1.68.1 (bru2p): Entwurf einer Notverordnung.

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Entwurf einer Notverordnung.

Der Reichskanzler nahm die erste im Ländersitzungssaal der Reichskanzlei stattfindende Sitzung zum Anlaß, den Herren Ministerpräsidenten für die wertvollen Beiträge für die Ausstattung des Raumes zu danken.

Zum Beratungsgegenstand führte er etwa folgendes aus:

Ein Entwurf zur Notverordnung könne nicht vorgelegt werden, einmal, weil die Beratungen des Reichskabinetts hierüber noch nicht abgeschlossen seien, und sodann auch, weil die Reichsregierung der Entschließung des Reichspräsidenten nicht vorgreifen könne. Die Notverordnung diene in erster Linie dem Zweck, Kassenschwierigkeiten des Reichs zu verhüten und die Arbeitslosenfürsorge davor zu bewahren, daß sie notleidend wird. Darum habe vor allem der Reichsetat ausgeglichen werden müssen. Reich, Länder und Gemeinden dürften vor keiner Härte zurückschrecken, um alle nur irgendwie möglichen[1164] Ersparnisse durchzuführen. In der Reparationsfrage könne man nicht aufs Ganze gehen. Denn brüske Schritte, wie sie vielleicht dem Gefühl des Volkes entsprächen, würden von vornherein zum Scheitern verurteilt sein. In der Welt glaube man, daß das Reich eine solide Finanzpolitik treibe. Die gegenwärtige Reichsregierung dürfe unter keinen Umständen von ihrer bisherigen Politik abweichen, und die Reichsregierung werde dies auch nicht tun1. In diesem Sinne werde sie auch nicht von dem bestehenden Schuldentilgungsprogramm abweichen. Die Erklärung eines Transferaufschubs in der Reparationsfrage werde vielleicht im Augenblick ein Weg sein, um die Nerven des deutschen Volkes zu beruhigen; praktisch werde ein solcher Schritt aber nicht weiterführen. Insbesondere werde im laufenden Jahre dadurch keine finanzielle Entlastung eintreten. Das kommende Finanzjahr werde für Deutschland nach aller Wahrscheinlichkeit sogar noch schwerer werden wie das Jahr 1931. Gegenüber dieser Erschwerung würde die Erleichterung, die ein Transferaufschub bringen könne, kaum ins Gewicht fallen. Die Fehlbeträge bei Reich, Ländern und Gemeinden, mit denen man für 1932 rechnen müsse, würden unverhältnismäßig viel höher sein. Darum müsse alles darangesetzt werden, das Gleichgewicht der Etats in der Hand zu behalten. Die Reparationsfrage würde sich heute schon in einem wesentlich günstigerem Stadium befinden, wenn man in Deutschland in den letzten zehn Jahren eine aufrichtigere Finanzpolitik gemacht hätte. Heute sei der Kulminationspunkt der Schwierigkeiten nahezu erreicht. 1932 werde voraussichtlich noch weitere außerordentliche Fehlbeträge bringen. Die letzte verfügbare Reserve sei die Umsatzsteuer. Diese werde die Reichsregierung heute noch nicht aus der Hand geben. Hinzu komme, daß auch der Höhepunkt der Krise für die Sozialversicherungsträger erst für das Jahr 1932 zu erwarten sei. Von irgendwelchen Chancen für die Aufnahme weiterer kurzfristiger Anleihen könne nicht die Rede sein. Daß langfristige Anleihen nicht in Frage kommen könnten, beweise das Schicksal der Young-Anleihe2. Wenn bei der Weiterbehandlung der Reparationsfrage in absehbarer Zeit gewisse Fortschritte erzielt werden könnten, werde sich vielleicht die Möglichkeit einer Kapitalzufuhr für Länder und Gemeinden eröffnen. Für das Reich dagegen werde es in absehbarer Zeit kein Geld geben, da die Reichsregierung nicht gewillt sei, die politischen Bindungen einzugehen, dieman von ihm bei der Aufnahme von Anleihen sicherlich fordern werde. Eine Lösung für die wirtschaftlichen Schwierigkeiten werde es weder für Deutschland, noch für ein sonstiges Land in der Welt geben, wenn wir fortführen, Gehälter und Löhne weiter abzusenken. Aus diesem Kreislauf gebe es keinen Ausweg. Der Ring müsse gesprengt werden. Auf dem Wege zur Erreichung dieses Ziels erbitte die Reichsregierung Vertrauen zu ihrer Politik. Man müsse die Nerven behalten und durchhalten, zusammen mit der Reichsregierung.

1

Vgl. die ähnlichen Ausführungen des RK in Dok. Nr. 291.

2

Die Young-Anleihe, die zu einem Kurs von 90 emittiert worden war, wurde am 2.6.31 mit einem Kurs von 68,75 notiert (DAZ Nr. 243–244 vom 3.6.31).

[1165] Der Reichsminister der Finanzen äußerte sich sodann über die Finanzlage. Er sprach über die voraussichtliche Gestaltung der Steuereinnahmen im laufenden Etatsjahr, ferner über die voraussichtliche Entwicklung der Arbeitslosigkeit und über die Maßnahmen zur Sanierung der Reichsknappschaft. Danach entwickelte er die Grundlinien des Entwurfs der Notverordnung. Dabei wandte er sich vorsorglich gegen etwaige Vorschläge, die Schuldentilgung einzustellen, da eine Vertrauenskrise in den deutschen Kredit die unausbleibliche Folge sein werde. Er führte weiter aus, daß zur Überwindung der Kassenschwierigkeiten des Reichs noch im Juni eine besondere Überbrückungsaktion notwendig sein werde, daß man aber danach auf absehbare Zeit über den Berg sei und, wenn sich alles programmäßig entwickeln werde, dann könne man vielleicht nach sechs Monaten Mittel und Wege finden, um den Gemeinden, sofern sie sich dann in einer außerordentlichen Notlage befinden sollten, zu helfen.

Der Reichsarbeitsminister setzte auseinander, daß Deutschland in seiner schwierigen Lage nicht allein dastehe, daß vielmehr auch in anderen Ländern die gleichen Schwierigkeiten vorhanden seien. Die Lage in Deutschland sei nur deshalb besonders schlimm, weil keine größeren Reserven vorhanden seien.

Er erläuterte sodann die geplanten Reformen auf dem Gebiete der Sozialversicherung, insbesondere in der Arbeitslosenfürsorge.

Staatsminister HöpkerHöpker Aschoff entwickelte für den durch Teilnahme am Parteitag in Leipzig verhinderten Preußischen Ministerpräsidenten den Standpunkt Preußens. Er bemängelte an dem Plan der Reichsregierung, daß dieser an den Fehlbeträgen von Ländern und Gemeinden vorbeigehe. Der Preußische Staat rechne im laufenden Rechnungsjahr mit folgenden Fehlbeträgen:

Ausfälle bei den Überweisungssteuern

440 Millionen

Mindereinnahmen aus den Staatsforsten

50 Millionen

Rückgänge bei den Gewerbesteuern

150 Millionen

Ausfälle bei der Hauszinssteuer

120 Millionen.

Von diesen Fehlbeträgen sei im Plan der Reichsregierung überhaupt nicht die Rede. Hinzu komme, daß sich die Sorgen für die Wohlfahrtserwerbslosen verschärft haben. Den Gemeinden müsse daher in stärkerem Maße wie vorgesehen, geholfen werden3. In den preußischen Gemeinden werde mit einem Fehlbetrag von 412 Millionen gerechnet gegenüber einer Schätzung von 285 Millionen. Das Reich habe die Pflicht zu helfen, weil es über die Steuerquellen verfüge. Das Reich sei auch der Schrittmacher für die Gehaltspolitik der Länder. In Preußen seien 78 v.H. aller Ausgaben Personalausgaben; 22% entfielen auf die Sachausgaben. An diesen Sachausgaben seien nennenswerte Kürzungen kaum noch möglich. Die Abstriche, mit denen das Reich aufwarte, seien in erster Linie Abstriche an den Personalkosten. Im übrigen decke das Reich seine Fehlbeträge durch neue Steuern. Hinter der Sanierung des Reichs stehe[1166] der Zusammenbruch von Ländern und Gemeinden. Nach dem besonders sachverständigen Urteil des Preußischen Ministers des Innern nehme die revolutionäre Stoßkraft des Kommunismus in Deutschland ständig zu. Für ihn sei es unbegreiflich, wie man bei dieser Sachlage die Gemeinden zahlungsunfähig machen könne. Länder und Gemeinden seien außerstande, sich selbst weiter zu helfen. Eine ihrer bisherigen Haupthilfsquellen, die Sparkassen, versagten; denn die Spareinlagen gingen von Monat zu Monat weiter zurück. Wenn der Plan der Reichsregierung so ausgeführt werde, wie er jetzt vorliege, sei der Zusammenbruch der Kassen bei Ländern und Gemeinden unvermeidlich. Für Preußen gäbe es nur noch die Möglichkeit der Ersparung bei der Siedlung und den Meliorationen. Dieser Weg aber bedeute wiederum eine Schrumpfung der Wirtschaft. Er könne sich auch nichts davon versprechen, daß man in der Notverordnung so stark von den Lasten der Arbeitslosenfürsorge spreche, die Lasten der Reparationen aber in keiner Weise in die Erscheinung treten lasse. Alles in allem könne die Preußische Regierung den Plan der Reichsregierung nicht gutheißen.

3

Vgl. dazu Dok. Nr. 253 und Dok. Nr. 261.

Der Bayerische Ministerpräsident Dr. HeldHeld führte aus, daß er nach den Darlegungen der Reichsregierung noch kein klares Bild darüber gewonnen habe, wie die Notverordnung aussehen werde. Er habe das Empfinden, daß bei dem Werk nur eine kurzfristige Sanierung des Reichs herauskommen werde. Vielleicht würden die Schwierigkeiten nach 3–4 Monaten wieder die gleichen sein. Er glaube nicht an eine dauernde Sanierung des Reichsetats. An der Lage der Länder und Gemeinden sei die Reichsregierung völlig vorbeigegangen. Die Lage Bayerns sei anscheinend nicht ganz so schlecht wie die Preußens. Er habe auch das Empfinden, daß man in vielen Gemeinden den wahren Ernst der Lage noch nicht ganz begriffen habe. In den finanziellen Schwierigkeiten der Gemeinden liege aber eine große politische Gefahr. Er bezifferte die Mindereingänge Bayerns aus der Überweisungssteuer auf 55 Millionen RM. Die Einnahme aus den Forsten würden von 33 Millionen um rund 12 Millionen zurückgehen. Insgesamt weise der bayerische Etat einen Fehlbetrag von über 70 Millionen auf. Bis jetzt wisse er noch nicht, wo der Ausgleich herkommen solle. Er nehme unter allen Umständen als selbstverständlich an, daß die Ergebnisse der Gehaltskürzung den Besoldungsträgern verblieben, insbesondere also auch den Ländern. Ferner beanspruchte er für die Länder eine Teilnahme am Aufkommen aus der geplanten Krisensteuer. An der geplanten Gehaltskürzung übte er insofern Kritik, als die vogeschlagenen Kürzungssätze von 12–14% (unter Anrechnung der voraufgegangenen Kürzung) gegenüber den Sätzen der Krisensteuer ungerecht hoch seien.

Zusammenfassend meinte er, eine Sanierung, die nur dem Reich helfe, den Ländern und Gemeinden aber nicht zu ihrem Rechte verhelfe, sei nur eine halbe Arbeit. Zur Reparationsfrage führte er aus, daß die Reichsregierung zu dieser Frage in der Notverordnung unbedingt Stellung nehmen müsse, sonst werde die Notverordnung psychisch nicht verstanden werden; die Frage müsse erkennbar angepackt werden. Er habe die Auffassung, daß der Zeitpunkt nicht mehr fern sei, wo man aus innenpolitischen Gründen an die Revision und an den Transferaufschub herangehen müsse.

[1167] Der Reichskanzler erwiderte, daß die Politik der letzten 12 Jahre zweifellos falsch gewesen sei. Man könne der Reichsregierung auch nicht zum Vorwurf machen, daß sie nicht schon im letzten Winter alle Eventualitäten in Rechnung stellte und eine Sanierung auf 1½ Jahre hinaus vorgenommen habe. Etwas derartiges tue kein Staat der Welt; denn man lähme durch derartige Schritte die Wirtschaft und den Unternehmungsgeist. In Amerika sei der Pessimismus noch größer wie bei uns. Zur Zeit gebe es kein Land der Welt, das beim Export noch Geschäfte mache. Die deutsche Landwirtschaft stehe besser da wie diejenige Amerikas und Kanadas. Sogar Frankreich habe eine Minderanbaufläche von 150 000 ha. Mit dem Hinweis auf die Notlage unserer Landwirtschaft und den schlechten Export werde er bei dem bevorstehenden Besuch in Chequers kaum Erfolg haben. Ebenso werde er mit dem Hinweis auf die wirtschaftliche Krise keinen Eindruck machen. Der Plan der Reichsregierung gebe Ländern und Gemeinden eine Summe von 302 Millionen RM. Um mehr zu geben, gäbe es an sich noch zwei Mittel, nämlich:

a) eine weitere Kürzung der Beamtengehälter,

b) eine Erhöhung der Umsatzsteuer.

Die Umsatzsteuer gebe die Reichsregierung aber unter keinen Umständen aus der Hand; sie sei die letzte Reserve, die sie behalten müsse, um für den Kampf in der Reparationsfrage gerüstet zu sein. Die Länder müßten sich selbst helfen und sich auch gegenüber den Gemeinden durchsetzen.

Der Sächsische Ministerpräsident SchieckSchieck schloß sich im wesentlichen den Ausführungen des Preußischen Finanzministers Höpker Aschoff an. Er unterstrich die in Sachsen besonders große Zahl der Wohlfahrtserwerbslosen. Er wandte sich scharf gegen die die Produktion belastende Krisensteuer und ging ferner besonders eindringlich auf die Reparationsfrage ein. Er meinte, der Widerstand des Volkes werde nur dann ausreichen für die Notverordnung, wenn erkennbar ein Schritt getan werde zur Abwälzung der Reparationslasten.

Der Württembergische Staatspräsident Dr. BolzBolz bedauerte ebenfalls das Fehlen aller Sanierungsmöglichkeiten für Länder und Gemeinden. Er forderte nachdrücklich, daß die Beträge, die sich aus der Besoldungskürzung ergäben, auch den Ländern verbleiben müßten. Auch er forderte die Inangriffnahme des Reparationsproblems im Zusammenhang mit der Notverordnung.

Es sprachen:

für Baden

Staatspräsident WittemannWittemann,

für Thüringen

Staatsminister Dr. KästnerKästner,

für Hessen

Staatspräsident Dr. AdelungAdelung,

für Hamburg

Bürgermeister RoßRoß,

für Braunschweig

Minister Dr. KüchenthalKüchenthal.

Ihre Ausführungen waren auf den gleichen Ton wie den der Sprecher der größeren Länder abgestimmt. Neue Gesichtspunkte wurden von ihnen nicht vorgebracht.

Der Reichsminister der Finanzen und der Reichsarbeitsminister und ferner auch der Reichsbankpräsident griffen in den späteren Verlauf der Debatte nochmals kurz ein. Dabei sagte der Reichsminister der Finanzen zu, daß er die[1168] Forderungen der Länder nach Belassung der Ersparnisse bei der Gehaltskürzung einer nochmaligen Prüfung unterwerfen wolle mit dem Ziel, den Ländern Erleichterungen zu verschaffen.

Mit einem Schlußwort des Reichskanzlers endete die Sitzung.

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