2.29 (vpa1p): Nr. 29 Der Deutsche Landwirtschaftsrat an den Reichskanzler. 16. Juni 1932

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Nr. 29
Der Deutsche Landwirtschaftsrat an den Reichskanzler. 16. Juni 1932

R 43 I /2427 , Bl. 325–326

Betr.: Lösung handelsvertraglicher Bindungen.

Aus den Erklärungen, die der Herr Reichskanzler und der Herr Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft am 11. ds. Mts. auf der Vollversammlung des Deutschen Landwirtschaftsrates abgegeben haben1, geht hervor, daß die Reichsregierung gewillt ist, den agrarpolitischen Erfordernissen in Zukunft stärker Rechnung zu tragen als dies bisher im Rahmen der allgemeinen Wirtschaftspolitik geschah.

1

Zu diesen Erklärungen s. Horkenbach 1932, S. 181; Schultheß 1932, S. 105 ff.

[91] Unter Bezugnahme auf diese Darlegungen gestatten sich die unterzeichneten Mitglieder der Grünen Front2 ergebenst darauf aufmerksam zu machen, daß auf dem entscheidend wichtigen Gebiete der Handelspolitik in allernächster Zeit sich Gelegenheit bietet, diese Grundsätze zu verwirklichen.

2

Anfang 1929 gegründete Arbeitsgemeinschaft der wichtigsten landwirtschaftlichen Interessenverbände (Reichslandbund, Vereinigung der deutschen Bauernvereine, Deutsche Bauernschaft, Deutscher Landwirtschaftsrat) zur Durchsetzung höherer Agrarzölle.

Am 30. Juni 1932 ist der deutsch-schwedische Handelsvertrag vom 14. Mai 1926 erstmalig kündbar. Wird von dieser Kündigungsmöglichkeit Gebrauch gemacht, so würde der Vertrag am 31.12.1932 ablaufen. Damit würden sofort eine Reihe wichtiger land- und forstwirtschaftlicher Zollbindungen, insbesondere auf dem Gebiete der tierischen Veredelungswirtschaft, beseitigt. Die Reichsregierung würde darüber hinaus bezüglich der Zollhandhabung für lebendes Vieh, vor allem aber auch für Speck und andere Verarbeitungserzeugnisse wieder völlige Handlungsfreiheit erhalten3.

3

Zum dt.-schwed. Handelsvertrag vgl. Anm. 3 zu Dok. Nr. 28. Die Forderung nach Kündigung des Handelsvertrages wurde auch von dem Präs. der Landwirtschaftskammer Pommern, v. Flemming, mit Schreiben an den RK vom 22. 6. erhoben, und zwar unter Hinweis auf die in dem Vertrage enthaltenen niedrigen Holzzölle, deren Fortbestehen „die gesamte deutsche Forstwirtschaft […] wohl dem sicheren Ruin“ aussetzen würde (R 43 I /1114 , Bl. 188). – Dagegen sprach sich der Reichsverband des Deutschen Groß- und Überseehandels in einer Eingabe an den RK vom 28. 6. ganz entschieden gegen die Kündigung des dt.-schwed. Handelsvertrages aus und erklärte dazu weiter: „Angesichts der bevorstehenden Weltwirtschaftskonferenz sollte deutscherseits jede protektionistisch aussehende Maßnahme vermieden werden, zumal da es feststeht, daß gerade Deutschland wegen seiner unbedingt notwendigen Ausfuhrförderung die Mentalität anderer Länder mit größter Sorgfalt beobachten muß. Fehler auf dem Gebiet der deutschen Handelspolitik können gerade im jetzigen Zeitpunkt das größte Unheil anrichten. Jede Verstärkung des Zollschutzes für die deutsche Landwirtschaft, deren Bedeutung für die deutsche Gesamtwirtschaft keinesfalls unterschätzt werden soll, wird höchstwahrscheinlich viel größere Ausfuhrnachteile zur Folge haben als Vorteile für die Landwirtschaft bringen.“ (Ebd., Bl. 190–191).

Ferner läuft der deutsch-niederländische Handelsvertrag vom 26.11.1925 mit Ende dieses Jahres ab4, wenn zuvor keine Abreden über seine Verlängerung getroffen worden sind5.

4

Gemeint ist der „Zusatzvertrag zum deutsch-niederländischen Handels- und Schiffahrtsvertrag vom 31. Dezember 1851“ (RGBl. 1926 II, S. 151 ).

5

In einem Schreiben des AA an den StSRkei vom 9.1.33 hieß es u. a.: Die Holl. Reg. habe bereits im Frühjahr 1932 angefragt, wie sich die RReg. zu einer Verlängerung der Tarifbestimmungen des Zusatzvertrages stelle. „Damals ist ihr geantwortet worden, daß wir bereit seien, zu Verhandlungen darüber im Mai 1932 eine Delegation nach den Haag zu entsenden. Die Holländische Regierung hat jedoch von diesem Angebot keinen Gebrauch gemacht und ist auf die Angelegenheit nicht zurückgekommen, bis am 22. Dezember 1932 der hiesige Holländische Gesandte [Graf Limburg-Stirum] den Antrag auf solche Verhandlungen erneuerte. Es ist ihm geantwortet worden, daß Verhandlungen über eine Verlängerung der Tarifanlage schon wegen der Kürze der Zeit vor dem 1. Januar 1933 nicht in Frage kämen, und daß außerdem eine große Anzahl der in der Tarifanlage enthaltenen Zollvergünstigungen nach ihrem Ablauf Ende 1932 nicht mehr gewährt werden könnten. Die Holländische Regierung hat darauf Anfang Januar 1933 erneut Verhandlungen verlangt und sich bereit erklärt, dazu sofort eine Delegation nach Berlin zu entsenden.“ (R 43 I /1095 , Bl. 69–72). Im Zuge dieser Verhandlungen konnte ein „Deutsch-Niederländischer Zollvertrag“ ausgehandelt und am 27.4.33 unterzeichnet werden (RGBl. II, S. 162 ). Hierzu und zu den weiteren Verhandlungen über ein umfassenderes Wirtschaftsabkommen, die mit dem „Deutsch-Niederländischen Vertrag über die Regelung des Warenverkehrs“ vom 15.12.33 (RGBl. II, S. 1056 ) ihren vorläufigen Abschluß fanden, vgl. diese Edition: Das Kabinett Schleicher, Dok. Nr. 59, P. 2; Die Regierung Hitler 1933/34, Dok. Nr. 107, P. 2; 215, P. 5; 274, P. 10 b; 288.

Damit sind an zwei außerordentlich wichtigen Stellen Möglichkeiten gegeben, die starren Fesseln, die der handelspolitischen Betätigungsmöglichkeit der[92] deutschen Regierung auf landwirtschaftlichem Gebiete durch die seitherige Handelsvertragspolitik angelegt waren, zu lösen oder wenigstens erheblich zu mildern. Soll die deutsche Landwirtschaft tatsächlich das Fundament eines Wiederaufbaues der deutschen Volkswirtschaft werden, dann ist es unumgänglich erforderlich, diese Möglichkeiten auch bis zum Äußersten auszunutzen.

Mithin gestatten sich die Unterzeichneten hierdurch die dringende Anregung, die Reichsregierung möge einer Fortsetzung des Vertragsverhältnisses mit Schweden und Holland nur mit der Maßgabe zustimmen, daß einmal die Verpflichtung zur Gewährung der allgemeinen und unbedingten Meistbegünstigung künftig diesen, wie allen anderen Ländern gegenüber nicht mehr eingegangen wird, und daß weiterhin die wichtigsten Hemmungen, die der deutschen landwirtschaftlichen Produktionskraft während der bisherigen Vertragsdauer, namentlich auf dem Gebiete der Vieh- und Molkereiwirtschaft, des Gartensbaus und des Kartoffelbaus auferlegt waren, gelöst werden6.

6

Der StSRkei antwortete hierauf am 24. 6.: Das Schreiben werde dem RK „alsbald nach seiner Rückkehr aus Lausanne vorgelegt werden. Inzwischen ist es den zuständigen Reichsministern in Abschrift übersandt worden.“ (R 43 I /2427 , Bl. 327). – Zur Handelspolitik s. weiter Dok. Nr. 77, P. 1.

In ganz ausgezeichneter Hochachtung

sehr ergebenst

Fehr

Graf Kalckreuth

Brandes

Hermes

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