2.40 (bru1p): Nr. 40 Aufzeichnung des Auswärtigen Amts über Briands Europa-Memorandum. 26. Mai 1930

Zum Text. Zur Fußnote (erste von 17). Zu den Funktionen. Zum Navigationsmenü. Zum Navigationsbaum

 

Bandbilder:

Die Kabinette Brüning I und II. Band 1 Das Kabinett Brüning I Bild 183-H29788NS-Wahlversammlung im Sportpalast Bild 102-10391Arbeitslose Hafenarbeiter Bild 102-11008Bankenkrise 1931 Bild 102-12023

Extras:

 

Text

RTF

Nr. 40
Aufzeichnung des Auswärtigen Amts über Briands Europa-Memorandum. 26. Mai 1930

R 43 I /616 , Bl. 137–146 Durchschrift1

1

StS v. Schubert übersandte der Rkei am 31.5.30 die vorliegende Ausarbeitung (R 43 I /616 , Bl. 150).

Das am 17. Mai vom französischen Außenminister Briand an 26 europäische Staaten gesandte „Memorandum über die Organisation eines Systems für einen europäischen Staatenbund“2 geht zurück auf die Initiative Briands während der Tagung des Völkerbundes im September 1929. In einer Rede in der Vollversammlung am 5. September hatte Briand die Notwendigkeit einer stärkeren Zusammenarbeit der europäischen Völker hauptsächlich auf wirtschaftlichem Gebiete betont und auf die günstigen Auswirkungen auf politischem und sozialem Gebiete hingewiesen, die ein gewisses föderatives Band zwischen den europäischen Staaten haben würde3. Bei einem am 9. September von der französischen Delegation veranstalteten Frühstück machte Briand vor den Vertretern der 27 europäischen Staaten weitere Ausführungen über seinen Plan einer Vereinigung der europäischen Staaten und betonte dabei abermals stark die Notwendigkeit einer solchen Vereinigung wegen der engen Abhängigkeit der europäischen Staaten untereinander auf wirtschaftlichem und besonders sozialem Gebiete.

2

Text des Briand-Plans vom 1.5.30 in dt. Übersetzung und in frz. Sprache in R 43 I /616 , Bl. 82–117 und Bl. 118–129; Schultheß 1930, S. 460–468; Europa-Dokumente zur Frage der europäischen Einigung, Bd. 1, S. 29–40. Das Memorandum hatte die Gründung einer europäischen Union im Rahmen des VB und unter Wahrung der einzelstaatlichen Unabhängigkeit und Souveränität vorgeschlagen. In diesem Bund müsse wegen der allgemeinen Sicherheit die politische Zusammenarbeit Vorrang vor der wirtschaftlichen Kooperation haben. Die wirtschaftliche Organisation Europas habe die gegenseitige Annäherung der europäischen Volkswirtschaftlichen und die Errichtung eines gemeinsamen Marktes zum Ziel. Die frz. Reg. sah Möglichkeiten der Zusammenarbeit u. a. in der Kartellpolitik, der Verkehrsplanung, in der wissenschaftlichen Forschung und in der Gewährung von Krediten an wirtschaftlich unterentwickelte europäischen Staaten.

3

Vgl. Schultheß 1929, S. 539–541.

Der damalige deutsche Außenminister Dr. Stresemann hat denn auch in der Aussprache über das Projekt das starke Interesse hervorgehoben, das diesem Plan vom wirtschaftlichen Standpunkte aus zukommt, ohne dabei zu unterlassen, auch auf die großen politischen Schwierigkeiten hinzuweisen, die ihm wohl im Wege stehen würden4. Der englische Außenminister Henderson[159] unterstrich gleichfalls hauptsächlich die günstigen sozialen Auswirkungen einer solchen Organisation5.

4

S. Schultheß 1929, S. 542.

5

Vgl. Schultheß 1929, S. 542.

Das damals veröffentlichte offizielle Kommuniqué besagte: „Nach einem Austausch der verschiedenen Gesichtspunkte erklärten die anwesenden Delegierten einstimmig, Kenntnis zu nehmen von der Initiative des Herrn Briand, die darauf hinausgeht, unter den europäischen Staaten ein Band der Solidarität herzustellen und dieses mit Sympathie zu betrachten. Alle haben sich verpflichtet, ihre Regierungen mit der Frage zu befassen und sie zu studieren. Sie haben den französischen Ministerpräsidenten beauftragt, an die Adresse der im Völkerbund vertretenen Regierungen ein Memorandum zu richten und eine allgemeine Prüfung über diese Frage einzuleiten. Der französische Ministerpräsident wird gebeten, einen Bericht vorzubereiten, der die formulierten Gutachten zusammenfaßt. Über diesen Bericht wird in einer neuen Zusammenkunft während der Vollversammlung des Völkerbundes in Genf im Jahre 1930 diskutiert werden.“

Das von Briand erbetene Memorandum liegt den europäischen Regierungen nunmehr vor. Vergegenwärtigt man sich den im oben angeführten Kommuniqué wiedergegebenen Ausgangspunkt desselben, das in voller Absicht so ausführlich hier wiedergegeben wurde, und vergleicht damit auch nur oberflächlich die vorliegenden Richtlinien des Memorandums, so fällt auf, daß das wirtschaftliche Moment, das zweifelsohne im vorigen Jahre in Genf die ausschlaggebende Rolle gespielt hat, zurückgedrängt ist gegenüber dem politischen Moment, dem nunmehr die Hauptbedeutung zufällt.

Jetzt heißt es:

„Die Notwendigkeit, ein ständiges System vertraglich festgelegter Solidarität für die rationelle Gestaltung Europas zu schaffen, ergibt sich schon allein aus den Bedingungen für die Sicherheit und das Wohl der Völker, die durch ihre geographische Lage berufen sind, in diesem Erdteil in tatsächlicher Solidarität miteinander zu stehen“6.

6

Briand-Memorandum, R 43 I /616 , Bl. 82–117, hier Bl. 83 und 86; Schultheß 1930, S. 460.

Und an anderer Stelle:

„Da jede Fortschrittmöglichkeit auf dem Wege der wirtschaftlichen Einigung streng durch die Sicherheitsfrage bestimmt wird und diese Frage selbst eng mit der des erreichbaren Fortschritts auf dem Wege der politischen Einigung zusammenhängt, müßte die Aufbaubestrebung, die Europa seine organische Struktur geben soll, zunächst auf dem politischen Gebiet einsetzen. Auf dieser Grundlage müßte dann auch die Wirtschaftspolitik Europas in ihren großen Zügen sowie die Zollpolitik jedes europäischen Staates im besonderen aufgebaut werden.

Die umgekehrte Reihenfolge wäre nicht nur vergeblich, sie würde auch den schwächeren Nationen geeignet erscheinen, sie ohne Bürgschaften und Ausgleiche der Gefahr einer politischen Beherrschung auszusetzen, die sich aus einer industriellen Herrschaft der stärker organisierten Staaten ergeben könnte.

[160] Es ist daher logisch und normal, daß die der Gemeinschaft zu bringenden wirtschaftlichen Opfer ihre Berechtigung nur im Ausbau einer politischen Lage finden können, die auf dem Vertrauen zwischen den Völkern und der wirklichen Befriedung der Geister beruht. Ja selbst nach der Herbeiführung einer solchen tatsächlichen Lage, die durch die Begründung eines Zustandes dauernder und enger friedlicher Beziehungen zwischen den Völkern Europas gewährleistet wird, müßte auf dem politischen Gebiet noch ein höheres Gefühl für die internationalen Notwendigkeiten hinzutreten, um den Mitgliedern der europäischen Gemeinschaft zugunsten der Gesamtheit die ehrliche Auffassung und die faktische Durchführung einer wahrhaft liberalen Zollpolitik aufzunötigen“7.

7

Briand-Memorandum, R 43 I /616 , Bl. 82–117, hier Bl. 106–108; Schultheß 1930, S. 465.

Wir sehen, das Moment der Sicherheit wird stark in den Vordergrund gerückt und verleiht dadurch dem französischen Memorandum gerade jetzt nach dem Fehlschlag der französischen Politik auf der Londoner Konferenz8 eine ganz bestimmte Note, die die Diskussion über den Plan bedeutend erschweren wird.

8

Londoner Flottenkonferenz vom 21. 1.–22.4.30: Schultheß 1930, S. 479–493.

Ein ständiges System vertraglich festgelegter Solidarität“, wir wissen, was diese Worte im Sprachschatz der französischen Politik bedeuten. Sie bedeuten den Wunsch, durch immer neue Abmachungen den durch die Friedensverträge i. J. 1919 geschaffenen Zustand Europas zu stabilisieren und durch den Ausbau eines Sanktionssystems gegen den Friedensbrecher sicherzustellen.

Diese Ziele der französischen Politik sind ja bekannt und treten in dem Memorandum so unverhüllt zutage, daß man darauf gar nicht weiter einzugehen braucht. Viel wichtiger dürfte es sein, auf ein anderes Moment hinzuweisen, das weniger klar zutage tritt, hinter dem sich aber gerade die Gefahr der von der französischen Politik geübten Methode verbirgt.

In der Präambel des Memorandums heißt es unter Bezugnahme auf die einstimmige Erklärung der Vertreter der 27 europäischen Staaten Europas am 9. September in Genf:

Um diese Einstimmigkeit, mit der der Grundsatz einer moralischen europäischen Union bereits festgelegt wurde, besser zum Ausdruck zu bringen, glaubten sie unverzüglich das Verfahren bestimmen zu sollen, das ihnen am geeignetsten zur Förderung der vorgeschlagenen Umfrage erschien; sie haben den Vertreter Frankreichs damit betraut, in einem an die beteiligten Regierungen gerichteten Memorandum die wesentlichen Fragen darzulegen, die sie prüfen sollten; die Ansichten dieser Regierungen einzuholen und zu verzeichnen; die Ergebnisse dieser großen Umfrage herauszuarbeiten und einen Bericht darüber zu erstatten, der einer europäischen Konferenz vorgelegt werden soll, die gelegentlich der nächsten Tagung der Völkerbundsversammlung in Genf stattfinden könnte“9.

9

Briand-Memorandum, R 43 I /616 , Bl. 82–117, hier Bl. 85; Schultheß 1930, S. 460.

In Teil I. „Über die Notwendigkeit eines allgemeinen, wenn auch noch so elementaren Vertrages zur Aufstellung des Grundsatzes der moralischen Union[161] Europas und zur feierlichen Bekräftigung der zwischen europäischen Staaten geschaffenen Solidarität“ wird gesagt:

„In einer Formel, die so liberal wie möglich gehalten wäre, aber den wesentlichen Zweck dieses Verbandes im Dienst des gemeinsamen Werkes der friedlichen Organisation Europas klar zum Ausdruck bringen müßte, würden sich die Signatarregierungen verpflichten, in periodisch wiederkehrenden oder in außerordentlichen Tagungen regelmäßig miteinander Fühlung zu nehmen, um gemeinsam alle Fragen zu prüfen, die in erster Linie die Gemeinschaft der europäischen Völker interessieren können“10.

10

Text des Briand-Memorandums, R 43 I /616 , Bl. 82–117, hier hinter Bl. 95 [ungezählt]; Schultheß 1930, S. 462 ff.

Und in der ersten Anmerkung hierzu heißt es:

„Da die Signatarregierungen auf diese Weise offenbar an die allgemeine Richtung einer gewissen gemeinsamen Politik gebunden sein würden, so würde der Grundsatz der europäischen Union künftig außerhalb jeder Diskussion stehen und über jedes alltägliche Ausführungsverfahren erhaben sein. Die Prüfung der Mittel und Wege wäre der europäischen Konferenz oder dem ständigen Organ vorbehalten, das berufen wäre, das lebende Bindeglied für die Solidarität europäischer Nationen zu sein und auf diese Weise die geistige Persönlichkeit der europäischen Union zu verkörpern“11.

11

Briand-Memorandum, R 43 I /616 , Bl. 82–117, hier Bl. 96; Schultheß 1930, S. 463.

Wir nehmen diese Stellen des Memorandums besonders heraus, um daran auf die Gefahr hinzuweisen, die darin bestehen könnte, wenn die deutsche Antwort bei allen Vorbehalten eine grundsätzliche Zustimmung zu der vorliegenden Form von Briands Memorandum enthalten würde. Wir wissen aus früheren Verhandlungen, daß unsere Vorbehalte letzten Endes uns nichts nützten, daß es der geschickten Taktik der Franzosen fast immer gelungen ist, die Verhandlungen in die von ihnen gewünschte Richtung zu lenken. Auch jetzt besteht die Gefahr, daß eine deutsche Antwort, die das Memorandum Briands in der vorliegenden Form nicht ganz eindeutig selbst als Diskussionsgrundlage ablehnt, und die eigene Stellungnahme nicht ganz scharf formuliert und umreißt, uns unversehens in Briands Pläne zieht. Man wird in dieser Auffassung bestärkt, wenn man beobachtet, wie bereits jetzt in einem Teil der französischen Presse, und zwar namentlich in jener, der man enge Beziehungen zum französischen Außenministerium nachsagt, der Versuch gemacht wird, die Staaten auf Briands Memorandum, wenn auch nicht festzulegen, so doch zu veranlassen, von ihm als Diskussionsbasis auszugehen. Weiß man doch aus der Erfahrung, daß dabei noch immer allerhand den französischen Wünschen Entsprechendes herausgekommen ist.

So ist es nicht uninteressant, daß z. B. der „Petit Parisien“ vom 18. Mai, um die weitausschauende Politik Briands zu beweisen, an die berühmte Genfer Resolution vom 16. September 1928 erinnert, die seinerzeit heftig kritisiert worden sei und doch alles vorgesehen habe: vollständige und endgültige Reparationsregelung, die Einsetzung einer Vergleichskommission und die Räumung12.[162] So gebe Briand jetzt mit seinem Vorschlag einer „Union fédérale européenne“ erneut eine Probe nicht nur seiner taktischen Geschicklichkeit, sondern der Richtigkeit seiner Voraussicht. „Im Augenblick, wo die Liquidierung des Krieges eine vollendete Tatsache ist, ist die Notwendigkeit einer europäischen Vereinigung schon von allen Außenministern anerkannt, un accord sur le principe même d’une fédération européenne existe déjà entre eux et tous ont pris l’engagement moral de travailler à sa réalisation … Worum handelt es sich tatsächlich von jetzt an? Nur noch um das Verfahren. Das Ziel von Briands Memorandum ist, nach genauer Fixierung der schon vorher angenommenen Idee, die Elemente, die der fédération als konstitutive Diskussionsbasis dienen werden, zu vereinigen. Diese Diskussion wird neben der Vollversammlung des Völkerbundes im September d. J. in Genf stattfinden.“

12

S. Schultheß 1928, S. 439–440.

Der „Temps“ vom 21. Mai erinnert an die Reserve, mit der 1925 das Projekt des Locarnovertrages und 1927 der Kelloggpakt aufgenommen wurden und sagt dann über das Memorandum von Briand:

„Das Memorandum von Briand enthält kein Element der Überraschung. Im September letzten Jahres hat der Außenminister seine Idee in Genf klargelegt, wo er seine Auffassung von den Dingen in Gegenwart der qualifiziertesten Vertreter der Mächte präcisiert hat, die ihn mit der Ausarbeitung eines Memorandums, das als Diskussionsgrundlage dienen konnte, beauftragten, was zum mindesten eine prinzipielle Zustimmung (impliquait une adhésion de principe) in sich schloß

Sicher ist, daß das Projekt einer Union fédérale mit aller Aufmerksamkeit und mit aller Sympathie geprüft und diskutiert werden wird, die es erfordert, denn niemand könnte wagen, absichtlich und systematisch Stellung zu nehmen gegen eine dauerhafte Annäherung der europäischen Völker, gegen eine loyale Versöhnung ihrer Interessen, gegen eine Politik der Klarheit, die auf die Konsolidierung des Friedens zielt.“

Man sieht, es wird der Versuch gemacht, die Situation so darzustellen, als läge eine prinzipielle Zustimmung zu Briands Plan bereits vor. Damit man nicht tatsächlich in eine solche Situation hineinmanövriert wird und damit man sich nicht unversehens mitten in der Diskussion über die politischen Pläne Briands befindet, kann die politische Diskussion über eine Union fédérale europénne im Briandschen Sinne gar nicht unmißverständlich genug abgelehnt werden. Das kann die deutsche Regierung z. B. umso leichter tun, als Briand in seinem Memorandum den im vorigen Jahre in Genf gegebenen Ausgangspunkt vollständig verschoben hat. Stellt Briand das politische Moment vor das wirtschaftliche, so muß dem starren Prinzip Frankreichs klar und eindeutig das auf Artikel 19 des Völkerbundpakts13 basierende elastische, der politischen Entwicklung Rechnung tragende Prinzip Deutschlands entgegengesetzt werden. Wenn der Zeitpunkt der Revision vielleicht jetzt nicht gegeben[163] ist, so können wir doch nicht auf die Möglichkeit einer solchen verzichten. Und wir würden darauf verzichten, wenn wir auf Briands Pläne einer „vertraglich festgesetzten Solidarität“ eingehen würden.

13

Laut Artikel 19 der VB-Satzung konnte die Bundesversammlung von Zeit zu Zeit ihre Mitglieder zur Nachprüfung überholter Verträge und den Weltfrieden gefährdender internationaler Verhältnisse auffordern.

Umso mehr können wir auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiete dem Plane Briands näher treten, zumal eine Zusammenarbeit der europäischen Völker auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiete voraussichtlich auch jenes bis jetzt noch fehlende gegenseitige Vertrauen schaffen würde, das unerläßliche Voraussetzung für eine Zusammenarbeit auch auf politischem Gebiete ist.

Wir dürfen uns in unserer Stellungnahme zu dem Briandschen Memorandum nicht durch die Stellungnahme des Auslandes beeinflussen lassen. Die englische Presse verhielt sich ablehnend oder doch wenigstens reserviert. Wir dürfen aber nicht vergessen, daß Briand seine Union fédérale européenne so außerordentlich geschickt aufzieht, so sehr in den Rahmen des Bestehenden einbaut, daß sie innerhalb des Völkerbundes nur als ein regionales Abkommen im Sinne des Artikel 21 des Völkerbundstatuts14 figurieren würde und in gewissem Sinne die Bedeutung eines über Europa sich erstreckenden Locarno-Vertrages hätte (man vergleiche dazu Teil III des Memorandums B; Begriff des politischen europäischen Zusammenwirkens)… . „(Eine solche Auffassung könnte den allgemeinen Ausbau des Schiedsgerichts- und Sicherheitssystems in Europa sowie die fortschreitende Ausdehnung der in Locarno begonnenen Politik der internationalen Garantien auf die ganze europäische Gemeinschaft bis zur Zusammenfassung der Sonderabkommen oder Reihen von Sonderabkommen in einem allgemeineren System zur Folge haben)“15.

14

Artikel 21 der VB-Satzung lautet: „Internationale Abreden, wie Schiedsgerichtsverträge und Abmachungen über bestimmte Gebiete, wie die Monroedoktrin, welche die Erhaltung des Friedens sicherstellen, gelten nicht als einer der Vorschriften der gegenwärtigen Satzung unvereinbar“.

15

Briand-Memorandum, R 43 I /616 , Bl. 82–117; hier Bl. 108; Schultheß 1930, S. 465.

Nun hat aber die englische Regierung bei den verschiedensten Anlässen in Genf und im engl. Unterhaus nie ein Hehl daraus gemacht, daß sie den Abschluß regionaler Abkommen für durchaus wünschenswert hält, vorausgesetzt allerdings, daß man nicht die englische Garantie dafür fordert. Die englische Ablehnung beruht ja bekanntlich auch hauptsächlich auf der Abneigung, über Locarno hinaus weitere Garantien zu übernehmen. Es ist daher nicht ausgeschlossen, daß die engl. Regierung den Bestrebungen Briands nicht ganz ablehnend gegenübersteht, zudem ja die Rechte des Völkerbundes nicht angetastet werden und das Ganze sich zunächst nur als eine neue zusätzliche Garantie für Frankreich und seine Trabanten auswirken würde.

Daß die italienische Regierung Briands Plan ablehnend gegenübersteht, ist ohne weiteres klar16.

16

Vgl. zur Haltung Großbritanniens und Italiens Dok. Nr. 65, P. 2.

Nicht uninteressant ist die Stellungnahme des „Osservatore Romano“, die hier nach einer WTB-Meldung weitergegeben ist. Danach scheint man auf eine gewisse Sympathie des Vatikans mit dem Briandschen Plan schließen zu dürfen. Das Blatt lehnt die allzu eifrigen Kritiken an Briands Plan ab. Man dürfe nicht vergessen, daß Briand nichts anderes getan habe, als den ihm in Genf am[164] 9. September 1929 übergebenen Auftrag auszuführen. Zur Sache selbst schreibt Osservatore Romano, daß die gegenwärtig bestehenden lebhaften Meinungsverschiedenheiten zwischen einigen Staaten und die gegenwärtig ungewöhnlichen Lebensbedingungen vieler Staaten nicht unüberwindliche Hindernisse für einen Staatenbund in Europa seien. Ein vorläufiger Ausschluß irgendwelcher Staaten brauche nicht die Gründung und Entwicklung eines neuen Europa zu verhindern. Briand wolle mit seinem Vorschlag wohl nur den Entwurf des Gebäudes liefern, zu dessen Errichtung ganz Europa beitragen müsse. Der Bund würde nur dann eine Doppelauflage des Völkerbundes sein, wenn er nicht weitere und spezifischere Aufgaben als die dem Völkerbunde zugewiesenen erhielte. Das Blatt schließt seine Ausführungen mit dem Hinweis, daß das getrennte Europa den Weltkrieg gebracht habe, während das vereinigte Europa den Frieden in die Welt bringen könne17.

17

Zur Ressortberatung über den Europa-Plan Briands s. Dok. Nr. 51.

Extras (Fußzeile):