen fortzusetzen.

5

Vgl. Dok. Nr. 172, P. 1 und 2.

Generaldirektor Vögler schloß sich dieser Auffassung an und hielt die Verbindung der Micumverträge mit dem Sachverständigen-Gutachten für die wahrscheinlich einzige Möglichkeit einer Lösung.

Fritz Thyssen wies nochmals darauf hin, daß eine Lösung unbedingt gefunden werden müsse. Die Schließung der Betriebe am 15. April sei nicht möglich. Vermieden werden müsse auch unter allen Umständen, daß die Franzosen auf dem Umwege über die Verschuldung der Betriebe die Beteiligung an der deutschen Industrie erreichten.

Die Verhandlung wurde auf Donnerstag, den 10. April 1924 mittags 12 Uhr vertagt6.

6

S. Dok. Nr. 173.

Extras (Fußzeile):