2.30 (str1p): Nr. 30 Aufzeichnung über eine Unterredung Otto Wolffs mit General Degoutte am 29. August 1923

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Nr. 30
Aufzeichnung über eine Unterredung Otto Wolffs mit General Degoutte am 29. August 19231

1

Bestrebungen einzelner deutscher Industrieller, mit den Besatzungsmächten zu wirtschaftlichen Vereinbarungen zu gelangen, hatten in Anbetracht des sich abzeichnenden Zusammenbruchs des passiven Widerstands bereits im Juli 1923 zugenommen, so daß der Präsident der IRKO Tirard an Poincaré berichtet hatte: „Les sollicitations des industries rhénanes auprès de nos services deviennent de plus en plus fréquentes et accentuent l’impression que notre emprise douanière agit d’une manière efficace … Ces divers indices doivent nous inciter à maintenir notre action, et semblent montrer que les volontés adverses ne sont pas très loin de fléchir“ (BA: ZSg 105/1, Bd. 2, Bl. 79). – Über eine frühere Verhandlung Wolffs mit der Micum hatte der Industrielle dem RK am 21.8.23 berichtet (Vermächtnis I, S. 94 f.).

Pol. Arch.: Handakten von Schubert E (Schriftverkehr), Bd. 10 Durchschrift2.

2

Die Aufzeichnung ist nicht unterzeichnet. Ihre Abfassung läßt die Vermutung zu, daß sie von Wolff selbst oder einem Begleiter stammt.

Herr Otto Wolff hält sich an die anliegend beigefügte Instruktion3. Er war vor der Unterredung ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht worden, daß er durchaus selbständig und für seine Person handeln solle. Sein französischer Partner war nicht Herr Davigny4, sondern der General Degoutte.

3

S. den Abdruck im Anschluß an die Aufzeichnung.

4

Gemeint ist wohl General Denvignes, mit dem Wolff zuvor verhandelt hatte.

General Degoutte fragte, welche Bedenken einer Beteiligung der Rheinländer an der Verwaltung der rheinischen Bahnen beständen, und ob es besser wäre, daß das Deutsche Reich sich als Grenze [!] entsprechend an jener Verhandlung beteilige.

Herr Wolff entgegnete, daß eine Beteiligung des Deutschen Reiches die einzige Grundlage für eine Diskussion bilden müsse5.

5

Über die frz. Bestrebungen einer Internationalisierung der Bahnen im Rheinland hatte StS von Maltzan oder MinDir. v. Schubert im Anschluß an v. Hoeschs Berichterstattung über die Ziele der frz. Politik am 20.8.23 an Botschaftsrat Dufour-Feronce in London geschrieben: Ziel der Franzosen sei, obwohl sie die Annexion bestreiten würden, die faktische Beherrschung des Rheinlandes, indem sie neben anderen Institutionen auch die Bahnen in ihre Hand bekommen wollten auch über den Umweg über eine Regie. „Daß eine solche internationale Regie nur ein äußerer Deckmantel für eine tatsächliche französische Beherrschung ist, dafür kann als Vorgang und Beispiel der Zustand im Saargebiet dienen, wo auch eine angebliche internationale Regie herrscht, sogar unter den Auspizien des Völkerbundes, während die Franzosen tatsächlich einzig und allein etwas zu sagen haben, und alles tun, was ihnen beliebt. Gerade in Bezug auf das Rheinland gehen aber die Franzosen mit raffinierter Schlauheit vor und es ist deshalb mehr denn je notwendig, ihre wahren Absichten den Engländern klar zu machen“ (Pol. Arch.: NL v. Schubert  E (Schriftverkehr), Bd 9).

[143] General Degoutte erklärte, er habe am 11. Januar konstatiert, daß die rheinischen Bahnen für Frankreich nicht zu benutzen waren6. Dieses Risiko wolle er nicht noch einmal laufen, also müsse eine internationale Verwaltung der rheinischen Bahnen geschaffen werden. Das gehöre unbedingt zu Forderung nach „sécurité“.

6

Zur Entwicklung des Eisenbahnverkehrs nach dem frz.-belg. Einmarsch im Ruhrgebiet s. Das Kabinett Cuno, Dok. Nr. 38; Nr. 45, P. 3.

Herr Wolff erklärte bezüglich der von Frankreich gewünschten internationalen Verwaltung von gewissen Bergwerken im besetzten Gebiet, daß sich keine deutschen Direktoren zur Leitung solcher Unternehmungen hergeben würden; nur Abschaum würde sich melden. Frankreich wolle zweifellos einen gesicherten Kohlenbezug aus der Ruhr7; dazu sei es aber viel besser, eine „allgemeine Kohlenhypothek“ auf die westfälische Kohlenindustrie zu legen.

7

Zum frz. Kohlebezug aus dem Ruhrgebiet s. Dok. Nr. 27.

General Degoutte hatte für diesen Ausdruck lebhaftes Interesse und wiederholte ihn dreimal.

Herr Wolff erkärte, daß die Sachlieferungen wieder aufgenommen werden könnten, äußerte jedoch schwere Bedenken gegenüber einer beabsichtigten Ausfuhrabgabe von 26%. Dies hätte vielleicht früher einen gewissen Sinn gehabt, als Deutschland unter den Weltmarktpreisen habe liefern können. Jetzt fehle jeder Sinn. Wir liegen bereits über Weltmarktpreisen und würden bei derartigen Ausfuhrabgaben völlig exportunfähig werden8.

8

S. hierzu P. 1 zu Dok. Nr. 25.

General Degoutte: Warum werden dann die Ausfuhrabgaben in Deutschland nicht überhaupt aufgehoben?

Herr Wolff: Wie soll es weitergehen?

General Degoutte: Nur inoffizielle Verhandlungen kommen in Frage. Man solle einen Botschafter nach Paris senden oder den Geschäftsträger mit direkter Fühlung beauftragen.

[Instruktion:]

Ich habe den Reichskanzler mehrfach gesprochen9 und den bestimmten Eindruck erhalten, daß er aufrichtig auf eine baldige Lösung des Ruhrkonflikts hinarbeitet. Gerade während meiner Unterredung lag das französische Gelbbuch zum Studium vor. Es wäre außerordentlich wichtig zu wissen, ob die vom 10. Juni d. J. stammenden Darlegungen der Punkte 23 und 25 des französischen Gelbbuches heute noch Geltung haben? Nach deutscher Ansicht bieten sie keine Basis für eine Verständigung10. Da Herr Davigny in der früheren Unterredung ausdrücklich erwähnte, er wolle sich über die deutsche Ansicht orientieren, so müßte man zunächst einmal mit Beschleunigung feststellen, ob die Punkte 23 und 25 des Gelbbuches das letzte Wort Frankreichs sind oder ob[144] es möglich ist, deutsche Anregungen in Erwägung zu ziehen, die unter Berücksichtigung grundsätzlicher französischer Wünsche bezüglich der dort geforderten Pfänder doch wenigstens auf den einzelnen Gebieten der Wirtschaft, der Verwaltung, des Verkehrs eine für Deutschland erträgliche Lösung herbeiführen könnten. Hierbei könnte man z. B. durchaus dem französischen Gedanken, daß die Ausbeutung der Eisenbahnen als Pfand für auswärtige Anleihen etc. dienen sollen, in Erwägung ziehen, wobei allerdings von deutscher Seite ausdrücklich erklärt wird, daß der Gedanke an eine besondere Beteiligung der „Rheinländer“ ebenso wie überhaupt jeder Anklang an den Gedanken einer rheinischen Republik für Deutschland nicht diskutierbar ist11.

9

S. die Unterredung vom 21.8.23 (Vermächtnis I, S. 94 f.); außerdem hat Wolff möglicherweise vor dieser Unterredung nochmals mit dem Kanzler gesprochen.

10

Vgl. die fast wörtliche Übereinstimmung mit der Darlegung Stresemanns zu diesen Punkten des Gelbbuches in der KabS. v. 23.8.23 (Dok. Nr. 18).

11

Zur Bildung eines rhein. Staates oder mehrerer Staaten s. Dr. Hjalmar Schacht an den Reichskanzler, 21.9.23 (Dok. Nr. 73).

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