2.185 (bru1p): Nr. 185 Der Reichsverband der Deutschen Industrie an das Reichswirtschaftsministerium. 1. Dezember 1930

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Nr. 185
Der Reichsverband der Deutschen Industrie an das Reichswirtschaftsministerium. 1. Dezember 1930

R 43 I /2426 , Bl. 130–132 Abschrift1.

1

Der Geschäftsführer des RdI sandte dem RK am 1.12.30 die Eingabe an das RWiMin. zur Kenntnisnahme zu (Anschreiben Kastls in R 43 I /2426 , Bl. 129. Eine Abschrift der Eingabe übersandte das RWiMin. am 8.12.30 der Rkei, R 43 I /2426 , Bl. 97–100).

Agrarzölle.

Die Drucksachen des neuen Reichstages enthalten eine Reihe von landwirtschaftlicher Seite gestellte Anträge mit zum Teil außerordentlich wichtigem handelspolitischen Inhalt2. Bisher sind uns keinerlei Nachrichten zugegangen, welche Pläne innerhalb der Reichsregierung auf dem Gebiete der landwirtschaftlichen Zollpolitik bestehen, insbesondere wissen wir nicht, ob und inwieweit die Reichsregierung sich die vorerwähnten Anträge zu eigen gemacht hat.

2

Vgl. die Anträge der Landvolkpartei: GesEntw. zur Erteilung einer Ermächtigung der RReg. zur Änderung von Zollsätzen für die Erzeugnisse der Landwirtschaft (RT-Bd. 448 , Drucks. Nr. 27 ); GesEntw., betr. Verpflichtung der RReg. zur Einführung von Zollzuschlägen zur Abwehr von Dumpingmaßnahmen des Auslandes (RT-Bd. 448 , Drucks. Nr. 28 ); GesEntw., betr. Verpflichtung der RReg. zur Einführung angemessener Futtermittelzölle (RT-Bd. 448 , Drucks. Nr. 188 ); Antrag, betr. umfassende neue Zollvorlage zum Schutze der Landwirtschaft (RT-Bd. 448 , Drucks. Nr. 194 ). S. außerdem die Anträge der Landvolkpartei im RT-Bd. 448 , Drucks. Nr. 185 –187 und 190, betr. Zolländerungen für Kleie, Speck, Schmalz, Industriestroh, Hirse, Futtergerste sowie die Drucks. Nr. 191 (Wiedereinführung des Einfuhrscheinsystems für Stärke und Stärkeprodukte) und Drucks. Nr. 269 (Zollerhöhung für Schnitt- und Rundholz; Einführung eines Zolls für Papierholz).

Innerhalb der Industrie verfolgt man die landwirtschaftlichen Anträge mit wachsender Besorgnis. Dies gilt in erster Linie für den Antrag, den Zollsatz für Kasein beträchtlich zu erhöhen3. Die Kasein verbrauchenden Industrien, also insbesondere die chemische, die Papier- und die Holzindustrie, würden durch die Erhöhung des Kaseinzolles schwer betroffen werden. Die deutsche[683] Kasein-Jahresproduktion wird auf höchstens 300 t geschätzt bei einem deutschen Verbrauch von 15 000 t. Bei einer Erhöhung des Kaseinzolles auf RM 20,– – von landwirtschaftlicher Seite sind sogar RM 30,– gefordert worden – würde eine Produktionskosten-Mehrbelastung für die Kasein verbrauchende Industrie in Höhe von mindestens RM 2 000 000,– jährlich eintreten.

3

Ein derartiger Antrag ist in den RT-Drucksachen nicht zu ermitteln. Vgl. jedoch Dok. Nr. 183, Anm. 45 und Dok. Nr. 190, P. 2.

Neben dem Antrag auf Erhöhung des Kaseinzolles haben aber auch die von landwirtschaftlicher Seite geforderten Erhöhungen der derzeitigen Zölle für Butter, Käse, Vieh und Fleisch in die Kreise der Industrie eine nicht unerhebliche Beunruhigung hereingetragen. Man fürchtet nach den Erfahrungen, die bei den auf die Butterzollerhöhung hinzielenden Handelsvertragsverhandlungen mit Finnland gemacht worden sind, mit der Inkraftsetzung neuer Zollerhöhungen ein Wiederaufleben der allmählich im Abflauen begriffenen Boykottbewegung gegen deutsche Waren, insbesondere in Holland und Skandinavien4, und darüber hinaus eine gerade im jetzigen Augenblick besonders schwerwiegende Störung des Außenhandels mit den an der Ausfuhr von Molkereiprodukten, Vieh und Fleisch interessierten Ländern.

4

S. Dok. Nr. 99, P. 2.

Schließlich verlautet gerüchteweise, daß industrielle Erzeugnisse aus landwirtschaftlichen Produkten dadurch einer gewissen Zwangswirtschaft unterworfen werden sollen, daß man sie in den Kreis der im Handelsklassengesetz behandelten Waren einbeziehen will5.

5

Gemeint ist der Abschnitt: Handelsklassen für landwirtschaftliche Erzeugnisse in der NotVO vom 1.12.30, RGBl. I, S. 602 –603.

Für den Fall, daß innerhalb der Reichsregierung solche Pläne bestehen sollten, können wir nicht umhin, schon jetzt die allerschwersten Bedenken gegen solche mit der Preissenkungsaktion der Reichsregierung nicht in Einklang zu bringende Absichten zu erheben. Die Industrie hat häufig den festen Willen bekundet, der Notlage der deutschen Landwirtschaft zu steuern. Mit Maßnahmen der oben genannten Art würde sie sich aber unter keinen Umständen abfinden können.

Wir bitten deshalb das Reichswirtschaftsministerium mit besonderer Dringlichkeit, seinen Einfluß dahin geltend zu machen, daß der gesamten Politik der Reichsregierung widersprechende Maßnahmen, wie sie in der weiteren Erhöhung landwirtschaftlicher Zölle für die oben genannten Waren, und in der Einbeziehung industrieller Erzeugnisse in das Handelsklassengesetz liegen würden, unterbleiben.

REICHSVERBAND DER DEUTSCHEN INDUSTRIE

Das Geschäftsführende Präsidialmitglied:

gez. Kastl

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