1.88 (vpa2p): Nr. 217 Aufzeichnung des Staatssekretärs Meissner über den Empfang des Vorsitzenden der DNVP Hugenberg beim Reichspräsidenten am 18. November 1932, 11.30 Uhr

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[973] Nr. 217
Aufzeichnung des Staatssekretärs Meissner über den Empfang des Vorsitzenden der DNVP Hugenberg beim Reichspräsidenten am 18. November 1932, 11.30 Uhr1

1

Abgedr. auch bei Goßweiler, Karl Dietrich Brachers „Auflösung der Weimarer Republik“, in: ZfG 6 (1958), S. 545 f.; Ursachen und Folgen, Bd. VIII, Dok. Nr. 1908 a; Hubatsch, Hindenburg und der Staat, Dok. Nr. 91.

NL Schleicher 31, Bl. 14–17 Durchschrift2

2

Von Meissner am 18. 11. an RWeM v. Schleicher „zur vertraulichen Kenntnisnahme“ übersandt (NL Schleicher  31, Bl. 13). Die Aufzeichnung befindet sich nicht bei den Akten der Rkei.

[Politische Lage nach der Reichstagswahl; Arbeitsbeschaffung; Behandlung des Reichstags; Hitler nicht vertrauenswürdig]

Geheimrat Hugenberg beginnt mit Worten des Dankes dafür, daß der Herr Reichspräsident im Sommer dieses Jahres ein überparteiliches Präsidialkabinett eingesetzt und daß er auch die Wehrfrage in den Vordergrund der Politik gestellt habe. Das sei ein großer Fortschritt. Die Führung der Regierung durch ein überparteiliches Präsidialkabinett ist und bleibt der richtige Weg, trotz der krampfhaften Anstrengungen der Parteien, sich nun wieder einzuschalten.

Hugenberg fährt dann fort: „Ich nehme die gegenwärtige Krise nicht so ernst, weil sie eigentlich nur eine Parteienkrise, und zwar nur eine Krise des Zentrums und der Nationalsozialisten ist, die nicht recht wissen, wie sie sich zu der jetzt gegebenen Lage stellen sollen. Die Nationalsozialisten sind ihrem Wesen nach antiparlamentarisch eingestellt; sie gehen jetzt den parlamentarischen Weg nur, um mehr Parteimacht zu erreichen. Das Zentrum, das sich ausgeschaltet sieht, möchte aber auf dem parlamentarischen Wege wieder zu seiner Machtposition kommen. Deshalb ist die Krise nicht so ernst zu nehmen. Vor zwei Jahren war ich noch der Auffassung, daß sich durch eine Zusammenarbeit der Nationalsozialisten mit den Deutschnationalen die Grundlage für eine autoritäre Regierung schaffen ließe. Aber nach der Entwicklung der Nationalsozialisten zu einer radikalen Partei habe ich diese Erwartung aufgeben müssen. Ich bin jetzt der Auffassung, daß die gegenwärtige Lösung der Staatsführung durch ein Präsidialkabinett die richtige ist; im Gegeneinander der beiden Elemente Nazi und Marxismus wird die Aufgabe, die Gefahr eines Bürgerkriegs zu überwinden, besser durch eine überparteiliche Präsidialregierung gelöst werden können. Ich bin auch der Auffassung, daß unsere Wirtschaft wieder nach oben geht und sich allmählich belebt. Dazu gehört, daß wir unsererseits wirtschaftspolitisch die gegebenen Möglichkeiten ausnützen. Dies umfaßt Hilfe für die Landwirtschaft. Das Kabinett von Papen ist in bezug auf die wirtschaftlichen Dinge nicht homogen und ist dadurch in gewissen Plänen gescheitert3. Sonst stehe ich auf dem Boden des Wirtschaftsprogramms des Kabinetts Papen, wenn ich auch glaube, daß es erweitert werden muß, z. B. durch Regelung der Auslandsverschuldung,[974] durch Rückleitung der sozialisierten Betriebe wie die Dresdner Bank in die gesellschaftliche Form usw.4 Von der Lösung dieser wirtschaftlichen Fragen hängt Gelingen und Bestand der neuen Regierung ab. Verfassungsreformen soll man erst nach Lösung der Wirtschaftsfragen in Angriff nehmen; jedoch muß die erreichte Einheit zwischen Preußen und Reich mit allen Mitteln aufrecht erhalten werden, und es muß ebenfalls mit allen Mitteln die Unabhängigkeit des Kabinetts von dem Treiben der Parteien gesichert sein. Ich war früher pessimistisch, bis wir im Juli 1931 durch die Bankenkrise den tiefsten Punkt erreicht hatten. Jetzt bin ich wieder optimistischer eingestellt und sehe die Wirtschaftskonjunktur günstiger an.“

3

Offenbar Anspielung auf die seit Monaten andauernden Meinungsverschiedenheiten zwischen RWiM Warmbold und REM v. Braun in der Kontingentierungsfrage. Hierzu vgl. Dok. Nr. 131; 146, P. 5; 152; 153; 191, Anm 2.

4

Die Aktienmehrheit der Dresdner Bank befand sich seit der Bankenkrise 1931 zu zwei Dritteln im Besitz des Reichs. Vgl. dazu diese Edition: Die Kabinette Brüning I/II, S. XLVII ff.; ferner: Born, Die deutsche Bankenkrise 1931, S. 102 ff.

Auf eine Bemerkung des Herrn Reichspräsidenten, daß die Beseitigung der Arbeitslosigkeit doch die wichtigste Aufgabe der neuen Reichsregierung sein müßte, erwiderte Hugenberg: „Auch ich bin der Auffassung, daß die Arbeitslosigkeit der Kern des Problems ist; sie wird meines Erachtens durch eine anderweitige Regelung der deutschen Auslandsverschuldung am besten bekämpft werden können. Bei dem zur Erörterung stehenden Arbeitsbeschaffungsprogramm muß man darauf achten, daß nicht die Gemeinden wieder zu den überflüssigen Arbeiten kommen, die wir früher erlebt haben und die die Gemeindefinanzen ruiniert haben. Was das Verhalten der Regierung zum Reichstag anlangt, so bin ich nicht der Meinung, daß man den Reichstag auflösen soll, ehe er erst zusammengetreten ist. Es ist taktisch besser, wenn man den Reichstag sich erst blamieren läßt. Das stärkt dann die Position des Reichspräsidenten bei einer Auflösung des Reichstags; ihn aufzulösen, ehe er überhaupt zusammengetreten ist, halte ich für bedenklich.“

Auf eine Frage des Herrn Reichspräsidenten, ob Herr Hugenberg sich eine persönliche Zusammensetzung des Kabinetts unter Hitler vorstellen könne, erwiderte Hugenberg: „Im Prinzip habe ich vor Harzburg5 mit Hitler auf der Grundlage verhandelt, daß er, Hitler, weder Reichspräsident, noch Reichskanzler werden, sondern nur der Führer seiner Bewegung bleiben wolle. Dann ist Hitler umgeschwenkt und hat erst die Präsidentschaft, dann die Kanzlerschaft verlangt. Ich habe nicht viel Vertragstreue bei Hitler gefunden; seine ganze Art der Behandlung politischer Dinge erschwert es außerordentlich, daß Hitler die politische Führung übertragen bekommen könne; ich hätte sehr große Bedenken hiergegen. Doch darf ich auf diese Frage noch zurückkommen, wenn die Dinge weiter geklärt sind und der Herr Reichspräsident mir noch einmal Gelegenheit gibt, darüber zu sprechen.“

5

Gemeint ist die von Hugenberg initiierte Tagung der „Nationalen Front“ (DNVP, NSDAP, Stahlhelm) in Bad Harzburg am 10. und 11.10.31, die mit Zerwürfnissen zwischen Hugenberg und Hitler endete. Vgl. dazu Leopold, Alfred Hugenberg, S. 97 ff.

Dauer der Besprechung etwa ¾ Stunde.

Für die Richtigkeit der

Niederschrift:

Meissner

Staatssekretär

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