1.125.1 (mu22p): [Reichsfinanzreform.]

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[Reichsfinanzreform.]

Der Reichskanzler erinnerte in seinen einleitenden Worten daran, daß er, während die Debatte in der Vollsitzung des Reichstags über das Finanzprogramm der Reichsregierung stattfand, im Einvernehmen mit dem Reichsminister der Finanzen Dr. Hilferding und dem Reichsminister des Auswärtigen Dr. Curtius den Fraktionsführern der Koalitionsparteien folgenden Entwurf einer Vertrauensformel zur Annahme empfohlen habe:

Der Reichstag billigt die Erklärung der Reichsregierung und vertraut darauf, daß das Finanzreformprogramm vorbehaltlich der endgültigen Gestaltung der Gesetze im einzelnen in Wahrung der von der Reichsregierung bekanntgegebenen Grundzüge dieser Finanzreform durchgeführt wird. Der Reichstag spricht der Reichsregierung für ihre Gesamtpolitik das Vertrauen aus.

Der Abgeordnete Zapf erwiderte, daß die Rede, in welcher der Reichstagsabgeordnete Dr. Breitscheid in der Vollsitzung namens seiner Fraktion die Stellungnahme zum Regierungsprogramm formuliert habe, die zwischen den Koalitionsparteien bestehenden weitgehenden Differenzen vor aller Öffentlichkeit offenbart habe. Unter diesen Umständen sehe seine Fraktion keine Möglichkeit mehr, aus den Schwierigkeiten herauszukommen.

Abgeordneter Dr. Breitscheid erwiderte, daß er in seiner Rede nur das zum Ausdruck gebracht habe, was seine Fraktion in den letzten Tagen stets vertreten habe. Die Sozialdemokratie könne sich unmöglich auf die Grundzüge der 14 Punkte des Regierungsprogramms festlegen. Im übrigen seien ja auch in den Erklärungen der übrigen Fraktionsparteien weitgehende Vorbehalte gemacht worden. Die Sozialdemokratische Partei sei bereit, der Reichsregierung ein einfaches Vertrauensvotum, wie es der Verfassung entspreche, zu verschaffen, könne aber darüber hinaus keinerlei Bindung hinsichtlich eines speziellen Programms eingehen.

Die Abgeordneten Brüning und Haas erklärten, daß sie der von dem Reichskanzler verlesenen Formel zustimmen könnten. Nach längeren Auseinandersetzungen erklärte dann schließlich auch der Abgeordnete Dr. Breitscheid, daß er sich verpflichten wolle, diese Formel auch in seiner Fraktion zur Annahme zu[1257] empfehlen. Er setzte aber hinzu, daß er keinerlei Garantie dafür übernehmen könne, daß seine Fraktion ihm folgen werde.

Der Abgeordnete Fischer gab zu bedenken, ob die Reichsregierung sich nicht damit abfinden wolle, daß das Sofortprogramm fallen gelassen werde, wenn dadurch die Zustimmung aller Koalitionsparteien zum Gesamt-Finanzprogramm erleichtert werde.

Reichsminister von Guérard erwiderte, daß eine Aufgabe des Sofortprogramms nach der bisherigen Haltung der Reichsregierung völlig indiskutabel sei, da die Reichsregierung dadurch jede Autorität verlieren und des Vertrauens verlustig gehen werde, dessen sie zur Überwindung der gegenwärtigen Schwierigkeiten unbedingt benötige.

Staatssekretär Dr. Popitz wies anschließend eindringlichst darauf hin, daß ohne das Sofortprogramm mit neuen Schwierigkeiten von seiten des Reichsbankpräsidenten gerechnet werden müsse. Dr. Schacht habe zwar in den vorangegangenen letzten Besprechungen erklärt, daß er sich angesichts des Finanzprogramms der Reichsregierung passiv verhalten wolle, d. h., daß er in die Anleiheverhandlungen der Reichsregierung nicht eingreifen wolle. Wenn Dr. Schacht aber feststellen müsse, daß die Reichsregierung sich mit ihrem Finanzprogramm, und vor allen Dingen mit ihrem Sofortprogramm nicht durchsetze, werde Dr. Schacht wieder freie Hand haben und seine passive Haltung aufgeben1.

1

Siehe Dok. Nr. 379.

Auf eindringliche Vorstellungen erklärte darauf der Abgeordnete Dr. Zapf schließlich, daß auch er seiner Fraktion die von dem Reichskanzler verlesene Formel zur Annahme empfehlen wolle. Allerdings sei es ihm unmöglich, seine Fraktion noch in so später Nachtstunde zu einer Sitzung zusammenzuberufen, die ja noch vor der morgigen Vollsitzung des Reichstags stattfinden müsse.

Der Reichskanzler erklärte sich bereit, durch die Reichskanzlei dafür sorgen zu lassen, daß die Mitglieder der Fraktion der Deutschen Volkspartei telegrafisch auf Sonnabend, den 14. Dezember, vormittags 9½ Uhr zu einer Besprechung zusammengebeten werden2.

2

Vgl. dazu Pünders Tagebucheintragung vom 15.12.29, Politik in der Rkei, S. 31. – Über das Verhalten der DVP schrieb Moldenhauer von dieser Besprechung ausgehend: „Es gelang mir schließlich, eine Formel zu finden, mit der sich auch Zapf einverstanden erklärte, nachdem Curtius und ich auf ihn eingeredet hatten. Am anderen Morgen rissen wir den größten Teil der Fraktion herum, so daß schließlich, nachdem bis in die Nachmittagstunden an der Formulierung noch gefeilt worden war, das Vertrauensvotum der Regierung eine Mehrheit fand. Aber sechzehn Männer der Deutschen Volkspartei hatten eine rote Karte abgegeben; was mir sehr bitter war, auch Männer mit denen mich eine langjährige Freundschaft verband, […]“ (BA: Nachlaß Moldenhauer  3, S. 17).

Der Abgeordnete Leicht verwies auf den von ihm in den letzten Tagen wiederholt bekanntgegebenen Standpunkt seiner Fraktion zur Sache und stellte die Frage, ob es für erforderlich gehalten werde, daß seine Fraktion angesichts ihrer Haltung aus der Koalition ausscheide. Er betonte nochmals, daß seine Fraktion das Sofortprogramm mitmachen werde und daß sie der Reichsregierung auch jedes gewünschte Vertrauensvotum für die kommenden außenpolitischen Verhandlungen im Haag votieren werde.

[1258] Der Reichskanzler stellte darauf im allgemeinen Einverständnis fest, daß ein Ausscheiden der Bayerischen Volkspartei aus der Koalition nicht nötig sei, obwohl bei allen übrigen Koalitionsparteien ernste Bedenken dagegen bestünden, daß sie in einer so wesentlichen Frage, wie das Finanzprogramm sei, eine Sonderstellung einnehme.

Der Abgeordnete Leicht bemerkte noch, daß seine Fraktion im Augenblick in erster Linie den Fortbestand der jetzigen Regierung wünsche und an die äußerste Grenze dessen gehen werde, was sie zu diesem Ziele beitragen könne. Wenn ihr Vorbehalt hinsichtlich des Finanzprogramms zur Folge haben sollte, daß eine andere Fraktion, etwa die Deutsche Volkspartei, wegen dieses Vorbehalts auch ihrerseits von der Reichsregierung nicht zu billigende Ausnahmen vom Finanzprogramm fordere, wolle seine Fraktion lieber aus der Koalition ausscheiden, um dadurch die Erhaltung der Reichsregierung zu ermöglichen.

Von dieser Erklärung wurde Kenntnis genommen.

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