1.27 (str2p): Nr. 141 Besprechung betreffend Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln, insbesondere mit Kartoffeln, im Reichsernährungsministerium. 16. Oktober 1923

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Nr. 141
Besprechung betreffend Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln, insbesondere mit Kartoffeln, im Reichsernährungsministerium. 16. Oktober 1923

R 43 I /1263 , Bl. 207–2081

1

Die Aufzeichnung wurde von ORegR Offermann hergestellt.

Unter Vorsitz von Ministerialdirektor Hoffmann fand heute eine eingehende Aussprache über die Kartoffelversorgung statt2.

2

S. die Erörterung am Vortage in Dok. Nr. 136, P. 10.

Der Vorsitzende führte aus, daß die diesjährige Kartoffelernte wesentlich schlechter sei als die vorjährige3. Im vorigen Jahr hätte die Ernte im Reich[596] etwa 42 Millionen t betragen, heute rechne man mit etwa 33 Millionen t. Der Speisekartoffelbedarf des Deutschen Reiches habe im Frieden etwa 6 Millionen t betragen, jetzt betrage er etwa 9–10 Millionen t. Voriges Jahr seien 800 000 t an Brennereien geliefert worden, 66 000 t an die Trocknereien und etwa 2 Millionen t an die Stärkefabriken. Das Reichsernährungsministerium habe vor wenigen Tagen eine Verordnung erlassen, wonach die Verarbeitung von Kartoffeln für den Monat Oktober verboten sei. Ebenso sei der Versand von Kartoffeln für diese Zwecke untersagt. Das Brennkontingent sei um die Hälfte herabgesetzt4. Bedauerlicherweise komme die neue Geldwährung für die Kartoffelernte zu spät. Die Eisenbahn stelle zur Zeit genügend Wagen zur Verfügung. Die Wagengestellung betrage etwa 3 bis 4000 Wagen täglich. Im vorigen Jahr wären etwa 5800 Wagen täglich gestellt worden, dabei müsse aber berücksichtigt werden, daß darin auch die Wagengestellung für das besetzte Gebiet enthalten gewesen sei5. Die Finanzierung der diesjährigen Kartoffelernte werde zum Teil durch die Reichsbank, zum Teil durch die neu gegründete Kartoffelkreditbank vorgenommen. Die Reichsbank habe erklärt, daß sie die Unterschrift der Städte als diskontfähig betrachte. Die Kartoffelkreditbank gebe grundsätzlich Kredit an Händler, und zwar halb in Papiermark, halb wertbeständig. Vom Reich seien der Bank 10 Millionen in Gold als Darlehen gegeben worden6.

3

S. Anm. 56 zu Dok. Nr. 139.

4

Dazu heißt es im Oktoberbericht des REMin. (s. Anm. 55 zu Dok. Nr. 156): „Das Verbot der Verarbeitung von Kartoffeln in Trocknereien und Stärkefabriken mußte, um die Eindeckung der Bevölkerung mit Speisekartoffeln für den Winter sicherzustellen, bis zum 15. November verlängert werden; ebensolange ist die Versendung von Kartoffeln mit der Eisenbahn an die Fabriken verboten. Das Kartoffelbrennrecht ist auf 50% herabgesetzt“ (R 43 I /1263 , Bl. 295).

5

Im Septemberbericht des REMin., der am 29.10.23 versandt wurde, wurde bemerkt: „Obwohl die angeforderten Wagen bis auf ganz geringe Reste gestellt wurden, betrug die Zahl der zur Beförderung gelangenden Kartoffelwagen nur etwa 3/5 der in der gleichen Zeit des Vorjahres gestellten Wagenzahl“ (R 43 I /1263 , Bl. 240).

6

Der Kartoffelkreditbank war von der Rbk unter Reichsgarantie ein Kredit von 10 Mill. Goldmark eingeräumt worden. Gemeinden hatten die Möglichkeit erhalten, unter Garantie des Kommunalverbandes Rbk-Kredite zu erhalten, die zur Hälfte auf wertbeständiger Grundlage gegeben wurden. „Außerdem gibt die Reichsbank in den Grenzen des Möglichen für Einlagerung eines Wintervorrats unter Garantie des Kommunalverbandes dem Handel Kredit auf rein wertbeständiger Grundlage“ (Septemberbericht des REMin.; R 43 I /1263 , Bl. 240).

Das Reichsverkehrs- und Reichspostministerium ersuchten das Reichsfinanzministerium dringend, Mittel für die diesjährige Kartoffelversorgung der Reichsbeamten und Arbeiter zur Verfügung zu stellen7. Hierfür kämen zwei Wege in Betracht. Entweder würden die Mittel an Genossenschaften und Zweckverbände als Darlehen gegeben, oder das Reich leiste den Darlehensgebern Garantie. Dieser Auffassung schloß sich das Reichsministerium für die besetzten Gebiete an.

7

Am gleichen Tag wandte sich der SPD-Abg. und RKom. für Zivilgefangene und Flüchtlinge Daniel Stücklen an den RK mit der Bitte, an die sächsischen Industriebezirke Kartoffeln zu liefern. „Wenn nicht dafür gesorgt werden kann, daß der dortigen Bevölkerung Brot und Kartoffeln zugeführt werden, dann fürchte ich in der Tat das Allerschlimmste“ (R 43 I /1263 , Bl. 209).

[597] Das Reichsfinanzministerium lehnte jede Bewilligung von Mitteln zu diesem Zweck strikte ab8. Der einzige Weg, der etwa in Frage komme, könne der sein, daß der Kartoffelkreditbank ein höherer Betrag als über die 10 Millionen Gold hinaus gewährt werde.

8

Nach einer Aufzeichnung MinR Kieps vom 16.10.23 hatte der RFM erklärt, er sei nicht in der Lage, außer für die Brotbeihilfe weitere Lebensmittelbeihilfen zu bezahlen (R 43 I /1263 , Bl. 206).

Um einen Überblick über die für die Kartoffelversorgung der Reichsbeamten und -arbeiter und in Zusammenhang damit auch der Länder und Gemeinden erforderlichen Mittel zu erhalten, gäbe das Reichsfinanzministerium folgende Ziffern: Zahl der Beamten 3,3 Millionen. Wenn man die Familie mit 3 Köpfen annehme und 3 Zentner pro Kopf in Ansatz bringe, so erhalte man einen Bedarf von 27 Millionen Zentnern. Nach dem heutigen Preise seien hierzu 64,8 Millionen Goldmark erforderlich9.

9

In der DAZ vom 16.11.23, Nr. 480, wurde 1 Goldmark mit 1050 Mill. Papiermark gleichgesetzt.

Der Vertreter des Arbeitsministeriums ist der Auffassung, daß vor allem die Minderbemittelten zu bedenken wären, d. h. die Erwerbslosen, Kleinrentner und Sozialversicherten. Hier müsse man mit 6 Millionen Köpfen rechnen. Zur Versorgung dieser Personen seien dann ungefähr 40 Millionen Goldmark erforderlich10.

10

Der „Vorwärts“, Nr. 485, und die „Voss. Ztg.“, Nr. 491, meldeten am 17.10.23, der RArbM habe dem Land Preußen 279 Billionen Mark zur Kartoffelbeschaffung zur Verfügung gestellt.

Angesichts der ablehnenden Haltung des Reichsfinanzministeriums wurde eine Einigung nicht erzielt. Die Referenten erhielten den Auftrag, ihre Chefs über die Lage zu informieren.

Das Reichsernährungsministerium würde von seinem Standpunkt aus eine Unterstützung der Konsumenten begrüßen.

Das Reichsfinanzministerium betonte am Schluß nochmals, daß das Reich ohne Gefährdung der neuen Währung nicht imstande sei, Kredite zu geben11.

11

Zum Fortgang s. Dok. Nr. 144, P. 4.

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