2.209 (mu21p): Nr. 209 Besprechung über den Stand der Reparationsverhandlungen in Paris. 24. Mai 1929, 19.30 Uhr

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Nr. 209
Besprechung über den Stand der Reparationsverhandlungen in Paris. 24. Mai 1929, 19.30 Uhr

R 43 I /287 , Bl. 137-141 Durchschrift

Anwesend: Müller, Stresemann, Curtius, Hilferding, Wirth; StS v. Schubert, Pünder; MinDir. Ritter, Dorn, Schäffer; Protokoll: MinDir. v. Hagenow.

Nach Eröffnung der Besprechung durch den Reichskanzler trug Staatssekretär Dr. von Schubert das Ergebnis seiner Besprechung mit Herrn Parker Gilbert vor und bemerkte, daß hinsichtlich der belgischen Markfrage nach Auffassung Parker Gilberts getrennte Verhandlungen zu führen seien. Belgien werde jedenfalls den Bericht der Sachverständigen in Paris nicht mitzeichnen, wenn nicht hinsichtlich der belgischen Markfrage eine Regelung zustande gekommen sei; es müsse weiterhin damit gerechnet werden, daß Frankreich sich der Haltung Belgiens anschließen und ebenfalls nicht zeichnen werde, wenn die Ansprüche Belgiens nicht in befriedigender Weise geregelt seien1.

1

Bereits am 16. 5. hatte v. Hoesch darauf hingewiesen, daß Poincaré den belgischen Botschafter Baron Gaiffier zum Zusammengehen Belgiens und Frankreichs in der Reparationsfrage aufgefordert habe (Telegramm Nr. 376; R 43 I /277 , Bl. 308-310).

[684] Der Reichsminister des Auswärtigen Dr. Stresemann führte aus, daß der belgische Gesandte2 ihn aufgesucht und ihm mitgeteilt habe, daß in der Sitzung der Experten der belgische Sachverständige Gutt an Dr. Schacht die Frage gerichtet habe, ob er zu Verhandlungen über die Regelung der belgischen Markfrage bereit sei. Dr. Schacht habe sich nur unter der Bedingung bereit erklärt, daß auch die territorialen Fragen bereinigt würden. Der belgische Gesandte habe ihm, Dr. Stresemann, im Auftrage des belgischen Außenministers das Befremden über diese Haltung von Dr. Schacht übermittelt. Hierbei habe der belgische Gesandte auf die seinerzeitigen Verhandlungen mit Reichsminister a. D. Erzberger, auf die Erklärungen des früheren Reichskanzlers Dr. Marx dem Nuntius Pacelli gegenüber, weiterhin auf die Erklärung des Reichskanzlers Müller in Genf sowie schließlich auf eine Unterredung mit ihm im Jahre 1926 hingewiesen und habe zum Ausdruck gebracht, daß eine Verbindung der Frage Eupen-Malmedy mit der belgischen Markfrage vom Standpunkt Belgiens unmöglich sei. Er, Reichsminister Stresemann, habe dem belgischen Gesandten auf seine Vorstellungen hin erwidert, daß er die Frage zur Zeit nicht diskutieren könne, da ein Bericht aus Paris ihm noch nicht vorläge. Es sei richtig, daß der belgische Gesandte ihm seinerzeit ein aide memoire vorgelesen habe, wo die Verbindung mit Eupen-Malmedy ausgeschlossen worden sei. Er habe aber dem belgischen Gesandten erklärt, daß er diese Haltung nur so aufgefaßt habe, daß es sich seinerzeit nicht um einen Grundsatz, sondern nur um eine Form gehandelt habe. Hiergegen habe der belgische Gesandte keine Einwendungen erhoben. Er stelle ausdrücklich fest, daß ein Protest gegen Rückgabe von Eupen-Malmedy von belgischer Seite nie erhoben worden sei. Er habe weiterhin dem belgischen Gesandten mitgeteilt, daß ein Schreiben Dr. Schachts unterwegs sei und er, sobald das Schreiben eingegangen sei, Antwort geben werde.

2

Robert G. Everts.

Der Reichskanzler bemerkte, daß es sehr schwer sei, einen anderen Herrn mit den Verhandlungen über die belgische Markfrage zu beauftragen. Es würde einen schlechten Eindruck machen, wenn in Paris neben Dr. Schacht noch ein anderer deutscher Vertreter über diese Frage verhandeln würde.

Reichsminister Dr. Stresemann legte dar, daß es nicht nötig sei, die Verhandlungen über Belgien in Paris zu führen. Er schlage unter den gegebenen Umständen vor, wenn ein neuer Vertreter bestellt würde, die Verhandlungen in Belgien führen zu lassen. Wie er gehört habe, soll in dem Bericht des Dr. Schacht an den Reichskanzler die Bitte enthalten sein, Schacht von den Verhandlungen mit Francqui über die belgische Frage zu entbinden.

Der Reichswirtschaftsminister Curtius legte dar, daß er über den Inhalt des Briefes, den der Reichskanzler dem Reichsbankpräsidenten Schacht kürzlich übermittelt habe, nicht unterrichtet sei3. Er nähme nach dem Gang der Aussprache an, daß dem Reichsbankpräsidenten Schacht Freiheit gelassen sei, ob er mit Francqui verhandeln wolle oder nicht. Nach seiner Meinung sei Dr. Schacht gar nicht in der Lage, mit Francqui zu verhandeln, da beide Herren in keinem guten Verhältnis zueinander stünden.

3

Siehe Dok. Nr. 204.

[685] Die Verhandlungen über Belgien müßten beendet sein, bevor die Unterschriften über das Gutachten erfolge. Dies sei jedoch sehr schwer durchzuführen, weil schwierige grundsätzliche Fragen zur Erörterung kämen; die entsprechenden Verhandlungen könnten sich unendlich lange hinziehen. Er lege sich bei dieser Situation die Frage vor, was günstiger sei: Erledigung der Markfrage während der Konferenz in Paris oder Erledigung der Markfrage in den kommenden politischen Verhandlungen. Hierbei gehe er davon aus, daß die Höchstsumme, die die Belgier fordern könnten, der in Paris festgelegte Betrag von 25 Millionen mal 37 sei. Die Belgier müßten sich doch klar darüber sein, daß bei den politischen Verhandlungen kaum eine höhere Summe zu erreichen sei. Er schlage nach eingehender Überlegung vor, die belgische Frage in den politischen Verhandlungen zu klären unter Hinausschiebung der Pariser Besprechungen.

Reichskanzler Müller wies in diesem Zusammenhang auf den Wahlkampf in Belgien hin4 und betonte, daß der frühere Minister Jaspar erklärt habe, daß Eupen und Malmedy nicht wieder an Deutschland zurückgegeben würden.

4

In Belgien fanden am 26. 5. Kammer- und Senatswahlen und am 9. 6. Provinzwahlen statt.

Reichswirtschaftsminister Curtius betonte, daß vielleicht noch in Frage kommen könne, den Gesamtplan zu akzeptieren unter der Bedingung, daß die Ratifikation erst erfolge, wenn in der belgischen Markfrage eine Regelung zustande gekommen sei.

Ministerialdirektor Dr. Dorn teilte sodann mit, daß in ein bis eineinhalb Stunden ein Fernspruch an den Herrn Reichskanzler angemeldet sei. Der Reichsminister des Auswärtigen bat, die Verhandlungen bis auf 9 Uhr zu vertagen, weil man voraussichtlich nach Eingang des Fernspruchs klarer sehe5.

5

Siehe Dok. Nr. 210.

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